Samstag, 11. Juli 2009

Garland Greene und der getäuschte Zuschauer

Offensichtlich erwarten euch nun Spoiler für den Film Con Air. Ich wollte euch nur fairerweise warnen, falls ihr ihn bisher nicht gesehen habt...

Con Air gehört für mich zu den 90er-Actionfilmen schlechthin. Schnell, explosiv und mit herrlich übertrieben coolen Sprüchen sowie einer durchgestylten Videoclip-Machoästhetik. Was Con Air letzten Endes aber von der Einheitsmasse vergleichbarer Actionfilme abhebt, ist die mit subtiler Ironie gegen die selbstbewusst grobschlächtige Handlung anspielende Darstellerriege, welche aus solchen Charakterköpfen wie John Cusack und John Malkovich besteht.

Mein absolutes Highlight in Con Air ist schließlich der brillante Steve Buscemi als psychopatischer Massenmörder Garland Greene, der sich nach seinem wunderbar überzeichneten, Hannibal Lecter-esquen Erstauftritt als der wohl belesenste und eloquenteste Charakter des ganzen Films herausstellt.

Während die anderen Schwerverbrecher auf dem außer Kontrolle geratenen Gefangenentransportfluges mit schnippischen Einzeilern wie Rockstars auftreten, sitzt Greene vom Geschehen um ihn herum völlig ungerührt ruhig auf seinem Sitzplatz und liefert eine intelektuelle, zynische Rede nach der anderen. Er wirkt in seiner beunruhigenden Gelassenheit so viel beängstigender, als alle anderen Massenmörder um ihn herum, und dank Steve Buscemis unterschwelligem Grinsen ist er auch der coolste von allen.
Die ironischen Charaktere stechen eh aus dem sonst geradeheraus arbeitenden Actionfilm heraus, mit einem so zynisch geschriebenen Charakter hat Autor Scott Rosenberg jedoch einen kleinen Geniestreich geschaffen.

Eine mittlerweile wohl legendäre Szene, und mit Sicherheit die einzige im ansonsten so verständlichen Film, die einige fragende Blicke zurückgelassen haben sollte, erwartet den Zuschauer kurz vor dem großen Finale in Las Vegas.
Als das Flugzeug mitten in der Wüste zwischenlandet, und sich eine große Actionszene anbahnt, spaziert Greene seelenruhig davon und sieht in einem völlig heruntergekommenen Wohnwagenpark ein kleines Mädchen, dass in einem dreckigen, ausgetrockneten Swimmingpool mit seinen Puppen spielt.

Greene, der mit seinen Monologen bereits einige Sympathien beim Zuschauer gewinnen konnte, einem aber weiterhin unheimlich ist, setzt sich zu ihr und starrt sie mit großen Augen und verstörtem Lächeln an. Wir erinnern uns daran, wie er sagte, dass er mit dem Kopf eines kleinen Mädchens als Hut durch mehrere Staaten wanderte, und werden tatsächlich ein wenig unruhig. Con Air war, so simpel er auf der Handlungsebene eigentlich sein mag, nämlich ziemlich schwer einzuordnen. Auf der einen Seite haben wir außerordentlich komische Szenen und ironisch-spaßige Charaktere, andererseits war die Action nicht gerade zimperlich. Es könnte also durchaus sein, dass das arme Mädchen dran glauben muss... oder?

Ein verstörend langsames Gespräch zwischen Greene und dem Mädchen beginnt. Sie spielen zusammen und singen "He's got the whole world in his hand". Das Mädchen wird aus Greenes Perspektive gezeigt: Von oben herab, leicht verzerrt. Die Musikuntermalung wird nervenzerreibend.
Umschnitt. Als wir die Teeparty das nächste Mal sehen, erblicken wir nur eine zerbrochene Teetasse. Später läuft Greene mit der Puppe des Mädchens davon.
Das ganze entwickelte sich also zu einem der unschöneren Momente von Con Air, denkt sich derjenige, der den Film zum ersten Mal sieht. Bis das Mädchen dem davonfliegenden Flugzeug entgegenwinkt.
Hä?

Es ist zwar eine für die eigentliche Handlung unwichtiger Moment, aber das trübt nicht seine wunderbare Wirkung. Ich rede mir gerne ein, dass der Autor das Publikum mit wenigestens einer Unklarheit, einem Diskussionsthema nach Hause schicken wollte. Alles andere in Con Air mag eindeutig und unmissverständlich sein, aber zumindest das soll das Publikum rätselnd aus dem Kino entlassen: Wieso hat der gruselige Typ dem Mädchen nichts getan?

Hier spielt der Film auf fast schon dreiste Weise mit den Erwartungen des Publikums: In einem knallharten Actionfilm sieht es, wie ein Massenmörder einem kleinen Mädchen begegnet. Schon erwartet es, dass das Mädchen ins Gras beißt. Da uns dieser Massenmörder jedoch auf makabere Weise sympatisch wurde, hofft man irgendwie, dass es anders läuft. Als man dann im Nebenher suggeriert bekommt, dass er sie doch tötete, akzeptiert man das Schicksal wieder. So mancher, abgebrühter Zuschauer wird vielleicht sogar darauf warten, dass man Greene mit einem neuen Hut sieht.
Und dann, wenn man das Mädchen lebend antrifft, weiß man erstmal gar nicht mehr, was man nun davon halten soll.

Vor allem aber bereitet diese Szene eine noch selbstbewusstere, verdrehtere Szene vor, nämlich die letzten Sekunden von Con Air.

Eine Schneise der Zerstörung zog sich durch Las Vegas, die finsteren Bösewichter sind alle tot, der Held ist mit seiner Familie wiedervereint, eine schmalzige Ballade läuft im Hintergrund. Der Film könnte nun zu Ende gehen.
Aber war da nicht noch jemand...? Und zack, schon sieht man, wie der angeblich gefährlichste von allen Gangstern im gesamten Film mit einem Drink in der Hand durch Las Vegas streift und froh lächelnd zockt.

Ein solcher Plottwist würde in den meisten Filmen als Cliffhanger fungieren oder als der beunruhigende, gemeine Schlag in die Magengrube. "Doch nichts mit dem Happy End... Der Killer entkam". In anderen Filmen würde man merken, dass wir uns für ihn freuen sollen, aber der Zuschauer würde sich weigern so zu fühlen und über die Filmemacher den Kopf schütteln.

In Con Air dagegen geht diese Schlusspointe völlig auf. Die makaberste, zynischste und psychopatischste von allen Figuren sieht hier völlig erlöst und normal aus, genießt den kleinen Las-Vegas-Ausflug, und man grinst. Es ist ein Happy End, wenn gleich mit einem sarkastischen Augenzwinkern. Wir wissen, dass dieser Kerl nicht normal war - doch wir glauben, dass er jetzt geheilt ist und freuen uns trotz allem über dieses für einen Blockbuster so untypische Ende, statt über den weit hergeholten Plan der Filmemacher, uns für den Psychopaten freuen zu sollen, aufzuregen.

Für mich einer der besten Film-Schlussmomente überhaupt, egal wie sehr der klassische Cineast über zerstörerische Actionfilme die Nase rümpfen mag. Dabei wäre solch ein perfekt aufgehendes, unkonventionelles Ende genau nach seinem Geschmack...

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3 Kommentare:

Cyman hat gesagt…

Genau aus diesen, von dir so detailliert genannten Gründen, finde ich den Blockbuster ebenfalls so fantastisch.
Was wäre Con Air ohne Garland Green?
Diamand Dog fragt den Wortführer Cyrus, was man mit Green machen soll. Zu diesem Zeitpunkt trägt Green noch seinen Beißschutz. Cyrus antwortet, daß er ein Fan von Garland ist und man einen "Staats-Schatz" nicht so behandeln soll. Als Nathan dem Hänfling die Maske abnimmt, bekommt der hartgesottene Militärveteran doch glatt Angst angefallen zu werden.
Oder folgende Szene: "Zwei gehen runter und nur einer kommt wieder." "Es war ein Unfall." "Na das brauchst du mir nicht zu erzählen".
Einfach nur geil der Dialog.

Sir Donnerbold hat gesagt…

Ja, der Dialog ist großartig. Ebenso wie sein "Definiere Ironie"-Monolog über die Musikauswahl an Bord.

Mir kam letztens auch noch eine herrliche Schnapsidee: Könnte "Con Air" nicht ein Prequel zu "Armageddon" sein? Nach seinem Vegas-Trip hat sich Garland eine neue Identität besorgt und seinen Wahnsinn auf eine neurotische Ader drosseln können ... Keineswegs offiziell, aber ich glaub, aus Zuschauersicht kann dieser Gedanke "Armageddon" gleich noch vergnüglicher machen.

Anonym hat gesagt…

Zumindest ist Rockhound in Armageddon auch ein wenig geschädigt, besitzt aber dennoch eine hohe Intelligenz. Seine Berechnung im Kopf, als der Pilot das Shuttle auf seiner "Stahlplatte" absetzt beweist es. Auch als die Behörde auf der Ölplattform ist und er meinte: "Ich schwöre, ich wußte nicht wie alt sie ist" zeigt ziemliche Parallelen auf. Donnerbolds Annahme ist also gar nciht so weit her geholt wie man denken könnte.

Dennoch ist Steve Buscemi als Garland Green für mich der Star dieses Films, der mit seiner eloquent-martialischen Art sogar die schauspielerische Leistung von Malkovich und Cage in den Schatten stellt.

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