Samstag, 8. November 2008

(Ab)Gebildet: Die Maus im Wandel der Zeit

Dieses Jahr zelebriert Micky Maus seinen achtzigsten Geburtstag, und mit ihm feiern Millionen von Kindern, Comicfreunden und Animationsfans. Und natürlich die Walt Disney Company, deren Gründer Walt Disney immer wieder gerne betonte, wir sollen nie vergessen, dass alles mit einer Maus anfing. Darüber mögen die auf bloße Faktenschielenden Disneyhistoriker sicherlich streiten, schließlich erwiesen sich zuvor bereits ein glücklicher Hase und ein durch magische Wunderländer spazierendes Mädchen als recht erfolgreich.
Dabei ist es offensichtlich, was Onkel Walt eigentlich meinte. Das Disney-Erbe, so wie wir es kennen, diese unvergleichliche Erfolgsgeschichte, begann erst nach den Lektionen, die Walt Disney im Streit um Oswald lernte. Erst der von Charles Mintz hintergangene Walt Disney bestand darauf, seine Kreationen vor anderen zu beschützen, und erst dieser Walt Disney brachte Micky Maus in die Kinos. Ein Erfolg, wie es ihn zuvor nie gab. Insofern stimmt Walts Aussage sehr wohl, auch wenn Micky Maus bereits Vorgänger hatte und von späteren Charakteren überflügelt wurde.

Micky katapultierte Walt Disney in ungeahnte Höhen, wurde zu einem weltweiten Symbol für ihn, für den Trickfilm und für Amerika. Er war sein Über-Ich, sein besseres Alter Ego, sowie ein Paradebeispiel für einfache, populäre Zeichenkonzepte. Mickys Silhouette ist unverwechselbar.

Vielleicht ist es gerade diese Bedeutung Mickys, die ihn vor umwälzenden, grafischen Umgestaltungen bewahrte. Während sein steter Konkurrent um die disney'sche Spitzenposition Donald Duck seine Form mehrmals komplett veränderte, blieb Mickys Grundkonstruktion größtenteils unverändert, nur sein Gesicht und seine Garderobe mussten spürbar mit der Zeit gehen.
Gerade durch Mickys optische Einfachheit fallen die (im Vergleich zum Alterungsprozess anderer Cartoonfiguren eher simplen) Veränderungen besonders drastisch auf.

Angesichts des sich nähernden Wiegenfests dieser Zeichentricklegende, möchte ich euch auf eine kleine Zeitreise nehmen: Micky Maus, von damals bis heute.

Die Ur-Maus: Micky in seinem ersten (fertig gestellten) Cartoon, Plane Crazy (1928). Von Ub Iwerks nahezu im Alleingang animiert bedingt sich Mickys Aussehen auch ein wenig aus den Arbeitsbedingungen. Man beachte die Illusion von klassischen, weiß umrundeten Augen mit Pupille in diesem Cartoon, die den Knopfaugen weichen musste.


Mickys Kinodebüt, Steamboat Willie. Die Uraufführung am 18. November 1928 im New York's 79th Street Theatre veränderte die Animationswelt und dieses Bild ist mittlerweile einer der einprägsamsten in der Disney-Geschichte.

Um ihn vom Hintergrund abzuheben, erhält Micky 1929 in The Opry House erstmals die legendären weißen Handschuhe, die (nicht nur) im disney'schen Cartoon-Universum fast alle Non-Ducks tragen.

1935 bekennt Micky in einem seiner besten Cartoons, Das Platzkonzert, erstmals Farbe.

In Micky, der Zauberer (1937) trägt Disneys berühmte Maus Hemd und Anzug. War es damals noch eine Besonderheit, so sollte er sich im Laufe der Jahre daran gewöhnen, schließlich ist es nun seine Alltagskleidung in den Disney-Parks. Woran sich Micky in diesem Cartoon dagegen hoffentlich nicht gewöhnt hat, ist seine Macht über Donald. Denn den wilden Erpel konnte Micky nicht länger in seinen Händen halten.

Mit feinjustierten Ohren, mehr Farbe im Gesicht und neuen Augen präsentierte sich Micky in Pluto, der Jagdhund. Diese von Fred Moore geleitete Änderung von 1939 ist die bislang einschneidenste und langanhaltendste.

Um wieder aus den Schatten seiner Mitstreiter aus dem Disney-Studios treten zu können, darf Micky Maus 1940 im um seinen Auftritt herumgeplanten Fantasia zu Musik von Paul Dukas mit den Kräften des Universums spielen. Wenn auch nur in seinen Träumen.

Als Zauberlehrling darf Micky übrigens auch in der spektakulären Show Fantasmic! auftreten und lange diente der Zauberlehrling als das Maskottchen von Walt Disney Home Video. Und noch heute ist er in dieser Kluft der Wegweiser auf Pariser Autobahnen in Richtung Disneyland Resort Paris.

Der kleine Wirbelwind verwüstete 1941 Minnis Garten. Bei all dem Chaos fielen Mickys Dauerfreundin gar nicht dessen neuen Ohren auf, die sich mit dem Blickwinkel veränderten, statt steif und unverändert herumzustehen, und dank der Colorierung eine bislang nicht verwendete Tiefe erhielten. Das neue Design wurde jedoch nicht sehr alt, die darauffolgenden Cartoons verwendeten es nur sehr unregelmäßig und alsbald verschwand die Idee gänzlich. Als sei sie vom Winde verweht...

Die schmucken Neunziger (1941) zum Beispiel pfiffen auf die Tiefe von Mickys Ohren, beweisen dafür mit Bravour ihre neugewonnene Dynamik.

1947 trat Micky zum zweiten Mal in einem abendfüllenden Trickfilm auf. Fröhlich, Frei, Spaß dabei ging allerdings vor allem deshalb in die Disney-Historie ein, weil Walt Disney den Staffelstab abgab. Seine Stimme verdunkelte sich aufgrund seiner Kettenraucherei zu sehr, als dass er weiter Micky sprechen durfte. So gab es akustisch eine Änderung und Jim MacDonald sprach an Walts Stelle die Disney-Ikone. Walt lieh Micky Jahre später (wohl aus Melancholie) in der TV-Show The Mickey Mouse Club wieder seine Stimme.

1952 führten die Animatoren, angeblich erneut unter Aufsicht des späten Fred Moore, bei Plutos Party Augenbrauen ein. Grauselig, wenn ihr mich fragt..

1983 kehrte Micky auf die große Leinwand zurück. Mickys Weihnachtserzählung ist entgegen weit verbreitetem Irrglauben nicht Wayne Allwines erster Auftritt als Mickys Stimme. Bereits 1977 trat er in der Neuauflage des Mickey Mouse Clubs als Micky in Erscheinung.

1990 gab es den meiner Meinung nach bestaussehndsten Micky-Kurzfilm zu sehen, oder zumindest den am stärksten auf Hochglanz polierten: Der Prinz und der Bettelknabe. Hier durfte Micky mit sich selbst als Drehpartner spielen und den anschließenden Hauptfilm locker in die Tasche stecken.

Die Nachricht, Disney würde das Projekt von regelmäßig produzierten, neuen Cartoons aufgeben, hat Micky wohl nicht so gut verkraftet. (Micky Monstermaus, 1995)

Wieder weitaus weniger plastisch, dafür einfacher und flotter: Neue Micky Maus Geschichten (1999). In der TV-Serie wurden klassische Designs der Figuren mit moderner Spritzigkeit vereint, zu sehr unterschiedlichen Reaktionen unter den Fans.

In Mickys Clubhaus (2001) musste erneut der Anzug ran. Die fesche Idee hinter der Serie wurde durch übermäßiges Recycling alter Cartoons und Filmchen aus Neue Micky Maus Geschichten (!) und zu kurzer Rahmenhandlung gegen die Wand gefahren. So sollen neue Maus-Fans gewonnen werden?

Ein wenig Zeichenstil der späten 30er, ein wenig der frühen 40er: Nostalgisch, sollte er sein, und das war er mitunter auch: Die drei Musketiere (2004). Keine Glanzleistung der Maus-Karriere, aber ein Highlight der letzten Jahre. Ganz im Gegensatz zu...

... Mickys turbulente Weihnachtszeit (auch 2004). Gebt's zu, den Film habt ihr schon völlig verdrängt, nicht wahr? "Wieso", werdet ihr vielleicht fragen, "der sieht doch gar nicht so schlimm aus!" Nun, da sage ich...

...richtig! Die Zwischensequenzen sind ganz niedlich. Die eigentlichen Episoden in diesem direct-to-Video-Episodenfilmchen dagegen sind seelenlos. Wer ist diese uncharmante Porzellanfigur, und warum steht auf dem Cover ihres Films was von Micky Maus?!

Argh, schon gut, schon gut... Hätte ich mich Mal nicht beschwert...
Mit Micky Maus Wunderhaus (2006) erreicht der anscheinend groß in Immobilien investierende Disneystar seinen bisherigen Tiefpunkt: Als dumm grinsender, lebloser Kindergärtnerersatz geistert er durch die Kinderzimmer und soll sich so jüngere Fans aufbauen. Was ist aus der Disney-Philosophie geworden, dass auch Erwachsene Spaß haben sollen? Mit so einem Kinderprogramm begeistert man nur die Zielgruppe, sobald sie aus dem Alter raus ist lehnt sie es als "Kinderkram" ab. Der arme Micky...

In den Themenparks entwickelte sich Micky derweil von diesem schaurigen Gesellen...

...zu einem modern-galantem Conférencier.

In den Comics gewöhnte man sich (vor allem in Europa) über die Jahre an den Hemden tragenden Micky. Der Stil der Geschichten blieb ähnlich vielfältig wie die unterschiedlichen linineführungen der zahllosen Zeichner. Vor allem aber der Abenteurer (nach Vorbild Gottfredsons) und der kluge Detektiv kristallisierten sich als Favoriten heraus.


Dieser Trend führte unter anderem zu Ein Fall für Micky (1994), einer düster-spannenden Krimireihe mit Micky im stilechten Noir-Krimi-Trenchcoat, oder dem Micky Maus Mystery Magazin (1999) aus Italien, das in von Donald mit PkNA vorgelebter Tradition Micky für Jugendliche und Erwachsene interessanter machen sollte, genauso wie der indirekte Nachfolger X-Mickey von 2001. Egmont schlug derweil den entgegengesetzten Weg ein und machte Micky zum (sinnlosen) Jungspund in kurzen Hosen.


Micky wird wohl noch lange ohne feste Identität herumirren, hin- und hergerissen zwischen den verschiedensten Plänen Disneys. Heimatlos ist er fast. Er ist kein Maskottchen, kein bloßes Symbol, doch auch als Kindergärtner ist er fehl am Platze. Und seine Gehversuche im Erwachsenenbereich stehen stets unter einem Damoklesschwert. Vielleicht können Robert Iger und seine Mannen dem bald Achtzigjährigen zu altem Glanz verhelfen...

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Cooler Beitrag. Egmonts "Kaschperlmicky" fand ich aber gar nicht so schlecht, obwohl mir die langen Detektiv-Stories sehr gut gefallen (bin vor allem ein Fan von Paul Murry), aber mich stört es schon immer, dass sich die Disney-Charaktere in den Comics so sehr von ihren bewegten Auftritten unterscheiden. Insbesondere der Ausdruck "TAFKAMM - The Artist Formerly Known As Mickey Mouse" zeigt diese Ignoranz, die die Comic-Fans dem eigentlichen Ursprungsmedium der Figuren an den Tag legen. Wenn dann gilt diese Bezeichnung eher für den Micky, den die Comics aus ihm gemacht haben. Aber erstaunlicherweise zählen die Filme für diese ganzen Barks-Fanatiker nicht und alle Versuche, die "Welten" zu vereinen ("DuckTales") werden genauso abgetan; was ich äußerst unverschämt finde, wenn man bedenkt, dass die Figuren eigentlich und ursprünglich Cartoon- und keine Comic-Figuren waren.

Sir Donnerbold hat gesagt…

Danke für's Lob. Somit steht meinen Plänen "(Ab)Gebildet" zur unregelmäßigen Kolumne zu machen ja nichts mehr im Weg. :-)

Den "Kaschperlmicky" mag ich tatsächlich genauso wenig, wie all seine Feinde in den Disney-Comicforen. Hier war mir Micky zu überdreht und vor allem war es beschwerlich, irgendeine (comic-interne) Logik zu finden. Was mich allerdings enorm störte, war die dadurch entstandene Abneigung gegenüber Mickys alte Hosen. Durch die schlechten Egmont-Geschichten dieser Dekade schliff sich selbst bei den intelligentesten Comicliebhabern gerne eine "Betriebsblindheit" ein, die "Herrn Maus" mit Hemd, Hose und am besten noch Krawatte sehen wollten, und sämtliche kurzhosigen Inkarnationen Mickys verteufelten. Dabei ist es nicht die Kleidung, die das Niveau begründen.

Dass du die weit verbreitete Ignoranz der Comicjünger gegenüber den Cartoons erwähnst finde ich super. Das beobachte ich selbst auch ziemlich oft - zwar passiert das auch sehr oft umgekehrt (Disneyfilme sind Kunst, Comics sind Witzeheftchen), aber das betrifft dann meistens den Vergleich "Meisterwerk - Comic"... Im Bezug auf die klassischen Figuren trifft tatsächlich das von dir besprochene mehr zu. Und es ärgert mich.

Tatsächlich ist das noch Stoff für einen eigenen Beitrag, ein wenig vorgreifen möchte ich aber schon, da du es eh bereits ansprichst. Gerade bei Micky ist das ein ziemlich kniffliger Fall, da ich der Maus zwar Respekt, aber keine Liebe entgegenbringe... Die ganz alten Micky-Cartoons lassen sich am ehesten mit dem "Kaschperl" vergleichen, insofern hast du Recht, wenn du sagst, dass "TAFKAMM" ein ignoranter Ausdruck ist. Allerdings sehe ich die alten S/W-Cartoons auch nicht wirklich als Charakteranimation an. Die ganz frühen Micky-Cartoons sind mit wenigen Ausnahmen allein wegen der kunstvollen Verquickung von Bild und Ton so gut. Das beherrschten die Disney-Studios sehr früh und auf hervorragende Weise. Die Figuren wären meistens jedoch ziemlich austauschbar.

Erst später, als Micky zum "Spießer" wurde, waren die Micky-Cartoons eigenständige und unverkennbare Werke. Und dass so ein (nicht dummer) Spießer in der Comicwelt zum Detektiv wird... ist sicherlich nicht das naheliegendste, doch durchaus plausibel.

Donald dagegen hat (bei den guten Autoren) den Balanceakt geschafft, es ist glaubwürdig, dass der Cartoon-Donald und der Comic-Donald die selbe Person sind.
Umso trauriger, dass die Comicfans oftmals mit Arroganz den "kurzen Spaßfilmchen" gegenüberstehen.

Und zu Micky... Naja...
Mickys Charakter ist sein Fluch und sein Segen, ein Dilemma und der Hauptgrund dafür, dass ich zwar manche Cartoons und Comics mit ihm mag, doch nie mit ihm als Charakter warm werde. Doch ich greife jetzt wirklich zu viel vor.
Dazu folgt nämlich später mehr...

Anonym hat gesagt…

Es sollte vielleicht nicht unerwähnt bleiben das sich beim Freizeitpark-Mickey mit der Zeit die Zahl der Finger verringerte ;)

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