Donnerstag, 4. Oktober 2018

Oliver Masucci: 'Bei Kunst zählt die Idee'

Ich habe mit Schauspieler Oliver Masucci über Werk ohne Autor, die Arbeitsweise von Regisseur und Autor Florian Henckel von Donnersmarck sowie unschäne Floskeln gesprochen.

Ich mutmaße, dass sich der Großteil des Diskurses rund um Werk ohne Autor auf die Geschichtsverarbeitung Deutschlands beziehen wird. Aber eine Szene, die mir sehr imponiert hat, ist die Museumsführung direkt zu Beginn. Indirekt zeigt sie auf, welch deutsches Unding die oft im harmlosen Scherz gesagten Sprüche "Ist das Kunst oder kann das weg?" und "Also, das hätte ein fünfjähriges Kind auch malen können!" sind ...
Es ist furchtbar! Es ist grauenhaft! "Das kann ich auch" gehört genauso zu solchen schlimmen Sätzen. Bei Kunst zählt die Idee, die ist das interessante. Das Herstellen am Ende ist nur sekundär. Es ist mir egal, wenn jemand denkt, sein kleines Kind könnte technisch dasselbe abstrakte Bild herstellen – es würde in kaum einem Fall auf dieselbe Idee kommen! Die Idee steht in der Kunst über dem Herstellungsprozess, die Idee muss daher entlohnt werden – was manch einer aber nicht begreifen will. Damit bekommen wir dann solche Sätze zu hören wie: "Ja, wenn ich die Idee gehabt hätte, hätte ich das genau so machen können …" Aber man hat die Idee nicht gehabt, das ist ja der Punkt! Da herrscht so eine Begriffsstutzigkeit vor, bei manchen Menschen, das ist zum Haare raufen.

Wenn man mal überlegt, wie Beuys, an den meine Figur in Werk ohne Autor angelehnt ist, die Nation gespalten hat, bloß weil er einen Hut getragen hat. Er wurde dadurch zu einem Hüter, oder für manche zum Verräter, des Menschseins, des Kunstprozesses und des Kunstverständnisses, und das zu großem Teil allein dadurch, dass manche Leute ihn partout nicht verstehen wollten. Man kann mir nicht sagen, dass die Leute Beuys nicht verstehen konnten – sie wollten ihn nicht verstehen! Allein, weil er einen Hut getragen hat. Durch so etwas kann man unsere Nation spalten! Das finde ich irre!

Erst recht, wenn man bedenkt, was er dann letztlich trotz dieser Kontroversen uns hinterlassen hat: Erst kürzlich bin ich in Kassel mit dem Auto an den Bäumen vorbeigefahren, die er gepflanzt hat – die sind zu einer richtigen Allee herangewachsen. Das ist ein landschaftliches Kunstwerk, das über seinen Tod hinaus Bestand hat und noch immer weiter wächst. Das ist absoluter Wahnsinn, mir sind die Tränen gekommen, als ich das gesehen habe. Aber was hat die 'Bild'-Zeitung geschrieben, als Beuys gestorben ist? "Deutschlands größter Scharlatan ist tot." Das muss man sich mal vorstellen, was das für eine Zeit war, in der er agiert hat und sich zerschlissen hatte. Beuys meinte ja: Der Mensch muss am Ende seines Lebens zerschlissen sein, denn wenn er in gutem Zustand stirbt, wäre das tragisch, eine Verschwendung. Wenn ein zerschlissener Mensch stirbt, habe es dagegen einen Sinn. Dann hat er sich aufgebraucht, für die Menschen um sich herum und für die Kunst. Und so einen klugen, einsichtigen Menschen nannte man damals Scharlatan …

Wo liegen denn Ihre persönlichen Vorlieben in der Kunst? In der Aktionskunst wie der von Beuys, in der abstrakten oder doch eher in der naturalistischen Malerei, oder, oder ..?
Mein Kunstlehrer war Beuys-Schüler, und daher habe ich viel über Fluxus und Happenings gelernt – und ich denke, das hat meinen Blick auf Kunst schon stark beeinflusst. Und dann war auch noch der Vater meiner ersten Freundin ein Künstler, mit dem ich mich sehr gut verstanden habe. Er war ebenfalls Beuys-Schüler, und wir haben zusammen ein Pergament bemalt, das wir daraufhin dreidimensional als Plastik gestaltet haben.

Ich habe auch danach mit einigen Künstlern zusammengearbeitet. Ich habe zum Beispiel mit Erwin Wurm einige One Minute Sculptures gemacht und auch eine Wortskulptur in Salzburg, wozu er einen kunsttheoretischen Text geschrieben hat, den wir in der Skulptur ausgedrückt haben. Wir haben ihn auf einer Ausstellung aber auch vorgetragen, was eine sehr interessante Erfahrung für mich war, weil Ausstellungspublikum komplett anders reagiert als Theaterpublikum.

Ich habe immer gerne mit diesem Schlag von Leuten zu tun. Ich betrachte auch die Schauspielerei als Kunst. Das geht für mich alles Hand in Hand. Und es ist stets schön, Impulse zwischen den Künsten auszutauschen, denn schauspieltechnisch können wir das, was in einer Aktionskunst von jemandem wie Marina Abramovic steckt, gar nicht erfassen. Doch die Gefühle, die bei mir entstehen, wenn etwa Abramovic auf der Chinesischen Mauer auf ihren Mann zuläuft, um sich danach von ihm zu trennen, nehme ich oft in mein Schauspiel mit.

Ich nehme mir nicht vor "Ich mache das jetzt so oder so", sondern ich nehme diese Eindrücke als Fundament für mein Gemüt und spiele dann drauf los. Ich halte das für ergiebiger als das große Theoretisieren meines Schauspiels, denn so kann ich einen fremden Erfahrungsschatz zumindest zu einem Teil für mich vereinnahmen, was die Bandbreite der Rollen, die ich mir zutraue, enorm erweitert. Ich muss mich so nicht auf einen Satz oder ein Wort aus dem Skript verlassen, sondern kann mich von der Kunst beflügeln lassen.

Wie ist Ihr Eindruck von Florian Henckel von Donnersmarck als Regisseur? Gehört er zu den Regisseuren, die ihr Ensemble an der langen Leine lassen? Oder hat er eine sehr konkrete Vision, die er seinen Darstellern einflößt?
Ganz klar letzteres. Er hat eine sehr starke, ausformulierte Vision und er ist sehr genau in dem, was er tut. Sein Arbeitsprozess besteht daraus, dass er sich sehr viel Zeit nimmt, einem zu erklären, was er sehen möchte und weshalb. Er will, dass wir verstehen, wieso etwas auf eine bestimmte Weise gemacht werden sollte. Gleichzeitig ist er aber auch ein Regisseur, der sich auf der Suche befindet. Er sucht sehr genau, auch noch während der Arbeit. Das heißt, dass die Drehtage mit ihm sehr lang werden, weil es sein kann, dass man zwei Stunden etwas gedreht hat, er es dann aber verwirft, so dass man wieder neu anfängt, damit er eine Szene völlig neu aufrollen kann. Das klingt vielleicht paradox, aber das sind zwei ergänzende Seiten an ihm.

Und die Genauigkeit kommt seinem Drehbuch sehr zugute, da es wirklich bis in die kleinsten Psychologismen ausgearbeitet ist und wir als Schauspieler eine sehr verständliche, fundierte Grundlage erhalten. Dieser Vorarbeit zum Trotz nimmt er uns Schauspieler als Künstler sehr ernst, weswegen er in einem sehr respektvollen Umgang mit uns auf die Suche geht, was abseits des Drehbuchs möglich wäre, oder sich aus ihm heraus noch erarbeiten ließe. Da, wo Andere nur schnell, schnell fertig werden wollen, nimmt er sich die Zeit, weiter zu suchen. Und das habe ich sehr, sehr an der Arbeit mit ihm genossen. Dass sich jemand so viel Zeit nimmt, so genau zu arbeiten und darauf wert zu legen, das zu erreichen, was ihm vorschwebt und darüber vielleicht sogar hinaus geht, statt einfach bloß das Ding in den Kasten kriegen zu wollen, hat mir sehr imponiert. Erst recht, weil er dabei dich als Person und Künstler so sehr wertschätzt und mit dir ein Team bildet.

Ich schätze, dass das der Grund war, weshalb Werk ohne Autor so viel später fertig wurde als anfangs vermeldet, denn er hat auch im Schnitt so genau gearbeitet wie mit uns am Set. Was sich aber auch voll und ganz gelohnt hat! Es ist ein sehr spannender und dramatischer Film geworden.

Und ein thematisch sehr dichter. Die vorhin besagte Komponente, dass er die weitläufige Kunstskepsis in unserem Land kritisiert, ist ja nur einer von vielen inhaltlichen Aspekten des Films. Er ist darüber hinaus ja unter anderem der Versuch einer kulturellen Zeitkapsel dreier deutscher Epochen …
Richtig, wobei ich finde, dass sich der Kern des Films dessen ungeachtet auf einen Satz reduzieren lässt: Die Kunst erahnt etwas, was der Geist noch nicht begreifen kann. Damit lässt sich der Film in all seinen Facetten zusammenfassen. Es geht um ein Bild, in dem mehrere Personen zu sehen sind, die auf tragische, erschreckende Weise verbunden sind – und der Künstler weiß es nicht. Im Fall Gerhard Richter, der die Inspiration zu Tom Schillings Figur in Werk ohne Autor war, fand erst Jahrzehnte nach Entstehung des Bildes, ein Geschichtshistoriker diese Zusammenhänge heraus. Aber in der Kunst hat dieser Mann diese Personen bereits zusammengebracht – da bekomme ich Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke. Und das ist ja kein Einzelfall. Ich bin davon überzeugt, und finde es daher so aufwühlend: Die Kunst kann dem Verstand voraus sein.

Man sagt nicht umsonst 'Das Leben imitiert die Kunst', denn Beispiele gibt es zur Genüge. Orwells 1984 dürfte da wohl eines der Paradebeispiele für sein …
Ganz genau. Der hat es vorausgeahnt und wir sind da nun schon weit drüber hinausgeschossen. Es ist erschreckend. Wir sind so überwachbar, und wir merken es nicht einmal. Schlimmer noch: Wir nehmen es als Luxus wahr. Keiner will zu kritisch darüber nachdenken, denn würde man es, müsste man Konsequenzen daraus ziehen und sein Leben verändern. Und Veränderung ist dem Menschen ja zuwider. Veränderung kommt mittlerweile nicht mehr aus den Menschen heraus, sondern kommt von außen. Wenn Kriege ausbrechen oder ähnliches passiert, dann bequemen wir uns langsam aus der Gewohnheit heraus. Aber von uns aus, in Voraussicht, Dinge zu bewegen? Dafür graut es vielen Menschen, leider. Der Mensch erträgt lieber Situationen, die er ganz furchtbar findet, statt eine Veränderung zu wagen. Denn die Angst vor der Veränderung ist noch größer als das Leiden unter der gegebenen Situation. Das ist so irre. Deshalb verliert man mit dem Wort 'Strukturveränderung' jede Wahl. (lacht)

Zum Abschluss eine generelle Frage über Ihre Rollenwahl: Zieht es Sie eher zu Rollen, die Ihnen völlig fremd sind, oder ziehen Sie es doch vor, sich wenigstens in einem Aspekt Ihrer Rolle wiederzufinden?
Ich suche immer nach der Komponente, die mir am nächsten ist. Wenn ich den Punkt finde, der bei mir ist, dann kann ich die Figur mit Leben füllen – und dann kann ich mir auch all das an ihr erarbeiten, was überhaupt nicht meinem Naturell entspricht. So war es auch beim van Verten in Werk ohne Autor: Der eine Kreis bin ich als individuelle Person. Der andere Kreis, das ist das Vorbild Beuys. Und in der Mitte, da ist eine Schnittmenge. Ich versuche, mich zu der hinzubewegen und von dort aus die eigene Sprache dieser Figur van Verten zu entwickeln, und von da aus entwickelt sie dann ihre weiteren Eigenheiten.

Ich brauche das – in jeder Figur brauche ich etwas, das mich berührt. Und das können die Emotionen einer Figur sein, oder ich ziehe mir die Emotion aus einem Umweg. Wenn ich zum Beispiel Genre spiele, und eine wirklich widerliche, fiese Type spiele, dann suche ich mir ein Vorbild und ziehe meine Emotion aus dem Spaß daran, dieses Vorbild auf meine eigene Weise zu interpretieren. Das kann auch eine große Freude sein. Aber die Rollen, die mir am meisten gefallen, sind dann doch die, die etwas tief in mir berühren, das ich vielleicht auch selber nicht benennen kann, was mich aber zu Tränen bewegt. Die Rollen fallen mir dann auch am leichtesten zu spielen, weil ich aus dieser Emotion heraus einfach entstehen lassen kann.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.

Werk ohne Autor ist in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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