Sonntag, 18. Juli 2021

Behind the Attraction


2017 startete auf Netflix die Dokuserie Spielzeug - Das war unsere Kindheit, die in jeder Episode eine flott erzählte Abhandlung über die Entstehung, den Aufstieg und den etwaigen Fall (und Wiederaufstieg) einer Spielzeugkollektion bietet. Der charmante Clou hinter der Serie ist die spür- und hörbare Begeisterung der Verantwortlichen für das Thema, die sich in kleinen Running Gags, Insiderjokes und spielerischen formalen Albernheiten äußert und dem Spielzeug-Element gerecht wird, der ein tiefer reichendes Behandeln des Themas gegenübersteht. Seien es Konflikte innerhalb des Kreativteams hinter einem Spielzeug, wer für welche Idee Anerkennung verdient, Steuerskandale, die zwischenzeitlich den Stern der Barbie-Marke haben sinken lassen, oder kulturelle Wandel, die eine Spielzeugserie anschieben oder ausbremsen: Fanhaftes Abkulten trifft auf kritisches Behandeln der unternehmerischen Hintergründe.

Brian Volk-Weiss, der Strippenzieher hinter der Dokureihe, ließ auf diese Dokuserie eine weitere Reihe bei Netflix folgen: Die ähnlich schnippisch aufgezogene Produktion Filme - Das waren unsere Kinojahre. Auch dort werden das Zelebrieren von Erfolgsgeschichten und das Erinnern an unschönere oder dramatischere Details vereint, wie "Der Autor von Stirb langsam dachte, seine Ehe zerrüttet und er verursacht jeden Moment einen tödlichen Autounfall, und als sich das als Irrtum herausstellte, fand er in seiner Angst den emotionalen Kern des Films" oder "Ohne Vertragsbruch gäbe es Kevin - Allein zu Haus nicht". Die Publikums- und Pressereaktion auf diese Dokuserie war etwas gespalten, da manchen die juxenden Erzählkommentare und die flippige Aufmachung nicht gefallen hat. Ihnen wäre ein ernsteres Making of der gewählten Filmtitel lieber. Andere mochten die Abwechslung.

Unter Disney-Themenparkfans wird Behind the Attraction sicher ähnliche Reaktionen hervorrufen. Denn Disney+ hat sich Brian Volk-Weiss ins Boot geholt, um sozusagen Disney-Attraktionen - Das waren unsere Themenparkerlebnisse auf die Beine zu stellen. Naja, ganz genau genommen hat Volk-Weiss mit seiner Produktionsfirma Disney+ ein anderes Format gepitcht, doch Disney+ fand seine Idee nur gut, allerdings nicht sehr gut, weshalb man ihn gefragt hat, ob er in seiner üblichen Tonalität nicht etwas über die Disney-Themenparks machen möchte. Volk-Weiss hat sozusagen aus eigenen Stücken ein Ticket für's Boot geholt und bekam dann diesen Posten zugesprochen.

Jedenfalls: Mit Dwayne Johnson als Massentauglichkeit anvisierenden, ausführenden Produzenten und Paget Brewster (DuckTales, Community) als humorvolle Erzählerin im Original schlägt Behind the Attraction eine andere Richtung ein als das tief im Archiv wühlende, kulturhistorisch-journalistische The Imagineering Story von Leslie Iwerks oder das Disney-Werbung betreibende One Day at Disney oder Disney Insider

Mit selbstironischen Spitzen und ständig auf's Gaspedal drückenden Kommentaren aus dem Off (halt im Stile der oben genannten Volk-Weiss-Projekte) vermeidet Behind the Attraction definitiv den Vorwurf, einfach nur Disney-Eigen-PR zu sein. Behind the Attraction könnte auch einfach eine Travel-Channel-Produktion sein, die sich etwas hipper und flippiger verkaufen will als für den Spartensender üblich. Aber dieses "Hach, es geht halt um Themenparks, und wir lieben Themenparks, aber es ist halt ... ein Themenpark ... und nicht tiefdüstere Politgeschichte!"-Spaßelement wird garantiert manchen Leuten auf den Keks gehen. 

Ich dagegen muss sagen: Hey, ist doch super, dass es mehrere Tonalitäten auf Disney+ gibt, um hinter die Disney-Kulissen zu blicken. Liebend gern würde ich eine zweite Staffel des ernsteren The Imagineering Story schauen, wenn ich Disneys PR-Spin sehen will (will ich das?!), schau ich Disney Insider, und Behind the Attraction gestattet weitere Einblicke in die Themenparks und deren Geschichte, aber eher auf eine "MTV der späten 90er, frühen 2000er, komm, hab 'ne gute Zeit und lern dabei, hier, nimm 'nen Keks und hör mal, hier ist 'n Joke!"-Weise.

Oder, in den Worten von Brian Volk-Weiss selbst, der in einer virtuellen Pressekonferenz seine Gedanken zur Show erklären durfte: "Es ist eine spaßige Sendung, die in allererster Linie unterhalten soll. Aber hoffentlich ... um das böse L-Wort zu benutzen, lernt man am Ende auch was."

Zumal: Behind the Attraction nutzt diese flippige Art, um mittels dieser Verpackung dem Publikum Elemente nahe zu bringen, die es nicht unbedingt anfragen würde ... von solchen Fans wie mir mal ausgenommen. Es gibt selbstkritische Auseinandersetzungen mit schlecht gealterten Ideen und Imagineers mit bislang weniger Medienprominenz dürfen ihre Perspektive erläutern und so auch den Hardcore-Fans Neues bieten. Denn was die prominenteste Garde so zu ihren Arbeiten sagt, das weiß das Themenpark-Fandom ja mittlerweile. Aber natürlich kommen auch die zu Wort, schließlich schauen auch "Normalos" rein. Und so reicht die Liste der Interviewpartner:innen von Bob Weis, Jeanette Lomboy, Kim Irvine und Scott Trowbridge bis Tom Fitzgerald und Joe Rohde.

Oder, um Vanessa Hunt vom Walt Disney Imagineering Art Collection Team zu zitieren, die schon mehrere Disney-Sachbücher verfasst hat: "Als ich die Show geschaut habe, war es für mich ein echtes Vergnügen, aus erster Hand die Geschichten meiner Imagineering-Kolleg:innen über Attraktionen zu hören, über die ich dies und das schon wusste." Die Interview-Segmente zu sehen und zu hören und so persönliche Erfahrungsberichte von Imagineers zu bekommen, ist einfach etwas anderes als die knallharten Fakten zu lesen.


Imagineer Dave Durham, der vornehmlich in der frühen Planungsphase kommender Attraktionen tätig ist und schon an Indiana Jones Adventure arbeitete, merkte zudem an, dass er das Format Behind the Attractions so sehr mag, weil so viele Imagineers zur Sprache kommen und darin die ganzen Anekdoten der Öffentlichkeit erzählen können, die sie sich zuvor verkniffen haben.

Ich kann nur hoffen, dass es eine zweite Staffel geben wird. Denn Volk-Weiss, der großer Disney-Fan ist, tat sich schon ungeheuerlich schwer, die Themen der ersten Staffel zu wählen. Am liebsten hätte er allein über Mission to Mars zehn Folgen gemacht, so enthusiastisch geht er an dieses Metier heran, und das merkt man dem Format definitiv an. Wieso also nicht mehr davon? Es gibt noch genügend andere Winkel der Parks zu erkunden!

Die erste Hälfte von Staffel eins geht am 21. Juli 2021 bei Disney+ online, im weiteren Verlauf des Jahres folgen fünf weitere Episoden.

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