Sonntag, 28. Februar 2016

Die 88. Academy Awards: Oscar-Blogging 2016


Die 88. Academy Awards: Meine Prognose der Oscar-Gewinner 2016

Es ist endlich wieder so weit! Einer der schönsten Termine des Medienjahres steht direkt vor der Tür: Die Verleihung der Academy Awards! Auch dieses Jahr werde ich live bloggen und twittern, aber bevor es so weit ist, muss ich natürlich meine obligatorische Oscar-Prognose abgeben. Und, meine Güte, ist das ein kniffliges Jahr. Sogleich drei der acht Filme in der Kategorie "Bester Film" sind realistische Oscar-Gewinner und auch in einigen weiteren Kategorien gibt es für den geneigten Oscar-Tipper harte Nüsse zu knacken. Also: Keine längere Vorrede, ab in den Kaninchenbau, der sich Oscar-Vorhersage nennt!

Bester Hauptdarsteller
- Bryan Cranston für Trumbo
- Matt Damon für Der Marsianer - Rettet Mark Watney
- Leonardo DiCaprio für The Revenant
- Michael Fassbender für Steve Jobs
- Eddie Redmayne für
The Danish Girl


Leonardo DiCaprio erhielt für seine in The Revenant erlittenen Leiden bereits zahllose Preise. Daher sagt die Wahrscheinlichkeit, dass er dieses Ding sicher in der Tasche haben sollte. Ich bin mir da nicht ganz so sicher: Filmfreunde haben ihm schon wiederholt einen Oscar angedichtet, und dennoch ging er bislang leer aus. Sollte jemand anderes in der Oscar-Nacht auf die Bühne gerufen werden, wäre ich nicht schockiert. Aber nur, weil ich Zweifel habe, will ich mir meine Prognose nicht versauen. Also tippe ich auf DiCaprio, sage hinter vorgehaltener Hand aber: Oscar-Pechvogel DiCaprio könnte in die Röhre gucken und an Damon oder Redmayne verlieren. Das wäre ein Oscar-Moment, über den wir noch lange reden werden!

Bester Nebendarsteller
- Christian Bale für
The Big Short
- Tom Hardy für
The Revenant
- Mark Ruffalo für
Spotlight
- Mark Rylance für
Bridge of Spies: Der Unterhändler
-
Sylvester Stallone für
Creed - Rocky's Legacy

 
Sylvester Stallone erhielt für seine Darstellung in Creed (verdient) bereits diverse Preise. Aber er setzte bei den SAG Awards komplett aus und mit Mickey Rourke sowie Lauren Bacall hatten wir in der Vergangenheit bereits zwei Comeback-Storys, die in der großen Oscar-Nacht ein jähes Ende genommen haben. Christian Bale ist in seinem Metier groß angesehen, Tom Hardy könnte vom The Revenant-Fieber profitieren (und mit Mad Max im Hinterkopf der Voter hat er womöglich noch ein paar Pluspunkte), Mark Ruffalo leistet in Spotlight sehr viel mit sehr kleinen Gesten und Mark Rylance zeigte schon mit einem BAFTA-Sieg, dass er in Erinnerung geblieben ist. Aufgrund des Globes, der Kritikerpreise und der "Endlich können wir ihn würdigen"-Narrative tippe ich hier auf Stallone, aber das mit argem Bauchgrummeln. Es könnte wirklich jeder werden!

Beste Hauptdarstellerin
- Cate Blanchett für
Carol

- Brie Larson für Raum
- Jennifer Lawrence für
Joy: Alles außer gewöhnlich
- Charlotte Rampling für
45 Years
- Saoirse Ronan für
Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten


Brie Larson sollte nach einem wahren Regen an Auszeichnungen für ihre starke, einfühlsame Darbietung als Entführungsopfer und Mutter in Raum nahezu gesetzt sein für den Oscar!

Beste Nebendarstellerin
- Jennifer Jason Leigh für
The Hateful Eight
- Rooney Mara für
Carol
- Rachel McAdams für
Spotlight
-
Alicia Vikander für
The Danish Girl

- Kate Winslet für Steve Jobs

Vikander ist der aufstrebende Stern der Stunde in Hollywood und würde somit gewissermaßen nicht nur für The Danish Girl, sondern auch für Ex_Machina ausgezeichnet werden. Bei den Globes und dem BAFTA hatte zwar Winslet in dieser Sparte die Nase vorn, jedoch war Vikander bei diesen Preisen auch (korrekterweise) als Hauptdarstellerin eingeordnet.

Bester Animationsfilm
-
Anomalisa
-
Der Junge und die Welt
-
Alles steht Kopf  

- Shaun das Schaf - Der Film
-
Erinnerungen an Marnie


Es gibt kaum ein Vorbei am Überhit, Kritikerliebling und Annie-Abräumer Alles steht Kopf!

Beste Kamera
- Ed Lachman für
Carol
- Robert Richardson für
The Hateful Eight
- John Seale für
Mad Max: Fury Road
- Emmanuel Lubezki für
The Revenant

- Roger Deakins für Sicario

Lubezki könnte der erste Filmschaffende seit vielen, vielen Jahren sein, der drei Oscars hintereinander in derselben Kategorie gewinnt. Und der erste Kameramann überhaupt, dem dies gelingt. Da er bislang mit Preisen für The Revenant überhäuft wurde und selbst Kritiker des Films wenigstens die Kameraführung loben, halte ich einen Sieg für sehr wahrscheinlich.

Beste Kostüme
- Sandy Powell für
Carol
- Sandy Powell für
Cinderella
- Paco Delgado für
The Danish Girl
- Jenny Beavan für
Max Max: Fury Road
- Jacqueline West für
The Revenant


Eine der packenden Kategorien: Mad Max: Fury Road gewann diverse Indikatorpreise, allerdings sollte man nie gegen Sandy Powell tippen, die schon öfter für Überraschungen gut war. In dieser Kategorie gewinnt häufig der Film mit den schönsten (soll heißen: galatauglichsten) Kleidern, was für Cinderella sprechen würde. Ich lehne mich aus dem Fenster und tippe auf das Disney-Märchen.


Bester Dokumentarfilm
- Amy
- Cartel Land
- The Look of Silence
- What Happened, Miss Simone?
- Winter on Fire: Ukraine's Fight for Freedom

Amy gelang bisher nahezu ein Durchmarsch durch die Doku-Preise der Saison. Wird die Musiker-Doku ihn fortsetzen? Ich glaube ja, würde mich aber sehr freuen, wenn die The Act of Killing-Fortsetzung The Look of Silence sozusagen einen Rachesieg hinbekommt, nachdem der Erstling schon gegen eine Musikdoku verloren hat ...

Bester Kurz-Dokumentarfilm
- Body Team 12
- War Withhin the Lines
- Claude Lanzmann: Spectres of the Shoah
- A Girl in the River: The Price of Forgiveness
- Last Day of Freedom

Ich tendiere leicht zur Ebola-Kurzdoku, halte aber jeden nominierten Film für einen möglichen, realistischen Gewinner.


Bester fremdsprachiger Film
- Embrace of the Serpent (Kolumbien)
- Mustang (Frankreich)
- Son of Saul (Ungarn)
- Theeb (Jordanien)
- A War (Dänemark)

Das Holocaust-Drama Son of Saul hat bereits zahlreiche Preise gewonnen. Ein weiterer sollte sehr sicher sein. Allerdings würde mich auch ein Sieg für Mustang nicht schockieren!

Bestes Make-Up und Hairstyling
- Lesley Vanderwalt, Elka Wardega und Damian Martin für Mad Max: Fury Road
- Love Larson und Eva von Bahr für Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
- Sian Grigg, Duncan Jarman und Robert Pandini für The Revenant

Mad Max hat extrem viel und außerordentlich cooles Make-up zu bieten. Ob der Oscar so sicher winkt, wie ich es im Gefühl habe?

Beste Originalmusik
- Thomas Newman für Bridge of Spies: Der Unterhändler
- Carter Burwell für Carol
- Ennio Morricone für The Hateful Eight
- Johann Johannsson für Sicario
- John Williams für Star Wars: Das Erwachen der Macht

Ein Wettkampf zwischen vier Legenden und einem (relativen) Newcomer. Ich glaube, dass Morricone das Rennen für sich entscheiden wird. Sein schaurig-eingängiger Score ist kultverdächtig, eine der wenigen Möglichkeiten, den neusten Tarantino zu entlohnen und hat bereits über ein Dutzend Preise bekommen!

Bester Original-Song
- Earned It für Fifty Shades of Grey
- Manta Ray für Racing Extinction
- Simple Song #3 für Ewige Jugend
- Til It Happens to You für The Hunting Ground
- Wirting's On the Wall für Spectre

Ich bin ehrlich: Ich rate hier.

Beste Ausstattung
- Adam Stockhausen, Rena DeAngelo und Bernhard Henrich für Bridge of Spies: Der Unterhändler
- Eve Stewart, Michael Standish für The Danish Girl
- Colin Gibson und Lisa Thompson für Max Max: Fury Road
- Arthur Max, Celia Bobak für Der Marsianer - Rettet Mark Watney
- Jack Fisk und Hamish Purdy für The Revenant

Die von George Millers Ausstattungstruppe erschaffene Welt ist ein psychotischer, cooler, einprägsamer Augenschmaus. Exzentrik, gute digitale Erweiterungen und viel Handgemachtes: Das sollte mit dem Oscar entlohnt werden.

Bester Kurz-Animationsfilm
- Bear Story
- Prologue
- Sanjay's Super Team
- We Can't Live without Cosmos
- World of Tomorrow

Der Pixar-Kurzfilm, der euphorischere Kritiken bekam als "sein" Hauptfilm (Arlo & Spot) ist zumindest der prominenteste Nominierte. Bear Story hat seine Fans und ist sentimental, World of Tomorrow wird im Web viel besprochen ... Ich bin daher etwas unsicher in meiner Prognose, bleibe aber bei "Bekannt setzt sich durch".

Bester Kurzfilm
- Ave Maria
- Day One
- Alles wird gut
- Shok
- Stutterer

Ich setze auf den konventionellsten, aber zugänglichsten und sympathischsten Nominierten.

Bester Tonschnitt
- Mark Mangini und David White für Mad Mad: Fury Road
- Oliver Tarney für Der Marsianer - Rettet Mark Watney
- Martin Hernandez und Lon Bender für The Revenant

- Alan Robert Murray für Sicario
- Matthew Wood und David Acord für Star Wars: Das Erwachen der Macht

Ich denke, dass Mad Max und The Revenant die Ton-Kategorien unter sich ausmachen werden. Ein weiser Spruch unter Oscar-Tippern ist, dass man sie nicht in der Prognose splitten sollte. Aber es fällt mir schwer: Mad Max hat die besseren Soundeffekte, während The Revenant ein Oscar-taugliches Klanggesamterlebnis erschafft. Also lasse ich mich nicht vom weisen Rat breitschlagen und sage daher in beiden Tonkategorien verschiedene Gewinner vorher.

Bester Ton
- Andy Nelson, Gary Rydstrom und Drew Kunin für Bridge of Spies: Der Unterhändler
- Chris Jenkins, Gregg Rudloff und Ben Osmo für Mad Max: Fury Road
- Paul Massey, Mark Taylor und Marc Ruth für Der Marsianer - Rettet Mark Watney
- Jon Taylor, Frank A. Montano, Randy Thom und Chris Duesterdiek für The Revenant
- Andy Nelson, Christopher Scarabosio und Stuart Wilson für Star Wars: Das Erwachen der Macht

Beste Effekte
- Andrew Whitehurst, Paul Norris, Mark Ardington und Sara Bennett für Ex_Machina
- Andrew Jackson, Tom Wood, Dan Oliver und Andy Williams für Max Max: Fury Road
- Richard Stammers, Anders Langlands, Chris Lawrence und Steve Warner für Der Marsianer - Rettet Mark Watney
- Rich McBride, Matthew Shumway, Jason Smith und Cameron Waldbauer für The Revenant
- Roger Guyett, Patrick Tubach, Neal Scanlan und Chris Corbould für Star Wars: Das Erwachen der Macht

Kopfschmerzalarm! Üblicherweise gewinnt in dieser Kategorie eine "Bester Film"-nominierte Produktion, sofern denn eine nominiert ist. Ausnahmen lassen sich an wenigen Fingern abzählen. Dieses Jahr sind aber sogleich drei Stück nominiert, die eventuell gegenseitig Stimmen klauen. Wird The Revenant nur für die Bärenszene belohnt? Der Marsianer für seine unterstützenden Effekte? Ich denke, es wird sich zwischen Mad Max und Star Wars entscheiden, wobei letzterer den BAFTA und den Preis der Visual Effect's Society in der Tasche hat. Also wird wohl die "Bester Film"-Regel gebrochen. Oder gelingt Mad Max der Triumph?

Bestes adaptiertes Drehbuch
- Charles Randolph und Adam McKay für The Big Short
- Nick Hornby für Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten
- Phyllis Nagy für Carol
- Drew Goddard für Der Marsianer - Rettet Mark Watney
- Emma Donoghue für Raum

The Big Short gewann bereits zahlreiche Auszeichnungen für sein Drehbuch. Und irgendwo "muss" The Big Short ja gewinnen, denn ... Naja, ich komme gleich noch darauf zu sprechen ...

Bestes Original-Drehbuch
- Matt Charman, Ethan Coen und Joel Coen für Bridge of Spies: Der Unterhändler
- Alex Garland für Ex_Machina
- Peter Docter, Meg LeFaure, Josh Cooley, Ronnie del Carmen für Alles steht Kopf
- Josh Singer und Tom McCarthy für Spotlight
- Alan Wenkus für Straight Outta Compton

Ich wäre ja für Alles steht Kopf oder alternativ für Ex_Machina, aber das nüchterne, dramatische Skript von Spotlight machte bereits einen Awards-Durchmarsch, also setze ich auf das Journalismusdrama.

Beste Regie
- Adam McKay für The Big Short
- George Miller für
Mad Max: Fury Road -
- Alejandro G. Inarritu für The Revenant
- Lenny Abrahamson für Raum
- Tom McCarthy für
Spotlight


Seit 2003 ging der Oscar für die beste Regie nur ein einziges Mal nicht an den Gewinner des Directors Guild Award. Ich wäre töricht, auf eine zweite Ausnahme zu tippen.

Bester Film
- The Big Short
-
Bridge of Spies: Der Unterhändler
-
Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten
-
Mad Max: Fury Road
-
Der Marsianer - Rettet Mark Watney
-
The Revenant

- Raum
-
Spotlight


Was für ein Oscar-Rennen! Beim Screen Actors Guild Award ging der Ensemblepreis an Spotlight, und vielleicht blicken wir in wenigen Stunden auf diese Oscar-Saison zurück und deklarieren das Journalismusdrama als das neue L.A. Crash, das auch mit dieser Trophäe im Rücken ein enges Jahr für sich entschieden hat. The Revenant holte sich unter anderem den Globe und hat den Preis der Regie-Gilde auf dem Zettel, zudem ist es der meistnominierte Film. Aber: Seit Einführung des Writers Guild Awards gewann noch nie ein Film den Haupt-Oscar, ohne für den Autoren-Gewerkschaftspreis oder einen der Drehbuch-Oscars nominiert zu sein. Darüber hinaus halte ich den Globe-Sieg für The Revenant für überbewertet: 2014 ging Iñárritu beim Glamour-Preis leer aus. Gut möglich, dass die Stimmberechtigten dieses Mal überkorrigiert haben. Und: Die Screen Actors Guild gönnte The Revenant keine Ensemblenominierung. Noch nie gewann ein Film, auf den das zutrifft, den großen Goldjungen. Denn Schauspieler sind der größte Stimmblock, und wenn die einen Film nicht genug für ihren eigenen Preis mögen, wieso sollten sie beim Oscar für ihn stimmen?

Des Weiteren darf man nicht vergessen: The Revenant hat nicht beim Producers Guild Award gewonnen, dem einzigen großen Filmpreis, der dasselbe Auszähl- und Stimmverfahren verfolgt wie die Oscar-Hauptkategorie.

Nicht nur die Erststimme zählt, auch die weiteren Ränge auf dem Stimmzettel sind entscheidend. Und The Revenant ist kein Konsensfilm: Er hat viele Fans, wer den Film aber nicht liebt, wird ihn voraussichtlich weit unten in seiner Rangliste platzieren. Spotlight, Der Marsianer und The Big Short sind meines Empfindens nach die größten Konsensfilme in der Liste. Und von denen hat The Big Short den Produzentenpreis in der Tasche, eine für den heutigen Zeitgeist wichtige Aussage und zudem die Awards-Narrative: "Auch Comedy-Regisseure können wichtige Filme machen". Darum lehne ich mich aus dem Fenster und tippe auf ihn.

Bester Schnitt
- Hank Corwin für The Big Short
- Margaret Sixel für
Max Mad: Fury Road
- Stephen Mirrione für
The Revenant
- Tom McArdle für
Spotlight
- Maryann Brandon und Mary Jo Markey für
Star Wars: Das Erwachen der Macht



Vier "Bester Film"-nominierte Produktionen gegen Star Wars: Das Erwachen der Macht. Die meisten Experten setzen auf Mad Max: Fury Road, jedoch hat The Big Short einen Award der der Cutter-Gilde zu bieten und setzt zudem auf sehr auffällige, stylische Schnittarbeit, die überhaupt erst dem Film seine ungewöhnliche Stimmung verleiht. Zudem hat nach Die größte Schau der Welt von 1952 jeder "Bester Film"-Gewinner mindestens drei Oscars erhalten. Da ich vorhersage, dass The Big Short in der Academy beliebt genug ist, um den Hauptpreis und einen der Drehbuchpreise zu gewinnen, tendiere ich dazu, zu sagen, dass er auch diesen Academy Award erhält. Ich versichere euch: Wenn The Big Short diesen Preis bekommt, so auch den Haupt-Oscar. Wenn er nicht gewinnt, so bleibt das Rennen in der Hauptsparte offen ...

Was ist eure Prognose? Ich bin gespannt!

Montag, 22. Februar 2016

Knight of Cups





Regisseur und Autor Terrence Malick ist wahrhaftig kein Vielfilmer: Der 71-Jährige, der 1973 seine Langfilmkarriere mit dem Soziopathendrama Badlands – Zerschossene Träume begonnen hat, liefert mit Knight of Cups gerade einmal sein siebtes Werk ab. Wobei der studierte Philosoph und freischaffende Journalist zuletzt in Sachen Arbeitstempo zugelegt hat: Seit dem Kinostart des vielfach besungenen Tree of Life sind gerade einmal vier Jahre vergangen, und in dieser Zeit inszenierte Malick sogleich zwei Dramen – die von der Kritik zerrissene Dreiecksgeschichte To the Wonder sowie die in Hollywood spielende Sinnsuche und Liebesodyssee Knight of Cups. Stilistisch sind die drei Werke eng verknüpft, treiben sie doch Malicks markanten Stil auf die Spitze: Assoziative Szenenfolgen. Frei schwebende Kamerafahrten, gefilmt mit Weitwinkelobjektiv. Begleitet von klassischer Musik sowie poetisch formulierten Gedankengängen, die als Off-Kommentar daher gesäuselt werden. Wer diesen Stil schon in Tree of Life oder To the Wonder verteufelt hat, wird es daher auch in Knight of Cups schwer haben. Wer aber Malicks Stil gegenüber aufgeschlossen ist, findet hiermit einen rauschhaften Trip durch das vergnügungssüchtige Amerika sowie das Innenleben eines ausgebrannten Hedonisten vor.


Rick (Christian Bale) ist ein Hollywood-Drehbuchautor, der aktuell eine Sinnkrise durchläuft. Bedingt durch seine unharmonische Beziehung zu seinem als Pastor arbeitenden Vater (Brian Dennehy), und seine ungestüme Dynamik mit seinem Bruder (Wes Bentley), mangelt es Rick an Rückhalt im Familienleben. Und obwohl er bereits intensive Beziehungen mit zahlreichen sanftmütigen, wunderschönen Frauen durchlief (unter anderem: Imogen Poots, Freida Pinto, Teresa Palmer, Cate Blanchett, Natalie Portman und Isabel Lucas), will auch das Liebesglück in Ricks Leben keine Beständigkeit aufweisen. Aufgerüttelt durch ein heftiges, aber folgenloses Erdbeben, geht der Autor nach Jahren der Genusssucht in sich und begibt sich auf die Suche nach Antworten auf all jene Fragen, die er bislang ignoriert hat …


Knight of Cups geht einen Schritt weiter als die letzten beiden Malick-Filme: Tree of Life erdet seine philosophischen Grundfragen durchaus noch mit einem narrativen roten Faden; in To the Wonder wird das Thema einer von Enttäuschungen belasteten Beziehungskiste eng mit den im Film verbalisierten und illustrierten Gedankengängen verknüpft. Das Liebes- und Sinnsuchdrama mit Ex-Batman Christian Bale dagegen ist Malicks bist dato abstrakteste Regiearbeit – selbst die Einteilung der Geschichte durch Kapiteleinblendungen stellt eine nur mäßig fruchtende Orientierungshilfe dar. Effektiver teilt da die lange Reihe an talentierten Schauspielerinnen die Geschichte in Abschnitte auf: Blanchett, Poots, Palmer, Portman und Co. verkörpern zwar alle einen verwandten Typ Mensch – bei Malick sind Frauen stets natürlicher und unbeschwerter als Männer – und scheinen auf den ersten Blick nur auf ihre Äußerlichkeiten reduziert zu werden. Doch während ihrer begrenzten Leinwandzeit gelingt es sämtlichen Nebendarstellerinnen, allein durch Mimik und Gestik sowie den Tonfall ihrer Off-Kommentare, sehr wohl einen eigenen Charakter zu erschaffen.


Was genau diese Damen repräsentieren, ob sie schlichtweg die unterschiedlichen Frauentypen darstellen, denen ein umtriebiger Mann so begegnen kann, oder ob sie für mehr stehen, darf jedes einzelne Publikumsmitglied selbst entscheiden. Denn anders als im mit biblischen Symbolen arbeitenden Tree of Life und im sehr frei erzählten, thematisch aber klar fokussierten To the Wonder, reicht Malick seinen Zuschauern in diesem Fall nur rudimentäre Schlüssel, um die auf die Leinwand gebannten Codes zu knacken. Die von Bale mit schwerem Gestus verkörperte Hauptfigur denkt nicht mit uns, sondern für sich allein über das Leben und die Liebe nach – und das Kinopublikum darf sich von ihm dazu angestachelt fühlen, es ihm gleichzutun. Gelegentliche Referenzen auf Tarot-Karten und alte Legenden wirken wie Interpretationshilfen, sind letztlich aber poetisch-schmückendes Beiwerk – das bestenfalls verdeutlicht, wie inhaltsleer Ricks Leben für eine lange Zeit war.


Die Dialoge sind in Knight of Cups noch spärlicher gesät als von Malick zuletzt gewohnt, nahezu der gesamte Wortanteil in dieser rund zweistündigen Philosophierunde fällt auf Gedanken, die die Figuren im Off über die weitwinkligen Bilder sprechen. Zuweilen sind diese Kommentare ein stream of consciousness, also umherspringende, introspektive Gedanken. Andere Male könnten die Kommentare genauso gut aus einem Gedichtband stammen – gelegentlich aber leider auch bloß aus einem Teenie-Poesiealbum. Die verbale Kraft von Tree of Life erreicht der hier gebotene Zusammenbruch eines Hedonisten daher nicht. Visuell aber steht das Promi-Schaulaufen seinen Vorgängern in Nichts nach. Oscar-Preisträger Emmanuel Lubezki (Birdman, Gravity) entlockt selbst den schmutzigsten Ecken LAs eine vielsagende Schönheit und auch diejenigen, die es irgendwann aufgeben, die Bilderassoziationen zu deuten, sollten wenigstens die visuelle Kraft der Bilder schätzen können.


Fazit: Fellinis 8 1/2 im Zeitalter der neuen Vergnügungssucht: Christian Bale vergnügt sich mit einer endlosen Parade an Frauen – und geht derweil unlösbaren Fragen nach. Knight of Cups ist ein philosophischer Rausch mit tollen Darstellern und nur sehr überschaubaren Orientierungshilfen für den ebenfalls sinnsuchenden Zuschauer.

Der Chor – Stimmen des Herzens



Drama, Komödie, Western, Thriller, Horror und Co. … Genreeinteilungen kennt jeder. Manchmal trifft eine bildhafte Beschreibung den Kern der Sache aber viel besser. Wer etwa kann sich nichts unter einem „Mit einer großen Gruppe Freunde und 'ner Kiste Bier, Chips mampfend die Nacht bekämpf“-Film vorstellen? Neben solchen launischen, lauten, gerne derben Filmen wie Team America: World Police existieren noch diverse situativ definierte Sparten. Dabei gibt es immer eine Faustregel: Die subjektiv empfundene Qualität der Filme, die in solche Kategorien fallen, ist abhängig davon, wie man ganz individuell die perfekt zu ihnen passende Konsumsituation findet.



Ich etwa habe eine kleine Schwäche für Filme, die sich wie folgt treffend beschreiben lassen: „Sonntagnachmittags auf dem Sofa sitzen, natürlich unter einer Wolldecke eingekuschelt, während allmählich eine Tafel Schokolade vertilgt wird.“ Das betrifft etwa die Art Fernsehfilme, wie sie früher in der Disney Filmparade bei RTL oder ProSieben liefen, wenn mal kein wirklicher Disney-Klassiker auf dem Programm stand. Familientaugliche, aber nicht zwingend an Kinder adressierte Geschichten mit optimistischer Grundnote und einem nicht all zu hohen Produktionswert (den die Regisseure im Idealfall aber einzuschätzen wissen). Sowie mit einem Plot, der bei allem Wohlfühlfaktor auch leise-dramatische Momente umfasst.



Obwohl Der Chor – Stimmen des Herzens»nicht aus dem Hause Disney stammt und im Gegensatz zu so manchem Filmparade-Film fürs Kino produziert wurde, weckt die Regiearbeit von François Girard (Silk) genau solche Sofasonntag-Assoziationen:



Der 12-jährige Stet (Garrett Wareing) ist ein Problemschüler mit einer hohen musikalischen Begabung, die an seiner Schule nicht gefördert werden kann. Und auch er selbst steht sich im Weg: Als ihn seine Rektorin mit einem Vorsingen für die renommierte National Boychoir Academy überrascht, rennt er eiskalt davon. Das Schicksal zwingt ihn aber, seine Entscheidung zu überdenken: Seine alleinerziehende Mutter stirbt bei einem Unfall, und sein leiblicher Vater will Stet nicht bei sich aufnehmen, weil er bei einem Seitensprung gezeugt wurde. So wird die Academy zu Stets einziger Möglichkeit, sich bei diesen Vorzeichen eine gute Zukunft zu erarbeiten. Unter der strengen, aber ermutigenden Führung des Chorleiters Carvelle (Dustin Hoffman) und mit Hilfe des freundlichen Musiklehrers Wooly (Kevin McHale) schleift der Rabauke an seinem Talent. Allerdings fällt er der Rektorin (Kathy Bates) und seinen teils sehr snobistischen Mitschülern aufgrund seiner unangepassten Art regelmäßig negativ auf. Kann sich Stet dennoch zu einem guten Jungen mit wunderbarer Singstimme entwickeln ..?

Wer der Kleinproduktion ihre „Kinotauglichkeit“ aberkennen möchte, trifft durchaus einen Nerv: Girard inszeniert diese kleine Geschichte auf grundsolidem, aber zurückhaltendem Niveau. Ohne leinwandfüllende, Gänsehaut erzeugende Bilder qualifiziert sich die bewährte, wenngleich nicht lustlos abgespulte Erzählung genauso gut als namhaft besetzte Fernsehproduktion. Die Kameraführung von David Franco fällt in dieselbe Kategorie: Wenn sich Stet für einige Wochen allein durch das kalte Internat schlägt, kommt kurz eine Atmosphäre auf, die durch eigene Akzente geprägt wird. Ansonsten verlässt sich Franco ganz auf den „Einfach nur die Geschichte rüber bringen“-Modus.

Darstellerisch wird Der Chor – Stimmen des Herzens vor allem durch Dustin Hoffman geprägt, der mit harter Stimme sowie warmherzigen Augen sehr effizient die Figur des taffen, seine Arbeit liebenden und somit inspirierenden Mentors gibt. Obwohl sich der Film klar von der Größe Hoffmans nährt, erweist sich der Oscar-Preisträger erneut als Teamplayer. Er drängt sich in seinen Szenen nie in den Mittelpunkt, sondern punktet mit einer ruhigen Performance, die gerade den Jungschauspielern genügend Raum gibt, sich zu behaupten. Hauptdarsteller Wareing mag in den Phasen, in denen Stet besonders stark rebelliert, einen Hauch zu sehr auftragen, insgesamt überzeugt sein Schauspiel aber: Niemals hölzern, in den wichtigsten Szenen sehr nuanciert und vor allem drückt Wareing nie auf die Tränendrüsen. Bates, McHale und Eddie Izzard unterdessen spielen kleinere Versionen ihrer bekannteren Ichs.

Inhaltlich ist Der Chor – Stimmen des Herzens weit davon entfernt, je zu überraschen. Allerdings ist Ben Ripleys Skript klugerweise auch nicht so strukturiert, dass die Geschichte nur funktioniert, wenn sich der Zuschauer naiver stellt als er ist: Ripley weiß, dass das Publikum die nächsten Schritte erahnen kann, und legt den Schwerpunkt der Geschichte eher darauf, diese Reise vom Außenseiter zum Gesangstalent komfortabel zu gestalten. Dezent eingesetzte Gags, charismatische sowie hoffnungsvoll stimmende Monologe von Dustin Hoffman und vor allem Stets schrittweise erfolgende Entwicklung zum fähigen Chorknaben erlauben es Der Chor – Stimmen des Herzens,  zwar sehr künstlich anmutendes, aber durchaus wohltuendes Balsam darzustellen. Kitschig? Gelegentlich. Entwickelt sich Stets distanzierter Vater sprunghaft? Gewiss! Feiert Girard die (hervorragend gesungene) Chormusik arg naiv als Heilmittel? Mitunter. Alles in allem greifen die charmanten und positiven Elemente allerdings zu gut ineinander, als dass Der Chor – Stimmen des Herzens daher als qualitativer Flop durchginge.



Fazit: Ein vorhersagbarer, sich teils zu behäbig gebender, doch schöner Wohlfühlfilm für Freunde von „Der Außenseiter kämpft sich nach oben“-Geschichten.

Fantastic Four



Die Fantastic Four sind der ausbrennende Stern im Marvel-Comickosmos. In ihren ersten Jahren stellte die von Stan Lee und Jack Kirby erschaffene Truppe nicht nur den größten Verkaufsschlager des Verlags dar: Einige Comichistoriker rechnen den Fantastic Four sogar an, Marvel überhaupt erst zu einer ernstzunehmenden Erfolgsmarke gemacht zu haben. Mit der Zeit wurden die wissenschaftsbasierten und oftmals im Weltall spielenden Abenteuer der Forschergruppe jedoch durch Spider-Man, die X-Men und die Avengers überschattet. Und die Kinohistorie der fantastischen Vier dürfte den kometenhaften Absturz dieser Gruppe nur beschleunigt haben. Die 2005 und 2007 in die Lichtspielhäuser entlassenen Regiearbeiten von Tim Story erinnerten zu einer Zeit, in der das Superheldengenre langsam zu sich selber gefunden hat, an die kindisch-lächerlichen Adaptionsversuche früherer Jahrzehnte – und gerieten verdienterweise schnell in Vergessenheit.

Mit den schalen Actionkomödien, in denen unter anderem Captain America-Star Chris Evans sowie Sin City-Unschuld Jessica Alba zu sehen sind, hat dieses Reboot jedoch herzlich wenig gemeinsam. Auch deshalb, weil die oft verlachten Produktionen in ihrer Naivität und Simplizität zwischenzeitlich so etwas wie unbedarften Charme zu versprühen vermochten. Der neuste Aufguss der Geschichten rund um die menschliche Fackel, die unsichtbare Frau, das Steinungetüm Ding sowie den ungeheuerlich dehnbaren Anführer des Viererteams erinnert eher an ein gewisses 1994 produziertes Unglück: Um die Filmrechte an den Fantastic Four nicht zu verlieren, ließ der deutsche Filmmogul Bernd Eichinger ein schäbiges Abenteuer drehen, das sich bei aller Inkompetenz auch noch ziemlich ernst genommen hat. Offiziell erblickte das filmische Missgeschick nie das Licht der Kinowelt, manche Gerüchte besagen, dass Marvel die Veröffentlichung stoppte.

Selbst wenn Josh Tranks erste Regiearbeit seit seinem Debüt Chronicle nicht ganz so amateurhaft aussieht wie Eichingers berühmt-berüchtigtes Produkt, haben beide Werke eins gemeinsam: Sie sind seelenlose, staubtrockene Schachzüge, um die Fantastic Four für einige Jahre zusätzlich davon abzuhalten, zurück in die Hände Marvels zu gelangen. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Katastrophen: Während die Inkompetenz der Auflage von 1994 mit einem Blick auf das Budget zu erklären ist und in die Kategorie „ab und zu kann man darüber schmunzeln“ fällt, hat die 2015er Variante keine solche Ausrede zur Hand. Ebenso, wie es ihr nahezu durchweg an Unterhaltungsfaktor mangelt – sei er gewollt oder unfreiwillig.

Wir befinden uns im Jahr 2007, das abgesehen von der Existenz des Nintendo 64 verdächtig nach den 80ern aussieht, wie Steven Spielberg sie einst in seinen Familienfilmen darstellte: Der geniale Schüler Reed Richards (als Heranwachsender: Miles Teller) träumt davon, eine Teleportationsmaschine zu erbauen. Obwohl er die dazu nötigen Theorien in- und auswendig kennt, wird er für seine Zukunftsvorstellungen selbst von seinem Lehrer verlacht. Allein der grantig dreinblickende, doch gutherzige Ben Grimm (als Halbstarker: Jamie Bell) steht ihm zur Seite, als er mit einem ersten Prototypen experimentiert. Sieben Jahre später führt das Duo ein verbessertes Modell der Gerätschaft im Rahmen eines Schulwettbewerbs auf. Trotz kleinerer Macken funktioniert der Mini-Teleporter, wodurch Dr. Franklin Storm (völlig lustlos: Reg E. Cathey) und dessen Tochter Sue Storm (Kate Mara) auf die Nachwuchswissenschaftler aufmerksam werden. Reed erhält einen Stipendiumsplatz, um Storm sowie dessen talentiertesten sowie geistig instabilsten Schüler Victor von Doom (Toby Kebbell) dabei zu helfen, interdimensionale Reisen zu ermöglichen. Und auch Storms rebellischer Sohn Johnny (Michael B. Jordan) beteiligt sich am Projekt. Als der frisch zusammengestellten Wissenschaftlergruppe der Durchbruch gelingt, kommt es aber zu einem furchtbaren Vorfall …

Dass Trailer zuweilen zu viel verraten, ist keine neue Erkenntnis. Und gerade bei der filmischen Neuauflage einer jahrzehntealten Comicreihe gibt es tendenziell eh nur wenig Raum für Überraschungen. Dessen ungeachtet spricht es Bände, wenn ein Trailer von weniger als zwei Minuten Laufzeit es vollbringt, einen kompletten Film zusammenzufassen. Und im Fall von Fantastic Four wäre es lachhaft, dem Marketing-Team daher die Ohren lang zu ziehen. Denn dieses Mal geht der der Trailer nicht zu weit. Der Film erzählt dagegen viel zu wenig. In den rund 100 Minuten Laufzeit (inklusive Abspann), passiert kaum etwas erinnerungswürdiges, das nicht auch in den Trailern zu sehen ist: Das Team rund um Reed Richards baut eine Teleportationsmaschine, landet auf einem Planeten in einer anderen Dimension, erhält dank eines Unfalls neue Superkräfte, das Helden-Quartett prügelt sich mit Victor von Doom. Abspann.

Zwar könnte die Struktur „Während des Baus eines Teleporters wächst das Team zusammen / das Team erhält Superkräfte und muss sich neu arrangieren / Endkampf“ bei einer einigermaßen ansprechenden Umsetzung durchaus einen mittelprächtigen Superheldenfilm tragen. Allerdings hapert es bei der Fox-Produktion genau daran: An der Umsetzung. Die Geschichte, an der neben Regisseur Trank auch Produzent Simon Kinberg sowie Jeremy Slater tüftelten, ruht sich auf ihren drei zentralen Punkten aus. Davon abgesehen geschieht nichts von Wert. Die schleppend erzählten Sequenzen im Storm-Labor versäumen es, den Figuren Kontur zu verleihen oder glaubwürdig zu vermitteln, dass aus Fremden Freunde werden. Der Reise auf einen mysteriösen Planeten mangelt es dank bestenfalls mittelprächtiger, schlimmstenfalls unsagbarer Effekte an jeglichem Reiz und die Neueinführung der Protagonisten als Superhelden gerät so dröge, dass es einer Beleidigung des Superheldengenres gleichkommt.

Der wirkliche Schlag ins Gesicht des Publikums folgt aber erst in den letzten Filmminuten, wenn ein hastiges und inkohärent geschnittenes Actionfinale hereinbricht. Die mickrigen Setbauten sind dank unfähiger Beleuchtungsarbeit als eben solche zu erkennen, und die hinzugefügten digitalen Hintergründe scheinen einer Sparproduktion entliehen, die sich für eine Ausstrahlung bei den SchleFaZ von Tele 5 empfiehlt. Unkoordinierte Kampfchoreographien (inklusive weiterer CG-Effekte, die sich eine Goldene Ehren-Himbeere verdienen) und eine uninspirierte Instrumentalmusik lassen das Niveau letztlich so tief sinken, dass Fantastic Four nicht etwa in den Keller gehört. Sondern unter dem Keller begraben.

Unter den völlig verschenkten Schauspielern, die sich zu weiten, weiten Teilen des Films ohne Esprit durch die Dialogzeilen gähnen, bewahren einzig Miles Teller und Jamie Bell ansatzweise ihre Würde: In den wenigen Minuten, in denen die zwei Mimen als Normalsterbliche miteinander agieren dürfen, strahlen sie solch ein ansteckendes Gefühl unverdorbener Schulfreundschaft aus, dass man Teller und Bell möglichst bald in einer Buddy-Komödie sehen möchte. Da aber Reed und Ben die meiste Zeit über getrennte Wege gehen, und weder die Ersatz-Freundschaft zwischen Reed und Johnny zündet, noch der schüchterne Flirt zwischen Reed und Sue, liegt Fantastic Four hinsichtlich der Charakterdynamik nahezu brach.

Das allein ist schon ein K.O.-Kriterium für einen Film über ein Superheldenteam – man denke nur an Joss Whedons Avengers-Epen, in denen der neckische Umgang innerhalb der Heroentruppe für unzählige Spitzenszenen sorgt. Da es aber obendrein kaum Actionszenen gibt (und diese derbe enttäuschen) und weitere Subplots wie „Vertraue niemals einer militärischen US-Organisation!“ oder „Wenn dein Vater gemein ist, lach dir einen Ersatzvater an!“ innerhalb von dreieinhalb hölzernen Nebensätzen abgewickelt werden, kann Fantastic Four auf nicht einen einzigen inhaltlichen Pluspunkt zählen. Das gähnend langweilige Produktionsdesign und die farblose Kameraarbeit von Matthew Jensen (Chronicle) verhindern obendrein, dass dieser Totalflop wenigstens visuelle Reize entwickelt.

Wenn sich Fantastic Four in seinen letzten Atemzügen selbst zu zelebrieren versucht, indem er eine halbseidene Spielvariante des Meta-Schlussgag aus Avengers: Age of Ulton bemüht, wird die Diskrepanz zwischen erhoffter und erzielter Wirkung schmerzlich klar: Dieser Auftakt zu einem neuen Kino-Franchise ist in Wahrheit dessen verfrühter Schwanengesang.

Fazit: Fantastisch ist an Fantastic Four höchstens das, was die Gerüchteküche über die Dreharbeiten vermeldet. Aber im Vergleich zum Film selbst ist sogar eine Partie 'Vier gewinnt' gegen einen unsichtbaren Freund aufregender.

Sonntag, 21. Februar 2016

Es ist kompliziert ..!




Romantikkomödien sind, genauso wie Actionthriller mit mittelhohem Budget und Slasher-Horrorfilme, extrem anfällig für Klischees. Da gleichen sich zwei Genrevertreter gerne Mal in Sachen Optik, Inhalt und Akustik wie ein Ei dem anderen. Dass so mancher Filmfreund bei solcher Fließbandware die Hoffnung und sogleich auch das ganze Genre aufgibt, verwundert daher nicht. Aber: Es lohnt sich sehr wohl, weiter die Augen aufzuhalten. Wenn nämlich endlich wieder eine Produktion anläuft, der es gelingt, die Konventionen sehenswert aufzufrischen, dann ist es sofort wieder da: Dieses begeisterte Kribbeln, das rational schwer erklärbare Gefühl, dass einem das (Filmfan-)Herzen aufgeht. Es ist kompliziert ..! ist für die Gattung der Romantikkomödien ein ebensolches Exemplar. Mit Verve macht Ben Palmers Regiearbeit vergessen, dass einen die Suche nach neuer (Film-)Liebe so oft in Sackgassen führte und dadurch verbittern ließ.


Wie passend, dass die Produktion aus dem Hause Working Title (Notting Hill, Tatsächlich … Liebe) nicht nur solch eine Wirkung entfaltet. Sie handelt obendrein davon, dass es nichts bringt, wegen enttäuschender Liebeserfahrungen das Handtuch zu werfen: Nach diversen Beziehungsniederlagen und allerlei peinlichen Dates hat Nancy (Lake Bell) die Faxen dicke. Frustriert und entnervt schwört sie der Partnersuche ab. Als die 34-Jährige im Zug auf dem Weg zum 40. Hochzeitstag ihrer Eltern der überoptimistischen Jessica (Ophelia Lovibond) begegnet, muss sie sich daher eine Lektion anhören. Darüber hinaus hinterlässt Jessica ihrer Sitznachbarin ein Selbsthilfebuch, welches Nancy am Londoner Hauptbahnhof wieder loszuwerden versucht. Bevor es ihr gelingt, wird sie aber von Jack (Simon Pegg) angesprochen, der sie aufgrund besagten Buches für sein Blind Date hält. Auf Anhieb von Jacks Witz und charmanter Nervosität überwältigt, verzichtet sie darauf, den Irrtum aufzuklären. Die beiden verbringen einige richtig tolle Stunden miteinander – doch Nancys falsches Spiel wartet darauf, enttarnt zu werden …


Was so kurz zusammengefasst und im Trailer nach irgendeiner Standard-RomCom klingt, ist ein echtes Genre-Kleinod. Denn spätestens, sobald sich Jack und Nancy begegnen, entwickelt sich Es ist kompliziert ..! zu einem Feuerwerk an schmissigen, perfekt sitzenden Dialogwitzen. Das Skript von Tess Morris setzt nicht auf die üblichen abgehobenen Protagonisten, die vor bemühter Romantik triefende Gespräche führen, sondern auf ein geerdetes Paar, das die Kunst des Smalltalks gemeistert hat. Das gegenseitige Beschnuppern der Hauptfiguren ist voll mit gewieften Beobachtungen üblicher Flirt-Peinlichkeiten und urkomischen Wortfindungen. Vor allem jedoch sprühen zwischen Jack und Nancy so überzeugende, erheiternde Funken, da die humorige Chemie zwischen Lake Bell und Simon Pegg stimmt. Die Darsteller begegnen sich auf Augenhöhe, spielen sich gegenseitig die Bälle zu und erwecken so überzeugend den Eindruck, eine verflixt gute Zeit miteinander zu haben.


Dieses Gefühl überträgt sich so zwangsweise auf den Zuschauer, der auch außerhalb der humorigen Passagen geschliffenen Wortwechseln lauschen darf: Nancy und Jack sind nicht nur spaßige Personen, denen man mit Freude beim Rumblödeln zuschaut, sondern bringen auch ganz eigene Macken und Ansichten zum Thema Romantik mit. Diese werden allerdings nicht genretypisch vor Postkartenkulisse und in Motivationskalenderzitaten rübergebracht, sondern in trivialeren Momenten und mit authentisch unüberlegter Schnauze – was dem Film zusätzlichen Reiz verleiht.


Insofern folgt Es ist kompliziert ..! sehr wohl einer Formel. Nicht erzählerisch, nicht tonal, jedoch in der besonderen Mischung seiner entscheidenden Elemente: Palmer arbeitet hier getreu dem britischen Geheimrezept für herrliche Romantikkomödien. Man nehme emotional geerdete, real wirkende Hauptfiguren, und vermenge diese mit Dialogen, die wie pointiertere Spielweisen echter Gespräche erscheinen. Als kleines Plus folgen noch quirlige Nebenfiguren. Etwa in Form von Rory Kinnear, der einen sehr weltfremden, aufdringlichen Stalker spielt. Oder in Form einer sehr zuvorkommenden Teenie-Partybrigade. Dank der stimmigen Musikauswahl und einer durchaus cleveren Regieführung, welche die textliche Das Schweigen der Lämmer-Anspielung später durch eine inszenatorische Hommage verstärkt, siedelt sich Es ist kompliziert ..! auch in der Umsetzung weit über dem Genrestandard an. Wenn im obligatorisch eskalierenden Finale die immer größer werdenden romantischen Gesten dann auf Pointen gebürstet sind, statt auf Schmalz, bleibt endgültig kein Auge trocken.


Fazit: Ben Palmer ist mit diesem kurzen, knackigen Filmspaß echtes Wohlfühlkino mit Esprit, ungekünstelter Romantik und glühendem Wortwitz gelungen. Sehempfehlung!

Mission: Impossible – Rogue Nation




Dass Fortsetzungen mit minderwertiger Filmware gleichzusetzen sind, dürfte ein allmählich aussterbender Irrglaube sein. Dessen ungeachtet ist es nahezu unvorstellbar, dass eine Filmreihe mit ihrem vierten Teil ihre bis dahin glänzendste Leistung vollbringt. Exakt dieses Kunststück ist aber dem Mission: Impossible-Franchise gelungen, als Ende 2011 Brad Birds Realfilmdebüt auf die Leinwand stürmte. Nach einem guten ersten und dritten Film sowie einem grottigen zweiten Teil kletterte Mission: Impossible mit Phantom Protokoll in völlig andere Sphären. Zudem zeigte sich der Film des Die Unglaublichen- und Ratatouille-Regisseurs von einer deutlich leichtgängigeren, humorvolleren Seite als seine Vorgänger – was der mit coolen Gadgets aufwartenden Reihe sehr gut stand.


Die hohe Qualität von Mission: Impossible – Phantom Protokoll machte sich auch auf finanzieller Seite bezahlt: Mit einem Einspielergebnis von 694,7 Millionen Dollar wurde der Agentenspaß zum bis dahin erfolgreichsten Film in Tom Cruises Kinokarriere. Dass daher mit einer Fortsetzung zu rechnen war, überraschte wohl nahezu niemanden. Was vorab dagegen wohl nur wenige erwartet hätten: Mission: Impossible – Rogue Nation ist nicht einfach irgendein Sequel. Sondern eine wuchtige Kinomission, die sich auf Augenhöhe mit Brad Birds Überraschungshit von 2011 befindet!


Die Impossible Mission Force (IMF) muss sich verantworten: CIA-Direktor Alan Hunley (Alec Baldwin) stellt aufgrund der halsbrecherischen Eskapaden der Spezialeinheit den Antrag, dass diese aufgelöst wird. Hunley kann seinen Willen durchdrücken und erhält die Möglichkeit, die Ressourcen der IMF seiner Agency einzuverleiben. Nur Ethan Hunt (Tom Cruise) verweigert sich und taucht unter, um auf eigene Faust gegen einen Ring gefährlicher, tot geglaubter Spitzenagenten zu ermitteln. Monate später ordert Ethan sein Teammitglied Benji Dunn (Simon Pegg) nach Wien, um ihn dort bei einem Einsatz gegen ein mysteriöses Mastermind (Sean Harris) zu unterstützen. Natürlich dauert es nicht lange, bis sich auch die früheren IMF-Mitglieder William Brandt (Jeremy Renner) und Luther Stickell (Ving Rhames) der Jagd nach dem geheimnisvollen Strippenzieher machen. Aufgemischt wird die Mission durch die unberechenbare Ilsa Faust (Rebecca Ferguson), die eine ganz eigene Agenda zu verfolgen scheint …


Eines der Alleinstellungsmerkmale der Mission: Impossible-Reihe ist, dass jeder Teil von einem anderen Regisseur gedreht wird, der seine ganz eigene Handschrift mitbringen darf. Nach Brian De Palmas stilvollem Erstling, dem theatralischen zweiten Film von John Woo und  J.J. Abrams explosivem dritten Part, der wie eine auf zwei Stunden kondensierte Alias-Staffel anmutet, begeisterte Brad Birds Mission: Impossible – Phantom Protokoll mit einer erfrischenden Verspieltheit. Dass Christopher McQuarrie nun der erste Mission: Impossible-Regisseur ist, dem selbst große Filmfans vorab wohl kaum einen eigenen Stil zugeschrieben hätten, stört überraschenderweise kaum. Denn McQuarrie kopiert nicht einfach die Attitüde des äußerst erfolgreichen Vorgängers, sondern übernimmt klugerweise vereinzelte Zutaten, um zugleich genügend Aspekte anders anzupacken. So ist auch Mission: Impossible – Rogue Nation ein selbstständiger Film mit eigener Identität.


Wie in Teil vier wird großer Wert auf die Team-Dynamik und auf Rückschläge der (Ex-)IMF gelegt, was Ethan Hunt ein Stück weit entlastet – und Tom Cruise klar zugutekommt. Der Oscar-nominierte Schauspieler musste in den ersten drei Teilen noch weite Strecken alleine tragen, was gerade im zweiten Teil dazu führte, dass seine Rolle unsympathische Züge annahm: Ethan Hunt schien wie ein grinsender Übermensch, der zu cool und zu fähig ist, um sich mit anderen abzugeben. In Teil fünf gelingen ihm, wie schon in Teil vier, zwar ebenfalls die wahnsinnigsten Aufgaben, doch dabei braucht er zuweilen Hilfe und zwischendurch geht sehr wohl etwas schief. Das steigert die Spannung, gibt Ethan Hunt mehr Menschlichkeit und Cruise wiederum die Möglichkeit, häufig mit den weiteren Cast-Mitgliedern zu interagieren. Und eben diese Interaktionen zwischen Cruise und Baldwin, Renner und Rhames, vor allem aber mit Pegg und Ferguson können sich sehen lassen: Der Dialogwitz sprüht und die gegenseitige Faszination zwischen Ethan Hunt und Ilsa Faust, die eben nicht auf Körperlichkeit oder eine seichte Actionblockbuster-Liebelei basiert, geben der Narrative zusätzlichen Zunder.


Überhaupt drückt McQuarrie, der auch das Drehbuch mitverantwortete, ordentlich aufs Gaspedal: Zwar bietet Mission: Impossible – Rogue Nation zahlreiche lustige Sprüche und einige humorvolle Situationen, allerdings gibt sich McQuarrie genüsslich damit zufrieden, nur den zweitlustigsten Teil des Franchises abzuliefern. Dafür dreht er für den Großteil der mehr als 130 Minuten Laufzeit merklich an der Spannungsschraube: Mit nur sehr beschaulichen Atempausen lässt der Jack Reacher-Regisseur eine ausgefeilte Actionsequenz auf die nächste folgen, während derer sich der Antagonist mehr und mehr als weit vorausschauender Schachmeister beweist. Obwohl der Plot von Mission: Impossible – Rogue Nation wahrlich nicht neu ist, hat sich diese Produktion großen Respekt dafür verdient, wie fesselnd sie dieses altbekannte, von Actionpassage zu Actionpassage leitende Katz-und-Maus-Spiel umsetzt.


Dass der Schwerpunkt auf Action liegt, geht natürlich vor allem aus folgendem Grund so hervorragend auf: Die Actionsequenzen sind schlicht überwältigend. Zwar fehlt der schräge Findungsreichtum Brad Birds, dafür ist McQuarries Inszenierung kerniger, verleiht den Verfolgungsjagden und Kämpfen mehr 'Wumms!'. Gewiss: Die diversen Einsätze sind allesamt Abwandlungen von Standardsituationen des Genres. Aber dank komplexer Stuntchoreographien, makelloser Kameraarbeit von Robert Elswit (Nightcrawler) sowie eines Schnitts, der stets genau auf den Punkt ist (Eddie Hamilton, Kingsman: The Secret Service), bleibt einem dennoch mehrmals die Spucke weg. Die Tatsache, dass der aus den Trailern und TV- sowie Online-Spots bestens bekannte Flugzeugstunt den Film eröffnet, spricht dafür, welch großes und berechtigtes Vertrauen die Filmemacher in ihre Actionmomente haben. Schon die leise eskalierende, pointierte Mission hinter den Kulissen der Oper Turandot (mit gekonnten Referenzen an Der Mann, der zuviel wusste) im ersten Drittel des Films wäre für jeden anderen Blockbuster ein würdiges Finale. Und wenn die Leinwand von einer rasanten, eindrucksvollen Motorrad-Verfolgungsjagd erfüllt wird, die gute Chancen darauf hat, die beste ihrer Art zu sein, ist endgültig klar: Diese Filmreihe hat einen sechsten Teil verdient.


Weshalb Mission: Impossible – Rogue Nation trotz so genialer Actionszenen, kreativer Gadgets und der Powerfrau-Performance Fergusons seinem Vorläufer nicht meilenweit davon düst? Dies hat mehrere kleine Gründe: Im letzten Viertel geht ein wenig vom erzählerischen Schwung und der mitreißenden Dynamik verloren. Zudem hatte Michael Giacchinos Score einen Hauch mehr Pepp als der vom hier komponierenden Joe Kraemer, der mit seinen Klassikreferenzen aber auch einen guten Job macht. Das bisschen Sand im Getriebe weiß den Gesamteindruck von zwar nur minimal zu trüben, da sich der vierte und fünfte Mission: Impossible-Film aber beide auf schwindelerregend hohem Niveau bewegen, macht sich sowas nun einmal bemerkbar. Doch auf demselben Niveau zu liegen wie Brad Birds Spitzenfilm ist bekanntlich keine Schande.


Fazit: Agentenaction par excellence! Starke Stunts, eine tolle Team-Dynamik und eine Bildgewalt, die man einfach auf der großen Leinwand bestaunen muss. Wer Actionkino mag, wird diesen Film lieben.

Freitag, 19. Februar 2016

Dating Queen



Zu sagen, dass Komödienregisseur Judd Apatow zuletzt enttäuschte, geht zu weit. Immer Ärger mit 40 von 2012 ist ein schöner, kleiner Einblick in das Leben eines langjährigen Ehepaares. Und mit Wie das Leben so spielt erschien 2009 eine Dramödie, die zwar an ihren Ambitionen zerbricht, jedoch mit einigen gelungenen Momenten und Performances punktet. Trotzdem sind es ganz klar die ersten beiden Kino-Regiearbeiten Apatows, dank denen der frühere Stand-Up-Comedian so ein großes Ansehen genießt. Jungfrau (40), männlich, sucht … ist berechtigterweise ein Komödienklassiker geworden und Beim ersten Mal machte 2007 das Genre der räudig-herzlichen Beziehungskomödie erst salonfähig. Nun kommt mit Dating Queen die erste Apatow-Regiearbeit in die Lichtspielhäuser, an deren Drehbuch der Filmemacher nicht mitgewirkt hat. Dessen ungeachtet schließt dieser gewaltige Kinospaß nahtlos an die ersten zwei Kracher Apatows an und besticht mit gewaltiger Gagdichte, immens sympathischen Figuren und einem ehrlichen, unkitschigen Umgang mit Romantik.

Amy (Amy Schumer) ist eine moderne Frau mit hedonistischen Zügen: Sie will ihr Leben in vollen Zügen genießen und zieht daher von einer Party zur nächsten. Und seit ihr Vater (Colin Quinn) ihr eintrichterte, dass Monogamie unsinnig sei, pendelt sie zudem von einer ungezwungenen Bettbeziehung zur nächsten. Was jedoch nicht heißt, dass Amy völlig unfähig ist, feste emotionale Bindungen zu hegen. So ist sie es, die sich weiterhin um ihren nunmehr im Altersheim lebenden Dad kümmert, während ihre Schwester Kim (Brie Larson) nur Zeit für ihre eigene kleine Familie hat. Als die ehrgeizige Lifestylemagazin-Redakteurin Amy von ihrer Chefin (nicht wiederzuerkennen: Tilda Swinton) einen ungewollten Auftrag erhält, wird aber auch ihr Liebesleben aufgerüttelt: Obwohl Amy ihrem Interviewpartner, dem erfolgreichen Sportarzt Aaron (Bill Hader), klar macht, wenig von seinem Job zu halten, funkt es zwischen ihnen. Doch da sich Aaron nicht mit einer Affäre zufrieden geben möchte, muss sich Amy an ein gezügeltes Liebesleben gewöhnen …

Dating Queen ist in jeglicher Hinsicht ein Star-Vehikel für seine Hauptdarstellerin und Drehbuchautorin Amy Schumer. Denn es ist das unbändige Leinwandtemperament der Komikerin, welches diesen Film zu dem macht, was er ist. Schumer schafft es, ihre Figur rotzig-frech und äußerst selbstüberzeugt darzustellen, sie aber dank eines gewinnenden Lächelns und ansteckender Lebensfreude auch sehr sympathisch anzulegen. Der Wechsel zwischen Partytier, hibbelig sowie frisch verliebt und fürsorglicher Tochter erfolgt bei Schumer ebenso schnell wie authentisch, und die Chemie zu ihrem Leinwandpartner ist nahezu perfekt. Bill Hader gibt seiner leicht spießigen, doch weltoffenen Rolle sehr viel Humor und etwas Unbeholfenheit mit, wodurch er nicht einfach das wandelnde Gegenteil Amys wird. Diesen Beiden kauft man die große Liebe ab – und da ihre Gegensätze nicht auf typische RomCom-Art vereinfacht werden, versprüht Dating Queen keinen schmalzigen Romantikkitsch, sondern ein authentisches schwärmendes Kribbeln im Bauch.
So erfrischend und eigenwillig die Hauptfigur sein mag, die Erzählung von Dating Queen ist klassisch aufgebaut, umfasst die üblichen Wendepunkte einer Romantikkomödie.

Jedoch fällt dies bloß punktuell auf, weil Apatows markantes Pacing auch hier vorherrscht: Dialogsequenzen sind länger als in konventionellen RomComs, da Apatow seine Darsteller zu improvisiertem Geplänkel anregt, das er nur ungern eindampft. Obendrein erlauben kleine Subplots einen Ausblick auf das Leben des zentralen Paars abseits der eigentlichen Liebesgeschichte, was die Narrative weiter streckt. Zielstrebig geht Dating Queen also nicht voran, zehn bis zwanzig Minuten könnte der Film locker verlieren, ohne dass handlungsrelevante Informationen fehlen würden. Dating Queen zieht sich allerdings nicht wie Wie das Leben so spielt, weil selbst überflüssige Szenen zum Bersten voll sind mit köstlichen Wortspielen und fescher Situationskomik.

Dabei sind es nicht allein die zwei Hauptdarsteller, die mit urkomischen Dialogen bestechen. Auch Nebendarsteller wie LeBron James oder die wundervoll bodenständige Brie Larson landen diverse Volltreffer. Der Wrestler John Cena hat sogar die (zweifelhafte, aber schreiend komische) Ehre, den misslungensten Dirty Talk der US-Komödiengeschichte in Amy Schumers Ohr zu flüstern – Prüderie ist beim Dating Queen-Schauen also wenig empfehlenswert.

Fazit: Zielgerichtetes Erzählen war noch die Stärke Judd Apatows, doch im Falle von Dating Queen gilt: Mehr Laufzeit, mehr Laune! Eine wunderbare Amy Schumer, ein ideal zu ihr passender Bill Hader und toll aufgelegte Nebendarsteller machen Apatows fünfte Regiearbeit zu einem geballten, räudig-süßen Filmspaß.

Self/less – Der Fremde in mir



Qualität hin, Qualität her: Der indisch-amerikanische Regisseur Tarsem Singh ist im Hollywood-Business ein einzigartiges Biest. Auch wenn dem früheren Musikvideo-Regisseur bislang ein großer, Kritiker und Kinogänger im Sturm erobernder Hit fehlt, hat er sich mit seinem Stil längst einen Namen gemacht. Singh steht für exzentrischen Gebrauch von Farbe, dichte Atmosphäre und effektvolle, außergewöhnliche Schnittarbeit. Der Filmemacher, der den visuellen Stil seiner Kino-Regiearbeiten an Gemälde großer Künstler anlehnt, musste sich jedoch Kritik dafür gefallen lassen, wie er seine Leinwandgeschichten erzählt. Zuweilen werden Singhs Filme als selbstverliebt, stilistisch überbordend und inhaltlich unstrukturiert bemängelt. Auch wenn sich diese Kritik nicht auf jede Singh-Arbeit zu gleich großen Teilen übertragen lässt, scheint sich der Regisseur die harschen Reaktionen zu Herzen genommen haben. Leider zu sehr. Denn der Actionthriller Self/less – Der Fremde in mir führt vor, was passiert, wenn sich ein sonst unangepasster Regisseur auf einmal zu sehr anpasst …

Der New Yorker Immobilien-Tycoon Damian Hale (Ben Kingsley) verfügt über nahezu unermesslichen Reichtum. Doch Genuss kann der Multimillionär kaum noch aus seinen Güter ziehen. Eine tödliche, unheilbare Krankheit zehrt an seinen Kräften, und das sprichwörtliche Damoklesschwert kreist von Tag zu Tag bedrohlicher über seinem Kopf. Ein geheimnisvoller britischer Wissenschaftler namens Albright (Matthew Goode) erklärt Damian jedoch, dass es einen Ausweg gäbe.

Ein streng unter Verschluss gehaltenes Verfahren namens „Shedding“ soll es den führenden Denkern der Welt ermöglichen, in einen jungen, unverbrauchten Körper zu schlüpfen. So hätten sie die Möglichkeit, der Gesellschaft weiter ihren brillanten Dienst zu leisten – und sich ganz nebenher für ihre Genialität zu belohnen, indem sie endlich wieder die Vorteile des Jungseins auskosten. Damian willigt ein, wenngleich zweifelnd, und wird nach einer schaurigen Prozedur überrascht: Albright hat nicht zu viel versprochen. In einem neuen Körper und unter dem neuen Namen Edward (Ryan Reynolds) frönt Damian wochenlang in der Lebestadt New Orleans dem Playboy-Dasein. Doch der hedonistische Höhenflug wird von konstant stärker werdenden Kopfschmerzen gestört, die verwirrende Visionen mit sich bringen. Hat Albright etwa irgendwelche Nebenwirkungen verschwiegen ..?

Aus der richtigen Perspektive betrachtet ist Self/less – Der Fremde in mir ein sehr kurioser, und daher interessanter Fall. Denn was das Autoren-Brüdergespann David & Àlex Pastor sowie Regisseur Tarsem Singh hier erschaffen haben, hat einen beeindruckend schnörkellosen Qualitätsverlauf: Viele Filme weisen im Laufe ihrer Spielzeit hier und da eine Szene auf, die einen qualitativen Ausreißer nach oben oder unten darstellen. Dieser größtenteils in gedämpften Farben gehaltene Actionthriller hingegen folgt einer geschliffenen Kurve. Genauer gesagt einer geschliffenen Kurve, die zu einem arg enttäuschenden Ergebnis führt:

Nachdem Singh mit dem Brecheisen die Grundsituation eingeführt hat (Damians Wohnung würde Dagobert Duck Schwindelanfälle abringen, die Dialoge lassen jedes Feingespür missen), findet Self/less – Der Fremde in mir langsam seinen Rhythmus. Mit jeder neuen Szene wird Matthew Goodes schmieriger Wissenschaftler zunehmend rätselhafter und somit aufregender. Je näher der Termin des „Sheddings“ rückt, desto mehr bricht Ben Kingsley aus seinem anfänglichen „Ich bin nur des Geldes wegen hier“-Modus heraus und macht Damians Ängste spürbar. Und sobald Damian lernen muss, mit seinem neuen, jungen Körper umzugehen, entlockt Singh dem The Voices-Mimen eine mehr als nur grundsolide Performance.

Reynolds legt eine Altersweisheit in sein Spiel, die im scharfen, reizvollen Kontrast zur von ihm mit leidendem Blick ausgedrückten Verletzlichkeit steht. Während des Trainings in Albrights kühler Einrichtung macht Reynolds nachvollziehbar, wie schmerzlich seine Rolle die Umgewöhnung an einen fremden Körper empfindet, wodurch er die Fallhöhe des Films ausbaut.

Durch Reynolds Gespür für physische Komik bereitet er gleichzeitig den Höhepunkt von Self/less – Der Fremde in mir vor: Endlich komfortabel mit seinem neuen Ich, führt Damian das Leben eines modernen Bonvivants – und Singh lässt seine inszenatorischen Fähigkeiten endlich von der Leine. Nach dem unterdurchschnittlichen Anfang und den grundsoliden Sequenzen im geheimen Labor sind die frühen Sequenzen in New Orleans ein wahrer Genuss. Eine mit diegetischen Soundeffekten, Bild- und Klangwiederholungen und fideler Schnittarbeit erstellte Montagesequenz weckt unbändige Lebensfreude, gehört in ihrer entfesselten Energie sogar zu den besten Szenen des Kinojahres.

Und daraufhin geht alles den Bach runter. Nicht nur für Damian, sondern auch für das Publikum. Singh hatte seine Handvoll Minuten, in der er sich austobte, und stellt direkt nach besagter Lebensgenuss-Montage sein Licht unter den Scheffel. Ach, Quatsch. Er löscht sein Licht und begräbt die Feuerstätte unter meterdickem, grauen, öden Beton. Sämtliche inszenatorische Handschrift entschwindet und macht Platz für eine seelenlose, schematische Regieführung, wie man sie in einem Direct-to-DVD-Actionthriller der unteren Preisklasse vorfindet. Selbst einen spektakulären, mehrere Autos zerschrottenden Stunt berauben Singh, Kameramann Brendan Galvin und Cutter Robert Duffy seiner Wirkung: Das spektakuläre Material wird nicht ansatzweise so kraftvoll orchestriert wie die New-Orleans-Szenen, sondern nahezu wahllos runter gerattert.

Dass die konzeptuell einige Parallelen zu John Frankenheimers Der Mann, der zweimal lebte aufweisende Produktion einen gnadenlosen Sinkflug hinlegt, liegt wohlgemerkt nicht allein an der audiovisuellen Umsetzung. Auch das Drehbuch lässt im Anschluss an den Abstecher nach „The Big Easy“ sämtliches Potential qualvoll verenden. Eingangs werden noch Andeutungen gemacht, die hoffen lassen, dass die Pastor-Brüder an einer in sich schlüssigen, ethischen Auseinandersetzung mit dem Gedanken hinter ewigem Leben interessiert sind. Diese Ambitionen verblassen aber sofort, sobald sich Self/less – Der Fremde in mir zu einem Katz-und-Maus-Verfolgungsjagdspielchen entwickelt, dessen Wendepunkte mit Pauken und Trompeten angekündigt werden.

Eine inhaltlich flache, nur auf Adrenalinschübe ausgerichtete Produktion dieser Art kann sehr wohl hervorragend aufgehen – man blicke nur auf John Woos unvergesslichen Actionwahnsinn Face/Off – Im Körper des Feindes» Der 90er-Kracher hat mit Self/less – Der Fremde in mir gemeinsam, dass beide Filme es nicht mit Frankenheimers Grimmigkeit aufnehmen können und keine Lust auf die komplizierten Fragen hinter ihrer Grundidee haben. Face/Off aber hat einen gewaltigen Pluspunkt, der für ihn spricht: John Woo pfeffert seinen gesamten Stil in die Waagschale, dirigiert einen geballten Action-Thrillride mit halsbrecherischen Kämpfen, explosiven Verfolgungsjagden und beinahe verboten selbstgenüsslichen Overacting-Passagen. Self/less hingegen möchte zwar ab einem gewissen Punkt auch Action und Suspense pur sein, verleugnet dabei aber jegliche Identität, so dass alles nur noch vor sich hin plätschert und selbst der anfangs so engagierte Ryan Reynolds nur wenig retten kann.

Wenn man aus Self/less – Der Fremde in mir also eine Lektion ziehen kann, dann wohl folgende: Wenn Singh zwischen „Ich muss mich beweisen!“ und „Ich muss der Masse gefallen!“ nicht bald einen guten Kompromiss findet, so müssen wir diesem gescheiterten Visionär eines Tages einen jüngeren Körper spendieren, damit er genügend Zeit hat, sich endlich zu finden. Und welch dumme Idee das ist, zeigt ja schon Self/less – Der Fremde in mir. Also, Tarsem: Streng dich an, du kannst es auch so schaffen!

Fazit: Verschenktes Potential, lahme Action und ein lustlos abgespulter Plot: Von einer kurzen, brillanten Passage abgesehen ist Self/less – Der Fremde in mir ein regelrechter Rohrkrepierer.