Mittwoch, 15. Februar 2012

Flanderisierung

Hi-Dili-Ho!

Es ist eines der vielen heiß diskutierten Themen unter Simpsons-Guckern: Die Flanderisierung von Figuren. Ist es gut, dass Figuren zunehmend auf einem von ursprünglich mehreren Charakterzügen reduziert werden und dadurch mehr und mehr zu Karikaturen ihrer selbst verkommen? Oder macht sich die Serie dadurch nur lächerlich?

Benannt wurde dieser Prozess nach der schleichenden Veränderung des Simpson-Nachbarns Ned Flanders, welcher anfangs ein ennervierend-überfreundlicher, ruhiger und bescheidener Geselle war, der Religion schlicht ernster nahm als Homer und sich auch gesitteter benahm. Dann wurde sein fehlender Widerwille, die Kirche zu besuchen, zur wahren Bibel-Obsession, die letztlich sogar Reverend Lovejoy auf den Keks ging. Gleichzeitig blieb Flanders ein freundlicher, zuvorkommender Mitmensch, der sich bloß über unchristliche Dinge mokierte, dann aber aus Konfliktscheue kleinbeigab. Das wurde allerdings nochmal verändert, so dass Flanders zwischenzeitlich als regelrechter Fanatiker dargestellt wurde, der jede Gelegenheit wahrnimmt, um sich über die marode Moral in der Gesellschaft aufzuregen und der seine Kinder mit Hausarrest straft, wenn sie einen Werbetrailer für Grey's Anatomy sehen. Jüngere Episoden können sich derweil nicht entscheiden, ob Flanders ein Fanatiker (kurz vor'm Anzetteln eines Mobs) oder "nur" ein Überchrist (der allerdings auch die Nächstenliebe vor Beschwerden über schwache Moral setzt) ist.

Nahezu das gesamte Simpsons-Ensemble ist von solchen Charakterisierungs-Reinterpretationen betroffen, und der generelle Konsens ist "Die neuen Folgen sind simpler, schriller, oberflächlicher, dümmer". Jedoch liegt die Schwäche vieler neuen Folgen in meinen Augen generell mehr an den Storys, und nicht durchweg zwangsweise an den veränderten Charakterisierungen. Einige Figuren gefallen mir in ihrer "flanderisierten" Form besser - und wieder andere sollten gefälligst wieder normal werden.

Flanderisierung - sie kann gut sein, sie kann schlecht sein. Es kommt darauf an, wo und wie sie eintritt. Möglicherweise lassen sich zu diesem Thema mehrere Artikel spinnen, aber zunächst möchte ich das Simpsons-Figurenrepertoire abklappern. Bei wem ist die comichaftere Version die bessere, bei wem die schlechtere?

Ned Flanders ist ein schwieriger Fall. So sehr mich einige seiner lachhaften, ultrakonservativen Anmerkungen zum Grinsen bringen, ist es für die Serie ein Verlust, dass der neben der Chaos-Titelfamilie lebende "Normalo" und Langweiler derart mutierte. Anfangs war es ein Gag, dass Homer seinen netten Nachbarn nicht leiden konnte, mittlerweile ist eher die Frage, weshalb sich die beiden nicht längst bis auf's Blut bekämpft haben. Deshalb wäre es wohl besser gewesen, wenn eine neue Figur als Fanatiker nach Springfield gezogen wäre. Dass Flanders' Christlichkeit stärker betont wurde (als Stufe 1 seiner "Flanderisierung") fand ich dagegen vollkommen in Ordnung. Nach den ersten drei, vier Staffeln wurde die Serie generell etwas knalliger, ohne sofort schlechter zu werden. Und auch die US-Gesellschaft änderte sich - wenn man es stark generalisieren möchte, brach die normale Mitte weg. Da war es nur konsequent, Ned etwas stärker ins religiöse Lager zu schubsen. Flanderisierung so lala!

Chief Wiggum war früher langweilig. Ein dicker, nicht gerade kompetenter Cop. Nun ist er ein wandelnder Witz - genauso unfähig, aber wenigstens wird seine Idotie für Pointen genutzt. So platt und albern die meisten Wiggum-Witze sind, es sind wenigstens richtige Pointen und auch in den jüngsten Staffeln sind Wiggums Auftritte für mich fast immer garantierte Lacher. Das kann man über viele andere Figuren leider nicht mehr sagen. Flanderisierung gelungen!

Ralph Wiggum war schon immer dumm, aß bereits in den ersten Staffeln Kleber und war zu naiv, Lisas Abneigung zu spüren. Seine versteckten Kompetenzen (etwa als Schauspieler) kamen nur alle Jubeljahre zum Vorschein. Daran hat sich nichts geändert, nur die Schlagzahl, mit der er seine absolut saudämlichen Sätze bringt, hat sich erhöht. Ein ganzes Lied wurde schon mit Ralph-Zitaten gefüllt. Und das mit recht! Flanderisierung gelungen!

Smithers war ganz zu Beginn nicht weiter der Rede werd, wurde aber bald zum seinen Chef verehrenden, ja, heimlich sogar liebenden Assistent. So kennen und lieben wir die Figur Danach wurde er allerdings von einem "Burns-sexuellen" zu einem Homosexuellen mit großer Schwärmerei für seinen Chef - und das ist irgendwie bloß halb so amüsant. Flanderisierung daneben!

Lisa Simpson war nie meine Lieblingsfigur, aber sie wurde über die Jahre zunehmend unausstehlicher. Aus dem aufgeweckten, klugen, jungen und idealistischen Mädchen wurde eine Über-Streberin, die bei jeder 1- schon austickt, sich politisch stärker engagiert, als jeder andere in Springfield und allen ihre Einstellungen die Kehle runterstopfen möchte. Flanderisierung grauenvoll!

Moe war anfangs ein etwas dubioser, nicht sonderlich gepflegter Barkeeper. Das ist er eigentlich immer noch, doch seit seinen ersten Auftritten kam er öfter ins Rampenlicht und offenbarte sich zudem als Kleinkrimineller, absoluter Versager im Umgang mit Frauen und latent suizidgefährdet. Von einzelnen Episoden, die eine dieser Seiten zu stark betont, ist es für mich eigentlich eine Ausweitung seines alten Ichs und ich würde fast sagen, dass er als einzige Simpsons-Figur gewachsen ist, indem man seine Dubioisität weiter auslotete. Flanderisierung mehr als gelungen!

Homer war ein rauer, aber liebevoller, dümmlicher Sitcom-Vater, wurde dann zu einem impulsiven, rachsüchtigen Monstrum und dann zu einem weichherzigen, idiotischen Spinner. Dass Homer ins Zentrum der Serie rückte, gefällt mir und den neuen Dummkopf-Homer mag ich mehr, als den Aggro-Homer, allerdings könnte die Serie noch so viel, viel besser werden, wenn Homer wieder mehr einem echten Menschen ähneln würde, statt einem Witz auf zwei Beinen. Flanderisierung misslungen!

Patty und Selma waren zwei nervige, zynische Schwägerinnen. Nun würden sie Homer beim Selbstmord helfen. Und sie sind anstrengender, denn je zuvor. Flanderisierung misslungen!

Bart wechselt nun, je nach Bedarf der Episode, von einem der harten Kerle auf der Schule zu den coolen, aber noch immer tyrannisierten Kids, zu den Losern. Wenn es Konstanz geben sollte, dann dass der moderne Bart wesentlich boshafter ist, als der freche, jedoch glaubwürdige Bube früherer Staffeln. Das ist zum Teil wohl den Konkurrenzserien zu verdanken (neben den Kindern aus South Park ist Bart ein Engel), passt jedoch nicht ins Simpsons-Universum, welches noch immer bodenständiger ist, als South Park. Bart kann manchmal richtiggehend soziopathisch sein und nach der Ehe seiner Eltern (oder gar deren Leben trachten), Gewissensbisse bringt die Drehbuchfee. Früher war Bart noch eine runde Figur - und funktionierte nur deswegen. Anders als eh nur als lebende Gags gedachte Figuren wie Ralph. Flanderisierung daneben!

So weit also erstmal meine Gedanken zur Flanderisierung in Die Simpsons. Ich überlege mir in Ruhe, ob ich noch bei anderen Serien solche Kommentare zu vermelden habe, so lange können die Jünger alter Staffeln gegen die Fans neuer Staffeln die Kommentarsektion nutzen, um sich zu bekriegen. Viel Spaß!

8 Kommentare:

Filmsenf hat gesagt…

Von den "Haupt"figuren würde mich noch deine Meinung zu Skinner interessieren.

Flanders wurde auf jeden Fall etwas fanatischer, als er noch zu Beginn der Serie war. Aber trotzdem gibt es immer wieder Folgen die zeigen, dass er und Homer durchaus sowas wie Freunde sein könnten, wenn sie denn wollten.

Die Entwicklung von Lisa wird ja schon seit Jahren kritisiert und damit hat man gar nicht so unrecht. Sie ist wirklich eine richtig gehende Klugscheisserin geworden.

Chief Wiggum als Witz auf zwei Beinen finde ich jetzt nicht das schlimmste, was es bei den Simpsons gibt. Ganz im Gegenteil: Ich finde ihn super.

Genau das gefiel mit bei Homer z. B. nicht ganz so. Dass er seit einigen Jahren immer mehr zu einem Witz verkommt. Da gefiel mir der runde Homer der frühen Jahren mit zwar einigen negativen, aber auch positiven Wesenszügen, sehr viel besser. Irgendwie ist er jetzt nur noch der dümmliche Familienvater.

Wer sich irgendwie nie groß verändert hat in den Jahren waren Mr. Burns und Krusty.

Jaguar D Sauro hat gesagt…

Wenn Homer lediglich dümmer währe, würde ich als eingefleischter Fan ja nicht so stark rumjammern: Er ist einfach ein herzloses Arschloch, dass nur noch an sich selbst denkt und seit Jahren den Tod seiner Kinder herbeiwünscht. Über Lisa müssen wir gar nicht erst reden.

Genauso schlimm ist ja der Rest: Marge wird seit der Brustvergrößerungsfolge oft nur noch wie Eyecandy behandelt (...okay), Bart wird verzweifelt auf KEWL getrimmt und Maggie ist inzwischen das Superbaby, das mehrere Leute mit Schrottflinten niederschisst. Ich würde eher über eine Family Guynisierung reden, denn die Serie hat sich MacFarlanes Bullshitfest so sehr angepasst, es ist unheimlich. Grade Homer erinnert immer mehr an einen Peter Griffin.

Dennoch, als treuer Fan und jemand, der die alten Folgen liebt, gratuliere ich zur 500. Folge

Anonym hat gesagt…

Ich muss gestehen, dass "Die Simpsons" für mich zu einer Serie geworden ist, deren neue Folgen ich nicht ertragen kann.
Die unbeschreiblich guten ersten Staffeln stehen in meinem Regal und werden regelmäßig hervorgeholt.
Ich werde mir jedoch sehr wahrscheinlich keine neuen mehr zulegen.
Ich bin nicht von Anfang an dabei gewesen, sondern quasi mitten in die Simpsons hineingesogen worden, doch geht nichts über die ersten 10-12 Staffeln!
Die 19. Staffel hat mir einen derben Schlag versetzt, den ich in Staffel 17 und 18 gerade noch ertragen konnte.
Tja, doch seit Anfang der 20. schaue ich diese Serie nicht mehr.

Wenn eine "normale" Folge sich in keinster Weise von einer Halloween-Folge unterscheidet, stimmt etwas nicht. Zumal jedem Springfielder das Leben der anderen egal zu sein scheint.
Ich sehe irgendwie nur noch Absurditäten und perverse Szenen. Die Dialoge sind nur noch dumm und die Gags meist grenzwertig...

Tja, für mich ging es mit der Serie nicht nur den Bach, sondern gleich 'nen ganzen Fluss runter.

Ich kann nichts mehr mit ihr anfangen (bis auf die grandiose erste Hälfte der Serie natürlich) und die Charaktere widern mich eigentlich nur noch an...

Zur 500. Folge würde ich gerne gratulieren, aber ob das was bringt, wenn man die Hälfte der Folgen nicht abkann? xD

Danke für den Artikel!

corny hat gesagt…

Also der Artikel bringt es eigentlich auf den Punkt:
Das Problem bei den Simpsons ist, das man sich inzwischen mehr auf und über die Nebencharaktere freut als über die Simpsons.
Die "Flanderisierung" der Simpsons ist in der Tat katastrophal verlaufen!

maloney hat gesagt…

Du hast dabei Moe vergessen...der eigentlich zum Sinnbild von Forever Alone reduziert wurde

Reallusionist hat gesagt…

Auch wenn der Post jetzt schon ein paar Tage alt ist, will ich nochmal meinen Senf zu diesem sehr interessanten Thema geben. ;)

Ich muss dir auf jeden Fall darin zustimmen, dass das Hauptproblem der neuen Folgen nicht in den Figuren, sondern vielmehr in der Story liegt. Generell bin ich eigentlich der Ansicht, dass es schwer einschätzbar ist, ob eine Figur nun gut oder schlecht ist, weil es einfach immer darauf ankommt, was man aus ihr herausholt. Und speziell bei einer satirischen Zeichentrick-Serie finde ich eine einheitliche Charakterisierung gar nicht so wichtig. Auch in den älteren Folgen wandeln sich die Charaktere von Folge zu Folge - und das ist auch gut so! Bestes Beispiel ist da denke ich Homer. Ich kann ehrlich gesagt nicht so ganz verstehen, warum man immer vom "Jerk-Ass Homer" spricht. Wenn man sich beispielsweise "Lisa auf dem Eise" aus Staffel 6 anschaut (eine meiner absoluten Lieblings-Episoden!), ist dort Homer wirklich der totale Idiot. Aber hier macht das nichts aus, denn Homer ist zum einen verdammt lustig, zum anderen steht er in dieser Folge symbolisch für den Wett-eifernen Sportfan, an dem Kritik geübt wird. Hier verkörpert er nunmal die Gesellschaft, während er eine Folge später das Opfer der Gesellschaft bzw. Medien wird ("Die Babysitterin und das Biest"). Ich habe mit diesen Wandlungen kein Problem, solange sie eben nicht _zu_ sehr ins Extreme ausschlägt und jegliche Glaubwürdigkeit flöten geht. Freilich kommt Homer aber in den Folgen, in denen er in einen moralischen Konflikt gerät (z.B. "Homer liebt Mindy") oder in der Humor aus seinem Pech heraus generiert wird (z.B. "Homer in New York" - hier hat wie ich finde er Ähnlichkeiten mit Donald Duck) wesentlich sympathischer rüber. In manchen Folgen muss Homer jedoch nicht unbedingt sympathisch sein, sodass ich es eben ok finde, wenn er ein rücksichtloser Idiot ist.

Jedenfalls ist es für mich keinesfalls so, dass die Entwicklung der Charaktere immer linear ist, sondern sie eben immer an die jeweilige Episode angepasst werden (was sicherlich auch an den vielen verschiedenen Autoren liegt). Dennoch würde ich dir bei den Charakterentwicklungen größtenteils zumindest grob zustimmen, speziell bei Moe war es denke ich schon eine Bereicherung (auch wenn mir das selber ehrlich gesagt gar nicht aufgefallen ist).

Reallusionist hat gesagt…

(Fortsetzung wegen Zeichenbeschränkung ;))

Was Lisa angeht: Sie in den früheren Staffeln eigentlich eine meiner Lieblingsfiguren. Sie ist vor allem dahingehend wichtig, dass sie eine sehr gute Opposition zu Bart und Homer bildet. Denn letztendlich sind für den Aufbau der Storys ja nicht nur die Figuren selbst wichtig, sondern ihre Beziehungen zueinander. "Lisa als Vegetarierin" zählt beispielsweise zu meinen Lieblingsepisoden... auch in "Die Kugel der Isis" wird der Gegensatz von Homer und Lisa sehr schön dargestellt.
Deshalb halte ich es auch für wichtig, dass Bart nicht immer allzu einfältig daherkommen sollte, sonst wären tolle Episoden wie "Großer Bruder, kleiner Bruder" gar nicht möglich.
Und ich denke, dass genau das vielleicht ein Manko der neuen Folgen ist. Man schafft es vielleicht noch immer Nebenfiguren als Sidekicks auftreten zu lassen, die sehr lustig sind (wie eben Ralph) - die Story, die man zwischen den Charakteren entwickelt ist aber meist nicht mehr besonders gut bzw. ausgelutscht. Zum Beispiel gibt es in den neueren Folgen meines Empfindens nach sehr viele Marge/Homer-Ehekrise-Plots. Ich will nicht sagen, all diese Folgen per se schlecht sind, aber meistens schafft man es hier einfach nicht mehr, eine interessante Story aufzubauen, aus der man auch noch gute Gags rausholen kann. Um ein Beispiel zu nennen: "Es lebe die Seekuh!" ist eine solche furchtbare Folge.
Ein weiteres Beispiel ist die Kombination Homer/Selma: "Selma will ein Baby" ist eine ganz tolle Episode, in Staffel 16 ist man mit "Der lächelnde Buddha" hingegen wie ich finde kläglich gescheitert.

Es ist eben wohl gar nicht so leicht, im Laufe der Zeit die Charaktere einer Serie zum einen vielseitiger zu machen, sie andererseits aber nicht oberflächlicher werden zu lassen.
Aber wie dem auch sei, mein Kommentar hat sich vielleicht teilweise etwas von der Flanderisierung entfernt, vielleicht hat ihn ja aber trotzdem jemand gelesen. ;)

Wie soll ich mich nur nennen? hat gesagt…

Ich hab deinen Beitrag gelesen RealIlusionist.
Ich weiß gar nicht woran es genau liegt, die neuen Folgen sind einfach nicht mehr lustig und die Charaktere nicht mehr so liebenswürdig.
Diese Flanderisierung geht mir aber auch in anderen Serien auf die Nerven. Die Macher denken wohl, das wenn irgendeine Schrulle eines Charakters beim Publikum gut ankommt, dann reicht es diese umso mehr auszubauen und den Rest zu vernachlässigen.
Ein Opfer der Flanderisierung ist meiner Meinung nach zum Beispiel J.D. aus Scrubs.
War seine irgendwie guylove-mäßige und kindliche Seite am Anfang einfach wirklich lustig, aber gleichzeitig auch noch nachzuvollziehen, so wurde das in den letzten Staffeln einfach übertrieben.

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