Sonntag, 14. August 2016

10 Cloverfield Lane


Sie wurde unter Film- und Fernsehfans bereits unzählige Male diskutiert: Die „Mystery Box“, mit der Produzent J. J. Abrams seine bevorzugte Herangehensweise ans Geschichtenerzählen beschreibt. Laut Abrams mangelt es unserem modernen Entertainment zumeist am Reiz des Geheimnisvollen, was er mit der Erzählweise sowie der Vermarktung seiner TV- und Kino-Projekte zu ändern versucht. Das mit konkreten inhaltlichen Angaben sehr sparsame Star Wars: Das Erwachen der Macht-Marketing hat dies zuletzt auf Blockbuster-Ebene vorgemacht, doch das Paradebeispiel für Abrams‘ Philosophie dürfte wohl Cloverfield sein. Die 25-Millionen-Dollar-Produktion wurde durch einen ein mysteriösen Trailer angekündigt, der im Sommer 2007 in den USA vor Transformers kopiert wurde. Zuvor war das Projekt vollkommen unbekannt, auch anschließend hielten sich der Verleih Paramount Pictures und Abrams‘ Produktionsfirma Bad Robot mit Informationen bedeckt.

Die Wartezeit bis zum Kinostart im Januar 2008 wurde durch ein aufwändiges virales Marketing überbrückt, das Interessenten mehr über die Welt erzählte, in der Matt Reeves‘ Found-Footage-Horrorthriller angesiedelt ist. Filmszenen und den eigentlichen Inhalt der Produktion anreißende Details blieben derweil äußerst rar. Das Publikum begrüßte es, und angesichts positiver Kritiken und weltweiten Einnahmen von 170,8 Millionen Dollar wurden alsbald auch Stimmen laut, dass ein weiterer Cloverfield-Film folgen könnte. Anfang 2016 überraschten Bad Robot und Paramount erneut mit einem Trailer, den zuvor keiner hat kommen sehen: Michael Bays 13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi startete in den USA in Begleitung eines atmosphärischen Trailers, der sich in seinen letzten Sekunden als Vorschau auf das bis dahin komplett geheim gehaltene Projekt 10 Cloverfield Lane enttarnt. Eine direkte Cloverfield-Fortsetzung sei der nur 15 Millionen Dollar teure Film allerdings nicht, wie die Filmemacher der Presse kurz darauf mitteilten. Es handle sich eher um einen „Blutsverwandten“. Und wenn der Cloverfield-Familie eins im Blut liegt, dann wohl schneidende Spannung …

Ratlos im Bunker

Im Mittelpunkt der rätselhaften Ereignisse steht die junge Frau Michelle (Mary Elizabeth Winstead), die überstürzt aus ihrem bisherigen Leben flieht. Dabei gerät sie in einen schweren Unfall, nach dem sie in einem unterirdischen Bunker erwacht. Eingeschlossen in einem kargen Raum. Festgekettet. Der streng dreinblickenden Mann (John Goodman), der Michelle überwacht, spricht in wirren Worten davon, dass draußen etwas Grausames vor sich gegangen sei. Nur in diesem Schutzbunker wäre man also noch sicher. Michelle schenkt dem Mann allerdings keinen Glauben. Deutet doch alles daraufhin, dass sie entführt wurde. Dann aber bemerkt Michelle, dass sich eine weitere Person im Bunker befindet: Emmett (John Gallagher Jr.), der beteuert, dass es an der Erdoberfläche tatsächlich zu erschreckenden, mysteriösen Ereignissen gekommen sei. Sagen die beiden Männer womöglich die Wahrheit? Oder wartet das Grauen eher im Inneren des Schutzbunkers?

Nachdem Regisseur Matt Reeves in Cloverfield den Found-Footage-Ansatz nutzte, um als angebliche Videoaufnahme eines New Yorker Yuppies zu zeigen, wie dieser einen Monsterangriff auf den Big Apple erlebt, geht Dan Trachtenberg in 10 Cloverfield Lane einen inszenatorisch klassischeren Weg. Doch auch ohne Found-Footage-Gimmick gelten in diesem kammerspielartigen Thriller Beschränkungen der Erzählperspektive: Die Erzählung konzentriert sich praktisch durchgehend auf Michelle, das Drehbuch von Josh Campbell, Matt Stuecken und Damien Chazelle ist so aufgebaut, dass der Zuschauer zu keinem Zeitpunkt einen nennenswerten Wissensvorsprung gegenüber Michelle hat. Daraus zieht Trachtenberg jede Menge Spannung, indem er das Publikum unentwegt miträtseln lässt: Was ist an der Oberfläche geschehen, welche Absichten haben Emmett und der sich als Howard vorstellende Besitzer des Bunkers? Gibt es einen Ausweg aus dem Bunker, und wenn ja, wäre es klug, ihn zu wählen?

Rundum spannend

Inszenatorisch macht Trachtenberg bei seinem Debütfilm nahezu alles richtig: 10 Cloverfield Lane ist einer dieser Filme, die tonal unentwegt auf der Kippe stehen und daher unberechenbar sind. Einerseits schürt der Regisseur ein Gefühl der Beklommenheit und Klaustrophobie, etwa durch Einstellungen, die unterstreichen, wie bedrückend Michelles grau-braune Betonzelle innerhalb des Bunkers ist. Andererseits sind andere Räume in Howards Bunker heimeliger, mit Einrichtung in einem etwas piefigen 60er-Jahre-Charme, einer stylischen Jukebox und einer großen Sammlung von teils sehr schrägen VHS-Filmen. Kameramann Jeff Cutter steuert derweil gegen die Erwartungshaltung an, und bricht das statische, auf den Bunker beschränkte Geschehen durch dynamische Aufnahmen auf: Mal sind es schleichende Fahrten vom Ende eines Raumes hin zu den sich bedächtig anschweigenden Figuren, andere Male saust die Kamera leicht wackelnd durch den Bunker, wenn die Stimmung unter dem Erdboden eskaliert.

Begleitet wird das hoch atmosphärische Geschehen durch Instrumentalmusik von The Walking Dead-Komponist Bear McCreary, der auf lautstarke, symphonische Klänge setzt und somit nicht den beengenden Handlungsort, sondern die bewegten Emotionen Michelles in Musik umwandelt. Die Klang-Bild-Schere ist daher zuweilen arg groß, jedoch verleihen die Darsteller 10 Cloverfield Lane der getragenen Musik zum Trotz ein erdiges Gefühl. Hier stehen keine überzeichneten, überlebensgroßen Hollywood-Kino-Figuren im Mittelpunkt, sondern glaubwürdige, ambivalente Figuren mit Indie-Feeling. Mary Elizabeth Winstead begeistert als das absolute Gegenteil einer typischen „Scream Queen“, also einer verängstigten Horrorfilm-Protagonistin, die ihrer Darstellerin bloß aufreibende Schreie abverlangt. Winstead fürchtet sich leiser und echter, mit vorsichtigem Zittern am ganzen Leib – wobei sie nur selten vor Angst erstarrt. Die Drehbuchautoren haben eine Figur erschaffen, die in jeder Situation nach einer Lösung sucht, um diese dann mit Geduld und Kombinationsgabe umzusetzen. Dennoch wirkt Winsteads Michelle nie abgebrüht, so dass sie als ideale Identifikationsfigur dient.

John Gallagher Jr. wiederum sorgt als unbedarfter, lässiger Typ für unaufgeregten Humor, während John Goodman seine beste Leistung seit über zehn Jahren abliefert: Er bringt die wechselhaften Launen Howards allesamt dermaßen glaubhaft rüber, dass jede Stimmungsschwankung aufs Neue schockiert. Kaum gewöhnt man sich an den etwas verpeilten, aber gutmütigen Retter, wandert er in psychopathische, bedrohliche Gefilde ab. Und kaum gewöhnt man sich an den still-bedrohlichen Howard, wandelt er sich zum cholerischen, ansonsten normalen Zeitgenossen. Oder zeigt sonst eine mittlerweile wieder vergessene oder gar gänzlich neue Facette. Somit verleiht Goodman 10 Cloverfield Lane auch einen sehr dunklen, aber prägenden Sinn für Humor, denn mitunter sind seine Stimmungsschwankungen ebenso abrupt wie pointiert. Gerade diese humorigen Momente machen die unvermeidlichen Entgleisungen umso nervenaufreibender. Und selbst wenn nicht alle für die immense Spannung sorgenden Rätsel auch bis zum Schluss Rätsel bleiben, sorgt 10 Cloverfield Lane mit subtilen Verweisen auf Cloverfield und einigen weiteren offenen Fragen auch nach dem turbulenten Finale für Grübelfalten.

Fazit: Atmosphärisch dicht, hochspannend und eine schauspielerische Tour de Force: 10 Cloverfield Lane ist Spannungskino par excellence!

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