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Donnerstag, 13. Februar 2025

Mediatheken-Tipps (13. Februar 2025)

Werk ohne Autor (Drama, 2018) Florian Henckel von Donnersmarcks ausschweifende, filmisch ambitionierte Vereinigung aus Literaturbegeisterung, Kunstinteresse und Geschichtsbewältigung ist wesentlich sperriger als Das Leben der Anderen, aber das gereicht diesem schweren Drama schlussendlich zum Vorteil. Aber ich will mich nicht wiederholenARD-Mediathek, abrufbar bis zum 15. Januar 2025

Der Marathon-Mann (Thriller, 1976) Dustin Hoffman, Roy Scheider, Laurence Olivier, John Schlesingers nervenaufreibende Inszenierung und eine der (im Sinne des Filmes) ätzendsten Folterszenen der Kinogeschichte. 3sat-Mediathek, abrufbar bis zum 24. Februar 2025

Art Brut - Die andere Kunst (Doku, 2020) Außenseiterkunst der Kategorie Art Brut, die autodidaktische und antiakademische Kunst vereint, wird auf dem Kunstmarkt immer erfolgreicher. Aber wie sehr ist die Art Brut sich selbst treu, wenn sie von Museen und Auktionshäusern in Euphorie versetzt? arte-Mediathek, abrufbar bis zum 10. März 2025

Krieg und Frieden (Monumentale Literaturadaption, 1966) Über Sergei Bondartschuks Tolstoi-Adaption kursieren widersprüchliche Zahlen und Daten voller Superlative, doch ganz gleich, welche Rekorde denn nun stimmen, und welche nur erdacht sind: Dieser gewaltige Filmexzess ist eine einzigartige Wucht! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 1. Juni 2025

An Urban Allegory (Allegorischer Kurzfilm, 2024) Alice Rohrwachers kontemporäre Reinterpretation des Höhlengleichnisses mit JR-Straßenkunst-Einschlag. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 26. Juni 2025

Amanda Lear, die Geheimnisvolle: Nennen Sie mich Fräulein (Dokuporträt, 2022) Die Popikone mit der rauchigen Stimme und der verruchten Aura bekommt die informativ-kompakte arte-Stardokuporträt-Behandlung. Verlässlich-sehenswert. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 6. Juli 2025

Dienstag, 1. Oktober 2019

Ready or Not


Der Zahn des Zeitgeistes nagt am Filmdiskurs - teils auch völlig ungerechtfertigt. Warner Bros. muss einen regelrechten Slalom absolvieren, um Joker in die US-Kinos zu bringen, denn die Vorfreude auf den bereits preisgekrönten Film wird von (teils arg hochgekochten) Kontroversen über seine (vermeintliche) Gewaltverherrlichung begleitet. Und Universal Pictures kippte für unbestimmte Zeit die Kinoauswertung der Waffengewalt-Satire The Hunt, da gerade einfach nicht die richtige Zeit dafür sei, einen Film zu veröffentlichen, in dem Menschen aus Spaß andere Menschen jagen. Und die Walt Disney Company? Lustig, dass ihr fragt. Denn die hat ohne mit der Wimper zu zucken, so als sei es business as usual den Fox-Searchlight-Film Ready or Not in die Kinos gebracht. In dem ein reicher Familienclan eine unschuldige Braut jagt. Ja, auch mit Schusswaffen ...

Inszeniert wurde Ready or Not vom Regieduo Matt Bettinelli-Olpin & Tyler Gillett, das unter anderem bereits den Genre-Geheimtipp Southbound verantwortete, einen schwarzhumorigen Horror-und-Thriller-Episodenfilm mit vielen cleveren, kleinen Ideen. Und in eine ähnliche Kerbe schlägt auch Ready or Not, wenngleich hier der blutschwarze Humor eine etwas stärkere Beinote darstellt als in Southbound: Der wohlhabende Familienclan Le Domas hat sich als Brett- und Kartenspieldynastie ein Vermögen aufgebaut und pflegt einige mit diesen Ursprüngen ihres Wohlstands verbundene Traditionen. So muss jedes neue Familienmitglied in der Nacht, in der es in den Clan einheiratet, eine Karte aus einer alten Holzkiste ziehen, die bestimmt, welches Spiel in dieser Nacht gespielt wird.

Was die Braut Grace (Samara Weaving) nicht weiß: Eine dieser Karten bestimmt, dass Verstecken gespielt wird - und das nicht nach normalen Regeln. Stattdessen muss das neue Familienmitglied bis Sonnenaufgang vor dem Rest der Familie fliehen. Denn der ist schwer bewaffnet und hat die Aufgabe, die sich versteckende Person zu töten. Und natürlich ist es ausgerechnet diese Karte, die Grace zieht ...

Die von Guy Busick und R. Christopher Murphy verfasste Horrorkomödie zieht viel Humor daraus, wie sie hier Karikaturen der oberen Zehntausend aneinanderreiht. Da wäre die eingeheiratete Frau aus schlechten Verhältnissen, die alles dafür tun würde, nicht zurückzukehren. Der Sarkast, der den ganzen Rummel um seine Familie und um Reichtum über hat. Der Hohlkopf, der im Leben nichts gerissen bekäme, wäre er halt nicht Teil dieser Familie. Die oberflächliche Koksnase. Der arrogante Patriarch, der sich sonstwas auf die Familiengeschichte einbildet. Das alle verurteilende Biest, das die Tradition als Gesetz sind. Und so weiter ...

Mit makabrem Situationswitz und spitzen Dialogen zeichnet Ready or Not ein saukomisches, grausiges Bild der Reichen - und daher ist es etwas schade, dass der Film seine satirische Ader bezüglich der Scheinheiligkeit der 1% auf den letzten Metern für zünftigen Genrespaß opfert. Andererseits hat das Ende eine so selbstbewusste, frivole Horrornote, dass es den Filmemachern schwer zu verübeln ist, auf die Genrerichtung, statt auf die thematische Komponente zu setzen. Zumal der Hinweg ein echtes Vergnügen ist: Gekonnt balancieren Bettinelli-Olpin und Gillett zwischen Spannung, Splatterekel, Splatterspaß und rabenschwarzem Humor. Das gelingt ihnen einerseits aufgrund eines hervorragenden Gespürs für Timing - hier verlaufen Szenen etwas zügiger und wirken damit pointiert, dort reizen sie den Moment mit diabolischer Freude aus und schüren so Spannung.

Es ist aber auch Samara Weaving, die großen Beitrag dazu leistet, dass Ready or Not sowohl Spaß macht als auch seiner blutig-spannenden Seite gerecht wird. Die The Babysitter-Hauptdarstellerin gibt hervorragend die Braut, die ein Todesspiel durchstehen will: Egal, ob sie mit großen Augen Angst vermittelt, mit Leib und Seele ausdrückt, wie sehr sie von der Situation die Schnauze voll hat, oder in breit grinsenden Zynismus ausbricht - Weaving macht diese radikalen Schwankungen glaubwürdig und macht Grace zu einer sehr sympathischen Protagonistin, mit der man mitfiebert, geschockt ist und in Rachegelüste verfällt.

Verpackt ist das Ganze in einen sehr edlen Look, gerade für eine sechs Millionen Dollar teure Horrorkomödie: Von Kameramann Brett Jutkiewicz über weite Strecken nur mit natürlichem Licht ausgeleuchtet, wird Ready or Not zum gülden-dunkelbraun schimmernden Menschenjagdstück mit einem hochdetaillierten, protzigen Schauplatz (Produktionsdesign: Andrew M. Stearn, Setausstattung: Mike Leandro), das man gesehen haben muss.

Mittwoch, 13. Februar 2019

Meine 50 Lieblingsfilme des Jahres 2018 (Teil III)

Der zweite Part meiner Lieblingsfilmliste 2018 liegt schon hinter uns, und nun ist es an der Zeit, euch den dritten Teil zu präsentieren. Erneut möchte ich euch ein wenig auf die Folter spannen und zunächst ein paar Ehrennennungen loswerden, also auf Filme verweisen, die bei einem etwas anderen Feld an Mitbewerbern wohl im Ranking gelandet wären. Da hätten wir Mandy, das surreale und blutige Andrea-Riseborough-und-Nicolas-Cage-Vehikel mit einem Bombenscore von Jóhann Jóhannsson. Der erste Akt vernachlässigt in meinen Augen die dichte Atmosphäre und die eigenwillige Stilistik, die später wichtig werden, leider für figurenbasiertes Fundament, das es nicht bräuchte, aber der Rest des Films ist unvergesslich! Abgeschnitten ist unterdessen ein eisiger, dreckiger deutscher Thriller mit Selbstironie, der einen schneidigen Spagat zwischen Pulp und Suspense wagt, Terminal ist ein von Margot Robbie angeführtes Alice im Wunderland-Delirium von einem Female-Empowerment-Fiebertraum, dessen hypnotischen Szenen fast den zähen Übergang von Akt eins zu Akt zwei vergessen lassen, A Beautiful Day ist eine smarte, schön gefilmte Action-Dekonstruktion, die aber gerne noch etwas mehr kritischen Biss hätte haben dürfen, und Aufbruch zum Mond ist ein sehr gutes, ruhiges Drama mit einem minimalistischen Ryan Gosling, dem für diese Liste einfach ein paar Tropfen Herzblut meinerseits fehlen.

Aber genug der Vorrede, hier sind sie, die Plätze 30 bis 21 in meiner Favoritenliste 2018!

Platz 30: Christine (Regie: Antônio Campos)

Nach einem Drehbuch des Autoren Craig Shilowich, der Anfang des Jahrtausends in eine Depression verfiel und seither mit dem entsprechenden Problemen zu kämpfen hat, inszeniert Regisseur Antônio Campos (Simon Killer) dieses Drama mit immensem Feingefühl: Christine handelt von einer Fernsehjournalistin, die Mitte der 1970er-Jahre mit allerlei Tücken zu kämpfen hat: Sie will mehr menschelnden Qualitätsjournalismus, der Chef will sie wahlweise auf schneller heruntergerissene Themen ansetzen oder doch lieber reißerische Geschichten von ihr haben. Am Arbeitsplatz wird sie aufgrund ihres Geschlechts nicht für voll genommen, als Dauersingle, der auf die 30 zugeht und obendrein mit Frau Mutter zusammenlebt, gilt sie sowieso als seltsam, und dann nähert sich obendrein im TV-Geschäft eine technologische Veränderung, die es zu begreifen gilt. Statt durch den Stress an die Decke zu gehen, entwickelt Christine schweren Trübsinn - aber sie nimmt sich fest vor, sich beruflich und privat neu aufzustellen ... Rebecca Hall erfüllt die Hauptrolle mit viel Gefühl, lässt sie berührendzwischen "Lasst mich alle in Ruhe"-Entnervtheit und "Wieso ist niemand auf meiner Seite"-Kummer gleiten, die Seitenhiebe auf das Journalismusgeschäft sind zeitlos und die karge, ausgebleichte Ästhetik des Films passt zum Setting (70er-Lokalfernsehen) sowie zu Christines Seelenleben. Stark.

Platz 29: Bad Times at the El Royale (Regie: Drew Goddard)

Drew Goddards stilvoll-eleganter, dennoch auch gewalthaltiger Mix aus Crime, Comedy, Thriller, Action und Drama ist eine gelungene Stilübung darin, tarantinoesk zu sein, ohne einen Tarantino-Trittbrettfahrer abzugeben. Besetzt mit einem starken Ensemble, das unter anderem Chris Hemsworth als "sexy Manson", einen sarkastischen Jon Hamm, eine einmal mehr ihr komödiantisches Geschick ausspielende Dakota Johnson, einen coolen Jeff Bridges und die bislang wenig beachtete, doch sehr talentierte Cynthia Erivo umfasst, scherzt, beißt und grübelt sich Bad Times at the El Royale in einem Edel-Pulp-Tonfall durch gesellschaftliche Probleme der 60er und 70er, die heute wieder an Aktualität gewinnen. Ein großes, stilsicheres, spannendes Vergnügen, erzählt in einer Cliffhanger liebenden Episodenstruktur.

Platz 28: Christopher Robin (Regie: Marc Forster)

Was für ein schöner, herzerwärmender Film: Christopher Robin malt sich aus, was passiert, wenn der menschliche Freund von Winnie Puuh, I-Ah, Tigger, Ferkel und Konsorten erwachsen wird. Angesiedelt im London nach dem Zweiten Weltkrieg treffen wir Christopher Robin als Kriegsveteran wieder, der sich in einer Firma zerschleißt, in der sein Vorgesetzter denkbar wenig an Arbeit interessiert ist, geschweige denn am Wohlsein des Kollegiums. Ewan McGregor spielt den überarbeiteten, freundlichen Ehemann und Familienvater, der aufgrund eines dringenden Arbeitsengpasses zähneknirschend seine Liebsten hinten anstellen muss, mit Feingefühl und verborgenem Witz. Als sich seine Vorstellungskraft nach vorne kämpft und seine imaginären Spielgefährten versuchen, ihn in ihre Welt zurückzuholen oder alternativ in seiner Welt für mehr Freude zu sorgen, ist natürlich Chaos vorprogrammiert. Doch es sind die bittersüßen, nuancierten Noten, in denen Marc Forsters Film so richtig glänzt. Als Bonus für Disney-Fans gibt es neue Sherman-Musik. Hach.

Platz 27: Die dunkelste Stunde (Regie: Joe Wright)

Nach dem kommerziellen Misserfolg und den brutalen Verrissen seines Fantasyfilms Pan war Regisseur Joe Wright nach eigenen Aussagen am Boden und überlegte, ob er seine Karriere an den Nagel hängen sollte. Als ihm die Regie bei Die dunkelste Stunde angeboten wurde, war er jedoch Feuer und Flamme für den Stoff, da er sich irgendwie in Winston Churchill wiedersah, der für den Löwenteil der Handlung damit zu kämpfen hatte, dass ihn niemand auf seinem Posten sehen wollte. Also nahm Wright den Job an - und Wrights Passion ist dem Film durchweg anzumerken. Gary Oldman gibt eine intensive, aber auch kurzweilige Darbietung ab, Bruno Delbonnels sanfte Lichtgebung und Dario Marianellis sehr emotionale, aber nie in Kitsch abgleitende Filmmusik geben der Nacherzählung der ersten Wochen Churchills im Amt des Premierministers die nötige Gravitas und das Drehbuch von Anthony McCarten ist nicht bloß eine große Verneigung vor der Macht des Wortes, sondern zudem eine leider extrem mit unserer Zeit resonierende, flammende Ansprache darüber, dass mit faschistischen Kräften nicht zu verhandeln ist und man den Kampf gegen sie niemals aufgeben sollte. Hinzu kommt ein punktgenau gewählter Schluss und, tja, hier sind wir. Ein Film, der in der Oscar-Saison Anfang 2018 von vielen als 08/15-Laberdrama abgetan wurde, sitzt hier bequem und stolz in meinen Jahrescharts.

Platz 26: Auslöschung (Regie: Alex Garland)

Alex Garlands erstes Projekt nach dem hervorragenden Ex_Machina ist, in meinen Augen, nicht ganz so prägnant wie das packende Kammerspiel, doch das macht es nicht minder faszinierend: Der Sci-Fi-Thriller mit einer kühl-eindringlichen Natalie Portman in der Hauptrolle ist eine filmische Allegorie auf Depression (oder darauf, wie verschieden der Umgang mit unaufhaltsamem Wandel ausfallen kann, je nach interpretatorischem Ansatz, wenngleich der Depressionsansatz in meinen Augen stärker in der Figurenzeichnung verankert ist), die sich mit Bildgewalt und atonaler, Gänsehaut erregender Musik ins Gedächtnis brennt. Was der Beginn von Akt zwei meiner Meinung nach an atmosphärischer Dichte missen lässt, macht das intensive Finale wieder wett. Tragisch, dass wir in Deutschland diesen Film nicht im Kino sehen durften. Danke, Paramount. Danke, Netflix ...

Platz 25: No Way Out - Gegen die Flammen (Regie: Joseph Kosinski)

Tron: Legacy- und Oblivion-Regisseur Joseph Kosinski verlässt die Welt des Sci-Fi-Kinos, um sich stattdessen dem Katastrophendrama zu widmen - und auch in diesem Genre weiß der Mann zu überzeugen: No Way Out erzählt von einer Feuerwehrtruppe, angeführt von einem bärigen Josh Brolin, die den unzuverlässig vor sich hinlebenden Miles Teller in ihrer Mitte aufnimmt und ihm eine Umgebung gibt, in der er charakterlich wachsen kann. Gefilmt in starken, einprägsamen Bildern, entsteht so eine konsequent falschen Pathos vermeidende Heldengeschichte über Waldbrandbekämpfung, das Geradebiegen kaputter Biografien und die Angst vor dem Alleinsein. No Way Out ist einer der am sträflichsten unterschätzten Filme des Jahres 2018.

Platz 24: Black Panther (Regie: Ryan Coogler)

Nachdem sich 2017 nicht ein einziger Marvel-Film in meinen Jahrescharts finden ließ, eröffnete das Marvel-Jahr 2018 direkt mit einem Kracher: Black Panther hat ein farbenfrohes, kreatives Produktionsdesign, eine starke, percussionlastige Musikuntermalung und einen genial gespielten Schurken in Form von Michael B. Jordans determiniertem Killmonger - einem Extremisten, dessen Anliegen aus einem erschreckend-profunden Keim entwächst. Hinzu kommen tolle weibliche Nebenfiguren wie Letitia Wright als Technikass Shuri sowie ein dramatischer Familienkonflikt, der diesem Film eine höhere emotionale Fallhöhe gibt als im Marvel Cinematic Universe gewohnt. Ja, die Digitaltricks sind teilweise grausig, aber die Balance aus Witz und Dramatik, Eskapismus und Gesellschaftskommentar lässt mich das weitestgehend vergessen.

Platz 23: Werk ohne Autor (Regie: Florian Henckel von Donnersmarck)

Da bringt Walt Disney Motion Pictures Germany mal endlich wieder eine einheimische Produktion auf den Markt, die dann ein paar Monate später obendrein nicht nur eine, sondern sogleich zwei Oscar-Nominierungen einheimst. Und wie danken deutsche Kritiker das? Gar nicht. Denn Werk ohne Autor kommt im deutschsprachigen Raum eher so lala an. Unverständlich, wenn man mich fragt: Werk ohne Autor ist zweifelsohne nicht frei von Schönheitsfehlern - von Donnersmarcks Inszenierung ist im ersten Akt teils krampfhaft, vor allem in den Szenen zwischen rund um die Gräueltaten der Nationalsozialisten. Aber dem stehen allerhand Argumente entgegen, weshalb dieser Film meiner Ansicht nach mehr Anerkennung verdient hätte: In atmosphärisch dichten Bildern eingefangen und von Tom Schilling, Sebastian Koch sowie Paula Beer facettenreich gespielt, ist Werk ohne Autor eine Verneigung vor der Macht der Kunst, ein malerisches, trotzdem mahnendes Soziogramm über die mangelnde Empathie im Nachkriegsdeutschland sowie ein stilistisch spannender Hybrid aus Fakt und Fiktion. Werk ohne Autor hat das Potential, mit der Zeit sogar weiter zu wachsen, vielleicht würde er in drei, vier Jahren höher in diesem Ranking stehen - denn nach und nach stören mich die Problemchen weniger, während ich die Glanzmomente mehr mag. Aber im Moment darf sich dieser Mammutfilm auf Rang 23 gehuldigt fühlen.

Platz 22: Call Me By Your Name (Regie: Luca Guadagnino)

Das "Bester Film"-Line-up bei den 90. Academy Awards hat mir nicht sonderlich zugesagt, aber neben Die dunkelste Stunde hat mich ein weiterer Nominierter gepackt - und zwar Luca Guadagninos gefühlvolles, mit großer Selbstverständlichkeit gespieltes Liebesdrama Camm Me By Your Name. Ein Film voller Italien-Urlaubsflair, wunderschönen Bildern, melancholisch-romantischer Musik und eloquenten Figuren. In dieses wohlige Drumherum bettet Guadagnino fantastische Performances von Armie Hammer und Timothée Chalamet ein - viel mehr braucht es manchmal nicht für einen filmischen Triumph.

Platz 21: Zwei im falschen Film (Regie: Laura Lackmann)

Laura Lackmanns Zwei im falschen Film ist ein reiner Konzeptfilm, doch ein äußerst cleverer: Ein unscheinbares Pärchen mosert über einen kitschigen, weltfremden Liebesfilm und verlässt lästernd während des Abspanns das Kino. Daraufhin begleiten wir Laura (Laura Tonke) und Hans (Marc Hosemann) durch ihren lahmen Alltag. Schluderig gefilmt, ein akustischer Albtraum und mit banalen, unterkühlten Beinahestreitigkeiten gefüllt, ist dieser zwar wie 1:1 aus dem wahren Leben gerissen - nur wer will sich das schon antun? Das erkennen auch Laura und Hans, weshalb sie sich vornehmen, ihre Beziehung aufzuhübschen, ohne dabei in Filmkitsch abzugleiten. Doch inszenatorisch hat Regisseurin Laura Lackmann andere Pläne, wie sich auch an der Dramaturgie der Gespräche ablesen lässt ... Zwei im falschen Film besteht quasi aus zwei Filmen, bei denen allerhand schief läuft, die gemeinsam aber ein geistreiches, stilistisch durchdachtes, kinopassioniertes Gesamtwerk ergeben. Super!


Donnerstag, 4. Oktober 2018

Oliver Masucci: 'Bei Kunst zählt die Idee'

Ich habe mit Schauspieler Oliver Masucci über Werk ohne Autor, die Arbeitsweise von Regisseur und Autor Florian Henckel von Donnersmarck sowie unschäne Floskeln gesprochen.

Ich mutmaße, dass sich der Großteil des Diskurses rund um Werk ohne Autor auf die Geschichtsverarbeitung Deutschlands beziehen wird. Aber eine Szene, die mir sehr imponiert hat, ist die Museumsführung direkt zu Beginn. Indirekt zeigt sie auf, welch deutsches Unding die oft im harmlosen Scherz gesagten Sprüche "Ist das Kunst oder kann das weg?" und "Also, das hätte ein fünfjähriges Kind auch malen können!" sind ...
Es ist furchtbar! Es ist grauenhaft! "Das kann ich auch" gehört genauso zu solchen schlimmen Sätzen. Bei Kunst zählt die Idee, die ist das interessante. Das Herstellen am Ende ist nur sekundär. Es ist mir egal, wenn jemand denkt, sein kleines Kind könnte technisch dasselbe abstrakte Bild herstellen – es würde in kaum einem Fall auf dieselbe Idee kommen! Die Idee steht in der Kunst über dem Herstellungsprozess, die Idee muss daher entlohnt werden – was manch einer aber nicht begreifen will. Damit bekommen wir dann solche Sätze zu hören wie: "Ja, wenn ich die Idee gehabt hätte, hätte ich das genau so machen können …" Aber man hat die Idee nicht gehabt, das ist ja der Punkt! Da herrscht so eine Begriffsstutzigkeit vor, bei manchen Menschen, das ist zum Haare raufen.

Wenn man mal überlegt, wie Beuys, an den meine Figur in Werk ohne Autor angelehnt ist, die Nation gespalten hat, bloß weil er einen Hut getragen hat. Er wurde dadurch zu einem Hüter, oder für manche zum Verräter, des Menschseins, des Kunstprozesses und des Kunstverständnisses, und das zu großem Teil allein dadurch, dass manche Leute ihn partout nicht verstehen wollten. Man kann mir nicht sagen, dass die Leute Beuys nicht verstehen konnten – sie wollten ihn nicht verstehen! Allein, weil er einen Hut getragen hat. Durch so etwas kann man unsere Nation spalten! Das finde ich irre!

Erst recht, wenn man bedenkt, was er dann letztlich trotz dieser Kontroversen uns hinterlassen hat: Erst kürzlich bin ich in Kassel mit dem Auto an den Bäumen vorbeigefahren, die er gepflanzt hat – die sind zu einer richtigen Allee herangewachsen. Das ist ein landschaftliches Kunstwerk, das über seinen Tod hinaus Bestand hat und noch immer weiter wächst. Das ist absoluter Wahnsinn, mir sind die Tränen gekommen, als ich das gesehen habe. Aber was hat die 'Bild'-Zeitung geschrieben, als Beuys gestorben ist? "Deutschlands größter Scharlatan ist tot." Das muss man sich mal vorstellen, was das für eine Zeit war, in der er agiert hat und sich zerschlissen hatte. Beuys meinte ja: Der Mensch muss am Ende seines Lebens zerschlissen sein, denn wenn er in gutem Zustand stirbt, wäre das tragisch, eine Verschwendung. Wenn ein zerschlissener Mensch stirbt, habe es dagegen einen Sinn. Dann hat er sich aufgebraucht, für die Menschen um sich herum und für die Kunst. Und so einen klugen, einsichtigen Menschen nannte man damals Scharlatan …

Wo liegen denn Ihre persönlichen Vorlieben in der Kunst? In der Aktionskunst wie der von Beuys, in der abstrakten oder doch eher in der naturalistischen Malerei, oder, oder ..?
Mein Kunstlehrer war Beuys-Schüler, und daher habe ich viel über Fluxus und Happenings gelernt – und ich denke, das hat meinen Blick auf Kunst schon stark beeinflusst. Und dann war auch noch der Vater meiner ersten Freundin ein Künstler, mit dem ich mich sehr gut verstanden habe. Er war ebenfalls Beuys-Schüler, und wir haben zusammen ein Pergament bemalt, das wir daraufhin dreidimensional als Plastik gestaltet haben.

Ich habe auch danach mit einigen Künstlern zusammengearbeitet. Ich habe zum Beispiel mit Erwin Wurm einige One Minute Sculptures gemacht und auch eine Wortskulptur in Salzburg, wozu er einen kunsttheoretischen Text geschrieben hat, den wir in der Skulptur ausgedrückt haben. Wir haben ihn auf einer Ausstellung aber auch vorgetragen, was eine sehr interessante Erfahrung für mich war, weil Ausstellungspublikum komplett anders reagiert als Theaterpublikum.

Ich habe immer gerne mit diesem Schlag von Leuten zu tun. Ich betrachte auch die Schauspielerei als Kunst. Das geht für mich alles Hand in Hand. Und es ist stets schön, Impulse zwischen den Künsten auszutauschen, denn schauspieltechnisch können wir das, was in einer Aktionskunst von jemandem wie Marina Abramovic steckt, gar nicht erfassen. Doch die Gefühle, die bei mir entstehen, wenn etwa Abramovic auf der Chinesischen Mauer auf ihren Mann zuläuft, um sich danach von ihm zu trennen, nehme ich oft in mein Schauspiel mit.

Ich nehme mir nicht vor "Ich mache das jetzt so oder so", sondern ich nehme diese Eindrücke als Fundament für mein Gemüt und spiele dann drauf los. Ich halte das für ergiebiger als das große Theoretisieren meines Schauspiels, denn so kann ich einen fremden Erfahrungsschatz zumindest zu einem Teil für mich vereinnahmen, was die Bandbreite der Rollen, die ich mir zutraue, enorm erweitert. Ich muss mich so nicht auf einen Satz oder ein Wort aus dem Skript verlassen, sondern kann mich von der Kunst beflügeln lassen.

Wie ist Ihr Eindruck von Florian Henckel von Donnersmarck als Regisseur? Gehört er zu den Regisseuren, die ihr Ensemble an der langen Leine lassen? Oder hat er eine sehr konkrete Vision, die er seinen Darstellern einflößt?
Ganz klar letzteres. Er hat eine sehr starke, ausformulierte Vision und er ist sehr genau in dem, was er tut. Sein Arbeitsprozess besteht daraus, dass er sich sehr viel Zeit nimmt, einem zu erklären, was er sehen möchte und weshalb. Er will, dass wir verstehen, wieso etwas auf eine bestimmte Weise gemacht werden sollte. Gleichzeitig ist er aber auch ein Regisseur, der sich auf der Suche befindet. Er sucht sehr genau, auch noch während der Arbeit. Das heißt, dass die Drehtage mit ihm sehr lang werden, weil es sein kann, dass man zwei Stunden etwas gedreht hat, er es dann aber verwirft, so dass man wieder neu anfängt, damit er eine Szene völlig neu aufrollen kann. Das klingt vielleicht paradox, aber das sind zwei ergänzende Seiten an ihm.

Und die Genauigkeit kommt seinem Drehbuch sehr zugute, da es wirklich bis in die kleinsten Psychologismen ausgearbeitet ist und wir als Schauspieler eine sehr verständliche, fundierte Grundlage erhalten. Dieser Vorarbeit zum Trotz nimmt er uns Schauspieler als Künstler sehr ernst, weswegen er in einem sehr respektvollen Umgang mit uns auf die Suche geht, was abseits des Drehbuchs möglich wäre, oder sich aus ihm heraus noch erarbeiten ließe. Da, wo Andere nur schnell, schnell fertig werden wollen, nimmt er sich die Zeit, weiter zu suchen. Und das habe ich sehr, sehr an der Arbeit mit ihm genossen. Dass sich jemand so viel Zeit nimmt, so genau zu arbeiten und darauf wert zu legen, das zu erreichen, was ihm vorschwebt und darüber vielleicht sogar hinaus geht, statt einfach bloß das Ding in den Kasten kriegen zu wollen, hat mir sehr imponiert. Erst recht, weil er dabei dich als Person und Künstler so sehr wertschätzt und mit dir ein Team bildet.

Ich schätze, dass das der Grund war, weshalb Werk ohne Autor so viel später fertig wurde als anfangs vermeldet, denn er hat auch im Schnitt so genau gearbeitet wie mit uns am Set. Was sich aber auch voll und ganz gelohnt hat! Es ist ein sehr spannender und dramatischer Film geworden.

Und ein thematisch sehr dichter. Die vorhin besagte Komponente, dass er die weitläufige Kunstskepsis in unserem Land kritisiert, ist ja nur einer von vielen inhaltlichen Aspekten des Films. Er ist darüber hinaus ja unter anderem der Versuch einer kulturellen Zeitkapsel dreier deutscher Epochen …
Richtig, wobei ich finde, dass sich der Kern des Films dessen ungeachtet auf einen Satz reduzieren lässt: Die Kunst erahnt etwas, was der Geist noch nicht begreifen kann. Damit lässt sich der Film in all seinen Facetten zusammenfassen. Es geht um ein Bild, in dem mehrere Personen zu sehen sind, die auf tragische, erschreckende Weise verbunden sind – und der Künstler weiß es nicht. Im Fall Gerhard Richter, der die Inspiration zu Tom Schillings Figur in Werk ohne Autor war, fand erst Jahrzehnte nach Entstehung des Bildes, ein Geschichtshistoriker diese Zusammenhänge heraus. Aber in der Kunst hat dieser Mann diese Personen bereits zusammengebracht – da bekomme ich Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke. Und das ist ja kein Einzelfall. Ich bin davon überzeugt, und finde es daher so aufwühlend: Die Kunst kann dem Verstand voraus sein.

Man sagt nicht umsonst 'Das Leben imitiert die Kunst', denn Beispiele gibt es zur Genüge. Orwells 1984 dürfte da wohl eines der Paradebeispiele für sein …
Ganz genau. Der hat es vorausgeahnt und wir sind da nun schon weit drüber hinausgeschossen. Es ist erschreckend. Wir sind so überwachbar, und wir merken es nicht einmal. Schlimmer noch: Wir nehmen es als Luxus wahr. Keiner will zu kritisch darüber nachdenken, denn würde man es, müsste man Konsequenzen daraus ziehen und sein Leben verändern. Und Veränderung ist dem Menschen ja zuwider. Veränderung kommt mittlerweile nicht mehr aus den Menschen heraus, sondern kommt von außen. Wenn Kriege ausbrechen oder ähnliches passiert, dann bequemen wir uns langsam aus der Gewohnheit heraus. Aber von uns aus, in Voraussicht, Dinge zu bewegen? Dafür graut es vielen Menschen, leider. Der Mensch erträgt lieber Situationen, die er ganz furchtbar findet, statt eine Veränderung zu wagen. Denn die Angst vor der Veränderung ist noch größer als das Leiden unter der gegebenen Situation. Das ist so irre. Deshalb verliert man mit dem Wort 'Strukturveränderung' jede Wahl. (lacht)

Zum Abschluss eine generelle Frage über Ihre Rollenwahl: Zieht es Sie eher zu Rollen, die Ihnen völlig fremd sind, oder ziehen Sie es doch vor, sich wenigstens in einem Aspekt Ihrer Rolle wiederzufinden?
Ich suche immer nach der Komponente, die mir am nächsten ist. Wenn ich den Punkt finde, der bei mir ist, dann kann ich die Figur mit Leben füllen – und dann kann ich mir auch all das an ihr erarbeiten, was überhaupt nicht meinem Naturell entspricht. So war es auch beim van Verten in Werk ohne Autor: Der eine Kreis bin ich als individuelle Person. Der andere Kreis, das ist das Vorbild Beuys. Und in der Mitte, da ist eine Schnittmenge. Ich versuche, mich zu der hinzubewegen und von dort aus die eigene Sprache dieser Figur van Verten zu entwickeln, und von da aus entwickelt sie dann ihre weiteren Eigenheiten.

Ich brauche das – in jeder Figur brauche ich etwas, das mich berührt. Und das können die Emotionen einer Figur sein, oder ich ziehe mir die Emotion aus einem Umweg. Wenn ich zum Beispiel Genre spiele, und eine wirklich widerliche, fiese Type spiele, dann suche ich mir ein Vorbild und ziehe meine Emotion aus dem Spaß daran, dieses Vorbild auf meine eigene Weise zu interpretieren. Das kann auch eine große Freude sein. Aber die Rollen, die mir am meisten gefallen, sind dann doch die, die etwas tief in mir berühren, das ich vielleicht auch selber nicht benennen kann, was mich aber zu Tränen bewegt. Die Rollen fallen mir dann auch am leichtesten zu spielen, weil ich aus dieser Emotion heraus einfach entstehen lassen kann.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.

Werk ohne Autor ist in vielen deutschen Kinos zu sehen.

Mittwoch, 4. Oktober 2017

Sieben Monde


Ende der 90er-Jahre: ProSieben produzierte damals noch, anders als heute, in vergleichsweise hoher Frequenz eigene Fernsehfilme. Und Buena Vista International (Germany) war noch recht stark daran interessiert, eigene Produktionen auf die Kinoleinwand zu bringen – heutzutage sind eigenheimische Filme des deutschen Vertriebsarms der Disney Company eine arge Rarität.

Mit Sieben Monde fanden 1998 diese beiden nunmehr wenig aktiven Parteien zusammen: ProSieben plante eine Horrorkomödie für sein Fernsehprogramm, letztlich wuchs der Film aber über die Köpfe des Münchener Senders hinaus, weshalb er zur Kinoproduktion aufgeblasen und von der Disney-Tochter vertrieben wurde. Das Ergebnis ist rückblickend skurril: Tatort-Quotenkönig Jan Josef Liefers und der zweifache Oscar-Gewinner Christoph Waltz in einem sonderbaren Mischmasch aus finsterer Märchenneuerfindung, Metakomödie, Krimifarce und Horrorspaß?

Und selbst wenn der Humor zwischendurch zum Himmel nach späten 90er-Jahren schreit: Sieben Monde hat seinen Charme. Die von Nils-Morten Osburg verfasste Regiearbeit des Filmemachers Peter Fratzscher (Wolffs Revier) setzt auf atmosphärisch dichte Szenen, kleinere Gewaltspitzen und leichtfüßigere Momente in gewollt sonderbarer Abfolge. Inhaltlich wird dies sogar gelegentlich kommentiert. Aber der Reihe nach …

Der junge Übersetzer Thomas Krömer (Jan Josef Liefers) hat schriftstellerische Ambitionen, aber in beruflichen Fragen ebenso wenig Erfolg wie in der Liebe. Diese Sorgen sind wohlgemerkt völlig belanglos im Vergleich zu dem, was die Münchener Polizei derzeit umtreibt: Seit Wochen geht ein Mörder um, der seine Opfer verstümmelt und am Tatort ein riesiges Chaos hinterlässt – sowie Tierhaare. Schnell macht sich in der Bevölkerung die Sorge breit, dass womöglich ein Werwolf umgeht. Als Thomas eines Nachts ein riesiges, haariges Etwas anfährt und kurz darauf von diesem Etwas gebissen wird, fürchtet er, dass er es nun ist, der diesen Fluch weiterträgt. Doch das Werwolfsein hat auch seine Vorzüge, ist er nun doch entschlossener und durchsetzungsfähiger …

Nils-Morten Osburgs Skript spielt genüsslich lange mit den Zuschauererwartungen und weigert sich bis über die Hälfte der Laufzeit hinaus, selbst eine grobe Genreeinteilung zu gestatten: Sieben Monde hält über weite Strecken offen, ob es sich bei ihm um eine mit Gruselelementen versetzte Romantikkomödie, eine dezent augenzwinkernde, dennoch schaurige Selbstdekonstruktion oder um einen süffisant erzählten Thriller handelt. Durch die Schriftstellerambitionen der in diesen Fragen bedingt fähigen Hauptfigur erlaubt sich Osburg, in milderer Scream-Art, Kommentare über die Haupthandlung, weitere Metaspäße gibt es in Form von Ulrich Mühe als herrlich fiesen Lektor, der Genrekonventionen in der Luft zerreißt.

Die selbstironischen Referenzen bedienen sich primär am Werwolfmythos, streuen allerdings durch Grimm-Anspielungen weitere Fragen über den möglichen Plotverlauf. Und auch wenn der Lovestory-Nebenplot Standardware ist, so bringt Fratzscher (der den gesamten Film über auf eine atmosphärische, wechselhafte Farbästhetik setzt) ihn angenehm über die Bühne.

Durch die Musikuntermalung hat Sieben Monde zudem einen veralteten Charme: Ali N. Askins elektrolastigen Kompositionen sind wie aus einer Zeitkapsel gefallen, was dem Film auf verquere Art zugutekommt, da er so für eine kurze Ära im deutschen Film spricht, wo sich TV- und Kino-Produzenten wild durch verschiedene Einflüsse probiert haben – was wiederum zum generellen Tonfall der Produktion passt.

Die humorigen Aspekte abseits der Metaspäßchen sind dezent, aber bestimmend in den Film eingestreut. Zwischen den durch und durch auf ausgelassene Lacher angelegten Gags vergeht stets viel Laufzeit, oftmals ist es einfach der gelassenere, amüsierte Tonfall der Dialogwechsel, der zum Schmunzeln anregt. Etwa, wenn ein exzentrischer Rechtsmediziner dem von Peter Lohmeyer gespielten Hauptkommissar Graf mit Begeisterung den Zustand einer Leiche beschreibt, woraufhin dieser staubtrocken-fragend entgegnet: „Wieso erzählst du mir das? Ich weiß das doch schon.“ Fratzscher schlägt in solchen Situationen keinen kalauernd-persiflierenden Tonfall an, sondern einen dezent verdatterten: Es ist leicht skurril, wie euphorisch der Rechtsmediziner ein Gemetzel zusammenfasst. Es ist auf sehr dezente Weise absurd, wie sehr Christoph Waltz‘ spröde überzeichnete Figur von übernatürlichen Theorien schwärmt. Und dennoch ist Sieben Monde kein Witzfilm, sondern gewissermaßen ein amüsanter Gruselfilm.

Insbesondere ist es aber Jan Josef Liefers‘ Spiel, das diese Kuriosität der erweiterten Disney-Konzerngeschichte prägt: Eingangs agiert er wie eine sympathische, archetypische RomCom-Hauptfigur – etwas duckmäuserisch, mit lässigem Witz und einer launigen Chemie mit seiner Kollegin Marie Bäumer. Doch der Übersetzer, der viel lieber Autor wäre, verfällt seiner schaurigen Theorie, und wird dadurch launenhaft, fast schon zur Parodie eines Protagonisten von „Softie wird Alphamännchen“-Streifens. Liefers gelingt es, die sprunghaften Wechsel von tierisch-machohaft zu paranoid-verängstigt auf witzige, aber plausible Weise rüberzubringen. Somit macht er die Rolle aller Schrägheit zum Trotz zu einem Sympathieträger, weshalb im blutigen Finale tatsächlich aller vorherigen Leichtigkeit zum Trotz Suspense und ein Gefühl der Bedrohlichkeit entsteht.

Montag, 16. November 2015

Das komplette Dutzend: Mein Ranking der 'Marvel Cinematic Universe'-Filme


Bis Ant-Man endlich in die deutschen Heimkinos krabbelt, dauert es leider noch ein wenig. Immerhin räumt der schrumpfende Superheld aktuell die chinesischen Kinos, wodurch aus dem kleinen ein respektabler Erfolg wird. Was wiederum beweist: Die Marvel Studios haben den Dreh raus. Hier in Deutschland dürfen die Besucherzahlen zwar gern noch ein Stückchen wachsen, dennoch kann sich das Superhelden-Label ganz uneitel als Erfolgsmaschiene bezeichnen. Und missgönnen kann man es dem Studio wohl kaum. Schließlich liefert Marvel - nahezu - durchgehend gute Qualität ab!

Um das Warten auf den DVD- und Blu-ray-Start von Ant-Man zu versüßen, habe ich mich in meine Denkerstube gesetzt und alle Teile des Kino-Franchises namens Marvel Cinematic Universe gegeneinander aufgewogen. Herausgekommen ist nicht ein Ranking der wichtigsten, einflussreichsten oder gemeinhin populärsten Einträge in diese Reihe. Sondern eine Übersicht, welche Filme wie sehr mein Herzen höher schlagen lassen ...


Darüber, wer die rote Laterne in diesem Ranking bekommt, musste ich nicht einen einzigen Augenblick lang nachdenken: Iron Man 2 ist von allen Marvel-Eigenproduktionen die, in welcher der Aufbau des Filmuniversums am ungelenkesten geraten ist und den eigentlichen Plot wiederholt ausbremst. In Sachen Action erreicht Jon Favreaus Regiearbeit mit der Monaco-Sequenz viel zu früh ihren Höhepunkt, während das Finale eine leblose CG-Schlacht zwischen fliegenden Rüstungen ist. Und generell verlieren selbst amüsante Szenen wie die Anhörung ganz zu Beginn, in der Tony Stark sein Anrecht auf den Iron-Man-Anzug verteidigen muss, durch eine zähe Narrative ihren Schwung. Ein leider zu Beginn der Story bereits ausbrennender Whiplash, gespielt von Mickey Rourke, und ein nicht ausreichend genutzter, doch spaßiger Sam Rockwell als Justin Hammer retten Iron Man 2 davor, eine Totalkatastrophe darzustellen.


Ich weiß, mit dieser Platzierung mache ich mir keine Freunde. Aber selbst wenn ich Iron Man deutlich besser finde als sein Sequel, so schaue ich mir Jon Favreaus Riesenerfolg nur noch im Rahmen von Marvel-Retrospektiven an. Was daran liegt, dass ich in Iron Man kaum mehr sehe als einen Standard-Actionfilm. Weder bringt Favreau eine nennenswerte inszenatorische Raffinesse mit, noch ergibt die Motivation des von einem wenig Eindruck hinterlassenen Jeff Bridges gespielten Schurken wirklich Sinn. Aufgrund dessen geht dem letzten Akt zügig die Puste aus. Was enorm unterhält, ist dafür der erste Akt, auch "die Robert-Downey-junior-One-Man-Show" genannt, sowie die Trainingsmontagen, in denen Tony Stark das Iron-Man-Sein probt.


Kontrovers, kontrovers ... Ich weiß! Aber Der unglaubliche Hulk hat einige Punkte, die ihn in meinen Augen über Iron Man heben. So verleiht Regisseur Louis Leterrier dem in Brasilien spielenden ersten Akt eine gute "Mann auf der Flucht"-Atmosphäre, indem er den Look der Slums gekonnt in Szene setzt und Edward Norton freies Geleit darin gibt, einen getriebenen Menschen zu spielen, welcher sich vor seinem inneren Dämonen sowie dem US-Militär versteckt. Die ersten Actionszenen setzen daher auch mehr auf Katz-und-Maus-Spielchen, als auf CG-Gewitter. Der mittlere Teil ist etwas zäher erzählt als nötig, doch ein sich gehörig selbst genießender Tim Roth als Antagonist und die thematisch komplexe Filmmusik halten auch dieses Segment aufrecht, ehe das zerstörerische Finale dank der sich in Hulks und Abominations solider Charakteranimation abzeichnenden Mimik mehr Persönlichkeit mitbringt als der letzte Iron Man-Kampf. Gewiss, Liv Tyler und Norton könnten eine bessere Chemie haben und kaum verlässt der Film Brasilien, fehlt ihm das ästhetische, gewisse Etwas. Trotzdem ein unterschätzter Teil der Marvel-Reihe!


Während Iron Man 2 mit jeder Sichtung in meiner Gunst noch weiter fällt, legt Thor mit jeder Sichtung an Sympathiepunkten zu: Die Charakterisierung Lokis und der sein Handeln antreibende Konflikt sind zwar längst nicht so shakespearesch geraten, wie die Autoren und Regisseur Kenneth Branagh es wohl gern hätten. Und Thors Attacke auf die Welt der Eisriesen ist träge erzählt sowie unästhetisch umgesetzt. Allerdings überzeugt mich dank Chris Hemsworth und Natalie Portman die Romanze zwischen Thor und Jane, die Dialogwitze haben ordentlich Zunder und das "World Building" ist hier zum ersten Mal im Marvel Cinematic Universe richtig schön ausgereift.


Aufgrund erzählerischer Schwächen (so wird die Motivation der schurkischen Dunkelelfen zwei Mal genannt, aber nie wirklich begreiflich) ist das Thor-Sequel möglicherweise der schlechter gemachte Part unter den bisherigen Thor-Filmen. Allerdings habe ich ihn ein Stückchen lieber als das Original: Hemsworth balanciert den Pathos und die spaßige Seite seiner Paraderolle noch besser. Die Actionszenen (vor allem die Attacke auf Asgard sowie das immens spaßige, einfallsreiche Finale) sind schmissiger. Und Tom Hiddleston alias Loki wird besser eingesetzt als noch in Thor. Über die lahmen Antagonisten und einige Längen kann ich nicht hinwegsehen, aber wenn Thor - The Dark Kingdom zündet, dann sprühen deutlich mehr Funken als beim ersten Anlauf.


Das Problem mit solchen Countdowns ist ja, dass sie zwar eine Rangfolge abbilden. Und in Fällen wie diesen sogar eine Rangliste, bei der ich mir recht sicher bin, sie nicht schon morgen komplett umkippen zu wollen. Aber die Abstände zwischen den einzelnen Produktionen lassen sich in einem bloßen Ranking nur schwer abbilden. Naja, dafür gibt es ja die Begleittexte: Gurardians of the Galaxy schlägt Thor - The Dark Kingdom um die doppelte Länge einer Beinprothese! Regisseur James Gunn kreiert hier eine wunderbar verschrobene, dennoch glaubwürdige, farbenfrohe Sci-Fi-Welt, die von immens sympathischen Figuren bevölkert wird. Verquickt mit einer extrem starken Ansammlung an musikalischen Evergreens ist Guardians of the Galaxy ein sehr, sehr vergnüglicher Filmritt. Dass die anarchisch-eigenwilligen Figuren mit ihrer ironischen Art zuweilen in ihnen nicht gerecht werdende, konventionelle Plotschienen geschubst werden, ist bedauerlich. Aber es kommt ja ein Sequel ...


Und noch eine sicherlich aneckende Entscheidung meinerseits: Regisseur Peyton Reed, der zum Projekt hinzugestoßen ist wie die Jungfrau zum Kind, hat mit Ant-Man eine richtig, richtig launige Superheldenkomödie erschaffen! Dieser bunte Mix aus Heist-Movie, Marvel-Bombast, verschrobenem Witz und Schrumpfeskapaden legt ein zügiges Tempo vor, schröpft ein Maximum aus den Kräften seines Titelhelden und schafft es, anders als Guardians of the Galaxy, aus seinem untermotivierten Schurken einen spaßig-fiesen Antagonisten zu formen. Das Spiel mit Konventionen und ironischen Brechungen ist hier zwar weniger riskiofreudiger als in Gunns Weltallspaß, dafür aber auch trittsicherer. Ein richtig erfrischender, kleiner Film in einer überwältigenden, großen Filmreihe!


Iron Man habe ich gern im Kino gesehen. Thor hat Spaß gemacht. Captain America - The First Avenger war die erste Marvel-Eigenproduktion, die ich geliebt habe: Joe Johnston, der Mann hinter dem böse unterschätzten Disney-Superheldenabenteuer Rocketeer, zündet mit diesem pulpigen, stylischen Supersoldatenstoff ein bestens aufgelegtes Retro-Feuerwerk ab. Die Stimmung des Films befindet sich in einer ansteckenden "Indiana Jones ... mit Soldaten!"-Laune, Chris Evans und Hayley Atwell haben mehr Chemie als alle anderen Marvel-Filmpaare, und man muss einfach seinen Hut davor ziehen, wie gut die Autoren Christopher Markus und Stephen McFeely ihren Protagonisten für das Publikum von Heute aufbereiten. Captain America ist ganz klar ein Mensch seiner Zeit, und obwohl der Film sein historisches Setting atmet und lebt, ist es auch klar ein Film der Gegenwart. Und somit frei von der Propaganda der frühen Comics über Steve Rogers.


Der liebste Avenger der großen Kinogemeinschaft hat mich mit seiner dritten Solomission dann auch endlich vollauf gepackt: Shane Black, der Drehbuchautor hinter solchen Action-Kultfilmen wie Lethal Weapon, schwingt sich nach Kiss Kiss Bang Bang nochmal auf den Regiestuhl und verpasst der Iron Man-Reihe eine tüchtige Dosis Lässigkeit, die sich sehr gut mit der Coolness von Robert Downey junior verträgt. Der zentrale Konflikt handelt dieses Mal nicht von einem Fiesling, der Tony Stark unbedingt seine Erfindung stehlen will, sondern von einer ganz anderen externen Bedrohung. Sowie von den inneren Kämpfen, die unser Titelheld austragen muss. Spritzige Actionszenen, die sich auf eine eigene Dramaturgie und pfiffige Ideen verlassen, statt auf reines Effektgewitter, extrem coole Nebendarsteller und ein herrlich-kesser Twist machen Iron Man 3 zu einem extrem guten 80er-Actionfilm, der sich sehr überzeugend als Marvel-Bombastspaß der Jetztzeit verkleidet. Saucool!


Einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten und womöglich der bislang ikonischste Marvel-Superheldenkracher. Und das alles vollkommen zurecht! Joss Whedon gelang mit seinem Big-Budget-Debüt ein unverschämt agiles Kunststück: Der Buffy-Schöpfer bringt mehrere exzentrische Superhelden unter einen Hut, um mit ihnen ein Actionspektakel zu veranstalten, das für Fans und Neuzugänge gleichermaßen geeignet ist. Schnippische Dialoge, große Actionszenen, in denen jeder Held seine Stärken beweisen kann, aufregende Kamerafahrten, und eine flüssige Dramaturgie: Dieser Film ist waschechte, köstliche Popcorn-Unterhaltung ...


... jedoch ist Marvel's The Avengers auch, wenn wir mal die zu stemmende Mammutaufgabe und Pioniersarbeit total dreist ignorieren, relativ "normal". Dafür, dass ein Gott, ein Mulitmillionär, ein Supersoldat aus den 40ern, ein Wissenschaftler mit Wutbewältigungsproblemen sowie zwei Spitzenagenten zusammenkämpfen, lässt es Avengers noch sehr bodenständig angehen. Das kann man dem Film auch auf gar keinen Fall ankreiden! Beim Schritt von einer Blockbustermarke zu einer Überblockbustermarke direkt mit nerdigem Comicwahnwitz um sich zu schlagen, wäre vermessen gewesen. Als aber im Sommer 2015 Avengers: Age of Ultron anstand, war ich sowas von bereit für exzentrischen, megalomanischen Comic-Irrsinn. Für einen Film, der die komplexe, knallige Mythologie der Vorlagen voller Genuss auf die Leinwand bringt. Und genau das hat dieses Epos geleistet: Mehr von allem, ohne unter dieser Last zusammenzubrechen. Das Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt der Marvel-Filmsaga! Daran wird gewiss nicht jeder Freude haben, doch ich stehe auf diese ganz besondere Geschmacksrichtung!


Was. Für. Ein. Hammerfilm! Wenn so ziemlich das Einzige, was ich zu beklagen habe, der deutsche Filmtitel ist, dann haben wir es zweifelsohne mit einem stolzen Meisterwerk zu tun. Was Anthony und Joe Russo mit Captain America: Winter Soldier fabriziert haben, ist durchdachtes, adrenalinhaltiges, hochspannendes und unterhaltsames Bombastkino, wie es im Buche steht! Die Actionsequenzen überschlagen sich vor starken Stunts und packenden Charaktermomenten, die völlig verkannte Hochdruckmusik von Henry Jackman fetzt mehr, als alles andere in Marvels bisherigem Musikkanon und die Darstellerriege, bestehend aus Chris Evans, Anthony Mackie, Scarlett Johansson, Robert Redford, Sebastian Stan, Samuel L. Jackson und Frank Grillo balanciert perfekt auf dem schmalen Grat zwischen Entertainment-Feuerwerk und Politthriller ... Dieses Mordsstück von einem Superheldenknaller fesselt mich jedes Mal aufs Neue und legt die Messlatte für die dritte Phase des Marvel Cinematic Universe ungeheuerlich hoch! Civil War? Zeig, was du kannst!

Donnerstag, 8. Oktober 2015

The Return of the First Avenger

Diese retrospektive Filmkritik enthält diverse Spoiler!


Bevor sich die Avengers auf der Leinwand vereinten, hatte Captain America die Ehre, mit seiner Solomission meinen liebsten Marvel-Film zu stellen. Entsprechend hoch waren 2014 meine Erwartungen an den zweiten Einzelfilm rund um den in den Farben der US-Flagge gekleideten Superhelden. Selbst wenn ich in unserem Kulturkreis in meiner Position nur wenig Rückhalt fand: Captain America ist, wie es so schön heißt, ein „tough sell“. Mit 176,65 Millionen Dollar schnitt Captain America: The First Avenger trotz eines ansehnlichen Einspiels selbst in seinem Heimatland schlechter ab als beide Thor-Teile oder alle drei Iron Man-Abenteuer. Und in Deutschland reichte es 2011 gerade einmal für 339.797 Kinogänger, während Thor im selben Jahr über 1,1 Millionen Menschen in die Lichtspielhäuser lockte. Die magere Resonanz in den hiesigen Gefilden resultiert offenkundig aus den hartnäckigen Vorurteile gegenüber der idealistischen Marvel-Figur: Während des Zweiten Weltkrieges als bewusst patriotisches Propagandamittel erschaffen, wird Captain America diesen Ruf (wohl auch aufgrund seines Namens) bis heute nicht vollauf los.

Für all jene, die sich auch nur ein klein wenig mit den gedruckten Bildgeschichten befassen, ist dies selbstredend ein frustrierender Umstand: Immerhin wird der Taktiker unter den Avengers bereits seit den frühen 70er-Jahren regelmäßig als Hauptfigur in gesellschafts- und politkritischen Plotsträngen verwendet, in denen Steve Rogers mehrmals bewies, alles andere als ein autoritätsgefügiger Patriot zu sein. Eben diese US-kritische Seite von Captain America findet sich seit Dekaden in von zahlreichen Comickennern gefeierten Handlungsbögen wieder, die allerdings nie solch ein Mainstreamstanding erhielten, wie so manche Storylines des Konkurrenzverlags DC. Somit ist es leider nicht überraschend, dass Captain America: The First Avenger an den deutschen Kinokassen unterging und die Fortsetzung daher hierzulande einen Alternativtitel verpasst bekam. Um die negativen Assoziationen zu übertönen und die Verbindung zum populären Superheldenspektakel Marvel's The Avengers zu unterstreichen, wurde für den deutschen Markt aus Captain America: The Winter Soldier der weniger patriotisch klingende The Return of the First Avenger. Ein ungelenker Name, wenngleich ein bezeichnender: Zwar sparte schon Joe Johnstons Fantasy-Nazi-Verkloppungsspaß nicht mit Seitenhieben auf US-Hurrapatriotismus, doch im Sequel der Gebrüder Anthony und Joe Russo werden sogleich mehrere geballte Attacken auf die amerikanische Innenpolitik sowie das politische Klima der Vereinigten Staaten losgelassen. Da ist es mit zusammengebissenen Zähnen durchaus zu verschmerzen, dass Captain America seinen aus Propagandazeiten stammenden Namen aus dem Filmtitel kürzen muss.

Schlussendlich zählt der Filminhalt eh wesentlich mehr als der Filmtitel. Und The Return of the First Avenger darf dahingehend seine Brust besonders stolz anschwellen lassen. Denn auch nach diversen Rewatches des kompletten Marvel Cinematic Universe-Kanons unterschreibe ich folgendes Statement ohne mit der Wimper zu zucken: Dieser bombastische Thriller ist der intelligenteste, rauste und erstaunlichste Film der Marvel-Geschichte. Zumindest vorerst, denn noch weiß niemand, was uns Phase drei so bringt.

Konsequenterweise schlägt das Skript von Christopher Markus und Stephen McFeely (u.a. Thor - The Dark Kingdom) mehr Haken, als jedes andere Drehbuch innerhalb des bisherigen Avengers-Kinouniversum, um so den Betrachter ähnlich um den Atem ringen zu lassen wie den gehetzten Supersoldaten Steve Rogers. Dieser hat sich rund zwei Jahre nach den in Marvel's The Avengers geschilderten Ereignissen erfolgreich ein neues Leben als Spitzenagent für die Geheimorganisation S.H.I.E.L.D. aufgebaut. Zwar muss sich das Relikt einer anderen Zeit weiterhin an einige Aspekte der heutigen Welt gewöhnen, aber Rogers hält sich dabei recht wacker. Am wohlsten fühlt er sich dennoch im Einsatz – und so nimmt er freudig eine neue Mission an: Zusammen mit der undurchschaubaren, sich aber charmant um ihren Kollegen kümmernden Black Widow soll er eine Geiselnahme auf hoher See klären. Während dieses Einsatzes bemerkt Rogers allerdings, dass er weder von Black Widow noch von seinem Vorgesetzten Nick Fury sämtliche relevante Informationen erhalten hat. Auch ein Gespräch mit Alexander Pierce, Generalsekretär des Weltsicherheitsrats und ranghöchster Einsatzleiter bei S.H.I.E.L.D., lässt Captain America im Dunkeln tappen. Somit beschleicht ihn das üble Gefühl, dass die Geheimorganisation ein falsches Spiel spielt. Alsbald stellt sich heraus, dass er richtig liegt und dabei ist, ein brandgefährliches Komplott aufzudecken, weshalb er die Hilfe des Kriegsveteranen Sam Wilson benötigt und sich einem ominösen Auftragskiller stellen muss: Dem seit Jahrzehnten arbeitenden, höchst effizienten Winter Soldier …


Neues zeitliches Setting, neu besetzter Regiestuhl, gänzlich andere Tonalität: War Joe Johnstons in stilisierten Comicfarben getauchter Captain America: The First Avenger ein spaßiger, von nahezu jeglicher Realität losgelöster Action-Abenteuerfilm im augenzwinkernden Stil eines Indiana Jones und der letzte Kreuzzug, vollführen die Regisseure Anthony & Joe Russo mit The Return of the First Avenger eine komplette Kehrtwende. Und zwar auf atmosphärischer wie inhaltlicher und akustischer Ebene. Jedoch reißen sie nicht nur innerhalb der Captain America-Reihe das Ruder herum, sondern stürzen sich Hals über Kopf in ein Stimmungsbild, das innerhalb des gesamten Marvel-Kinouniversums seinesgleichen sucht! Nach dem bis obenhin mit flotten Sprüchen gespickten Iron Man 3, in dem Tony Stark einige unterhaltsame Schwierigkeiten mit seinen technischen Spielereien zu durchleiden hatte, und im Anschluss an das pointierte Geschwister-Gezanke sowie dem fantasiereich verspielten Finale von Thor – The Dark Kingdom kommt dieser Marvel-Film wesentlich seriöser daher. Und steht in dieser Ausrichtung selbst nach Abschluss von Phase zwei alleine dar: Auf diese Verquickung aus Comicaction und Politthriller folgten die bunte Weltalloperette mit Herz namens Guardians of the Galaxy, der zwar grimme und epochale, trotzdem launische Avengers: Age of Ultron und die Superhelden-Heist-Komödie Ant-Man

Auf dem Papier erinnert die von den Russo-Brüdern gebotene Vermengung einer Superheldenthematik inklusive dazugehörigen Action-Pomp mit fantasievollen, doch glaubwürdigen Technologien sowie Bezügen zu realen politischen Themen eher an Christopher Nolans The Dark Knight-Trilogie. So greift das Drehbuch die jüngste Panik vor Abhörskandalen und den seit dem 11. September 2001 ausufernde Maße annehmenden Kampf der USA gegen den Terror auf. Somit schafft der Plot für den hehre Ideale verfolgenden, trotzdem kritisch denkenden Protagonisten ein Fundament der Paranoia. Was sich wiederum auf den Zuschauer überträgt: Bei Erstsichtung ist ein konstantes Gefühl des Misstrauens gegenüber sämtlichen Figuren rund um Steve Rogers förmlich garantiert. 

Das Misstrauen, das in S.H.I.E.L.D. (beziehungsweise die realen Äquivalente dieses Geheimdienstes) geschürt wird, stellt The Return of the First Avenger strukturell und atmosphärisch sogar in die Nähe klassischer Verschwörungsthriller der 70er-Jahre. Wie diverse Kinohelden jener Zeit wird Steve Rogers von seinem mächtigen Arbeitgeber verfolgt, muss mit Verbündeten untertauchen und aus der Verdeckung heraus sämtliche Beweise für die Vergehen seiner vermeintlich Gleichgesinnten finden. Die Verbindung dieser Produktion zu Filmen wie Die drei Tage des Condor und Die Unbestechlichen wird nicht bloß durch die prächtigen Aufnahmen Washington D.C.s und die Besetzung Robert Redfords erzeugt, sondern auch durch die Erzählweise dieses Blockbusters. Als Plotmotor fungieren sich langsam lichtende Verschwörungen, die moralische Ambivalenz zentraler Figuren, schockierende Enthüllungen und die stete Gefahr, dass die Helden auf ihrer Flucht geschnappt werden. Das Tempo ist somit konstant hoch, nie aber hektisch, da sich die Filmemacher durchgehend genügend Zeit nehmen, die interessanten, dieses Kinouniversum erschütternden Wendungen zu ergründen.

Obgleich The Return of the First Avenger konzeptionell sehr aus dem exorbitant einträglichem Marvel-Filmfranchise heraus sticht, ist dieser 136-minütige Ritt auf einem von bewaffneten Jets verfolgten Nostalgie-Motorrad keineswegs das schwarze Schaf innerhalb Kevin Feiges Blockbuster-Imperium. Denn allen fesselnden Eigenheiten zum Trotz ist dieses durchdachte Spektakel eine packende Ergänzung des Marvel-Studios-Portfolios und als vortrefflicher Streich dieser Actionhitschmiede zu identifizieren. So bleibt sich der Idealist Steve Rogers auch in diesem Film treu und hebt diesen Verschwörungsthriller mit seiner nie herabblickenden, doch moralisch gestrengen Pfadfinder-Mentalität von anderen Genrevertretern ab. Chris Evans wirkt so, als würde er sich nun noch wohler in seiner Paraderolle fühlen als zuvor, und verleiht dem mental stets im Einsatz befindlichen Captain America eine sympathische, bodenständige Kumpelhaftigkeit. Diese kommt wundervoll im launigen Zusammenspiel mit Anthony Mackie alias Sam Wilson / Falcon zur Geltung sowie im ständigen, freundschaftlich-neckischen Schlagabtausch mit Scarlett Johansson, die hier ihre bislang beste Black-Widow-Performance abgibt: Kess, doch auch einzuschüchtern und allem zum Trotz eine gute Weggefährtin mit eigenem Kopf.

Sie ist es auch, die dem integren Helden, der in seinem Umfeld nur wenig Halt erhält, neue Seiten entlockt. In diesem Film merkt man, dass Cap sein Saubermannimage nicht zu seinem Nachteil gereichen lassen will. Darüber hinaus kommt es zu wohlig-sentimentalen wie auch ambivalenten Begegnungen mit Steve Rogers' Vergangenheit, die Evans die Gelegenheit geben, seinen Helden von der emotionaleren Seite zu zeigen. Obwohl Steve Rogers ganz klar eine "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen"-Type ist, gelingt es Evans außerdem, ihm glaubwürdig eine schnippische Ader abzuringen, wodurch dieser Film trotz der für Marvel-Verhältnisse gesteigerten Dramatik auch sehr komisch und schmissig bleibt.


Die Russo-Brüder halten aber  nicht nur die Gagdichte so hoch, wie es der generelle Tonfall erlaubt, sondern machen aus The Return of the First Avenger, dem Marvel-Film mit der dichtestem Plotkonstrukt, auch den Marvel-Film mit dem adrenalinstärksten Actionanteil. Statt unentwegt in die Eisen zu steigen und sämtliches Momentum zu verlieren, um den Plot zu erklären oder in schalen Charakterszenen die Figuren auszufeilen, trennt dieser Film eben nicht zwischen Handlung und Kämpferei. Den Helden ist kaum eine Atempause vergönnt, und jede Verfolgungsjagd sowie jede Schießerei bringen die Story voran. Ebenso, wie jede Actionsequenz rund um Captain America auch die Gefühlslage des Titelhelden variiert. Somit kommt es weder dazu, dass das Getöse aufgrund von Irrelevanz ermüdet, noch dazu, dass der Thrill verloren geht, weil es für einen Actionfilm zu wenig Action gibt.

Nicht nur die Masse an Explosionen, Schießereien und Faustkämpfen ist größer als bei den 70er-Thrillern, die als Inspiration dienten, auch ihre Ausmaße sind monumentaler. Selbst wenn The Return of the First Avenger als Verschwörungsthriller über geheime Machenschaften storybedingt lange auf dergleich comichaftes Spektakel der Marke Iron Man oder Avengers verzichtet: Mit einem Soldaten, der das Optimum an menschenmöglichen Fähigkeiten ausschröpft sowie einer Super-Geheimagentin in den wichtigsten Heldenrollen ist klar, dass die Scharmützel höher, schneller, weiter geraten, als in üblichen Politthrillern. Erst recht, da auch die Schurken mit dem Marvel-Bonus aufwarten: Wir reden hier von extrem starken sowie flinken Auftragskiller als kaum aufzuhaltende Bedrohung und von einer Geheimorganisation mit Zugang zu leicht futuristischer Waffentechnologie. Dieses Arsenal an Figuren, Gadgets und Fähigkeiten nutzen die Russos, um eine packende Diskrepanz zum realitätsnahen Produktionsdesign zu erzeugen. Im Zusammenspiel mit der Story, die ebenso mit wahrer Politik wie auch mit Übertreibungen in amüsanter Comiclogik kokettiert, stellt dies ein furioses, so noch nie dagewesenes Fundament für erstaunliche Actioneinlagen und hervorragende Popcorn-Unterhaltung dar.

Bereits die erste Mission, die wir nach dem geerdet-humorvollen Opening mit Steve Rogers' und Sam Wilsons Kennenlernen zu sehen bekommen, gibt mit Nachdruck den Takt an: District 9-Kameramann Trent Opaloch verfolgt die nach und nach außer Kontrolle geratene Stealth-Mission von Captain America in dynamischen Bildern. Vereinzelte, nie die Bildkomposition übermannende Handkamera-Wackler sowie gelegentliche Schwenks, in denen die Kamera dem Geschehen hinterher zu rennen scheint, verleihen dem Ganzen einen Touch des französischen Cinéma vérité, so als würde zwischen den sorgsamer gestalteten, ruhigen Sequenzen eine hoch professionelle Dokucrew übernehmen und Rogers beim Einsatz filmen. Hinzu kommt allerdings die harte, schnelle Schnittarbeit von Jeffrey Ford un Matthew Schmidt, die den rauen Mann-gegen-Mann-Kämpfen einen zügigen Drive verleiht, ohne die schroffen, kraftvollen Choreografien der Darsteller und Stuntleute bis zur Unkenntlichkeit zu zerstückeln.

Selbst wenn im weiteren Verlauf die Actionszenen dank der Technologien der Schurken in ihrer Bandbreite zunehmend fulminanter werden, bleiben diese kernigen Auseinandersetzungen im Vergleich zu anderen Superheldenfilmen im Bereich des Wirklichen. Niemand schleudert Blitze und es gibt keine überdimensionalen Roboteranzüge. Dafür werden Autos zerschrottet, Captain America in einen Messerkampf verwickelt, sowie in mit Sinn für Suspense gefilmte Showdowns mit Schusswaffen. Nur im Finale nimmt das Waffenarsenal überlebensgroße Ausmaße an, wenn es gilt, gleich drei schwer bewaffnete Helicarrier zu entschärfen. Doch selbst in diesem Fall ist allein die zur Schau gestellte Technologie fliegender Flugzeugträger und somit das Setting des Showdowns der hervorstechende Comic-Aspekt in diesem Spektakel. Die Grundidee der Finalsequenz, drei Fluggeräte zu entwaffnen, könnte indes so auch aus einem guten Stirb langsam-Sequel oder einer waschechten 90er-Bruckheimer-Produktion stammen.

Welche der Actionpassagen in The Return of the First Avenger die Beste ist, lässt sich angesichts des immens hohen Niveaus dieser Szenen kaum beantworten. Alle Actionsequenzen sind auf den Punkt geschnitten, mitreißend gefilmt und mit Sinn für eine innere Dramaturgie in Szene gesetzt sowie choreografiert. Die allerhand Schutt und Asche hinterlassende Verfolgungsjagd, in die Nick Fury überraschend verwickelt wird, ist im Kontext des Marvel Cinematic Universe sehr erfrischend und lässt durch wuchtige Eskalationen den Blutdruck in die Höhe schnellen. Wenn Captain America einen ganzen Fahrstuhl voller korrupter S.H.I.E.L.D.-Kampfexperten ausschaltet, beeindrucken die Russos, mit welch geringen Mitteln sie eine spannende, einfallsreiche Schlägerei auf die Beine stellen können. Und dann wäre da noch der brillant inszenierte Kampf zwischen Steve, Sam Wilson und Black Widow auf der einen Seite und dem Winter Soldier inklusive Handlanger auf der anderen, der auf einer Autobahnbrücke seinen Anfang nimmt: Entgegen jeglicher Superhelden-Blockbuster-Tendenz steigert sich dieser Kampf nicht in seiner Explosivität. Stattdessen wird er nach und nach persönlicher und kleiner, aber dringlicher. Anfangs werden noch Autotüren raus gerissen und schwere Geschütze aufgefahren, aber während beiden Seiten langsam die effektivsten Waffen ausgehen und die Helden zudem die Anzahl der Gegner dezimieren, wird das Spektrum dieser Auseinandersetzung immer übersichtlicher. Bis es darauf hinaus läuft, dass sich der Winter Soldier und Captain America mit Messer, Schild und Fäusten einen feisten Schlagabtausch liefern.

Das große Finale verfolgt unterdesse eine weniger straffe Dramaturgie und möchte zwischendurch auch wieder zum Staunen einladen, statt völlig mitzureißen, und nutzt daher den ultimativen Showdown als roten Faden, um im Kampf coole, dramatische und stylische Charaktermomente aneinanderzureihen. Dies gelingt makellos: Totz ausschweifender Länge hat das Finale keine überflüssigen Schnörkel. Mit vereinzelten, die Grenzen des PG-13-Ratings ausreizenden Gewaltspitzen, feschen Sprüchen und hohen, persönlichen Risiken, die Steve Rogers eingehen muss, ist es ein würdevoller Abschluss dieses bombastischen Marvel-Highlights. Zudem beweisen die Autoren, dass sie es begreifen, wie sie einen vorbildlichen Idealisten wie Captain America modernisieren und in einen Blockbuster-Kontext stellen können, ohne seine grundlegende Charakteristik zu opfern: Statt den Winter Soldier, der sich als neue Identität seines Jugendfreundes Bucky Barnes herausgestellt hat, zu töten, lässt sich Steve lieber von ihm grün und blau schlagen. Dies ist zudem mehr als ein bloßes "Bevor ich dich töte, lass ich lieber mich töten"-Denken, denn in den rund zwei Filmstunden zuvor hat Steve Rogers fast alles verloren, woran er in seiner neuen Welt geglaubt hat. Somit verfolgt er mit seiner vermeintlichen Kapitulation zwei Ziele: Im Idealfall weckt er durch seine aufgegebenen Aggressionen Buckys wahres Ich. Im Zweifelsfall verliert er halt sein Leben, was vor den neuen Hintergründen nicht weiter schlimm ist. Selbst wenn ich Man of Steel längst nicht so übel finde wie die härtesten Gegner dieses Films, so hätte der DC-Materialschlacht so ein Hintersinn in der Charakterzeichnung während des Finales durchaus gut getan.

Unterm Strich wirken die Actionszenen mit ihrem Mix aus einer schneidenden, unheilvollen Stimmung sowie leichtfüßigen Einfällen und der alles zusammenhaltenden, technisch umwerfenden Pracht wie ein wundervolles Actionkino-Sammelsurium: Zu gleichen Teilen zusammengesetzt aus der düster-glaubwürdigen The Dark Knight-Trilogie, den megalomanischen 90er-Produktionen Jerry Bruckheimers wie The Rock oder Der Staatsfeind Nr. 1, aus dem fantasievollen Marvel-Kinouniversum und aus Paul Greengrass' das Publikum mittendrin ins Geschehen versetzenden Filmen Die Bourne Verschwörung oder Captain Phillips. Was wie eine grausige Frankenstein-Kreation hätte enden können, stolziert dank des raffinierten Skripts, der zielstrebigen Inszenierung und den versierten Performances stattdessen als ein atemberaubendes, kohärentes Erlebnis auf die Leinwand respektive auf den Bildschirm.


Storytechnisch muss sich The Return of the First Avenger bei allen Stärken, die ich hier rausstelle, dennoch einen Kritikpunkt gefallen lassen: Mit dem "Nick Fury ist tot ... Nein, doch nicht!"-Trick greift dieser sonst so unvergleichliche, mutige Film auf eine Nummer zurück, die in Blockbustern, Marvel-Produktionen und Werken aus dem erweiterten Disney-Hause all zu oft vorkommen. Zwar ist dieser doppelte Twist grundsolide umgesetzt (bei meiner Erstsichtung habe ich nach Furys vermeintlichem Ableben lange gegrübelt, ob Samuel L. Jacksons Vertrag abgelaufen ist und kam zum Entschluss: "Ja, ich glaub, das passt tatsächlich ... Ach du meine Güte! Fury ist tot!"). Und inhaltlich ist er auch gerechtfertigt. Erstens aus Furys Sicht, der schwer verletzt wirklich abtauchen sollte, wenn sich herausstellt, dass sein Arbeitgeber unterwandert wurde, und zweitens aus filmdramaturgischer Sicht, da die Fallhöhe für Captain America ohne Furys Unterstützung wesentlich größer ist. Allerdings ist solch eine "Haha, ihr musstet gar nicht trauern!"-Finte stets ein Aspekt an einem Film, der bei wiederholten Sichtungen leichte Abnutzungserscheinungen aufweist. Dafür beweist Marvel umso mehr Wagemut, indem S.H.I.E.L.D. demontiert wird. Das ist nicht nur eine gewaltige Überraschung, sondern auch eine Wende, die das gesamte Franchise erschüttert und so signalisiert: "Im Marvel Cinematic Universe ist eben doch nicht alles sicher!"

Ich persönlich empfinde den Twist, dass S.H.I.E.L.D. bis in die höchsten Ränge von H.Y.D.R.A. infiltriert wurde, zudem als keckes politisches Statement. Gewiss lässt er sich auch als Feigheit lesen, als dass Marvel die zunächst angedeutete,  komplexe "Eine gute Organisation tut Böses!"-Story auf ein binäres "Die Guten sind in Wahrheit die Bösen!"-Denken ummünzt. Und ich kann verstehen, weshalb einige Zuschauer den Film so deuten. Für mich ist der H.Y.D.R.A.-Schockeffekt allerdings größer als ein schlichtes "S.H.I.E.L.D. trifft nun halt auch falsche Entscheidungen". Darüber hinaus hat die Story so schärfere Seitenhiebe auf unsere politische Realität parat: Würde S.H.I.E.L.D., wie die CIA im wahren Leben, in einem grau-grauen Denken ersaufen, so wäre es nur eine Angleichung der Filmwirklichkeit an unsere Realität. Mit der H.Y.D.R.A.-Signalwirkung schreit der Film aber heraus: Geheimdienste verfolgen mitunter Nazi-Methoden! Und das ist eine Form der Kritik, die so normalerweise nicht in einem Marvel-Popcornspaß zu erwarten steht. Da auch klar gemacht wird, dass die gegenwärtige H.Y.D.R.A. nicht mehr mit den Nazi-Schergen aus Captain America - The First Avenger gleichzusetzen ist, sondern rechte Extremisten darin Seite an Seite mit "Präventivmaßnahmen für eine geordnete, sichere Welt!"-Denkern stehen, ist dieser Twist bei aller Warnwirkung längst keine alte "Es waren halt doch nur die bösen Nazis!"-Ausflucht.

Weil die zentrale Bedrohung in The Return of the First Avenger von einer verzweigten Organisation ausgeht, ist es in dieser Produktion auch ausnahmsweise zu verschmerzen, dass diesem Marvel-Film einmal mehr ein scharf umrissener, denkwürdiger Haupt-Antagonist fehlt. Eine so furchteinflößende Leistung wie die von Heath Ledger in The Dark Knight oder (um bei Marvel zu bleiben) so ein amüsiert mit seinem inneren Schalk kokettierender Bösewicht wie Tom Hiddlestons Loki würde nicht zum Film passen. Stattdessen gibt es zusätzlich zur unsichtbaren, oft gesichtslosen Bedrohung durch S.H.I.E.L.D. respektive H.Y.D.R.A. drei Repräsentanten der antagonistischen Macht. Zunächst wäre da Robert Redford, der seiner Rolle, die andere Darsteller gewiss zu eintönig angelegt hätten, allein schon durch seine Präsenz eine nicht zu verachtende Schwere verleiht. Und dennoch ist dem Leinwandveteranen eine lebhafte Freude anzumerken, in einem Marvel-Blockbuster mitwirken zu können, was in den wenigen statischen, rein der Erklärung der Handlung dienenden Szenen dieses Films von Vorteil ist. Dann wäre da Muskelprotz Frank Grillo, der als Handlanger Brock Rumlow eine so kleine Rolle spielt, dass seine Performance bei der Erstsichtung wohl kaum auffällt. Allerdings haucht Grillo seiner Figur ein sadistisches Glühen ein, wann immer er Steve Rogers oder Sam Wilson gegenübersteht, so dass er bei wiederholten Sichtungen zu einem präsenten Bestandteil des Films heranwächst und auf Captain America: Civil War Lust macht.

Sebastian Stan indes drückt dem Geschehen als Winter Soldier weniger seinen Stempel auf, als man angesichts des Originaltitels denken würde. Trotzdem ist er als kraftvoller, meist maskierter Auftragskiller mit superschnellen Reflexen und einem Metallarm eine mehr als willkommene Ergänzung des Marvel-Figureninventars. Die angerissene emotionale Tiefe seiner Figur wird textuell zwar nur oberflächlich behandelt, Stans Augen sprechen in seinen Szenen dafür umso größere Bände, und die Körperlichkeit, die er in den Actionszenen beweist, ist eindrucksvoll! Der Winter Soldier ist außerdem eine der wenigen Marvel-Figuren, der ein einschneidendes, einprägsames musikalisches Motiv vergönnt ist: Komponist Henry Jackman (Baymax - Riesiges Robowabohu) hat sich für den determinierten Killer einen metallischen, Nerven zerfetzenden und qualvollen Schrei ausgedacht, den die Heerschar an Sound-Verantwortlichen zu großem Effekt mit dem kristallklaren, machtvollen Sounddesign verschmelzen. Generell hat Jackman einen Ausnahme-Score in der Marvel-Landschaft erschaffen: Im Normalfall wissen die Instrumentalscores des Comicstudios zwar, das Geschehen zu unterstützen, allerdings gehen sie selten ins Ohr, ebenso selten heben sie die Heldenabenteuer durch starke Kompositionen weiter empor. Und leider sind viele der Marvel-Scores sogar völlig austauschbar (ich behaupte etwa, dass man den Thor - The Dark Kingdom-Score genauso gut unter die Guardians of the Galaxy packen könnte). Jackmans experimentelle, abgefahrene Musik zu The Return of the First Avenger andererseits fällt nicht nur aus dem Rahmen, sondern gewinnt sogar mit der Zeit an Wirkung dazu. Schon kurz nach Kinostart nannte ich die kühle, manisch Elektrodissonanzen und -melodien mit Orchesterstücken vermengende Arbeit Jackmans einen der besten Marvel-Scores überhaupt. Mittlerweile würde ich sie sogar zum musikalischen Höhepunkt der Marvel-Filmwelt krönen, da mir die Feinheiten hinter dieser atmosphärischen Klangwelt allmählich auffallen, was ihre Wirkung noch weiter verstärkt.

Und selbst das 3D fügt sich mit gestochen scharfen Effekten und einer starken Raumwirkung formidabel ins Gesamtbild und legt die Messlatte nach dem zweiten Thor-Abenteuer um ein Vielfaches höher.

Fazit: Mit einem rauen, aufregenden und cleveren Action-Meisterwerk lenkt The Return of the First Avenger das Marvel-Universum in eine neue, packende Richtung und krönt Supersoldat Steve Rogers endgültig zum Qualitätsmeister im Avengers-Kader.