Donnerstag, 11. September 2008

Abgefrackt, überfeiert, versoffen: Der todsichere Sinnescocktail

Achtung! Dieser Beitrag enthält einige SPOILER für Death Proof bzw. Grindhouse!


Endlich erbietet sich die Gelegenheit und kann mit liebgewonnenen Menschen, die man länger nicht mehr gesehen hat, einen gemeinsamen Abend verbringen. Es gibt viel zu bereden, noch mehr nachzuholen. Zu lange konnte man nicht mehr völlig unbekümmert und hemmungslos das noch junge Leben genießen. Also zieht es die Gruppe in die Stadt. Die verführerischen Blinklichter, die dem freudigen Abend stimmungsvolle Farbtupfer verleihen, viel mehr aber noch die Gelegenheit die Nacht nicht nur mit Freunden zu verbringen, sondern auch mit solch faszinierenden Individuen, wie sie nur nachts in Bars anzutreffen sind.
Lang ist sie die Nacht, der Alkohol fließt in Strömen, der salzig-pappige Nachgeschmack von Erdnüssen und Nachos mit Käse verpesten den Atem, macht das Schlucken und Reden zu einer unangenehm kratzigen Sache. Doch es gibt so viel zu bequatschen. So viele Getränke zu saufen.
Die Musikauswahl ist heute ausnahmsweise perfekt. Perfekt passt die Mucke zur Stimmung im kleinen Kreise, es läuft nur gutes Zeug. Vielleicht liegt es auch nur am Alkohol und dem durch seinen Einfluss sinkenden Kritikvermögen, aber wer will schon so weit denken?
Völlig fehlerlos ist dieser Abend natürlich auch nicht. Die Stimmung schwankt, da gibt's Zoff, da Lästereien. Torschlusspanik bei den Singles, Wut auf den sich nicht meldenden Partner bei den Vergebenen. Irgendwie verpufft der Ärger wieder so schnell, wie er auftauchte.
Man kriegt eh nicht alles mit. Weshalb auch immer. Es fehlen Teilinfos, wer eben noch abgemeldet war, ist plötzlich kurz vor'm Schuss bei der kleinen Blonden am anderen Tisch. Leute verschwinden ins Nirgendwo, tauchen wieder auf. Filmriss? Das kann nicht sein, man hat ja nichts vergessen, sondern was-auch-immer-los-war erst gar nicht mitbekommen.
Der Schädel dröhnt, die Musik ist zu laut, die Gespräche finden kein Ende, ebenso wenig wie der Alkohol. Ein grau-schwarzer Schleier legt sich über die Sicht. Doch keiner will aufhören. Es ist einfach... Wow, unvergesslich. Eine Nacht, die man auf Film festhalten möchte.

Mit Death Proof schuf Quentin Tarantino eine Hommage an die Horror- und Car-Exploitationfilme der 70er Jahre, zusammen mit Robert Rodriguez' Planet Terror ahmen die zwei Filme unter dem Titel Grindhouse die Stimmung eines Double Features in einem versifften Billigkinos nach, in dem die absurdesten, unbekanntesten und wildesten Filme liefen, die sich ein Kinobesitzer irgendwoher zusammenraffen konnte.
Doch nicht nur die Grindhouse-Atmosphäre lebt in diesen Filmen auf. Unter all dem Schmutz eines Grindhouses und all dem Tarantino-Kult versteckt sich eine hervorragend gelungene Nachbildung einer durchzechten Nacht mit Freunden. In der ersten Hälfte von Death Proof zeichnet der Kultregisseur exakt die eingangs beschriebene Stimmung nach und verleiht somit dem in Texas angesiedelten Part seines Streifens eine ganz spezielle Note, die man so schnell in keinem anderen Film findet.

Dass Tarantino zu Beginn von Death Proof nicht nur zeigt wie eine Gruppe junger Frauen in Austin feiert, sondern auch akribisch die Stimmung einer solchen ausgelassenen, aber nicht jugendlich-übermütig heiteren, Kneipentour nachstellt und so den Zuschauer dazu bringt die Stimmung dieses Abends mitzufühlen, mag bei der ersten Sichtung des Films nicht unbedingt jedem auffallen.
Zu beschäftigt ist man mit dem Verfolgen der Handlung, die steigende Antizipation auf das Thriller-Element lenkt gewissermaßen ab, ebenso wie das sorgfältige Aufsaugen der Grindhouse-Elemente. Bei manchen Zuschauern mag sich zudem auch Enttäuschung breit machen, erwartete man hier einen sinnlosen non-stop Slasher mit viel Blut und nacktem Fleisch. Doch falsch gedacht, nicht jeder Film, der in einem versifften Grindhouse lief, war so angelegt. Und die weitläufig noch immer kursierende falsche Annahme, Quentin Tarantino definiere sich hauptsächlich durch literweise fließendes Blut und hemmungsloser Gewalt verhilft Gelegenheitszuschauern erst Recht nicht zu einer problemlosen Begegnung mit Death Proof.

Bei wiederholtem Ansehen wird diese Saufnacht-Atmsphäre in Death Proof allerdings zunehmend deutlicher.
Eingang in den Film findet sie dank des Slasher-Elements in Death Proof: Die erste Hälfte läuft handlungstechnisch gesehen nach Genrekonventionen der Epoche und Budgetklasse ab, die Tarantino nachahmt und hochleben lässt. Wir lernen die Opfer und ihre Eigenheiten kennen, befinden uns in einer unbedrohlichen, sicheren Situation, die der Zielgruppe des Films auch mehr oder weniger bekannt vorkommt. In der zweiten Hälfte des Films würde der Teufel abgehen, literweise Blut spritzen, kreischende, halbnackte Teenies durch Wälder rennen und um ihr Leben bangen. Aber Tarantino wäre nicht Tarantino, wenn er einen so vorhersagbaren 08/15-Film abgeliefert hätte. Selbstverständlich nimmt der Film seine unerwartete Wendung, und dies nicht nur auf der Handlungsebene, sondern auch in seiner Stimmung.

Doch auch die erste Hälfte ist keineswegs durchschnittlich. Paradoxerweise wird diese erste Sequenz durch die Saufnacht-Atmosphäre zu etwas besonderem. Der Slasher verliert seine Beliebigkeit durch ein Element, dass in den Film Einzug findet, weil er einen Slasher nachahmt. Klingt kompliziert? Ich versuche, es euch zu erklären.

Es ist eine stillschweigende Genrekonvention, dass die Opfer ihr Schicksal aus konservativ-moralischer Sicht gesehen gewissermaßen verdient haben. Zahllose bekannte und unbekannte Slasher, Billig-Thriller und artverwandte Filme haben sich diesem Gesetz verschrieben, so auch die Fortsetzungen von Der weiße Hai, in denen der Killer mit Vorliebe Jugendliche verschlingt die vorher erste sexuelle Erfahrungen sammelten.
Aufgrund dieser Konvention ist das Bar-Setting von Death Proof naheliegend. Wir sehen die Gruppe Frauen saufen, frivol tanzen, lästern. Zuvor wurde der Zuschauer außerdem Zeuge von schier endlosem weiblichen gesabber über Sex, Drogen und Sex. Und am fluchen sind die jungen Dinger auch noch. Ganz davon zu schweigen, dass eines der Mädels eine karrieregeile Egomanin ist, die früher Kinder verprügelte. Die Gruppe passt perfekt in das Todesschema der Filme, denen Death Proof bis zu einem bestimmten Grad nachempfunden ist.

Hier endet jedoch bereits der offensichtliche Einfluss der Slasher. Wir haben die typischen Opfer, ein vermeintlich sicheres Setting und zudem genug optische Anleihen an das Genre, um den uninformierten Zuschauer zumindest kurzfristig glauben zu lassen, er sehe einen solchen typischen 70er-Slasher.
Denn was Tarantino seinen Figuren in den Mund legt und wie er die ausgelassene Kneipentour der Mädels inszeniert, ist eine ganz eigene Kategorie. So ausführliche Dialoge wird man in keinem billig dahergeschluderten Genrevertreter finden, ebenso wenig diesen kultig-coolen Stil Tarantinos. Hinzu kommen die altbekannten, geliebten Tarantino-Insider und -Eigenheiten, schon ist klar, dass es ein besonderer Film ist.
Was der ersten Hälfte von Death Proof aber endgültig die Krone aufsetzt ist die erwähnte Atmosphäre. Andere Regisseure hätten sich damit begnügt, junge Frauen beim Feiern zu zeigen, doch Tarantino fängt die Stimmung, die an einem solchen Abend aufkommen würde, ein und lässt den Zuschauer somit an ihr teilhaben.

Das ist eine besondere Qualität an Death Proof, und nun, da geklärt ist weshalb sie überhaupt logischen Eingang in den Film gefunden hat, möchte ich darauf eingehen, wie Tarantino sie kreiert.

Sehr viel ist Tarantinos Talent als Dialogschreiber zu verdanken. Seine Filme leben zu einem großen Teil allein durch das Gesprochene, hätte Tarantino kein Gespür für gelungene Dialoge, wäre seine Karriere schon längst zu Ende.
Nachdem er seinen Figuren, und somit auch deren Sprache, in seinem letzten Film etwas leicht übermenschliches, unrealitisch-episches verlieh, gibt Tarantino seinen Charakteren in Death Proof viel gewöhnliches in ihrer Sprachauswahl mit, auch die Themen sind alltäglicher als noch in Kill Bill. Dass der geneigte und geduldige Zuschauer, der bei einem Übermaß an Gesprächen nicht gleich ausflippt und den Film aufgibt, dennoch gerne zuhört, beweist Tarantinos Klasse. In jedem Dialog befindet sich eine eigene, kleine Dramaturgie, der das Publikum gebannt auf die Pointe oder das Ergebnis des Redeschwalls warten lässt. Die Wortwahl, die Tarantino hier als Autor traf, ist alltäglich, doch der Aufbau der Dialoge verleiht ihnen einen Reiz beim zusehen. Die gelungene Auswahl an Darstellern tut dann ihr übriges: Mit angenehmer Natürlichkeit, aber auch einer vom Zuschauer gewünschten und für die Wirkung des Films nötigen Dimension an filmischer Coolness tragen sie ihre Sätze vor.

Mehr noch als die Dialoge, sind es die Monologe, die zu faszinieren wissen, vor allem Stuntman Mikes Gespräch mit Butterfly, in dem er sie mit sorgfältig ausgewählten Worten und Argumenten überzeugen möchte, für ihn einen Lapdance auf's Parkett zu legen. Kurt Russel spielt mit jeder Menge Charme und einem unwiderstehlichen Blitzen in seinen Augen, während er zugleich unbehagen auslöst. Sein Monolog ist perfekt geschrieben und bricht kurz die im Film gesetzte Grenze, ist zu cool für den Alltag.

Ohne den Film gesehen zu haben, ist es sicherlich schwer nachzuvollziehen, wie dies die Atmosphäre einer durchzechten Party im kleinen Kreise erschaffen kann, doch wer sich Death Proof ansah, weiß vielleicht, worauf ich hinaus möchte. Das ständige Gerede über Sex, die kleinen, mit der Zeit immer verzweifelteren Anbaggereien, die Lobeshymnen auf besondere Getränke, das Rumgemeckere über zu spät kommende Freunde.
Die Art und Weise, wie Tarantino diese Texte niederschrieb und mit gekonntem Timing inszeniert schafft aus dem nichts eben diese besondere Atmosphäre. Auch diese zusätzliche Coolness der alltäglichen Gespräche verhilft zu diesem Ziel, wenn auch sicherlich eher zufällig, da sie bei Tarantino ja immer vorhanden ist. Auf einem besonderen Abend spricht man mit Freunden über das Selbe, wie sonst auch, doch wenn die Stimmung richtig ist, findet man die Gespräche viel gewitzter, schärfer.

Durch den unverwechselbaren Stil der Dialoge eingeführt, entwickelt sich die besondere Saufnacht-Atmosphäre zum Selbstläufer, wird durch die verschiedensten Elemente der ersten Death Proof-Sequenz in ihrer Intensität bestärkt. Sogar die Grindhouse-Effekte lassen sich auf den Inhalt des Films, mehr noch auf seineStimmung, beziehen. Plötzliche Aussetzer, kurze Momente die sich wiederholen, ein liederlicher Grauschleier, der die stylische und kernig eingerichtete Bar umhüllt. Inwieweit die Grindhouse-Effekte absichtlich mit diesem Aspekt korrespondieren ist ohne eindeutige Aussagen Tarantinos nur schwer abzustecken, jedoch wissen wir bereits aus Interviews, dass Tarantino und Rodriguez nicht nur rein zufällig platzierten, sondern beim "Zerstören" des Materials gezielte Absichten verfolgten, was sich zum Beispiel hervorragend am Intro von Planet Terror ablesen lässt, wo Rose McGowans Charakter Cherry Darling während ihres Go-Go-Tanzes unwissentlich die Meta-Ebene durchbricht.

Das Tempo der ersten Hälfte greift deren Wirkung ebenfalls unter die Arme. Kürzere Gespräche wechseln sich ohne ein klares Muster zu verfolgen mit ausschweifenden Szenen ab, die inhaltliche Entwicklung wirkt dadurch ein in die Länge gezogen, die Handlung abgehakt, wobei die Bar-Sequenzen auf der charakterlichen Ebene in sich schlüssig bleiben und emotional flüssig wirken. Es entsteht eine soghafte Wirkung, woraufhin sich der Zuschauer in der kleinen Feier der Mädels verliert. Wie es sich für eine solche, ganz besondere und mindestens ebenso lange Kneipentour unter Freunden, die sich lange nicht mehr gesehen haben, halt gehört.

Dazu gehören auch so kurze, traurige Momente, in denen jemand eine SMS an den Lebenspartner schickt, nur um kurz darauf wieder quer in die Party einsteigen zu lassen.
Im besten Sinne übertrieben sind dagegen solche Situationen, wie der flott auf's Parkett gelegte Lapdance - sowas gehört weniger zum Alltag einer privaten Sauftour (denke ich jedenfalls), aber es bringt wieder einen Stimmungswechsel und hebt Death Proof erneut für ein paar Minuten in die solch unrealistischen Film-Spähren wie die eines Pulp Fiction.

Zu guter Letzt wäre da noch Tarantinos gewohnt großartige Musikauswahl. Der Soundtrack besteht aus größtenteils unbekannten Oldies, die aber stets den Nagel auf den Kopf, unterstützen die gezeigten Szenen perfekt und versetzen den Zuschauer musikalisch in vergangene Zeiten, ohne dabei einen Kern Zeitlosigkeit zu verlieren. Die Songs klingen alt, der Stil ist unmodern, aber ihre Wirkung nicht. Nicht umsonst ergatterte Tarantino auch aufgrund der Soundtracks seiner Filme einen so hohen Kultstatus.

All das zusammen hebt die erste Hälfte von Death Proof in meinen Augen sogar über die so viel gelobte zweite Hälfte hinaus. Die authentische Stimmung und die gelungene Verquickung der zahlreichen Elemente, aus denen diese Explotation-Hommage besteht macht diesen Teil des Films zu etwas einmaligen. Was keineswegs heißen soll, dass mir die zweite Hälfte von Death Proof nicht gefällt, ich finde sie nur ein bisschen schwächer.

Aber das liebe ich so an Grindhouse - es gibt so viel zu entdecken und diskutieren. Etwa auch solche Details, wie den Death Proof-Cameo der Babysitter-Zwillinge aus Planet Terror. Sie tauchen als stumme Statisten am Rande der Bar auf und sind zum Beispiel im Hintergrund der Lapdance-Szene zu sehen, wie sie ebenfalls zur Musik tanzen und sich dabei ein Bierchen aus einer Flasche gönnen.
Auch das könnte man zur Party-Ansicht hinzuzählen, schließlich begegnen einem auf Feiern immer wieder Mal Leute, die man bereits vorher irgendwo gesehen hat, möglicherweise auf einer anderen wilden Party. Genau zuordnen kann man sie auf dem ersten Blick jedoch nicht. Was im Grunde genommen egal ist, da man eh nicht mit ihnen interagieren wird.

Zugegeben, eine solche Deutung führt langsam zu weit, schließlich ist das nur ein kleiner Cameo, ein Gefallen an Rodriguez' Verwandtschaft. Oder doch nicht?

Weiterführende Artikel:

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen