Montag, 11. Februar 2013

Die BAFTAs haben gesprochen, also Argo-Fuck-Yourself!


Die BAFTAs wurden verliehen, und sie gossen weiteres Öl ins Feuer, dass Argo in der Oscar-Nacht abräumen wird. Ein sicherer Tipp ist Ben Afflecks dritte Regiearbeit weiterhin nicht, denn das große Momentum, das Argo genießt, steht einer gewaltigen Statistik gegenüber: Bislang gewannen nur 3 Filme ohne Regie-Nominierung den Hauptpreis, noch nie gewann der Fünftplatzierte unter den Oscar-Nominierungen die begehrte Statuette für den besten Film. Jeder vernünftige Buchmacher würde gegen Argo wetten. Und das macht zahlreiche Oscar-Experten fuchsig ...

Um weiteres Salz in die Wunde zu streuen, hier zunächst die komplette Liste der BAFTA-Gewinner, ehe ich auf diverse Reaktionen auf die Argo-Mania eingehe ...

Bester Film: Argo
Beste Regie: Argo, Ben Affleck
Bester Hauptdarsteller: Lincoln, Daniel Day-Lewis
Beste HauptdarstellerinAmour, Emmanuell Riva
Bester fremdsprachiger Film: Amour, Michael Haneke, Margaret Ménégoz
Beste Dokumentation: Searching For Sugar Man, Malik Bendjelloul, Simon Chinn
Bester Animationsfilm: Merida, Mark Andrews, Brenda Chapman
Bester britischer Film: Skyfall, Sam Mendes
Bester NebendarstellerDjango Unchained, Christoph Waltz
Beste NebendarstellerinLes Miserables, Anne Hathaway
Bestes Original-Drehbuch: Django Unchained, Quentin Tarantino
Beses adaptiertes Drehbuch: Silver Linings Playbook, David O. Russell
Beste Filmmusik: Skyfall, Thomas Newman
Beste Kamera: Life of Pi, Claudio Miranda
Bestes Szenenbild: Les Miserables, Eve Stewart, Anna Lynch-Robinson
Bester Schnitt: Argo, William Goldenberg
Bester Ton: Les Miserables
Beste Spezialeffekte: Life of Pi, Bill Westenhofer, Guillaume Rocheron, Erik-Jan De Boer, Donald R. Elliott
Bestes Makeup & bestes Haarstyling: Les Miserables, Lisa Westcott
Beste Kostüme: Anna Karenina, Jacqueline Durran
Bester Kurzfilm: Swimmer, Lynne Ramsay, Peter Carlton, Diarmid Scrimshaw
Bester animierter Kurzfilm: The Making of Longbird, Will Anderson, Ainslie Henderson
Bestes Debut eines britischen Autors, Regisseurs oder Produzenten: The Imposter, Bart Layton & Dimitri Doganis
Bestes britisches Geschenk ans Kino: Tessa Ross

Einen Durchmarsch gab es bei den BAFTAs nicht zu verzeichnen und den darf man bei den Academy Awards Ende des Monats wohl auch nicht mehr erwarten. Je nach persönlicher Präferenz, weil es in dieser Saison keinen Überflieger a la Slumdog Millionär gab oder 2012 einfach zu viele gute Filme raus kamen, die in unterschiedlichen Segmenten am stärksten überzeugten. Argo etwa setzte sich in keinem "sichtbaren" Handwerk durch, sondern nur in den "unsichtbaren" Künsten Schnitt und Regieführung, und nunmal als beste Gesamtleistung. Und gerade der BAFTA für den besten Schnitt halte ich für ein starkes Argument, dass Argo diese Oscar-Saison für sich entscheiden wird. Und auch darf.

"Bester Schnitt" wird gerne als der heimliche Fünfte im Bunde des entscheidenden Quartetts der großen Kategorien "Film, Regie, Darsteller, Drehbuch" beschrieben, und selten zeigte in den vergangenen Jahren eine Produktion die Bedeutung guter Schnittarbeit so vorzüglich wie Argo. Der gesamte Film, aber insbesondere das Intro und die gesamte letzten 30 bis 45 Minuten, leben mindestens so sehr vom Schnitt wie von Ben Afflecks Regiearbeit. Eine der goldenen Filmemacheregeln lautet "ABC: Always be cross-cutting", und Argo wechselt in einem mitreißenden Takt zwischen den Handlungssträngen. 

Dass William Goldenberg für seine Leistung bei Argo prämiert wurde ist gemeinsam mit dem Argo-Gewinn beim USC Scripter Award für das beste Drehbuch ein entscheidendes Signal: Die Einzelleistungen der Argo-Macher finden Anklang. Bislang gewann der Film, wenn nicht für Ben Afflecks Regieführung, Gesamtpreise. Bestes Drama bei den Globes, bestes Ensemble bei den SAGs, beste Produktion bei den PGAs. Nun ist aber endgültig unstrittig, dass der Argo-Preissegen in den vergangenen Wochen keine Affleck-Trostnummer ist. Was leider nicht alle so sehen.

Mit jedem Argo-Sieg häufen sich unter seit Jahren oder gar Jahrzehnten eingesessenen Oscar-Beobachtern die Frustbeiträge, dass Afflecks Thrillerdrama diesen Preissegen nicht verdient hätte und einzig und allein überall absahnt, weil sich Abstimmungsberechtigte bei Affleck entschuldigen wollen. Von einem besonnen Beitrag bei The Film Experience ("Affleck's over-mourned 'snub' (people keep conveniently forgetting how strong the Best Director lineup is without him!) handed Argo an underdog narrative in a season where the narratives -- those tricky hooks that make a person or movie so irresistible in the Story of the Year's Entertainments -- weren't all that strong even if the movies were.") hin zu Dutzenden (!) angesäuerten Artikeln bei Awards Daily.

Für mich, der im Vergleich zu diesen Bloggern einen Novizen darstellt, ist es vermessen, zu widersprechen. Aber langsam wird mir der Argo-Frust zu viel. Deshalb muss ich aufschreien: Argo gewinnt, weil ihn die Stimmberechtigten so sehr mögen, nicht aus Mitleid!

Nicht, dass ich an Sympathie- und Mitleidswahlen zweifeln würde. Mitglieder der Filmindustrie sind auch nur Menschen, und gerade, wenn es um die Beurteilung von Kunst geht, so stimmt das Herz immer mit ab. Wäre ich ein Regisseur, der bei den Director's Guild Awards und den Oscars abstimmen darf, und der sich dieses Jahr zum Beispiel nicht zwischen Steven Spielberg und Ben Affleck entscheiden kann, so hätte ich selbstverständlich für Affleck bei den DGAs abgestimmt, damit er als mein Mitfavorit wenigstens einen Preis mit nach Hause nehmen kann.

Solches Denken beeinflusste gewiss auch Entscheidungen wie Martin Scorseses Oscar-Gewinn für The Departed, der längst nicht der beste Film des Meisterregisseurs ist, aber gut genug war, um ein ansehnlicher Oscar-Gewinner zu sein. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass einige Abstimmungsberechtigte zwischen Eastwood und Scorsese, andere zwischen Iñárritu und Scorsese schwankten. Da letzterer langsam überfällig wurde, hatte er in solchen Zweifelsfällen die Nase vorn und setzte sich letztlich durch.

Also ja, ich glaube nicht, dass Argo nicht wenigstens einen "Mitleidspreis" erhielt. Besagte Auszeichnung der Director's Guild Awards etwa könnte einen solchen Beigeschmack haben. Trotzdem steht Argo meiner Ansicht nach und entgegen zahlloser Theorien eben nicht allein auf den Füßen der "Armer, armer Ben"-Storyline.

Zunächst: Argo und Affleck begonnen ihren Siegeszug dieser Saison mit den Golden Globes und den Critic's Choice Awards, die zwar nach Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen verliehen wurden, aber bereits davor feststanden. Zweitens: Bei den 83. Academy Awards gab es nach Bekanntgabe der Nominierungen eine erschütterte Reaktion, dass Christopher Nolan nicht für die Regiearbeit an Inception nominiert wurde, die den "Wo bleibt die Affleck-Nominierung?"-Beschwerden in nichts nachstand. Nolans Rückhalt in der Branche dürfte kaum meilenweit hinter Afflecks zurückliegen. Und dennoch soll nun Afflecks Argo in "Wir müssen die versäumte Regie-Nominierung wieder wett machen"-Preisen ersaufen, während Inception nicht einen einzigen großen Preis erhielt?

Drittens: Argo ist einer dieser Filme, die zwar in wenigen Segmenten überragend sind, bei denen die Summe der Einzelteile jedoch weit größer ist. Argo hat keine tiefschürfende, schwer zu spielende Hauptrolle, die Daniel Day-Lewis als Lincoln das Wasser reichen kann. Argo ist kein visuelles Werk der Güteklasse von Life of Pi oder Skyfall. Selbst die Frage, ob das Drehbuch besser ist, als das von Lincoln, Life of Pi oder Beasts of the Southern Wild, ist nicht mit lautem Eifer zu beantworten. Man kann sich auf eine sehr gute Regiearbeit einigen, was in den vergangenen Wochen auch zahlreiche hinter Preisverleihungen stehende Gruppen getan haben. Die Verantwortlichen hinter der Academy haben Ben Affleck in einem Jahr, in dem seit Jahrzehnten erfahrene Meisterregisseure wie Michael Haneke, Steven Spielberg und Ang Lee Großes vollbracht haben, und Newcomer wie Benh Zeitlin unkonventionelle Stoffe meisterlich auf die Leinwand brachten, nicht in ihre Top 5 gepackt. Dennoch können sie Argo lieben. Es ist nunmal kein Film, der an einer Leistung festgenagelt werden kann. Dass er dennoch nun einige Einzelleistungen einsackt, stärkt ihm bloß den Rücken.

Unterm Strich ist es ein perfekter Oscar-Film: Eine inspirierende, wahre Geschichte, die an das Gute im Menschen glaubt (Zynik gewinnt selten in der Hauptkategorie, zuletzt im No Country for Old Men-Jahr). Es ist ein Loblied auf die Magie des Films (wie The Artist). Humor und Spannung halten sich die Waage. Und der Film versprüht ein "New Hollywood"-Feeling, als dass er weder klein, noch epochal ist. Argo ist bloß nicht so kontrovers wie viele "New Hollywood"-Filme. Argo ist der Film dieses Jahres, auf den man sich einigen kann.

Wenn das nächste Mal euch jemand vorjammert, dass Argo niemals gewonnen hätte, wäre Ben Affleck bei den Oscars als Regisseur nominiert, dann sagt ihm einfach: Argo-Fuck-Yourself. Also, ich werd's tun.

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