Mittwoch, 30. September 2015

Alles steht Kopf


Irgendein Sommertag. Irgendwo in Deutschland. Zu irgendeiner Uhrzeit spätnachts. Telefongeklingel. Schlechte Neuigkeiten brechen drein. Darauf kann man keine Tagesform aufbauen! Auch nach mehrmaligem Beteuern meines Umfelds, ich dürfte nun traurig sein, ich sollte traurig sein, ich müsste traurig sein ... Ist dem nicht so. Angst verspüre ich auch nicht. Und Ekel sowieso nicht. So verquer, mich über eine nach allen Maßstäben unserer Gesellschaft als schlecht markierte Nachricht zu freuen, bin ich aber auch nicht. Ich bin ... ruhig, fast apathisch.

"Na, klasse ...", stöhne ich nach einigen Stunden in einem kurzen Anflug von Gefühlsleben mit zynischer Gedankenstimme auf. "Beste Voraussetzungen, um in einen Tag zu starten, der mit einem Pixar-Film über Emotionen endet ..."

Die Stimmen in meinem Kopf
Der Film, von dem die Rede ist, ist natürlich Alles steht Kopf, der zu besagtem Zeitpunkt noch weit von seinem Deutschlandstart entfernt ist. Doch frühem Lob aus Übersee sei Dank wusste ich, dass mich etwas Sehenswertes erwartet. Und aufgrund meiner Tätigkeit als Filmkritiker durfte ich mich schon mit stattlichem Vorlauf über eine Vorführung freuen. Naja, "freuen" blieb letztlich auf die Theorie beschränkt, denn ich konnte emotional gar nichts mehr mit mir anfangen. Zunächst, weil ich nach dem ersten Schockmoment unverhofft ruhig blieb. Und dann, weil mich meine Besonnenheit verwirrte. Müsste ich nun nicht aufgewühlt sein? Nein. "Gefühle haben heute Urlaub", schien die Devise. Was mich, ohne dass ich es geahnt habe, in eine ähnliche Position brachte, wie die kleine Riley aus Pixars 15. abendfüllenden Trickfilm. Nicht, dass auch sie nachts mit schlechten Nachrichten wachgeklingelt wurde. Aber auch sie wird in den Beginn eines neuen Lebensabschnitts geschubst. Und reagiert daraufhin nicht wie von ihr gewohnt ...

Riley ist eine verspielte, stets gut gelaunte, alberne Elfjährige. In der Schaltzentrale inmitten ihres Verstands hat dementsprechend Freude (engl. Stimme: Amy Poehler, dt. Stimme: Nana Spier) das Sagen. Die quirlige Emotion ist unentwegt darauf bedacht, dass Riley Grund zum Lachen hat. Daher lässt sie nur selten und für kurze Zeit ihre Kollegen ans Schaltpult. Etwa Wut (Lewis Black / Hans-Joachim Heist), der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Riley aufschreien zu lassen, wenn ihr Ungerechtigkeit widerfährt. Angst (Bill Hader / Olaf Schubert) hingegen ist insbesondere um Rileys Sicherheit bessorgt, während Ekel (Mindy Kaling / Tanya Kahana) alles ablehnt, was das Mädchen vergiften könnte. Ob nun aus gesundheitlicher oder sozialer Sicht. Während sich Freude halbwegs mit diesen drei Emotionen arrangieren kann, ist ihr Kummer (Phyllis Smith / Philine Peters-Arnolds) ein Rätsel auf zwei Beinen. Wann immer sie sich in Rileys Befinden einmischt, will Freude dies schnellstmöglich rückgängig machen. Ein völlig misslungener Umzug überfrachtet Riley mit derart vielen neuen Eindrücken, dass in der Schaltzentrale alles völlig aus dem Ruder läuft. Als sogar persönlichkeitsbildende Erinnerungen von der misslichen Lage betroffen sind, will Freude Konsequenzen ziehen, die ihr Können übersteigen. Dies löst eine Kette von Missgeschicken aus, die Freude und Kummer aus der Schaltzentrale katapultiert und in gänzlich anderen Winkeln von Rileys Verstand landen lässt. Daraufhin müssen sich die weiteren Emotionen im Alleingang darum kümmern, die Elfjährige durch den neuen, noch fremden Alltag zu manövrieren. So beginnt für die schwer kompatiblen Kolleginnen Freude und Kummer ein unbeschreibliches Abenteuer in den Windungen des Bewusstseins. Und wie ergeht es Riley in der Zwischenzeit, so ganz ohne die Fähigkeit, glücklich oder traurig zu sein ..?

Emotionen stehen Kopf
Es dürfte außer Frage stehen, dass die neue Regiearbeit von Oben-Regisseur Pete Docter bei mir offene Türen eingerannt hat: Nach einem Tag der Apathie auf der großen Leinwand in kräftigen Farben und kristallklarem 3D Emotionen in Aktion zu erleben, wie sie nicht nur sie selbst sind, sondern auch miteinander umzugehen lernen, war, als sei ein Knoten geplatzt. Ich erlaubte mir, meinen Zustand der Überraschung zu verlassen und wieder zu lachen. Und, wie es mir als passioniertem Fan bei den ganz großen Animationsfilmen gelegentlich passiert, vor Rührung ob der genialen Ideen und ästhetischen Bilder vor mich hinzuschmelzen. Und natürlich hatten nicht nur die Themen von Alles steht Kopf solch einen mitreißenden Effekt auf mich. Sondern auch, wie das Pixar-Storyteam sie in eine Geschichte packt, die zu gleichen Teilen Abenteuer, Ensemble-Situationskomödie und fantasievolle Emotionsachterbahn darstellt. Man darf Freude ob ihres Optimismus bewundern und wegen ihrer miesen Behandlung von Kummer den Kopf schütteln. Mit Kummer Mitleid haben, sich aber über ihre planlose Selbsteinschätzung ärgern. Und es gibt noch so viel mehr zu durchleben ...

Warum berichte ich euch an dieser Stelle überhaupt davon? Nun, wir alle haben wohl so eine Situation durchgemacht: Ab einem gewissen Alter können wir alle wohl davon berichten, dass wir in einer Lage waren, in der wir nicht die Emotionen durchlaufen haben, die unser Umfeld von uns erwartet. Oder die wir von uns selbst erwartet haben. Doch das muss nicht schlimm sein!

Ja, schon auf der Oberfläche berichten die Pixar-Künstler in Alles steht Kopf von einer wertvollen Lektion: Ständig Kummer zu unterdrücken, nur um Fröhlichkeit vorzutäuschen, ist keine ergiebige Lebenseinstellung. Das ist eine Erkenntnis, die in unserer Gesellschaft, die jeden Anflug von Trübsinn sofort verurteilt, von großem Gewicht. Man täte Pete Docter und seinem Team aber Unrecht, den Film darauf zu beschränken. Allgemein gesprochen handelt er nämlich davon, dass es uns nur gut tun kann, wenn wir lernen, ehrlich mit unseren Emotionen umzugehen. Dazu zählt natürlich, zu trauern, wenn sich der Kummer meldet. Aber genauso wenig ist es gesund, sich einzureden, nicht fröhlich sein zu dürfen, wenn man einsieht, mit einer Entwicklung unerwartet zufrieden zu sein. Womit sich kurioserweise die Brücke zurück zu Pixars vorhergegangene Produktion Die Monster Uni schlagen lässt, die aussagt: Manchmal kommt es anders als man denkt, doch auch Umwege können einen erfreuen.

Und, was ich ebenfalls bezeugen kann: Alles steht Kopf funktioniert im emotionalen Ausnahmezustand genauso gut wie im emotionalen Alltag. Als ich den Film zum zweiten Mal sehen durfte, dieses Mal in der makellosen Synchronfassung, war "mein Tagesthema" der ersten Vorführung längst abgehakt, geklärt, verarbeitet und meine generelle Tagesform so, wie sie meistens ist. Aber aufgemerkt: Selbst ohne den entsprechenden "Das ist gerade alles so relevant!"-Bonus brillierte der Geniestreich so sehr wie noch bei der Erstsichtung.


Die Wissenschaft der Vorstellungskraft
Was das Thema von Alles steht Kopf so besonders macht, ist das Paradoxe an seiner Thematik: Einerseits ist es der Pixar-Film, der unserem Alltag am nächsten ist – denn es geht um menschliche Gefühle, also um etwas, das uns tagtäglich, im Grunde genommen sogar in jeder einzelnen Minute begegnet. Andererseits ist das grundlegende Setting dieser Produktion ferner von unserer Realität, als alles, was Pixar bislang in die Lichtspielhäuser gebracht hat. Die Toy Story-Filme spielen in Kinderzimmern, Spielwarengeschäften und Kindertagesstätten. Das große Krabbeln auf einer Wiese, die Monster-Filme sowie Die Unglaublichen in abgewandelten Formen unserer Großstädte, Findet Nemo im Meer, Ratatouille in Paris, die Cars-Filme in den staubigen Staaten der USA und in weiteren Großstadt-Abwandlungen, Oben im Dschungel, Merida in den Highlands. Und mit gewaltigen Mülldeponien und einem gigantischen Raumschiff, das wie eine Luxuskreuzfahrt verkauft wird, hat selbst WALL•E Referenzpunkte aus der realen Welt. Das Innere des Verstands hingegen ist kein Ort, den wir besuchen können oder von Fotografien kennen. Das Gros der Schauplätze und Figuren von Alles steht Kopf musste daher von Grund auf durch die Produktions- und Figurengestalter der Traumfabrik aus Emeryville erdacht werden.

Abgesehen davon, dass letztlich sehr wohl intensive wissenschaftliche Recherchearbeit vonnöten war. Denn wir alle haben Gedanken, Träume und Gefühle, so dass wir als Betrachter des Films auch ohne Psychologie-Abschluss wenigstens unterbewusst mitbekommen würden, wenn Alles steht Kopf die Funktionsweise unseres Innenlebens zu frei interpretiert. Plausibilität und Beobachtungen, die auf Erfahrung und wissenschaftlich fundierte Thesen stützen, sind daher auch in Pixars 15. Langfilm unerlässlich. Eben dieses komplexe Spannungsfeld aus Fakt und künstlerischer Freiheit schafft enormes Potential für ein faszinierendes Animationserlebnis – und Docter sowie sein Ko-Regisseur Ronnie Del Carmen schöpfen wirklich aus dem Vollen, um diesem Potential gerecht zu werden.

So werden in der Psychologie verschiedene Modelle vertreten, wie viele Emotionen wir Menschen empfinden können, wobei der auf Emotionalität spezialisierte Psychologe Paul Ekman eine grundlegende Sechsergruppe ausmacht: Die fünf, auf die sich das Pixar-Team begrenzt hat, sowie Überraschung. Obwohl Pixar Ekman zu Rate gezogen hat, wurde aus Gründen der Erzählökonomie diese Emotion gestrichen – es war schlichte eine Figur zu viel, zumal in der Handlungsentwicklung jede einzelne der fünf restlichen Emotionen die Position von Überraschung einnehmen kann. Von einem weiteren Berater lernten die Pixar-Macher drei der wichtigsten Lektionen zum Thema Gefühlsleben, die ihren Film in eine neue Richtung gelenkt haben: Kummer hilft, Bindungen zu festigen. Erinnerungen sind emotional aufgeladen und können sich entsprechend ändern. Und: Jede Emotion ist gleichberechtigt. Es gibt keine „schlechten“ Gefühle, sondern nur schlechtes Ausleben seiner Emotionen.

Dennoch vereinfachten sie gewisse Aspekte, um sie im Dienste der Story leichter begreifbar zu machen. So wurden Docter und seinen Kollegen darauf geeicht, Erinnerungen wie Kopien zu betrachten: Wann immer wir uns erinnern, wird eine neue Kopie gemacht und die vorläufige Version zerstört. Dies ließe sich zwar filmisch darstellen, hat aber weder die Entwicklung des Konzepts vorangetragen, noch räsoniert es mit der gesellschaftlich empfundenen „Wahrheit“, Erinnerungen seien wertvolle, zerbrechliche Dinge. So nahmen sie letztlich die Gestalt von Glaskugeln an – wunderbar unterstrichen durch das Sounddesign von Ren Klyce, der einem bei jedem Sturz durch scheppernde Geräusche eine Angst einjagt, sie könnten nun kaputt gehen. Die Gefahr des Verfälschens oder Verblassen der Erinnerungen wird inhaltlich dennoch angerissen und auch visuell eindrucksvoll vermittelt, so dass Alles steht Kopf auch in dieser Hinsicht nah genug an den Fakten ist, um die bezaubernde Fiktion glaubwürdig zu verankern.

Überhaupt brilliert das Produktionsdesign von Ralph Eggleston mit schier endlosen Momenten, die man perfekt beschreiben könnte als: „Darauf wäre ich nie gekommen, aber: Na klar, natürlich würde es so aussehen!“ Wie etwa die Kommandozentrale, in der die Emotionen das Geschehen beobachten und durch Berührung des Pults Riley eine emotionale Einfärbung geben können – oder durch weitere Schalter, Knüppel und Mechanismen auch Tagträume oder Erinnerungen hervorrufen. Oder das Langzeitgedächtnis inklusive Persönlichkeitsinseln, die durch sogenannte, starke Kernerinnerungen betrieben werden: Mary Blair trifft Apple-Chic, also kindlich-fantasievoll trifft intuitive Funktionalität. Das sieht nicht nur spitze aus, sondern ist auch einleuchtend – und wird mit zahllosen kleinen, cleveren Überraschungen zum Leben erweckt. Hinzu kommt, dass Lichtsetzung und Kameraarbeit innerhalb von Rileys Verstand an Filme der Goldenen Ära Hollywoods angelehnt sind, während entsättigte Farben und eine freier schwebende Kamera die Außenwelt-Sequenzen subtil „alltäglicher“ aussehen lassen. Einfach genial!

Emotionen zum Liebhaben
Die Figuren sind ungeheuerlich sympathisch geraten – und gerade Freude und Kummer haben aber zudem einige Ecken und Kanten, die für Reibung und somit zusätzliche Spannung sorgen. Dass Kummer immerzu neugierig/ahnungslos Erinnerungen und Schalter anfasst, lässt das Publikum zunächst auf Freudes Seite stehen – bis klar wird, wie sehr Kummer der Möglichkeit beraubt wird, ihrer Aufgabe nachzugehen. Auf der anderen Seite ist Freudes Optimismus beneidenswert und ihre Intention, Riley stets glücklich zu machen rein oberflächlich betrachtet die beste Absicht. Allerdings ist ihr vehementes Unterdrücken Freudes wenig vorbildlich. So ist das Geschehen in Rileys Kopf viel abwechslungsreicher und mitnehmender, als reagierten die personifizierten Emotionen unentwegt einseitig. Auch Wut, Ekel und Angst weichen gelegentlich von ihrer Standardnote ab und zeigen sich stolz, kooperativ oder amüsiert, was zumeist für hervorragend sitzende Dialog- und Situationskomik genutzt wird. Diese verwirklichen die Animatoren, ganz Pixar-unytpisch, mit sehr cartoonhaften Bewegungen: Die Emotionen, vor allem Angst, dehnen und biegen sich zu einem äußerst überhöhten Maß und wecken in Slapstickmomenten somit Erinnerungen an den wild-frenetischen Spaß von Chuck Jones oder Tex Avery, während der charaktergesteuerte Humor an die graziöse Linienführung von Milt Kahl und plausibel-karikaturenhafte Dynamik des Goofy-Meisters John Sibley erinnern.

Dahingehend passt es auch, dass die emotionalen Stimmen in unseren Köpfen für Pixar keine simplen Menschlein sind, sondern originelle Fantasiegeschöpfe, die sich dennoch „echt“ anfühlen. Die Charakterdesigner Albert Lozano und Chris Sasaki haben mit diesen Gestalten den Nagel auf den Kopf getroffen, und vermengen ikonografische Vorstellungen dieser Gefühle – etwa das Hitzige an Wut – mit unverbrauchten Details, so dass man sagen könnte: Sie erinnern uns an Etwas, das wir noch nie gesehen haben. Etwas betörend schönes, sollte mnn hinzufügen: Die herumschwebenden Partikel, insbesondere um Freude herum, brechen das übliche Design der Traumfabrik Pixar auf, lassen es so aussehen, als hätten Kreidemalereien das Laufen gelernt. Bloß, dass diesen Malereien ein inneres Glühen verliehen wurde, das so nur mit der Computertechnologie machbar ist. Rileys imaginärer Freund Bing-Bong derweil ist ein bunter Zuckerwatte-Tiermix, der wie ein arbeitsloser Stummfilmdarsteller durch ihr Bewusstsein schlendert – und sich vom Kuriosum zur Comedy-Goldmine zum heimlichen Helden des Films aufschwingt.

Zu guter Letzt werden die abenteuerlichen, geistreichen und lustigen sowie zuweilen aufwühlenden Erlebnisse dieser unvergesslichen Figuren von ebenso unvergesslichen Melodien begleitet: Oscar-Preisträger Michael Giacchino vermengt seine typische Percussionarbeit mit jazzigen Elementen, einem simplen, wiederkehrenden und sich sanft um einen schmiegenden Pianostück und spielerischen, spaßigen Elementen. Das Ergebnis ist ein wunderbarer Score, der selbst den zu Oben alt aussehen lässt!

Fazit: Albert Lozano und Chris Sasaki. Ganz gleich, ob Alles steht Kopf einen wachrüttelt, einfach nur bespaßt oder zum Nachdenken bringt: Pete Docter ist es gelungen, der großen Ruhmeshalle an Pixar-Produktionen einen weiteren modernen Klassiker hinzuzufügen!

Samstag, 26. September 2015

Thor – The Dark Kingdom



Thor, oh Thor … Was machen wir nur mit Thor? Obwohl Marvels Gott des Donners eine wundervolle Ergänzung der Leinwand-Avengers darstellt, bleiben die ersten beiden Solofilme über den Mann mit dem magischen Hammer hinter ihren Möglichkeiten zurück. Zwar würde ich sowohl Thor als auch Thor – The Dark Kingdom den ersten beiden Iron Man-Filmen jederzeit vorziehen, allerdings ist bei ihnen noch so viel Luft nach oben drin. Vor allem der zweite Kinoeinsatz des nordischen Hünen könnte meilenweit am Erstling vorbeifliegen – statt sich nur knapp an ihm vorbei zu scherzen. Nachdem die vom Australier Chris Hemsworth verkörperte Comicvariante des muskulösen Gottes in ihrem gleichnamigen Kinodebüt noch vor eher überschaubarer Kulisse agierte, spendierten ihm die Marvel Studios mit Thor – The Dark Kingdom immerhin ein Kinoabenteuer mit einer ihm gebührenden Bandbreite.

Selbst wenn die Devise „Größer, schneller, weiter“ bei Fortsetzungen nicht immer zum Erfolg führt, so ist die in diesem Sci-Fi-Fantasyspektakel gebotene intergalaktische Hetzjagd ein Storykonstrukt, das Thor stattlichem Ego und seiner schillernden Götterwelt genügend Raum gibt, sich zu entfalten. Daher hat das Sequel ideale Startvoraussetzungen, um den weitestgehend in den Adelskammern Asgards und einer winzigen US-Wüstenstadt spielenden ersten Teil auszuschmücken. Doch in der Umsetzung bleiben leider nur der punktende Dialoghumor sowie die treffende Situationskomik jene Aspekte in denen Thor – The Dark Kingdomzu Höchstform aufläuft. Der Sci-Fi-Fantasyaspekt hingegen wird über weite Strecken nur ungenügend ausgereicht. Von kleinen Lichtblicken abgesehen ist es erst das turbulente, erfrischende Finale, das endlich unterstreicht, zu was Marvels launige Götterwelt in Sachen Action und Abenteuer fähig ist. Aber der Reihe nach …

All die düsteren Machenschaften, die Loki (Tom Hiddleston) in Thor und Marvel's The Avengers auszuüben versuchte, haben Thor und seinen kämpferischen Vertrauten in ihrer Heimat Asgard sowie in den benachbarten Reichen allerlei Scherereien eingebrockt. Doch immerhin haben die ständigen Gefechte Thor zu einem hellsichtigen Kämpfer und Anführer heranwachsen lassen, der Göttervater Odin zu Recht stolz macht. Thors charakterliche Fortschritte kommen auch keinesfalls zu früh, denn durch eine sich anbahnende Sternenkonstellation schlägt für den ältesten Feind Asgards der perfekte Zeitpunkt für grausame Rache: Malakeith (Christopher Eccleston), der Anführer der diabolischen Dunkelelfen, hat nach Tausenden von Jahren wieder die Chance, an eine mächtige Waffe zu gelangen, welche das gesamte Universum in einen unwirtlichen Ort verwandeln würde.

Um diese Bedrohung abzuwenden, hat Thor eine gefährliche Mission zu erfüllen, die ihn quer durch die Neun Reiche führt, und aufgrund der er auf seine große Liebe, die Astrophysikerin Jane Foster (Natalie Portman), trifft sowie gemeinsame Sache mit seinem Adoptivbruder Loki machen muss …

Obwohl die Drehbuchautoren Christopher Yost, Christopher Markus und Stephen McFeely der Weltenbildung viel Platz bieten, scheitert dieses Marvel-Abenteuer daran, Thors Universum neues Leben einzuhauchen. Der Kernplot um die von Malakeith und seinen Dunkelelfen ausgehende Bedrohung wächst nie über ihren Status als grobes Fundament für das weltenübergreifende Heldenabenteuer hinaus. Der von Odin erzählte Prolog schleppt sich oberflächlich daher, und da der Göttervater die knappen Informationen über die Helligkeit hassenden Fieslinge im späteren Verlauf des Films noch einmal wiederholt, wirkt der Einstieg in den Film nicht nur lahm, sondern auch unnötig. Wenn Odin seinem Sohn und der von einer schwer zu fassenden Macht erfüllten Jane den Hintergrund Malakeiths mittels eines sich bewegenden Asgard-Sagenbuchs nacherzählt, ist dies narrativ ökonomisch gehalten und visuell interessant. Das Gebotene genügt zwar nicht, um den Schurken Profil zu geben, jedoch wäre es genug, um den Plot zu rechtfertigen. Wenn schon die Charakterisierung der Dunkelelfen misslungen ist, oder einfach keinen Vorrang hatte, so wäre ich völlig zufrieden damit gewesen, auf den Prolog zu verzichten, so lange der Film die Sagenbuch-Passage beinhaltet. Dass Ecclestone und Lost-Darsteller Adewale Akinnuoye-Agbaje als sein Handlanger vor diesem Hintergrund keinerlei Eindruck hinterlassen, ist da leider selbstredend.

Trotzdem: Sobald alle Motivationen erklärt und die wichtigsten Begriffe, Orte sowie Gegenstände eingeführt sind, entsteht genügend Raum für coole Actionmomente sowie urkomische Comedysequenzen. Auch die Interaktion zwischen den bereits aus dem Erstling bekannten Figuren, vor allem sämtliche Szenen mit Loki, wissen zu unterhalten. Somit gelingt es, die verstaubte „Ein uralter Feind will zurückschlagen“-Handlung der aufwändigen Marvel-Produktion trotz mancher Längen vergnüglich zu gestalten. Denn während Malakeith als Gefahr für lange Zeit kaum greifbar bleibt und einen recht blassen, dünn charakterisierten Widersacher darstellt, sind die von seinem Handeln beeinflussten einzelnen Passagen in Thor – The Dark Kingdom so pointiert, dass Alan Taylors Abstecher in Marvels Kinouniversum in seinen Höhepunkten klar am ersten Teil des Sub-Franchises über Asgard vorbeiziehen lassen.

So dürfte es die Fans des verfeindeten Adoptivbrüder-Gespanns Thor/Loki erfreuen, dass ihre Beziehung zueinander komplexer gezeichnet wird als im zwar gut gespielten, doch diesbezüglich eindimensionalen ersten Teil. Hemsworth und Hiddleston haben dieses Mal weit mehr Gelegenheit, Hoffnungsschimmer aufblitzen zu lassen und so die vergiftete Dynamik zwischen ihren Figuren aufzuhellen. Umso schwerer treffen dafür dann die harschen Betrügereien Lokis oder auch Thors lautstark vorgetragene Distanzierung von seinem Adoptivbruder. Gestützt wird der Subplot rund um die göttlichen Gebrüder dadurch, dass Thor – The Dark Kingdom vermehrt auch beleuchtet, wie Odin (routiniert: Anthony Hopkins) und seine Frau Frigga (Rene Russo) zu den Brüdern stehen.

Unterdessen verlässt sich die Liebesbeziehung zwischen Jane und Thor zwar zu großen Teilen auf die im Vorgänger aufgebaute Leinwandchemie Portmans und Hemsworths, doch der gesunkene Anteil an überzeugenden romantischen Momenten ist leicht zu verschmerzen. Denn dafür baut diese Fortsetzung das humorige Geplänkel zwischen ihnen aus, das sich die beiden Figuren schon im ersten Teil leisteten. Mit kleinen Eifersüchteleien erlaubt der Film den Darstellern, ihr fantastisches komödiantisches Timing für ausführliche Screwball-Momente zu nutzen. Neben den herrlichen Neckereien von Thor und Jane besticht auch wieder die von Sitcomstar Kat Dennings gespielte Physikpraktikantin Darcy mit spitzer Zunge und launigen Kommentaren zum Geschehen.

Der starke Comedyaspekt des Films umfasst des Weiteren Nebendarsteller Stellan Skarsgård sowie die feschen Referenzen auf den Marvel-Kosmos. Die größte Überraschung dürfte derweil der gekonnt Effektbombast mit comichaftem Slapstick vereinende Schlussakt sein, in dem die Figuren quer durchs Universum reisen und dabei auf äußerst witzige Weise mit den Regeln der Physik spielen. Die Action ist im Finale bunt, rasant und einfallsreich und somit ein gekonnter Kontrast zu den in einem rustikal-dreckigen Look gehaltenen Scharmützeln, die Alan Taylor in den ersten zwei Dritteln von Thor – The Dark Kingdom zeigt und die die verrückte Mythologie von Marvels Thor effektiv erden. Und trotz allem Bombast ist die Portal-Raserei zudem eine willkommene, witzige Abwechslung von den zuvor gebotenen Marvel-Finalkämpfen.


Zwar hätte der von Komponist Brian Tyler (Iron Man 3) melodisch, aber nicht abwechslungsreich genug untermalte Film eine weitere Drehbuchrevision vertragen, um ins Leere laufende Mini-Handlungsstränge zu eliminieren und den Einstieg zu stärken. Dennoch bietet Thor – The Dark Kingdom spaßiges Popcornkino, das dass Marvel-Kinouniversum sinnvoll erweitert. Die dramatischen Momente zwischen Thor und Loki sind toll gespielt, der Dialoghumor sitzt und im Finale liefert die Produktion Schauwerte sowie Gags am laufenden Band. Außerdem bereitet der Film das Publikum gemächlich auf den anstehenden Space-Irrsinn vor, den Marvel noch in petto hat. Schade, dass bei all dem Hin und Her das 3D so kontrastarm ist – gerade das Finale und die Raumschiffattacke auf Asgard hätten ein scharfes 3D-Erlebnis verdient gehabt.

Freitag, 25. September 2015

Freitag der Karibik #19

Flashmobs sind zwar, meines Wissens nach, auch wieder Schnee von gestern. Aber zum Ausklang der Woche gönne ich mir einen He's a Pirate-Flashmob. Und ihr so?

Samstag, 19. September 2015

Freitag der Karibik #18


Ahoi, ihr dreckigen Seeräuber! Ihr wundert euch sicher, wieso meine Rubrik "Freitag der Karibik" dieses Mal an einem Samstag in See sticht?! Ganz einfach: Heute ist ein ganz besonderer Tag, und ihm zu Ehren muss ich einfach mal mit den Regeln brecken! Denn heute ist Talk Like A Pirate Day!

Und weil Talk Like A Pirate Day ist, möchte ich die heutige Ausgabe dieser kleinen, feinen Rubrik der Figur widmen, die das seeerfahrenste Vokabular in der gesamten Pirates of the Caribbean-Saga hat. Die Rede ist weder von Käpt'n Jack Sparrow, noch von Barbossa, nicht einmal von Davy Jones sondern von ... Cottons Papagei. Und diese Antwort sollte wohl niemanden überraschen, bedenkt man, wer hier das Titelbild ziert.

Dass Cottons Papagei ausschließlich in Seemanns- und Piraten-Sprech kommuniziert, hat dem bunt gefiederten Tier jedoch auch einen anderen Titel eingebracht: Es ist die Figur, mit der sich die Autoren Ted Elliott und Terry Rossio beim Schreiben der Fortsetzungen am meisten schwer getan haben. Wie Elliott in einem Interview mit Box Office Mojo erklärte, wurde der Papagei, den sie im ersten Teil noch als pfiffige Idee genossen haben, bei Am Ende der Welt zu einer "Last". Weiter sagt er, dass er die Figur darstellt, für die das Schreiben letzten Endes anstrengend wurde:

"Cottons Papagei muss ausdrücken, was in Cottons Kopf vorgeht, und dies ausschließlich in nautischen Klischees oder in Fachjargon. Und dann kommst du an den Punkt, an dem du Cotton und seinen Papagei in einer Szene benötigst, aber du bereits 'Wind in deinen Segeln' und 'Alle von Bord, alle von Bord!' benutzt hast und du dich nicht wiederholen möchtest. Er war eine großartige Idee im ersten Film. Im dritten lassen wir ihn ganz bewusst davonflattern, bevor der Mahlstrom beginnt, und ihn erst danach zurückkehren."

Da haben wir es. Wer nur in Piratenjargon spricht, wird über die Planke geschickt!

In diesem Sinne: Trinkt zur Feier des Tages 'ne Buddel voll Rum und lernt nebenher etwas Landrattensprache!

Dienstag, 15. September 2015

Der Trailer zu Disneys "Dschungelbuch"-Remake ist da!



Das ist er also, der vorab für einigen Wirbel sorgende, erste Ausblick auf Jon Favreaus Das Dschungelbuch. Auf der D23 Expo wurde eine längere Vorschau auf das Remake von Standing Ovations begrüßt, weshalb die Erwartungen auf diesen Trailer im Disney-Fandom ziemlich hoch waren. Umso frustrierender war es, dass Disney den Trailer zunächst für Montag ankündigte, sich dann aber auf Sneak Peaks in der ABC-Morningshow Good Morning, America beschränkte.

Ob diese Anspannung erzeugende Hinhaltetaktik eine gute Entscheidung war, wird sich wohl noch zeigen. Was aber schon jetzt ersichtlich ist: Disney versucht, diesen Film bewusst nicht als das nächste Familien-Event der Marke Cinderella zu positionieren. Und so auch eine größere Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des Zeichentrickfilms und des Remakes zu erzeugen. Während die beiden großen Cinderella-Filme Disneys in eine ähnliche Kerbe schlagen, distanziert sich dieser Trailer mit Nachdruck vom Klassiker aus dem Jahr 1967, um stattdessen ein actionreiches Abenteuer zu versprechen.

Dies zeigt sich allein schon daran, welche Referenztitel herangezogen werden: Dass Jon Favreau als "Der Regisseur von Iron Man" tituliert wird, ist wenig verwunderlich, da dies Favreaus populärste Arbeit ist. Dass aber Disney als "Das Studio, das euch Pirates of the Caribbean gebracht hat" bezeichnet wird, stellt überdeutlich eine Ausnahmesituation dar. Doch bei der schieren Masse an rasanten Dschungelabenteuern, durch die sich Mogli im Trailer schlägt, und den vielen angedeuteten Tier-gegen-Tier-Kämpfen passt dieser Vergleich. Welchen Film hätte man stattdessen nehmen sollen? Beverly Hills Chihuahua?

Favreau selbst sieht den Tonfall des Films übrigens "zwischen dem Animationsklassiker und einem modernen Action-Abenteuerklassiker".Vielleicht zeigt der nächste Trailer ja mehr von Balus Gemütlichkeit.

Wie findet ihr den Trailer? Macht er euch Lust, am 14. April ins Kino zu stürmen?

Montag, 14. September 2015

Iron Man 3



Es ist leicht, von Joss Whedons filmischer Achterbahnfahrt Marvel's The Avengers euphorisiert, nur das Beste von Robert Downey juniors einträglichster Rolle zu erwarten. Das große Zusammentreffen der Superhelden war immerhin in allen Belangen ein Volltreffer. Comicfans feierten, dass die aufwändige Kinoproduktion die Atmosphäre der populären Marvel-Bildergeschichten perfekt einfing, die große Masse an Kinogängern ließ sich vom spaßig-spannenden Abenteuern mitreißen, selbst der Feuilleton hatte dank der charakterbasierten (und charakterstarken) Action seine Freude am Popcorn-Filmspaß. Der Lohn: Ein weltweites Einspielergebnis von einer 1,5158 Milliarden Dollar! Das bedeutete seinerzeit Platz drei der ewigen Kino-Hitliste, was wiederum den hinter Marvel stehenden Disney-Konzern in Freudentaumel versetzt haben dürfte.

Von der Avengers-Euphorie geblendet, vergisst man jedoch schnell, dass Iron Mans vergangener Solo-Leinwandausflug bereits seinerzeit eine leichte Enttäuschung darstellte, und dass er vom Zahn der Zeit recht arg zersetzt wurde. Zwar ist Iron Man 2 reich an Ideen, allerdings krankt er an einer sehr holprigen Dramaturgie, sprunghaften Charakterisierungen und, je nach Standpunkt, einer Überdosis Marvel-Universenbildung oder an unzureichender Leinwandzeit für seine Nebenfiguren. Doch egal, ob Black Widow, Nick Fury und Co. zu kurz zu sehen waren, um sie zu einem essentiellen Teil der Handlung aufzubauen, oder ob sie bereits zu viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben … Entscheidend ist: Drei weitere Einträge ins „Marvel Cinematic Universe“ später erstrahlen die Iron Man 2-Momente abseits des Titelhelden nicht in einem besseren Licht, sondern wirken nur noch hölzerner und forcierter, da wir vorgeführt bekamen, wie gut das breite Marvel-Filmuniversum stattdessen beleuchtet werden kann, ohne die zentrale Story aus den Augen zu verlieren.

Der Druck auf Iron Man 3 ist also enorm: Es ist der erste Marvel-Film nach The Avengers und somit in klarer Bringschuld, das Superheldenuniversum sinnig weiterzuspinnen. Gleichwohl wird ein gelungenes Einzelabenteuer des Milliardärs, Playboys und Superhelden Tony Stark erwartet, das sich von den Iron Man 2-Patzern distanziert. Beide Ziele zugleich zu erreichen, erscheint nahezu unmöglich, sind sie doch geradezu entgegengesetzter Natur. Umso bezahlter macht sich das Wagnis der Marvel Studios, nach zwei Iron Man-Filmen das Kreativteam auszutauschen und das Schicksal der Filmreihe in die Hände von Shane Black zu legen, der als Co-Autor und Regisseur ordentlich das Ruder herumreißt. Black inszenierte zuvor zwar einzig und allein eine günstig produzierte Actionkomödie, doch diese ist immerhin die virtuose Film-noir-Hommage und Action-Parodie Kiss Kiss Bang Bang. Wenn jemand weiß, wie man einer filmischen Tradition treu bleiben kann und sie gleichzeitig neu erfindet, dann Black.

Wie Weihnachten und Sommerferien gleichzeitig
Shane Black und sein Co-Autor Drew Pearce lassen sich allerhand einfallen, um den Erwartungen an Iron Man 3 gerecht zu werden und mit ihnen im selben Zug gekonnt zu spielen. So zeigen sie Tony Stark (Robert Downey junior) als psychisch deutlich von den Ereignissen in The Avengers gezeichnet – das Supergenie erkennt erstmals die Grenzen seines Wissens und Könnens, was seinem Nervenkostüm schwer zu schaffen macht. Der frühere Waffenhersteller leidet unter Panikattacken und verkriecht sich in seiner Werkstatt, wo er ununterbrochen an neuen, schnelleren, stärkeren Iron-Man-Anzügen tüftelt. Dadurch hält Iron Man 3 die Erwartungen ein, dass diese Fortsetzung mehr zu bieten hat als Iron Man 2 (die Masse an Iron-Man-Rüstungen ist nahezu überwältigend) und dass sie inhaltlich nahtlos an The Avengers anknüpft, zieht sie doch deutliche charakterliche Konsequenzen aus den Geschehnissen des Megablockbusters.

Aber: Nachdem Tony Stark einen gefürchteten Terroristen namens „Der Mandarin“ (Ben Kingsley) medial zum Duell herausfordert, erwischt dieser den Milliardär eiskalt und schneidet ihn von jeglichem Zugriff auf seine technischen Spielereien ab. So werden Black und Pearce den Erwartungen gerecht, dass der dritte Teil einer Filmreihe dramatischer und härter werden muss, ehe sie radikal in eine völlig andere Richtung abdriften. Denn nach dem fatalen Angriff auf sein Rückzugsgebiet findet sich Tony Stark nicht in einer Höhle im Nahen Osten wieder (wie im Erstling der Reihe) oder in einem ominösen Loch von einem Gefängnis (frei nach The Dark Knight Rises), sondern … in einer verschneiten Kleinstadt im mittleren Westen der USA! Dort hält sich Stark, um von den Handlangern des Terroristenführers nicht entdeckt zu werden, sehr bedeckt und arbeitet nur mit den simplen Mitteln, die er mit Hilfe eines technikverliebten kleinen Schuljungen (Ty Simpkins) zusammenkratzen kann.

Urplötzlich verwandelt sich Iron Man 3 also in eine zeitgemäße Fortführung der kultigen, humorvollen 80er-Jahre-Actionthriller, die Shane Black damals mit Lethal Weapon 1 & 2 als Autor miterfunden hat. Dieser nostalgische Rücksturz in die Vergangenheit des Buddy-Cop-Genres mischt die Iron Man-Formel auf pfiffige Weise auf, ohne die Filmreihe stilistisch zu betrügen. Mit seinem sarkastischen Humor steht Tony Stark als Leinwandfigur eh in der Tradition solcher Kult-Actionhelden wie John McClane oder Martin Riggs. Die Präsenz des Mandarin sowie einer neuen Gruppe kaum bezwingbarer, übernatürlicher Schurken verwurzeln die Story dessen ungeachtet durchgehend im Marvel-Filmuniversum.

Auch Iron Man 1 & 2-Regisseur Jon Favreu bleibt der Saga erhalten und tritt als Bodyguard von Pepper Potts (Gwyneth Paltrow, die sich mehr noch als in den ersten beiden Filmen gegenüber Downey junior in feinster Screwball-Komik üben darf) erneut vor die Kamera. Ein weiterer Rückkehrer aus Iron Man 2 ist Don Cheadle als Tony Starks bester Freund Rhodey, der dank des besseren Dialoghumors eine spritzigere Figur macht als noch im Vorgänger. Neu in der Welt der Marvel-Verfilmungen sind derweil Guy Pearce, der mit wundervoll fieser Spielfreude einen schmierigen Geschäftsmann und Biochemiker verkörpert, und Rebecca Hall, die als Bioforscherin und früherer One-Night-Stand Tony Starks zwar etwas unterfordert bleibt, sich aber trotzdem gut in das etablierte Ensemble einfügt.

Die denkwürdigste Performance des Films stammt allerdings von Ben Kingsley, dessen Interpretation des Mandarin bei den eingeschworenen Comicfans polarisierend aufgenommen wird. Die Darstellung des Mandarin als rätselhafte Schattenfigur, die sich der Massenmedien annimmt, um Amerika in Angst und Schrecken zu versetzen, unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht enorm von der Comicvorlage, stellt jedoch auch einen treffenden Kommentar auf moderne Weltpolitik und terroristische Vorgehensweisen dar. Kingsley, der ein unbestreitbares Talent hat, Fieslinge zu verkörpern, denen man liebend gern zuschaut, ist die Idealbesetzung für diese Mandarin-Neuinterpretation und weiß ebenso einzuschüchtern wie zu unterhalten.


Marvels Kiss Kiss Bang Bang
Der partielle Richtungswechsel von Iron Man 3 bringt auch eine Neugewichtung der Action mit sich. Zwar umfasst auch das neuste Abenteuer des Helden in eiserner Rüstung zahlreiche Actionsequenzen voller aufwändiger Computereffekte, jedoch halten mit der „Zurück zu den Wurzeln“-Mentalität auch vermehrt handgemachte Kampfszenen Einzug in das Iron Man-Franchise. Diese erstrecken sich von wuchtigen, detailliert choreographierten Faustkämpfen über kurze, humorvolle Scharmützel bis zu einem packenden, nur minimal durch digitale Effekte geschönten Fallschirmstunt. Blacks Inszenierung der Actionszenen passt sich perfekt dem Feeling des gesamten Films an: Moderne Rasanz, altmodische Gelassenheit. Die Action in Iron Man 3 ist so flott und dynamisch, wie man es in der Ära der 200-Millionen-Dollar-Produktionen von einem Hollywood-Blockbuster erwartet, wohl aber nicht so temporeich wie in The Avengers oder gar Transformers, sondern umfasst auch kurze Verschnaufpausen. Diese dienen unter anderem dazu, dem Helden Gelegenheit für trockene Kommentare zu geben oder auch dazu, durch Zurückhaltung die Spannung zu erhöhen. Iron Man 3 gleicht damit weniger der Vergnügungsfahrt, die The Avengers darstellte, sondern mehr einer Marvel-Version von Shane Blacks Regieerstling Kiss Kiss Bang Bang – nur um ein Vielfaches größer und mit leicht gedrosselter Dosis an frechen Meta-Kommentaren.

Mit Blick auf Iron Man 2 ist Blacks wohl größte Leistung der stets fließende Übergang von Humor zu Dramatik zu Spannung. Während Jon Favreaus vergangener Superheldenfilm dahingehend mitunter mit der Brechstange vorging, bringt Black problemlos im Laufe einer Sequenz Slapstick, sarkastischen Dialogwitz und grundsolides Charakterdrama unter. Etwa, wenn ein machohaft agierender Tony Stark von Peppers strengen Blicken eingeschüchtert endlich die aufgesetzte Heldenhaftigkeit aufgibt und ihr beichtet, dass er sich den immer weiter anhäufenden Bedrohungen nicht gewachsen fühlt. Solche Einsichten in das Innenleben des nun zum vierten Mal über die Leinwand düsenden Protagonisten helfen, die Fallhöhe zu vergrößern, während Blacks markanter Dialogwitz ebenfalls den Spaßfaktor in die Höhe schnellen lässt. Ob Iron Man 3 nun ein ernsthaftes und düsteres Sequel ist oder ein leichtgängiges und spaßiges lässt sich deswegen nicht ohne Weiteres festlegen.

Auch musikalisch schiebt sich Iron Man 3 ab seinen Vorgängern vorbei. Zwar ist die Songauswahl nicht so prägnant wie in den ersten beiden Iron Man-Filmen, jedoch elektrisiert die klare Themen entwickelnde Instrumentalmusik von Brian Tyler (John Rambo) ein klein wenig mehr als der rockende Score von Ramin Djawadi (Iron Man) und deutlich mehr als das Musikchaos vn John Debney (Iron Man 2).


Fazit: Iron Man 3 läutet die zweite Phase des „Marvel Cinematic Universe“ nicht etwa mit einem Paukenschlag ein, sondern mit einem kessen Rückgriff auf die Stilmittel der 80er-Actionkomödie. Kult-Actionautor Shane Black schafft eine Fortsetzung, die dramatischer, witziger, bodenständiger und dennoch imposanter ist als der stilistisch verworrene zweite Iron Man und legt so für die kommenden Marvel-Fortsetzungen die Messlatte ein gutes Stück höher.

Freitag, 11. September 2015

Freitag der Karibik #17

Heute beschränkt sich der Freitag der Karibik auf ein knuffiges, kleines Fundstück aus den Untiefen des Webs ... Viel Vergnügen!

Freitag, 4. September 2015

Freitag der Karibik #16


Das obige Szenenbild aus Pirates of the Caribbean - Die Truhe des Todes steht für mich exemplarisch dafür, wie Regisseur Gore Verbinski tickt. Denn die Idee, in einem Film zu zeigen, wie jemand auf einem Pferd sitzt, das in einem Boot steht, welches sich einem Ufer nähert, haben die Drehbuchautoren Ted Elliott und Terry Rossio viele Jahre mit sich getragen. Aber wann immer sie dieses Bild einem Regisseur oder Produzenten vorgestellt haben, wurde diese aufgrund ihrer hohen Impraktibilität abgelehnt. So etwa von Martin Campbell, dem Regisseur des Mantel-und-Degen-Films Die Maske des Zorro. 

Letztendlich waren Rossio und Elliott kurz davor, ihren Wunsch aufzugeben. Während der Planungsphase von Pirates of the Caribbean - Die Truhe des Todes haben sie aber doch noch Gore Verbinski von ihm erzählt. Und dieser willigte ohne mit der Wimper zu zucken ein, den Autoren ihren lang gehegten Traum zu erfüllen. Besser kann man Verbinskis Hang zu gesitteter Absurdität kaum belegen, und genauso schwer ist es, ein Beispiel dafür finden, wie wenig sich Verbinski von kniffligen logistischen Herausforderungen abschrecken lässt.

Und obendrein zeigt es, dass bei Verbinski beeindruckende, ungewöhnliche Bildsprache und Storytelling Hand in Hand gehen, selbst wenn manche seiner Kritiker anderes behaupten. Zwar mag dieses Bild von Beckett auf einem Pferd in einem Boot auf dem ersten Blick reine "Coolness over Substance" darzustellen, aber dem ist nicht so: Bereits unser allererster Eindruck von Beckett vermittelt, dass er - wie Käpt'n Jack Sparrow - einen Hang zu Theatralik hat, und obendrein führt dieses Bild vor, dass Beckett über einen gewaltigen Willen verfügt. Mit einem Pferd lässt sich solch ein Auftritt üblicherweise nicht hinlegen, Beckett will, wird auch gemacht. Und somit ist er ein Widersacher, vor dem man sich in Acht nehmen sollte. Und dem man es abkauft, wenn er sogar Davy Jones in Schach hält ...