Sonntag, 21. August 2016

The Jungle Book


Rudyard Kiplings Das Dschungelbuch gehört zu den großen Klassikern der Literatur. Möglicherweise noch berühmter als die Geschichtensammlung des britischen Autors ist allerdings die 1967 erstveröffentliche, aus den Walt-Disney-Animationsstudios stammende Zeichentrickadaption. Insbesondere in Deutschland hat sich der musikalische Film in die Popkultur und das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Mit mehr als 27 Millionen gelösten Eintrittskarten ist es der erfolgreichste Kinofilm der hiesigen Nachkriegsgeschichte und Lieder wie Probier’s mal mit Gemütlichkeit und Ich wär‘ so gern wie du sind in der Bundesrepublik absolute Evergreens geworden. Andere filmische Interpretationen der Buchvorlage kommen nicht einmal ansatzweise an den Bekanntheitsgrad des Oscar-nominierten Zeichentrickspaßes heran.

Nachdem Walt Disney Pictures in den 90ern bereits einen (zwar fortgesetzten, aber weitestgehend vergessenen) Realfilm aus dem beliebten Stoff machte, folgte dieses Frühjahr mit The Jungle Book eine neue Adaption in Form eines Effektspektakels. Die unter der Leitung von Iron Man-Regisseur Jon Favreau verwirklichte Produktion entstand nahezu ausschließlich am Computer – bloß das Menschenkind Mogli ist real. Das ist technisch beeindruckend, doch Favreau hat neben all der Effektextravaganz nicht vergessen, auch Humor und Spannung in seinen Film zu legen …

Ein digitaler Dschungel, der echter kaum wirken könnte
Der Menschenjunge Mogli wurde im indischen Dschungel von einem Rudel Wölfe großgezogen. Sein Mentor ist derweil der Panther Baghira, der ihm beibringt, welche Regeln im Tierreich zu beachten sind, und wie er im Urwald überleben kann. Als der garstige Tiger Shir Khan erfährt, dass es sich ein Mensch im Dschungel bequem gemacht hat, stellt er den anderen Tieren ein Ultimatum: Sie sollen den Buben ausliefern oder sie werden seine unbequeme Seite kennenlernen. Um Mogli zu schützen, beschließen seine Zieheltern und Mentor Baghira, ihn zur nächsten Menschensiedlung zu bringen. Doch auf dem Weg dorthin warten nicht nur weitere Gefahren, sondern auch die Versuchung eines von Sorgen befreiten Bärenlebens …

Tricktechnisch ist The Jungle Book ein wahrhaftes Meisterwerk: Visual Effects Supervisor Robert Legato und seinem Team ist es gelungen, am Computer einen täuschend echten, atemberaubenden Dschungel zu erschaffen. Die Wildnis ist nicht nur fotorealistisch, sie umgibt auch den einzigen Darsteller dieses Films nahtlos. Egal, ob Sethi alias Mogli durch Wiesen, Geäst oder Gestrüpp rennt, ganz gleich, ob die von Bill Pope (Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt) geführte Kamera dem Jungen auf Augenhöhe gegenübersteht oder auf ihn herabblickt und zeigt, wie seine Füße den Boden berühren: Stets wirkt es, als befände sich der Newcomer in einem tatsächlich existierenden, malerischen und dennoch bedrohlichen Dschungel.

Die Animation und Gestaltung der in diesem digitalen Dschungel lebenden Tiere ist ebenfalls gelungen, wenngleich nicht auf einem dermaßen überragenden Niveau: Während das Team des Effektkünstlers, der unter anderem bereits die Effekte in Titanic, Armageddon und Avatar – Aufbruch nach Pandora betreute, den verschiedenen Figuren eine überzeugende Körpersprache verleiht, sind die Mundbewegungen nicht bei allen Tieren gleichermaßen ausgefeilt. Die Übernahme von Bewegungsschemata, die so in der Natur vorkommen, wie etwa die mit kräftigen Schritten gezogenen Kreise eines Tigers, werden von den Animatoren behutsam mit vermenschlichten Akzenten bereichert, so dass die Tierfiguren fähig sind, Emotionen auszudrücken. Doch während etwa die Wölfe, Balu und King Louie flüssige, glaubwürdige Mundbewegungen haben und somit die Illusion sprechender, realistisch wirkender Tiere durchweg aufrechterhalten, gibt es sowohl bei Shir Khan als auch bei Baghira wiederholt Augenblicke, in denen ihre Münder nur auf und zu klappen, als seien sie Klapppuppen.

Aufgrund von Nethis Spiel stören die raren Momente, in denen die Umsetzung der Tierfiguren nicht komplett rund ist, allerdings nur in begrenztem Maße. Denn Nethi gelingt etwas, was manche ältere Kollegen, die schon mehrmals in ihren Filmen mit digitalen Geschöpfen zu tun hatten, nicht schaffen: Nethi interagiert mit seinen tierischen, am Computer erstellten Freunden und Feinden so, als befänden sie sich direkt in seiner Nähe. Während etwa Megan Fox in Teenage Mutant Ninja Turtles wiederholt und ganz verzweifelt die einzuhaltende Augenlinie zu suchen scheint, hat Nethis Spiel in Gesprächssequenzen etwas Ungezwungenes und (im besten Sinne) Alltägliches: Nethi hält während der Dialoge zumeist Augenkontakt, wandert aber auch, ganz wie es im wahren Leben ist, mit dem Blick ab, um auch die Körpersprache seines Gegenübers wahrzunehmen oder bei unangenehmen Themen dem Blick seines Gesprächspartners zu entgehen. Bloß wenn Nethi eine Szene weitestgehend allein zu tragen hat, mutet der sportliche Jungdarsteller hölzern an, schaut beispielsweise etwas distanziert aus seiner roten Unterwäsche oder lässt seinem Bewegungsablauf anmerken, dass er einstudiert ist.

Neu, und doch bekannt
Für Jon Favreau ist The Jungle Book somit etwas ähnliches wie ein Comeback: Der Regisseur, der mit dem unfokussierten Iron Man 2 und dem trägen Cowboys & Aliens Zweifel aufkommen ließ, ob er den Big-Budget-Dreh noch raushat, meldet sich nach dem peppigen Indie Kiss the Cook auf dem großen Parkett mit einer wiedergewonnenen Leichtigkeit zurück. Zwar ist Favreaus The Jungle Book aufgrund der so real wirkenden Gefahren, denen sich Mogli zu stellen hat, deutlich nervenaufreibender als der Disney-Zeichentrickklassiker. Allerdings besteht The Jungle Book ja nicht ausschließlich aus dem ruchlosen Shir Khan, der gigantischen Kaa und dem ebenso wechsellaunigen wie überdimensionalen Louie: Nach dem etwas zähen Einstieg, in dem Drehbuchautor Justin Marks Storypunkte wie die Funktionsweise des Wolfsrudels arg ausführlich, doch ohne Drive, erklärt, findet The Jungle Book eine bezaubernde Balance aus aufregendem Abenteuer-Feeling, dramatischen Wendepunkten und vergnüglichen Atempausen – all das begleitet von John Debneys monumentaler Filmmusik, die neue Themen clever mit Reprisen der 1967er-Stücke vermengt.

Und nicht nur musikalisch gibt es wohlige Déjà-vus: Wie schon in der Zeichentrickversion schickt sich Balu an, der große Publikumsliebling zu werden: Locker-lässig aus der Hüfte geschossene Sprüche und ein warmes Gemüt machen den Bären zur guten, kumpelhaften Seele dieses Films, während Baghira einmal mehr mit seiner selbstlosen Sorge um Mogli und seinem Wissen über das schwierige Verhältnis zwischen Zivilisation und Tierreich das strenge Gewissen darstellt.

King Louie derweil ändert sich vom ungefährlichen, ulkigen Stolperstein in Moglis Reise zu einem einschüchternden wie sonderbar-komischen XXL-Mafiaboss. Shir Khans Motivation ist indes stärker ausgearbeitet als im Disney-Original: Der Tiger wird somit vom galant-gemeinen Fiesling des Zeichentrickklassikers zu einem gleichermaßen groben wie gerissenen Demagogen. Interessanterweise hat der seine Erzählung eines im Dschungel lebenden Menschen insgesamt mehrdimensionaler anpackende „Realfilm“ von Jon Favreau eine launigere Schlussnote als das zum Schluss melancholisch werdende, zuvor so beschwingte Walt-Disney-Zeichentrick-Dschungelbuch. Das ist etwas perplex, und bekommt durch das bereits angekündigte Sequel einen bitteren Nachgeschmack des reinen Kommerzdenkens. Aber wenn der Abspann mit viel Witz und guter Musik (sowie in der generell sehr einnehmenden 3D-Version mit jeder Menge starken Pop-up-Effekten) besticht, dann verjagt Favreau mit geballtem Spaß jeden Zweifel: The Jungle Book ist einer dieser Neuaufgüsse, die problemlos neben dem nostalgisch verehrten, nüchtern betrachtet aber leicht überschätzten Vorbild bestehen können.

Fazit: Starke Tricktechnik, sympathische Figuren und gute Musik: The Jungle Book ist eine sehenswerte, etwas dramatischere und abenteuerlichere Ergänzung des gezeichneten Disney-Klassikers.

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