Montag, 19. September 2011

Disneys moderner Swashbuckler aus der zweiten Reihe

Dies könnte der bislang populärste Film sein, den ich im Rahmen dieser Artikelreihe präsentiere. Zumindest landläufig ist diese Produktion aus den 90er-Jahren recht bekannt, und einige Leute hegen ganz gute Erinnerungen an ihn. Allerdings dreschen Kritiker liebend gern auf ihn ein, selbst beinahe zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung. Bei puristischen Liebhabern der Vorlage bekommt er so viel Prügel, wie deutlich losere Adaptionen dieses Stoffs und unter Disney-Fans wird ihm auch viel zu wenig Beachtung geschenkt. In Retrospektiven auf die Realfilme des Studios steht er regelmäßig im Schatten solcher Filme wie Newsies (wenn es ein US-Rückblick ist) oder der Realverfilmung von 101 Dalmatiner (der, wie mir scheint, insbesondere hierzulande einige Anhänger hat).

Ich finde aber, dass diesem Film mehr zusteht, als nur ein gelegentliches "Ach ja, der war nett" von hie und da.

Meine Damen und Herren, ich erbitte mir mehr Respekt für...

 Die drei Musketiere

Oder sollte ich eher verkünden: "Verneigt euch vor Disneys mit zehn Jahren Vorlauf gestartete Beta-Version von Fluch der Karibik!"?

Nun gut, Die drei Musketiere von 1993 ist nicht hundertpro der kleine Bruder von Fluch der Karibik, aber ich fühle mich durchaus wohl zu sagen, dass Stephen Hereks Abenteuerfilm mit Kiefer Sutherland, Oliver Platt und Charlie Sheen so sehr Fluch der Karibik ist, wie man es 1993 unter der Disney-Flagge sein konnte.
Käme der Film heute raus, wäre jedenfalls der (gewiss sehr gehässig gezischte) Kritikerkonsens "Disney versucht, die Piraten-Formel zu wiederholen, nur in light" garantiert. Hauptargument für diese These wäre der von Oliver Platt verkörperte Porthos.

Der stämmigste der drei legendären Musketiere ist in dieser 90er-Disney-Version ein in stylischer Bandana und lässiger Schärpe gekleideter, den Alkohol wertschätzender, die Anwesenheit (käuflicher?) Frauenzimmer genießender, listiger Tunichtgut, der mit verworrenen Lügenkonstrukten ("Diese Schärpe ist ein Geschenk der Königin von Amerika!") und saucoolen Sprüchen ("Klar soweit?!") sämtlichen anderen Musketieren die Schau stiehlt. Oh, und natürlich ist er schockiert, wenn man ihn nicht erkennt, und stolpert mit verkniffenem Blick durch die Weltgeschichte. Das alles, und dass er einen ganz und gar anderen Kampfstil hat, als man es von stocksteifen, klassischen Swashbuckler-Helden kennt, machte Porthos durch diesen Film zu meinem Lieblings-Musketier. Als noch nicht bekannt war, in welche (nahezu sämtliches Potential verschenkende) Richtung Micky•Donald•Goofy: Die drei Musketiere geht, hatte ich mir vom ganzen Herzen gewünscht, dass Donald Porthos "spielt" und in auf vergleichbare Weise interpretiert. Jaja, manchmal sind die Filme, die wir uns ausmalen, zigtausendfach besser als das, was wir wirklich erhalten...

Oliver Platt als Porthos ist praktisch schon im Alleingang wert, sich die Disney-Realfilmversion des Musketier-Stoffes anzuschauen. Aber das toll aufgelegte Ensemble aus Stars und Sternchen der 90er bietet noch viele weitere Gründe, sich dieser Adaption anzunehmen. Ganz vorne dabei wäre Tim Curry in der wie für ihn gemachten Rolle des intriganten Kardinal Richelieu. Curry grinst sich gewohnt liebenswert fies durch den Film und schafft es, seine Zeilen auf eine wunderbar perfide Art rauszuschleimen. Sein Richelieu ist so hinterlistig, selbstverliebt und Currys Darbietung zeigt auch ein wenig Selbstironie - für mich ist es eine von Currys besten Rollen und zweifelsfrei der beste Kino-Richelieu. Vor allem ist Curry nicht nur einfach richtig unterhaltsam in der Bösewichtrolle (so sehr, wie ich es mir auch von Waltz in der 2011er-Version erhoffte), sondern kann (gerade für jüngere Zuschauer) auch wirklich einschüchternd wirken. Das gesamte Intro, mit einem fast schon höllengleichen Kerker, ist eine einzige, ausführliche Sequenz, die ihn als unbarmherzigen Schuft etabliert - und auch später im Film erreichen die Kerkersequenzen eine viel größere Düsternis, als Miramax' The Musketeer. Der Film wollte zwischen seinen modern-spaßigen Phasen ja oh-so-düster sein, und war stattdessen einfach nur (in jeglicher Bedeutung des Wortes) unterbelichtet.

Ebenfalls mit ansteckender guter Laune, aber längst nicht so ikonisch in ihren Rollen, sind die weiteren Musketiere Kiefer Sutherland als Athos und Charlie Sheen als Aramis. Sheen hat nicht viel zu tun, außer lustig zu sein und ein paar Stichworte zu geben, während Sutherland als der desillusionierte Romantiker etwas Dramatik zu tragen hat. Dies gelingt ihm auf einem soliden Niveau, trotzdem muss ich bemängeln, dass schlichtweg mehr drin gewesen wäre. Sowohl die Dialoge, als auch Sutherlands Schauspiel kratzen nur an der Oberfläche dessen, was diese dynamisch-abenteuerhafte Neuerzählung von Die drei Musketiere an romantischer Tragik hätte tragen können. Dennoch, für einen Disney-Blockbuster der 90er-Jahre, noch dazu einem, der so oft als Beispiel für fahle Literaturverfilmungen herangezogen wird, ist Aramis' Subplot schon recht ausgefeilt.

Wen ich ebenfalls loben muss, ist Rebecca De Mornay, die als Lady DeWinter zwar viel zu wenig zu sehen ist, aber dafür eine fantastische Performance abgibt. Sie ist verrucht, sinnlich, innerlich zerrüttet und überaus gefährlich. Manchen wird sie vielleicht etwas zu zu viel mit gepresster Stimme sprechen, wodurch sie DeWinter etwas steif gibt, aber wenn man ihre Darstellung des fatalen Weibsbildes insgesamt betrachtet, dann passt diese unnatürlich erotisch-garstige Stimme für meinen Geschmack perfekt. Und ihre letzte Szene ist sowieso ein vollkommen übersehener Disney-Moment. Wundervolle Landschaftsaufnahmen (von denen dieser Film eh einige zu bieten hat), eine kühle Stimmung und makelloses Timing - eigentlich gehört diese Sequenz wenigstens als eine ehrenvolle Randbemerkung in jede Auflistung der außergewöhnlichsten Momente in der Disney-Realfilmgeschichte.

Was Die drei Musketiere in den Augen vieler wohl von einem Abenteuerfilm-Kleinod und vergessenen Disney-Juwel zur dümmlichen 90er-Version degradiert, ist allen anderen Elementen voran Chris O'Donnell als D’Artagnan. O'Donnell, so manchem als Robin aus Joel Schumachers Batman-Filmen weiterhin in schrecklicker Erinnerung, spielt seine Dialogszenen sehr hölzern und mit einem so falschen, aufgesetzten Strahelächeln, dass man wirklich schwer umhin kommt, seine Anwesenheit mit "naja, es waren die frühen 90er" zu erklären. Glücklicherweise stimmt seine Chemie mit den Musketier-Darstellern und er ist ein guter Fechter, weshalb er Die drei Musketiere nicht  im Alleingang runterzieht. Dennoch hat der Sehspaß zwischen dem Intro mit Richelieu und der Einführung der Musketiere einen enormen Durchhänger.
Ebenfalls vergleichsweise unterwältigend ist die Filmmusik. Halt, halt, halt - liebe Fans der Zusammenarbeit zwischen Rod Stewart, Bryan Adams und Sting, ich meine nicht den kultig-pathetischen Song All for Love, sondern den Score. Der ist nicht schlecht, aber weder Fisch, noch Fleisch. Er ist zu modern und poppig für einen klassischen Swashbuckler-Soundtrack, aber zu gediegen für eine flotte Neuinterpretation. Unter anderem deshalb wäre er heutzutage für Kritiker in dieser Form "Fluch der Karibik light" - es fehlt die rockig-moderne Attitüde in der Filmmusik.

Trotzdem muss ich einfach hervorheben, wie gut Regisseur Stephen Herek die einzelnen Zutaten der Musketier-Geschichte abwägt und zu einem feschen 90er-Abenteuer zusammenmischt. Die ernsteren Untertöne über zerstörte Liebeshoffnungen und politische Intrigen, die sich ernstnehmenden Abenteuer- und Actionpassagen sowie ihre komödiantischeren Gegenparts ergeben ein ausgeglichenes, stimmiges Ganzes, statt in Einzelteile mehrerer, inkompletter Filme zu zerfallen. Dazu tragen auch die Änderungen an der Geschichte bei - mal ehrlich, die ganze "Juwelen der Königin stehlen und den König denken lassen, sie hätte eine Affäre"-Sache wirkt für ein modernes Publikum schon was albern. Darum passte es auch so gut in die Version von Paul W. S. Anderson, aber in die Disney-Fassung passte sie nicht. Nein, nicht etwa, weil es für Disney zu gewagt wäre. Hier wird unehelich rumgeschnackselt, gesoffen und ermordet, Menschenskinder, der Kardinal plant ein Attentat auf den König. Nein, es wurde zu einem Mordkomplott umgeschrieben, um den Abenteueranteil etwas ernster zu verwurzeln, so dass er die humoristischen Sperenzien besser verkraftet.

Appropos 90er, düster, Disney und alles: Die drei Musketiere erhielt in der ungekürzten Schnittfassung seinerzeit eine FSK ab 16 Jahren. Unglaublich, oder? Also, ich bin tatsächlich erstaunt, dass es in den USA für ein PG reichte (ein PG-13 war garantiert nicht weit entfernt), aber eine FSK ab 12 (die er heute sicherlich bekäme) ist problemlos drin. Was mir allerdings Hoffnung macht: Auch die ungekürzte Fassung wird in Deutschland als Disneyfilm verkauft. Auf dem DVD-Cover steht zwar Touchstone, aber anders als etwa bei The Rocketeer wurde im Vorspann kein "Touchstone Pictures" über die Disney-Einblendung gepflastert.

Wie dem auch sei: Mit einfallsreichen Actioneinlagen von Herr der Ringe-Kampfchoreograph Bob Anderson, einem wunderbar aufgelegten Ensemble und einem gelungenen Popcorn-Drehbuch ist die 1993er Auflage der Musketiere ein toller Abenteuerspaß, der auch bald zwei Jahrzehnte später sehr frisch wirkt.
Diese Version ist exakt so fesch, wie ein modernisierter Musketier-Film sein darf, um nicht amüsanter Camp (wie bei Paul W. S. Anderson) oder reiner Schund zu werden (wie The Musketeer). Es ist einfach rundum gelungene Unterhaltung.

Und deshalb hat Die drei Musketiere mehr Respekt verdient.

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6 Kommentare:

Gondorff hat gesagt…

"Kiefer Sutherland als Aramis und Charlie Sheen als Athos"
*reusper*

Sir Donnerbold hat gesagt…

Und deshalb sollte man nie Blogartikel schreiben, während man eine Bachelor-Denkpause nimmt. (Merci)

Gondorff hat gesagt…

Zu dem Film kann ich übrigens eine kleine Anekdote erzählen wo er mir das erste Mal begegnet ist: Damals gab es noch in der Micky Maus eine Doppelseite auf der Kinofilme in einer Art Fotostory (oder sowas in der Art) vorgestellt wurden; und da kann ich mich genau an zwei Filme noch erinnern: "Ein Fall für TKKG: Drachenauge" und eben " Die drei Musketiere".

An den Film selbst erinnere ich mich nur noch dunkel und bekomme nur noch den großen Endkampf und das Ende zustande.

Anonym hat gesagt…

Toller Film. Habe ihn als Kind geliebt (FSK 16?!) und finde ihn auch heute klasse. Muss noch in den neuen 3D-Film, aber so gut wie der von Disney wird er bestimmt nicht.

Citara hat gesagt…

Mir hat der Film damals und heute sehr gut gefallen. Dass er zu Disney gehört war mir bisher irgendwie entgangen.

Wenn ich das os vergleiche, was sich aktuell Musketier-Film nennt...

Tony Stark hat gesagt…

Naja mir gefallen die Richard Lester "Musketier"-Filme aus den 70ern besser.
Disneys Musketiere sind mir zu jung und zu cool.

Tony Stark

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