Donnerstag, 9. Juni 2011

Abgedreht

Der französische Werbe- und Musikvideofilmer Michel Gondry begann seine Kinokarriere im Schatten des für seine surrealen, intelektuellen Meisterwerke bekannten Drehbuchautors Charlie Kaufmann. Sowohl Gondrys Debüt Human Nature (aus dem Jahr 2001), als auch sein großer internationaler Durchbruch Vergiss mein nicht! (von 2004) stammten aus Kaufmanns unverwechselbarer Feder. Mit dem autobiografisch angehauchten, 2006 außerhalb des Hollywood-Systems realisierten Science of Sleep bewies Gondry, dass in seinen ersten Kinofilmen nicht nur der Stil des namenhaften Drehbuchautors, sondern auch sein eigener Stil durchschien. 2008 folgte dann letztlich der Film in Gondrys Vita, der im Vorfeld den bis dorthin größten Rummel verursachte. Und selbst wenn Gondrys diesjährige Zusammenarbeit mit Seth Rogen einige neugierige Vorab-Fragezeichen bei Kinogängern verursachte, so bleibt Be Kind Rewind (so der Originaltitel von Abgedreht) wohl die Regiearbeit Gondrys, die vor Kinostart die weitreichendste Neugier auslöste.

Zu einem kleinen Teil ist das vielleicht dem Umstand zu verdanken, dass Jack Black eine Rolle in dem Film übernahm. Der Kugelblitz hat eine eingeschworene Fangemeinde, die gerade im Netz zu eigentlich jedem seiner Filme einen gewissen Grundhype anheizen kann. Ich erinnere mich an Leute, die allein seinetwegen in Peter Jacksons King Kong-Remake gingen und selbst Gullivers Reisen soll mancherorts Vorfreude genossen haben. Und diese treue Fangemeinde sei Jack Black auch vergönnt. Den Hauptgrund für das Vorabinteresse an Abgedreht stellt er allerdings bei weitem nicht dar. Dies dürften die "geschwedeten" Filme sein, die Teil der Handlung von Abgedreht sind. Sehr früh im Marketing zeigte man, dass die verschrobene, stille Komödie von Michel Gondry zwei Videothekare zeigt, die unter den lausigsten Bedingungen dilettantische Versionen großer Filmklassiker und Blockbuster wie Ghostbusters drehen. Ein Ansatz, der im Zeitalter von Youtube schnell begeisterte Nachahmer fand und somit großes Aufsehen erregte.

That's the lamest excuse I've ever heard! That's totally non-sequitary!
Wie es im Film zu dieser Aktion mit den mies nachgedrehten Filmen kommt? Nun, es läuft wie folgt ab: Mr. Fletcher (Danny Glover) ist der Besitzer einer abgehalfterten Videothek in Passaic, New Jersey. Sein ausschließlich VHS-Kassetten anbietender Laden befindet sich in einem vom Verfall bedrohten Gebäude, in dem fast ein Jahrhundert zuvor der Jazz-Sänger Fats Waller geboren wurde - der Stolz der Stadt. Die Behörden fordern dessen ungeachtet, dass Mr. Fletcher umsiedelt, damit das baufällige Gebäude abgerissen werden kann. Alternativ hat er selbst dafür zu sorgen, dass seine Videothek den modernen Standards für Bausicherheit und Behindertenzugänglichkeit entspricht. Dazu fehlt Mr. Fletcher jedoch das nötige Kapital, da er selbst im verschlafenen Nest Passaic die übermächtige Konkurrenz durch moderne Videotheken-Ketten und das neue Medium DVD zu spüren bekommt. Also verabschiedet sich Mr. Fletcher für ein paar Tage aus seinem geliebten Laden, um heimlich die Konkurrenz und ihr Erfolgsrezept auszuspionieren. Derweil so Ziehsohn Mike (Mos Def) die Leitung der Videothek übernehmen, wobei ihm sein bester Freund, der verpeilte Verschwörungstheoretiker Jerry (Jack Black) der größte Stolperstein im Weg ist. Unter anderem plant er einen Angriff auf das örtliche Elektrizitätswerk, welches seiner Theorie nach versucht, den Verstand der Bevölkerung durch Mikrowellen zu kontrollieren. Bei seinem Einbruch ins Kraftwerk bekommt Jerry einen riesigen Elektroschock verpasst, wodurch er magnetisch aufgeladen wird. Seine magnetische Strahlung löscht sämtliche Videos in der Videothek, und da er und Mike nicht ihre Kunden verärgern und dem Laden somit den Todesstoß versetzen wollen, beschließen sie, die gelöschten Videos mit eigenen Remakes der Filme zu bespielen. Naheliegende Lösung, nicht wahr?

Dass die Realität von Abgedreht leicht von unserer verschoben ist, ist natürlich Methode. Seien es die absurden Spielereien mit den Naturgesetzen (Jerrys Magnetismus) oder die teils weltfremden Reaktionen der einzelnen Figuren, all das gehört zur Verschrobenheit Michel Gondrys. Was Abgedreht etwa von Vergiss mein nicht! abhebt, ist dass diese stille Komödie nicht so offensiv surreal wie Gondrys vorherige Filme oder die meisten Werke des mit izhm vergleichbaren Charlie Kaufmann ist. Stattdessen "schmeckt" man die Andersartigkeit der Realität von Abgedreht nur hin und wieder raus, was den Film zwischenzeitlich zwischen zwei Stühle packt. Er ist zu seltsam, für eine kleine, quirlige Komödie über zwei Freunde, die dilettantische Remakes von Hollywood-Filmen drehen, aber zu bodenständig, für einen wahrlich abgedrehten, den Intellekt und die Fantasie des Zuschauers reizenden Kunstfilm.

My brain's been paranized!
Dies führt mich auch zu meinem größten Kritikpunkt an Abgedreht: Mir persönlich fehlt ein gewisser Funke. Es lässt sich alles finden, was mir an anderen Gondry-Regiearbeiten gefiel, aber von mindestens einer Zutat ist zu wenig drin. Abgedreht müsste ein wenig intelektueller sein, eine etwas ausgefeiltere Botschaft vermitteln - oder mehr ehrliches Herz zeigen. Stattdessen hält Abgedreht diese beiden Bälle flach, weshalb mit dem Abspann auch ein leeres Gefühl im Magen zurückbleibt. Gerade zum Schluss hin versucht sich Michel Gondry mit Sentimentalität über Wasser zu halten, aber diese Passagen hat sich Abgedreht zuvor nicht verdient, wodurch sie ihre Wirkung nicht voll entfalten können.

Ein Problem ist auch, dass Abgedreht zu viel will. Eigentlich wollte Michel Gondry eine Hommage an den Jazz verfassen, aber nach und nach wurde sein Werk auch ein Loblied an den Dilettantismus und längst vergangene Tage der Filmkultur sowie kleinstädische Gemeinschaftlichkeit. Das ist vollkommen legitim, und ich mag es, wenn Filme ein großes Gesamtpaket bieten möchten. Nur lockt Abgedreht mit all seinen Seiten, um dann jedes seiner Elemente fallen zu lassen, bevor mir als Zuschauer genug davon geboten wurde. Besonders kurios iverhält es sich im Hinblick auf die "geschwedeten" Filmversionen: Lustig sind diese Billig-Remakes gen Mitte des Films längst nicht mehr, und trotzdem fehlt etwas, wenn sie keine Rolle mehr spielen.

Dessen ungeachtet und einigen Schnitzern in der Erzählweise zum Trotz (manche Handlungsebenen sind plötzlich irrelevant, andere vermeintlich altbekannte Figuren tauchen aus dem Nichts auf), ist Abgedreht noch immer eine gute, unaufgeregte Komödie. Michel Gondry hat es einfach drauf, eine melancholische, kurzweilige Grundstimmung zu schaffen und das routinierte Spiel von Jack Black harmoniert sehr gut mit der naiv-großäugigen Darstellung von Mos Def. Danny Glover beweist wieder einmal, welch tolles Timing er im Komödienfach besitzt, zugleich hilft er dem Film, seine nostalgische Atmosphäre zu entwickeln. Und man muss vor den Einfällen Gondrys einfach den Hut ziehen - selbst wenn er die Möglichkeiten zu einer deutlich temporeicheren, schrägen Komödie einerseits, einer gefühlvolleren und nachdenklich stimmenden "Dramödie" andererseits verschenkt hat, indem er beide Filme zusammentackerte und daraus Abgedreht machte.

Für Liebhaber sonderbarer, stiller Komödien sowie Filmnostalgiker, die die VHS-Zeiten noch miterlebten (und sei es nur in den letzten Zügen, so wie es bei mir der Fall war) klar einen Blick wert. Für den Rest dürfte Abgedreht zu laff sein. Kurzum: Ein netter Film, aber auch der Hauptverdächtige, wenn es darum geht, Gondrys schwächsten zu benennen.

Siehe auch:

1 Kommentare:

Cooper hat gesagt…

Ohne mich selbst nun Michael Gondry oder Charlie Kaufmann Fan in Reinkultur zu nennen (hab einfach noch ein paar Filme offen), würde ich dir hier bei deinem tollen Review definitiv zustimmen Sir D.
Ich bin jetzt nicht gerade der Jack Black als Darsteller-Liebhaber, doch "Abgedreht" hat für mich genau die richtige AQtmosphäre - was sicher auch dran liegt, dass ich mit 31 Lenzen noch heute begeisterter Nutzer von VHS bin.^^

LG und seit langem mal wieder ein Kommentar von mir in deinem Blog. Cooper

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