Mittwoch, 4. Oktober 2017

Sieben Monde


Ende der 90er-Jahre: ProSieben produzierte damals noch, anders als heute, in vergleichsweise hoher Frequenz eigene Fernsehfilme. Und Buena Vista International (Germany) war noch recht stark daran interessiert, eigene Produktionen auf die Kinoleinwand zu bringen – heutzutage sind eigenheimische Filme des deutschen Vertriebsarms der Disney Company eine arge Rarität.

Mit Sieben Monde fanden 1998 diese beiden nunmehr wenig aktiven Parteien zusammen: ProSieben plante eine Horrorkomödie für sein Fernsehprogramm, letztlich wuchs der Film aber über die Köpfe des Münchener Senders hinaus, weshalb er zur Kinoproduktion aufgeblasen und von der Disney-Tochter vertrieben wurde. Das Ergebnis ist rückblickend skurril: Tatort-Quotenkönig Jan Josef Liefers und der zweifache Oscar-Gewinner Christoph Waltz in einem sonderbaren Mischmasch aus finsterer Märchenneuerfindung, Metakomödie, Krimifarce und Horrorspaß?

Und selbst wenn der Humor zwischendurch zum Himmel nach späten 90er-Jahren schreit: Sieben Monde hat seinen Charme. Die von Nils-Morten Osburg verfasste Regiearbeit des Filmemachers Peter Fratzscher (Wolffs Revier) setzt auf atmosphärisch dichte Szenen, kleinere Gewaltspitzen und leichtfüßigere Momente in gewollt sonderbarer Abfolge. Inhaltlich wird dies sogar gelegentlich kommentiert. Aber der Reihe nach …

Der junge Übersetzer Thomas Krömer (Jan Josef Liefers) hat schriftstellerische Ambitionen, aber in beruflichen Fragen ebenso wenig Erfolg wie in der Liebe. Diese Sorgen sind wohlgemerkt völlig belanglos im Vergleich zu dem, was die Münchener Polizei derzeit umtreibt: Seit Wochen geht ein Mörder um, der seine Opfer verstümmelt und am Tatort ein riesiges Chaos hinterlässt – sowie Tierhaare. Schnell macht sich in der Bevölkerung die Sorge breit, dass womöglich ein Werwolf umgeht. Als Thomas eines Nachts ein riesiges, haariges Etwas anfährt und kurz darauf von diesem Etwas gebissen wird, fürchtet er, dass er es nun ist, der diesen Fluch weiterträgt. Doch das Werwolfsein hat auch seine Vorzüge, ist er nun doch entschlossener und durchsetzungsfähiger …

Nils-Morten Osburgs Skript spielt genüsslich lange mit den Zuschauererwartungen und weigert sich bis über die Hälfte der Laufzeit hinaus, selbst eine grobe Genreeinteilung zu gestatten: Sieben Monde hält über weite Strecken offen, ob es sich bei ihm um eine mit Gruselelementen versetzte Romantikkomödie, eine dezent augenzwinkernde, dennoch schaurige Selbstdekonstruktion oder um einen süffisant erzählten Thriller handelt. Durch die Schriftstellerambitionen der in diesen Fragen bedingt fähigen Hauptfigur erlaubt sich Osburg, in milderer Scream-Art, Kommentare über die Haupthandlung, weitere Metaspäße gibt es in Form von Ulrich Mühe als herrlich fiesen Lektor, der Genrekonventionen in der Luft zerreißt.

Die selbstironischen Referenzen bedienen sich primär am Werwolfmythos, streuen allerdings durch Grimm-Anspielungen weitere Fragen über den möglichen Plotverlauf. Und auch wenn der Lovestory-Nebenplot Standardware ist, so bringt Fratzscher (der den gesamten Film über auf eine atmosphärische, wechselhafte Farbästhetik setzt) ihn angenehm über die Bühne.

Durch die Musikuntermalung hat Sieben Monde zudem einen veralteten Charme: Ali N. Askins elektrolastigen Kompositionen sind wie aus einer Zeitkapsel gefallen, was dem Film auf verquere Art zugutekommt, da er so für eine kurze Ära im deutschen Film spricht, wo sich TV- und Kino-Produzenten wild durch verschiedene Einflüsse probiert haben – was wiederum zum generellen Tonfall der Produktion passt.

Die humorigen Aspekte abseits der Metaspäßchen sind dezent, aber bestimmend in den Film eingestreut. Zwischen den durch und durch auf ausgelassene Lacher angelegten Gags vergeht stets viel Laufzeit, oftmals ist es einfach der gelassenere, amüsierte Tonfall der Dialogwechsel, der zum Schmunzeln anregt. Etwa, wenn ein exzentrischer Rechtsmediziner dem von Peter Lohmeyer gespielten Hauptkommissar Graf mit Begeisterung den Zustand einer Leiche beschreibt, woraufhin dieser staubtrocken-fragend entgegnet: „Wieso erzählst du mir das? Ich weiß das doch schon.“ Fratzscher schlägt in solchen Situationen keinen kalauernd-persiflierenden Tonfall an, sondern einen dezent verdatterten: Es ist leicht skurril, wie euphorisch der Rechtsmediziner ein Gemetzel zusammenfasst. Es ist auf sehr dezente Weise absurd, wie sehr Christoph Waltz‘ spröde überzeichnete Figur von übernatürlichen Theorien schwärmt. Und dennoch ist Sieben Monde kein Witzfilm, sondern gewissermaßen ein amüsanter Gruselfilm.

Insbesondere ist es aber Jan Josef Liefers‘ Spiel, das diese Kuriosität der erweiterten Disney-Konzerngeschichte prägt: Eingangs agiert er wie eine sympathische, archetypische RomCom-Hauptfigur – etwas duckmäuserisch, mit lässigem Witz und einer launigen Chemie mit seiner Kollegin Marie Bäumer. Doch der Übersetzer, der viel lieber Autor wäre, verfällt seiner schaurigen Theorie, und wird dadurch launenhaft, fast schon zur Parodie eines Protagonisten von „Softie wird Alphamännchen“-Streifens. Liefers gelingt es, die sprunghaften Wechsel von tierisch-machohaft zu paranoid-verängstigt auf witzige, aber plausible Weise rüberzubringen. Somit macht er die Rolle aller Schrägheit zum Trotz zu einem Sympathieträger, weshalb im blutigen Finale tatsächlich aller vorherigen Leichtigkeit zum Trotz Suspense und ein Gefühl der Bedrohlichkeit entsteht.

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