Mittwoch, 29. Juni 2016

Hail, Caesar!


Vier Filme, vier unterschiedliche Verleiher: Die aktuellsten Einträge in George Clooneys Schauspielvita erfolgten für Universal Pictures, Walt Disney Pictures, Columbia Pictures/20th Century Fox und Warner Brothers. Auch Clooneys Hail, Caesar!-Ensemblekollegin Scarlett Johansson wanderte in jüngster Vergangenheit munter durch Kinofilme verschiedenster Produktionsfirmen. Was in der modernen Medienwelt nicht weiter verwundert, war in einer früheren Phase der Filmgeschichte für Hollywood-Stars nahezu unmöglich. Denn zur Zeit des Studio-Systems standen Schauspielgrößen, Kreativschaffende sowie angesehene Handwerkskünstler üblicherweise bei einem der „Big Five“ unter Vertrag. Jeder Wechsel von einem Studio zum anderen wurde im Filmgeschäft daher als große Umwälzung betrachtet

Da das filmschaffende Personal der großen Hollywood-Studios eine entsprechend hohe Bedeutung für den Ruf der jeweiligen Unternehmen hatte, wurden berühmte Namen ganz anders beschützt als heutzutage. Haben gegenwärtig Stars, gemeinsam mit ihren Agenturen und Publizisten, ihr Image weitestgehend selbst in der Hand (zumindest so sehr, wie es die Klatschpresse erlaubt), achteten in der sogenannten Goldenen Ära Hollywoods die Studios mit Argusaugen auf ihre Schützlinge. Es hielt Skandale aus der Öffentlichkeit und diktierte im Gegenzug, was ein Star zu sagen, zu tragen, zu tun und zu lassen habe. Das Hollywood-Studio, der Polizeistaat.

Hail, Caesar! handelt von einem Mann, der während des Abklingens des güldenen Hollywood-Systems die anstrengende Aufgabe des Studio-Polizisten ausfüllt: Eddie Mannix (Josh Brolin), Produktionsvorsitzender und „Fixer“ von Capitol Pictures. Gefühlt arbeitet Eddie 30 Stunden am Tag, 12 Tage die Woche. Denn er ist es, der dafür sorgt, dass die Studiomaschine läuft wie frisch geschmiert. Wetterprobleme verzögern einen Dreh? Eddie findet eine Lösung. Das Skript zu einem kommenden Capitol-Pictures-Streifen kommt nicht in Schwung? Eddie findet eine Lösung. Das Studio braucht den Segen diverser religiöser Gruppen, um guten Gewissens einen Monumentalfilm mit Glaubensbotschaft ins Kino zu entlassen? Eddie regelt das!


Den Großteil seiner Zeit verbringt Eddie aber damit, für die Stars und Sternchen von Capitol Pictures die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Eddie bewahrt Starlets davor, wegen unsittlichen Verhaltens eingebuchtet zu werden. Er findet rechtliche Schlupflöcher, um pikante Wahrheiten versacken zu lassen. Und er täuscht die Branchen- und Klatschpresse, wo er nur kann. Als Baird Whitlock (George Clooney) spurlos vom Set des Sandalenfilms Hail, Caesar! verschwindet, steht Eddie jedoch vor seiner bislang größten Herausforderung …

Eddie Mannix ist keine aus der Luft gegriffene Erfindung der mehrfach Oscar-prämierten Coen-Brüder, sondern eine dramaturgisch überspitzte Kombination aus dem echten Eddie Mannix und Publicitychef Howard Strickling. Gemeinsam hielten sie jahrzehntelang die MGM-Studios am Laufen und verhalfen deren Stars zu blütenreinen Westen. Wie es sich für die Fargo- und A Serious Man-Macher Joel & Ethan Coen gebührt, widmen sie Mannix und Strickling mit Hail, Caesar! jedoch kein alltägliches, cineastisches Denkmal. Das auf doppelbödige Filme spezialisierte Brüder-Gespann nimmt Mannix‘ Berufung als Ausgangspunkt für eine Ansammlung an leichtfüßig verbundenen, sketchartigen Szenen, die auf das Holllywood-Kino der frühen 50er-Jahre zurückblicken. Und dies in einem Tonfall, der sich irgendwo zwischen neckischer Hommage, humorvoll überbetonter Dramatik und liebevoller Parodie verorten lässt.

Die Einfälle der Coens sind mannigfaltig – und sie alle verneigen sich augenzwinkernd vor den Archetypen, die das Kinogeschäft hervorgebracht hat, sowie vor den Filmgenres, die vorübergehend Hollywood dominiert haben. So spaziert Mannix im Dienste seiner Pflicht am Set eines munteren Musicals vorbei – und schon wird dem Kinopublikum eine ausgedehnte Sequenz kredenzt, in der Magic Mike XXL-Sunnyboy Channing Tatum die Mentalität von Gene-Kelly-Filmen auf die Schippe nimmt. Mit schwungvollen Schritten und einer frivolen, doch unschuldig dargebotenen Choreografie gerät dieser Seitenhieb ebenso spitzbübisch wie ehrfürchtig. Ebenso amüsant sind die Szenen aus dem Film-im-Film namens Hail, Caesar!, welche voller Detailliebe Werke wie Ben Hur durch den Kakao ziehen. Und damit nicht genug: Mit versiertem, achtungsvollem Blick persiflieren die Coens auch simple Western, Bubsy-Berkeley-Wasserballette und galante, den Alltagsproblemen entrückte Dramen.

Diese fiktiven Filmproduktionen, die stets glaubwürdig den Look ihrer Vorbilder nachahmen, gehören zu den Höhepunkten von Hail, Caesar!, allerdings brillieren auch jene Szenen, in denen Mannix hinter den Kulissen seiner Arbeit nachgeht. Dies liegt nicht zuletzt am bestens aufgelegten Ensemble: Tilda Swinton gibt die zickigen Klatschpresse-Schwestern Thora und Thessaly Thacker genauso pointiert wie sich Scarlett Johansson als ungezügelte Filmikone mit Heile-Welt-Image durch ihre Szenen zetert. Und Alden Ehrenreich darf sich als Western-Mime Hobie Doyle, der in das Drama-Genre geschubst wird, in das ruhmreiche Coen-Filmpantheon gutherziger Dummköpfe einreihen. Dort bekommt er Gesellschaft von George Clooney: Der Superstar, den die Coens schon in O Brother, Where Art Thou?, Ein (un)möglicher Härtefall und Burn After Reading goldig herumhampeln ließen, agiert mit genüsslicher Spritzigkeit als verblendeter Spitzenschauspieler, der nach seiner Entführung die politische Welt mit neuen Augen sieht. Was nicht heißt, dass er plötzlich den Durchblick hat …

All dies untermalt Komponist Carter Burwell mit dynamischer, oftmals augenzwinkernd melodramatisch angeschlagener Musik – und somit trifft er genau den richtigen Ton: Die von Kameramann Roger Deakins (Sicario) in kontrastreichen Farben eingefangene Farce akzentuiert zwar in hoher Frequenz, welch teils absurden Eigenheiten das Hollywood der frühen 50er ausgemacht haben. Dennoch fungiert Hail, Caesar! als Liebesbrief an die behandelte Ära, denn die Coens verzichten durchgängig auf gehässige Pointen – viel mehr zeichnen sie die zahlreichen Figuren als quirlige Karikaturen. Wenn Ralph Fiennes als übertrieben höflicher Regisseur selbst die grausigsten Takes als „Sehr gut“ bezeichnet, greifen die Coens nicht etwa andere Filmemacher an, sondern halten lächelnd fest, wie es auf einem Filmset zugehen kann.

Nur eine Rolle weist in dieser Ansammlung an charmanten Witzfiguren so etwas wie Bodenhaftung auf: Josh Brolins Eddie Mannix. Mit energischem Blick und geschliffener Schlagfertigkeit (sei es verbal oder non-verbal) ist der „Fixer“ von Capitol Pictures nicht etwa ein wandelnder, respektvoller Scherz. Sondern ein nachdenklicher, sein Handeln hinterfragender und dennoch liebend gern erledigender Mann, der das Filmgeschäft todernst nimmt – und der beim Streben nach Erfolg mit Erschöpfungserscheinungen kämpft. Das gleicht Eddie Mannix, der liebende sowie gestrenge Freund und Helfer der Stars, aus, indem er mit trockenem Humor glänzt. Höchst kalkuliert, natürlich.

Und das ist wohl der listigste Geniestreich des Autorenfilmer-Duos in Hail, Caesar!: In dieser gewitzten Feier des Filmgeschäfts ist einzig und allein dem Vertreter einer dubiosen, ausgestorbenen Profession eine mehrdimensionale Persönlichkeit gestattet. Damit können sich die Coens ganz klar der Selbstbeweihräucherung freisprechen – immerhin sind alle Professionen, die Hollywood weiterhin anbietet, laut dieser Komödie mit Witzfiguren besetzt. Und Platz für Normale gab es, zumindest stellt es Hail, Caesar! so dar, nur in der Funktion des gerissenen Aufpassers. Das Hollywood-Studio, der Polizeistaat? Eher: Das Hollywood-Studio, der faszinierende, gefährliche Kindergarten!

Fazit: Ein Muss für Filmliebhaber und Freunde kreativer Komödien: Ethan und Joel Coen zünden ein Feuerwerk an ulkigen, neckisch-liebevollen Gags über Hollywood ab!

Dienstag, 28. Juni 2016

Die Wilden Kerle – Die Legende lebt!


Annähernd neun Millionen Kinotickets wurden hierzulande in den Jahren 2003 bis 2008 für Joachim Masanneks Die Wilden Kerle-Saga gelöst. Der vierte Teil der Kinderfilmreihe über ein ungezügeltes, junges Fußballteam holte sich 2007 sogar den Titel der zweiterfolgreichsten deutschen Kinoproduktion – nur Til Schweigers Keinohrhasen lockte mehr Menschen in die Lichtspielhäuser. Es lässt sich also nicht verleugnen, dass die Nachwuchskicker Leon, Marlon, Vanessa, Raban, Joschka, Maxi und Markus ihre Marke in der deutschen Filmlandschaft hinterlassen haben. Frühjahr 2016 war es dann so weit: Acht Jahre nachdem sich die Wilden Kerle hinter den Horizont verabschiedet haben, und 13 Jahre nach dem Anpfiff ihrer tonal variantenreichen Partie in Deutschlands Kinos, meldeten sie sich zurück. Die von den Ochsenknecht-Brüdern Jimi Blue und Wilson Gonzalez angeführten Sportler stehen dieses Mal allerdings nicht im Mittelpunkt des Geschehens. So, wie einst Käpt’n Kirk und in jüngerer Kinovergangenheit auch Rocky und die Star Wars-Veteranen, kommen die Wilden Kerle wieder, um einer neuen Heldengeneration ihren Segen zu geben ...

Die Brüder Leo und Elias spielen mit ihren Freunden Finn, Oskar, Joshua, Müller und Matze liebend gern Fußball und stellen sich dabei vor, die legendären Wilden Kerle zu sein. Ob es die von einem Feuerseifer besessene Mannschaft je wirklich gegeben hat, ist für die Kinder eine unbeantwortete Frage – in ihrer Fantasie zumindest sind die Wilden Kerle echt. Eines Tages werden sie beim Nachspielen einer Wilden-Kerle-Geschichte von einem in schwarz gekleideten Fremden mit Augenklappe beobachtet, der ihnen eine mysteriöse Landkarte überreicht. Diese bildet das Wilde-Kerle-Land ab, inklusive Weg zum sagenumwobenen Teufelstopf. Die Freunde begeben sich zum Bolzplatz ihrer vermeintlich fiktiven Helden – und erkennen, dass es sie wirklich gegeben hat. Sogar dem Wilden-Kerle-Trainer Willi begegnen die Freunde, die nun die Gelegenheit erhalten, in die Fußstapfen ihrer Idole zu treten. Doch sie müssen sich beeilen, wenn sie sich deren Erbe als würdig erweisen wollen. Denn der Erzfeind der Wilden Kerle, der Dicke Michi, ist Abrissunternehmer geworden und bereitet sich vor, die letzten Überreste seiner Gegner zu zerstören. Obendrein muss die Jungstruppe noch einen weiteren Mitstreiter finden (oder eher eine Mitstreiterin?) …

Von diesem Punkt ausgehend entwickelt sich Die Wilden Kerle – Die Legende lebt! zu gleichen Teilen zu einem Remake des Erstlings und zu einem Sequel. Während die neue Generation eine Neuauflage des ersten Trainings und des ersten großen Spiels der Originale durchlebt, sorgt die Präsenz der ursprünglichen Wilden Kerle für neue Elemente: Dadurch, dass die Jungprotagonisten nun angeblich erfundenen Vorbildern nacheifern und sich letztlich auf dem besten Weg befinden, ihren Platz einzunehmen, wird der sechste Wilde Kerle-Film zu einer Geschichte über kindlich-unschuldige Heldenverehrung. Die Botschaft „Mit einer Prise Selbstbewusstsein kannst du genauso wie deine Lieblingsfiguren sein!“ schwingt daher wiederholt zwischen den Zeilen dieses Kinderabenteuers mit. Da Kinder gerne Comic-, Roman-, TV- und/oder Film-Helden nacheifern, ist es eine erbauliche, kleine und dennoch feine Message, die in den heutigen Tagen vorgefertigter Franchise-Kinderabenteuer vielleicht sogar aktueller ist denn je.

Das ältere Publikum wiederum gewinnt durch das Aufeinandertreffen der Generationen einige respektable Meta-Spielereien: So darf Daniel Zillmann im Finale sein herrlich ironisches Timbre nutzen, um die dramaturgischen Wiederholungen innerhalb der Filmreihe zu kommentieren. Und die leisen Anklänge von narrativer Selbstreflexion, wenn die innere Logik der Geschichte auf die realen Hintergründe der Produktion treffen, sind ebenfalls amüsant zu verfolgen. Immerhin lassen sich sowohl Story als auch Produktionshintergrund mit „Kinder spielen trotz eines Mangels an neuen Abenteuern die Wilden Kerle nach, und um ihre Passion anzufeuern, kehren die Originale zurück“ zusammenfassen. Regisseur und Autor Masannek schröpft aus diesem Spiel mit Fiktion und Realität zwar nicht das Maximum (dafür nehmen die Slapstickspäße der neuen Wilden Kerle zu großen Raum ein), jedoch ist es ein ansprechender Bonus in einem Film, der auch ein reines Remake hätte darstellen können.

Das Auftauchen sogleich zweier Wilde-Kerle-Generationen ermöglicht es Die Wilden Kerle – Die Legende lebt! zudem, den potentiellen Neustart der Reihe zwischen den beiden stilistischen Eckpunkten der ersten fünf Filme einzuordnen: Die neuen Kinder sind mit ihrer Verspieltheit und ihren aus Erwachsenensicht simplen Sorgen (‚Sind Mädchen uncool?‘, ‚Kann man Verwandten von Feinden trauen?‘, ‚Was, wenn jemand unseren Lieblingsplatz zerstören will?‘) so geraten wie die Kids im allerersten Film. Die Original-Kerle dagegen sind mit ihrer stylischen, schwarzen Kluft und ihren inszenatorisch überhöhten Auftritten aus demselben Holz geschnitzt, aus dem Part vier und fünf der Die Wilden Kerle-Reihe gemacht wurden. Der Film selbst spielt stilistisch gesehen konsequenterweise irgendwo in der Mitte – er ist exzentrisch, aber auf kindliche Weise. Stellenweise ist der daraus resultierende Humor leider arg naiv-grell geraten, beispielsweise wenn der Dicke Michi selbst während einer Schimpftirade weiterfuttert und sich mit Senf beschmiert oder wenn Trainer Willi unentwegt über etwas stolpert oder sich an etwas stößt. Und die hölzern vorgetragenen, extralangen Flüche der neuen Kerle wirken eher bemüht als gewitzt, stellen somit eine Verschlechterung eines Elements dar, das schon in der Originalreihe störte.

Selbiges gilt für die teils unnatürlichen Atempausen der Kinderdarsteller, wann immer sie längere Dialogpassagen zu bewältigen haben. Hier hätte ein strengerer Schnitt mehr aus den generell sonst soliden Performances rausholen können. Masanneks Herangehensweise macht sich dafür auf der inszenatorischen Ebene bezahlt: Die neue Generation findet die Erfüllung ihrer Träume nicht in einer glatten, klinisch sauberen Kicker-Welt, sondern in den staubigen, rostigen Überresten dessen, was ihre Vorgänger hinterlassen haben. Mit verwittertem Holz und jeder Menge Dreck hat der Teufelstopf, wie sich der Bolzplatz der Wilden Kerle nennt, eine abenteuerliche Atmosphäre zu bieten, die Masannek und Kameramann Benjamin Dernbecher in Western-Manier einzufangen wissen: Sie setzen intensiv auf Totale und Halbtotale, die Kinder reihen sich in den Leinwandbildern nebeneinander auf und reden dann oftmals miteinander, ohne sich anzuschauen. Wie die Protagonisten diverser Westernklassiker halt … Auf ein hohes Maß an direkten Filmreferenzen verzichtet Masannek, der auch die Buchvorlagen sowie alle bisherigen Filme verantwortete, dieses Mal hingegen. Vielleicht bleibt das ja, wie bei den ersten Kerlen, den späteren Abenteuern der Kickergruppe überlassen.

Fazit: Die Wilden Kerle – Die Legende lebt! ist eine gut aussehende, stellenweise in ihrer Komik anstrengend-grell geratene Kinder-Sportkomödie mit dem extra Schuss an Exzentrik und Fanservice.

Freitag, 24. Juni 2016

Dirty Grandpa


Mit der ausgefallenen Romantikkomöde Das hält kein Jahr…! verquickte Dan Mazer 2013 einen räudig-derben Sinn für Humor mit einer herzensguten, grundehrlichen Geschichte über die Suche nach dem passenden Lebenspartner. Heraus kam der Film, der Rose Byrne unverrückbar in die Riege der lustigsten Frauen der filmischen Gegenwart katapultierte. Dirty Grandpa, Mazers nächste Regiearbeit, versucht sich an einem ähnlichen Spagat: Auf der einen Seite ist die 11,5-Millionen-Dollar-Produktion eine Rüpelkomödie voller Sex-Witze und vulgärer Verbalsekapaden. Auf der anderen Seite handeln rare, eingestreute Szenen davon, dass ein eigensinniger Großvater seinem verklemmten, unter dem Pantoffel seiner herrischen Verlobten stehenden, Enkel vorzuführen versucht, wie ein selbstbestimmtes Leben aussieht. Und das bedeutet auch: Sex mit feschen Studentinnen.

Die Verschmelzung von hart und zart, die Mazer bei Das hält kein Jahr…! basierend auf einem eigenen Drehbuch gelungen ist, bleibt beim gleichermaßen anstrengenden wie anödenden Dirty Grandpa ein bloßer Wunschtraum: Nach einem Skript des Novizen John M. Philips lässt Mazer die lebende Schauspiellegende Robert De Niro und den charismatischen We Are Your Friends-Schönling Zac Efron durch eine uninspirierte Story stapfen, die voller humoristischer Rohrkrepierer ist. Ist es ein Brüller, wenn Opa Dick (De Niro) sich selbst befriedigt, während er einen Porno guckt, und sein Ekel Jason (Efron) gerade ins Zimmer tritt? Reicht es für einen Lachmuskelkater, wenn sich Dick gelegentlich an Jason heranschleicht und ihm seinen Daumen in den Hintern steckt? Ist es urkomisch, dass Jason widerwillig zum Karaoke geschleppt wird und dann mitten im Song auftaut (so wie einst bei High School Musical!) und er am Telefon andauernd von seiner Verlobten angekeift wird?

Es ist vielleicht denkbar, dass es Szenarien gibt, in denen die obigen Fragen allesamt mit „Ja“ beantwortet werden können. Humor entsteht schließlich aus dem Kontext heraus und ist unter anderem eine Frage des Überraschungsfaktors. Mazer und Philips machen allerdings sehr früh klar, dass Dick stets in die tiefsten, schmutzigsten Gefilde vordringt und Jason ein Spießer vor dem Herren ist. Sobald Dick das Hereinplatzen Jasons in seine Masturbationssession vollkommen lässig über sich ergehen lässt (und Mazer den „überraschenden“ Pornokonsum Dicks durch frühzeitig hörbare Stöhngeräusche vorwegnimmt), ist klar: Wenn Dick die Gelegenheit hat, einen Spruch unter der Gürtellinie abzulassen oder gegen jegliche Etikette zu verstoßen, so nutzt er sie. Damit kann Dicks Benehmen nur in den seltensten Fällen überraschen, was nahezu jede Pointe brutal absaufen lässt. Ebenso, wie sich die „Haha, Jason ist verklemmt!“-Gags rasch abnutzen.

Noch schwerwiegender ist, dass sich Dirty Grandpa fast schon im Fünf-Minuten-Takt in Sequenzen verliert, bei denen der vermeintliche Witz allein dadurch besteht, dass Dick schmutzige Wörter in den Mund nimmt. Die Vokabeln „Ficken“, „Fotze“, „Pimmel“ und Co. allein sind aber nicht von sich heraus lustig, und ihr Schockfaktor sollte sich für Zuschauer, die nicht gerade wie Jason geraten sind, eher in Grenzen halten. So eintönig diese vermeintlichen Wortwitz-Passagen sind, so lästig wird Dirty Grandpa, wenn Dick Schwule und Frauen beleidigt – wären Philips kreative, kesse Sprüche gelungen, ließen sich diese Momente, je nachdem wie Dicks Charakterisierung im Gesamtkontext bewertet wird, ja erdulden. Allerdings ist dies nicht der Fall: Dick poltert einfach vor sich hin, und fast so, als wollte der Drehbuchautor diese Monologe und Dialoge entschuldigen, folgt im letzten Akt eine fadenscheinige Erklärung, dass Dick ja eigentlich schon weiß, dass man so nicht reden sollte. Weshalb er sich nicht an seine eigene Lektion hält, bleibt derweil ein Rätsel ...

Durch diese Inkonsistenz wird die Titelfigur zum charakterlosen Spielball dessen, was die jeweiligen Szenen so gebrauchen könnten. Das wiederum führt dazu, dass die hölzern geschriebenen „emotionalen“ Szenen unehrlich erscheinen – und so zu schierem Ballast in einem Film werden, der eh kein narratives Momentum aufweist. Da hilft es auch nicht, dass De Niro der niedrigen Qualität des Skripts zum Trotz mit Esprit auftritt und Efron mit seinem respektablen Timing wenigstens die reinen Slapsticksequenzen halbwegs passabel hinter sich bringt. Denn das Hauptdarsteller-Doppel muss nicht nur gegen die die lieblose Aneinanderreihung der Rüpelgags anspielen, sondern auch gegen den trägen Schnitt von Anne McCabe.

Durch das stets erst wenige Sekunden nach dem Pointenhöhepunkt erfolgende Wechseln auf andere Einstellungen oder hin zu neuen Szenen macht Dirty Grandpa leider klar, wie selten die Leistung von guten Cuttern bei Komödien beachtet wird. Denn in gelungenen Komödien denken nur wenige Zuschauer über den Schnitt nach – bei dieser Produktion indes macht der Schnitt selbst die wenigen Treffer fast zugrunde. Ein einprägsames Beispiel ist die aus den Trailern und Spots bekannte Szene, in der ein halbnackter Jason am Strand von einem kleinen Jungen genervt wird: Was im Trailer den pointiert-derben Anschein erweckt, als würde Efrons Rolle das Kind missbrauchen, und durch die Diskrepanz zu Jasons unschuldigem Handeln durchaus zum Schmunzeln anregt, ist durch die lahme Umsetzung im Film witzlos.

Einzig und allein Jason Mantzoukas und Aubrey Plaza retten Dirty Grandpa davor, seine gesamte Laufzeit über eine Tortur darzustellen. Wohingegen die restlichen Nebendarsteller keinen Eindruck hinterlassen, ergötzt sich Plaza dermaßen an ihrer Rolle als notgeile, auf ältere Männer stehende Studentin, dass sich ein Hauch ihrer Spielfreude in sprühenden Witz verwandelt. Dabei hilft es, dass Plazas Sprüche, im Gegensatz zu De Niros, nicht nur aus Schmuddelwörtern bestehen, sondern auf albern-peppigen Sprachbildern basieren. Mantzoukas letztlich scheint wie aus einem anderen Film entliehen: Als verpeilter, stets bestens gelaunter Drogendealer, der keinerlei Gesetzen der Realität verpflichtet ist, bringt er eine dringend nötige, frische Prise in diesen klebrig-stinkenden Muff, der sich Komödie schimpft.

Fazit: Dirty Grandpa ist ungefähr so riskant wie ein Kaffeekränzchen im Seniorenheim und so lustig wie der Kater am Morgen nach einer ausgelassenen Strand-Party.

Freitag, 10. Juni 2016

Deadpool


Anfang 1991 platzte er in die Marvel-Comicwelt – und ist seither nicht mehr aus ihr wegzudenken: Deadpool, das kindisch-sadistische Plappermaul, das sich auf Illusionsbrechungen spezialisiert hat. Der in einem roten Ganzkörperanzug gekleidete Söldner weiß, dass er sich nur in einer fiktiven Comicerzählung befindet und richtet sich daher regelmäßig an die Leserschaft, kommentiert Klischees und lässt zahllose popkulturelle Referenzen vom Stapel. Dieser süffisante Humor, gepaart mit einer lakonisch-humorigen, zügellosen Gewaltdarstellung, die mit Deadpool in den Comics zumeist einhergeht, machen den Mutanten zu einem wahren Fanfavoriten. Ein eigener Kinofilm wäre im Normalfall genau deswegen nicht fern. Aber die Kombination aus derbem Witz und kerniger Gewalt weckt nicht gerade das Vertrauen der Studiobosse, insbesondere nicht im Bereich des kostspieligen Superheldenkinos. Nach jahrelangem Bangen hat Deadpool aber eine Form angenommen, die der frechen Titelfigur durchaus gebührt. Dazu benötigte es nur stete Nachfragen der Fans, eine euphorische Reaktion auf (kalkuliert?) geleaktes Testmaterial sowie einen Hauptdarsteller, der das Studio unermüdlich darum angebettelt hat, den Film machen zu dürfen, ohne Deadpools Kernigkeit auf dem Altar der Familientauglichkeit opfern zu müssen.

Dieses feurige Engagement, das Ryan Reynolds hinter den Kulissen gezeigt hat, beweist der Green Lantern-Hauptdarsteller auch vor der Kamera. Somit ist Reynolds unmissverständlich der wertvollste Aspekt dieses pointenreichen Actionfilms. Denn der Charme und Witz des Mimen helfen dabei, die kleineren Makel zu mildern, die Deadpool leider Abzüge in der B-Note geben. Aber der Reihe nach. Selbst wenn der mörderische Typ mit den Superheilkräften nicht viel davon hält, der Reihe nach vorzugehen:

Deadpool eröffnet mit einer Actionsequenz auf einer Schnellstraße, die den skrupellosen Anti-Helden dabei zeigt, wie er es ganz allein mit einer großen Truppe von Schurken aufnimmt. Deadpool, der dieses Scharmützel genießt, befindet sich nämlich auf der Suche nach dem Mutanten Ajax (Ed Skrein), von dem er sich erhofft, dass er ihm sein einstiges, makelloses Antlitz wiedergeben kann. Seine ihm innewohnenden Entertainerqualitäten gebieten es Deadpool aber, die Kampfsequenz mehrmals zu unterbrechen, um dem Publikum seine Herkunftsgeschichte zu erläutern. Einst war Deadpool lediglich der Auftragsrüpel Wade Wilson, der es gegen ein Entgelt mit jedem aufgenommen hat, der in den Augen seiner Auftraggeber einen Denkzettel verdient. Eines Abends verknallt sich der attraktive Einzelgänger in Vanessa (Homeland-Mimin Morena Baccarin), ihres Zeichens eine Dame der Nacht. Wade und Vanessa teilen einander eine dunkle Vergangenheit und einen gigantischen Appetit auf Sex – und verlieben sich daher. Das Glück nimmt ein jähes Ende, als Wade praktisch überall in seinem Körper Krebs bekommt, wo man Krebs bekommen kann. Also unterzieht er sich einer brutalen Behandlung, die ihn mutieren lässt – und unfassbar hässlich macht …

Das Wechselspiel zwischen Rückblenden und Gegenwart, das die Autoren Paul Wernick & Rhett Reese (Zombieland) abhalten, führt bedauerlicherweise vor, wie sehr sich Deadpool verheddert: Einerseits bemüht sich der Film redlich, Genrekonventionen auf den Kopf zu stellen. Von der moralisch korrumpierten Titelfigur hin zu launigen Kommentaren über Produktionskosten und dem akzentuierten Einsatz von Hintergrundmusik: Der irre Deadpool teilt wiederholt gut sitzende Seitenhiebe aus (was etwa in einen saukomischen Vorspann mündet) und auch die eigenwillige Erzählstruktur lässt sich als anarchischer Einfall verstehen. Andererseits vermeiden Wernick und Reese trotzdem nicht die genretypischen Expositionsdialoge und halten sich zudem damit zurück, die alltägliche Erzählstruktur völlig auszuhebeln: Irgendwann verlassen wir dann doch noch die Schnellstraße und die Rückblenden nehmen ebenfalls ein Ende ... Das macht Deadpool keineswegs zu einem schwachen Film. Allerdings hätte es perfekt zum Humor des Anti-Helden gepasst, wäre sein erster eigener Kinofilm eine einzige, extralange Actionsequenz, die bloß durch ein paar Rückblenden unterbrochen wird.

Die Zurückhaltung, die tragenden Säulen klassischer Superheldenfilme einzureißen, macht sich auch darin bemerkbar, dass die pfiffigen Meta-Kommentare vergleichsweise vorsichtig dosiert sind und die Gewaltspitzen zwar für eine FSK ab 16 Jahren reichen, nie aber derb-kreative Gefilde erreichen. Die verstörende Ader der Titelfigur zeigt sich daher nur ansatzweise – sollte es eine Fortsetzung geben, besteht also noch Luft nach oben. Auch einen einprägsamen Instrumentalscore ist 20th Century Fox Deadpool noch schuldig – bislang kann sich der Supersöldner nur mit einem coolen Mixtape an Archivmusik rühmen. Und natürlich mit einem beeindruckenden, praktischen Kostüm, das keinerlei Parallelen zu der CG-Katastrophe hat, die Reynolds in einem anderen Superheldenfilm tragen musste ...

Auch wenn Deadpool nicht ganz so rücksichtslos, knallhart und durchgeknallt ist, wie es die Figur ermöglicht hätte, so versprüht der launige, kecke Film ganz klar das Flair des wilden Comicstars und weiß auch ohne Tabubrüche zu unterhalten. Reynolds hat ein begnadetes komödiantisches Timing, bringt aber obendrein die wenigen dramatischen Momente überzeugend rüber: Wenn Wade etwa nach seiner Krebsdiagnose in einer Rückblende seine Geliebte mit einem Witz zu beruhigen versucht, dann vermitteln Reynolds' gesenkter Blick und seine brüchige Stimme, dass seine Figur längst nicht so emotionslos ist, wie sie sich gibt. Diese und ähnliche Szenen sorgen dafür, dass Deadpool nicht bloß eine kernige, wilde Superhelden-Actionkomödie darstellt, sondern auch Spannung entwickelt – denn die abgedrehte Titelfigur ist eine, mit der man mitleiden kann. Und selbst die obligatorische Lovestory funktioniert: Zwar ist die Liebe zwischen Wade/Deadpool und Vanessa alles andere als tiefgreifend, jedoch bringen Reynolds und Baccarin sehr gut die sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen rüber. So gut, dass die Dynamik zwischen diesen zwei Figuren, bei denen sich alles nur um Sex dreht, glaubwürdiger ist als das Gros der züchtigeren, charakterbasierten Romantiksubplots in Actionfilmen.

Die triebgesteuerte Flirterei zwischen Vanessa und Wade/Deadpool hat obendrein mehr Witz als die direkten Konfrontationen mit dem blassen, britischen, bösen Buben Ajax. Darsteller Ed Skrein kann der mäßig geschriebenen Rolle kaum mehr als ein selbstgefälliges Grinsen abringen, ebenso wie Gina Carano als Handlangerin keine Bereicherung für den Film darstellt. Da sind Brianna Hildebrand und Stefan Kapičić als heldenhafte Mutanten, die Deadpool auf den makellosen Pfad der Tugend locken wollen, schon deutlich witziger und erfrischender – selbst wenn sie recht wenig Einfluss auf die Story haben.

Regienovize Tim Miller, der zuvor unter anderem den Vorspann von David Finchers Verblendung verantwortete, liefert somit einen spaßigen, außergewöhnlichen Superheldenfilm als sein Debüt ab. Die Inszenierung erfolgt in den flotten Actionpassagen zwar zielgerichteter als der Bruch mit den Genrekonventionen, ein härterer Director’s Cut war zwischendurch im Gespräch, soll nun aber leider doch nicht mehr Form annehmen. Aber ein Sequel ist abgemachte Sache, und es ist dem „Merc with a Mouth“ zu gönnen, dass er nach seinem guten Solofilm auch einen echten Kracher erhält.

Fazit: Deadpool bleibt hinter seinen Möglichkeiten in Sachen sadistisch-spaßiger Gewalt und kesser Meta-Spielchen zurück. Dennoch sorgen der frech-flotte Humor und Ryan Reynolds‘ Performance für rund 100 launige Kinominuten, die weniger verbale Zurückhaltung kennen, als normale Superheldenfilme.

Donnerstag, 9. Juni 2016

Donald in den modernen Micky-Cartoons


Die von Paul Rudish erdachten, neuen Micky Maus-Cartoons, die seit 2013 online und beim Disney Channel ihre Premiere feiern, sind genau das, was die klassischen Disney-Helden nach Micky Maus Wunderhaus gebraucht haben. Nämlich das exakte Gegenteil dieser lieblos am Computer im 08/15-TV-Fließbandstil zusammengezimmerten Vorschulserie. Sie sind in einem markanten Zeichenlook gehalten. Sie visieren eben nicht gezielt die Kleinsten der Kleinen an, eher sogar im Gegenteil: Mitunter sind sie zu derbe, zu laut, zu exzentrisch oder zu launisch, um von den Jüngsten richtig wertgeschätzt zu werden. Und sie sind verflixt noch eins lustig.

Und auch wenn Donald in ihnen seltener auftaucht als im arg simplen Wunderhaus, so wird ihm diese Serie deutlich eher gerecht!

Die primär durch die Tricksoftware Toon Boom verwirklichten Kurzfilmchen schmeißen wieder die alberne Idee aus dem Fenster, zwischen Micky, Donald, Goofy und Co. herrsche unentwegt eine liebliche Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität. Und obwohl Micky seine frühere, aus seinen ersten Leinwandjahren bekannte, fesch-wilde Ader zurückerhält, so darf Donald noch immer der grantigere von den Beiden sein. Wie lange ist es bitte her, dass eine neue Disney-TV-Produktion Donald und Daisy als praktisch unmögliches Paar zeigt?



Klar, zwecks "Rule of Funny" zeigt der Cartoon Down the Hatch Donalds Gehirn als recht klein und Captain Donald behauptet, der beste Erpel der Mediengeschichte könne kein Segelboot bedienen. Aber bei diesen abgedrehten Cartoons, in denen auch mal Mickys Ohren vor ihrem Träger fliehen können, verzeihe ich solche Gemeinheiten eher, als Donald jahrelang dabei zusehen zu müssen, wie er ohne jeden Schneid Vorschülern Formen und Farben erklärt. Und Donald wird obendrein vielfältiger eingesetzt als in den sonst so achtenswerten DuckTales, wo er nur noch Mr. Unverständlich ist. Darüber hinaus kann ich mich als Donald-Liebhaber richtig glücklich schätzen. Denn ich will nicht wissen, wie ich mich als Goofy-Liebhaber bei diesen Cartoons fühlen würde, sieht Mickys dusseliger Kumpel in den neuen Cartoons doch so aus, als könnte man sich werweißwelchekrankheitenbeiihmholen ....



In diesem Sinne: Lieber Donald, die letzten Jahre waren wieder richtig gut zu dir. Weiter so.
Alles Gute zum Geburtstag!

Donnerstag, 2. Juni 2016

Tschiller: Off Duty


Mit deutschem Geld finanzierte Actionfilme sind selten, aber gelegentlich finden sie sehr wohl den Weg in die Lichtspielhäuser. Die FFA zählt etwa Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil II als deutsche Ko-Produktion, genauso wie mehrere Regiearbeiten von Paul W.S. Anderson (Resident Evil – Retribution, Die drei Musketiere) oder den Liam-Neeson-Thriller Unknown Identity. Actionfilme mit deutschen Stars in den Hauptrollen und einer deutschen Crew stellen im Kino dagegen eine absolute Rarität dar. Dass Hunger nach Action aus deutschen Landen besteht, lässt sich allerdings nicht abstreiten. Warum sonst läuft Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei seit annähernd 20 Jahren bei RTL? Wohl kaum, weil Millionen von Zuschauern den Dauerbrenner als Meisterwerk anspruchsvoller Erzählkunst betrachten …

Til Schweiger bezeichnete sich im Laufe seiner Karriere in diversen Interviews ebenfalls als Freund des Action-Genres. Statt sich aber nur über einen Mangel an eigenproduzierter Action auf dem deutschen Markt zu beklagen, trägt er mit Eifer sein Scherflein dazu bei, diesen Mangel zu beseitigen. Bislang mit durchwachsenem Erfolg: Sein Action-Drama Schutzengel scheiterte als einzige seiner Realfilm-Regiearbeiten nach dem Jahrtausendwechsel an der Eine-Millionen-Besucher-Marke. Im Fernsehen sah es zunächst besser aus: Der von Schweiger in der Hauptrolle besetzte und von ihm mitgetragene, nicht aber von ihm inszenierte Hamburg-Tatort startete mit Zuschauerzahlen auf Rekordniveau. Die drei nachfolgenden Ausgaben der Action-Krimireihe dagegen erreichten von Mal zu Mal weniger Fernsehende. Anfang 2016 zog es Schweigers Tatort-Rolle Nick Tschiller letztlich auf die große Leinwand – begleitet von einer Werbekampagne, die wie mit der heißen Nadel gestrickt wirkt. So sind die Trailer zum Film rappelvoll mit Standard-Soundeffekten, und die an Comic-Magazine erinnernde, rundliche Schriftart der in den Trailern eingeblendeten Zwischentitel dürfte Tschiller: Off Duty ebenfalls keinen Gefallen getan haben. Doch wie es so schön heißt: Man soll ein Buch nie an seinem Einband beurteilen. Und einen Film nicht allein an seinen Trailern. Tschiller: Off Duty ist ein Paradebeispiel dafür – sowie eine glänzende Erinnerung daran, dass gute Action keine Frage der Nationalität ist. Was Amerikaner, Briten, Franzosen und der asiatische Filmmarkt beherrschen, können Deutsche auch!

Etwas Geduld braucht's schon ...
Der Einstieg ist Drehbuchautor Christoph Darnstädt etwas zäh geraten: Der kurdische Kriminelle Firat Astan (Erdal Yıldız) wurde nach seinen Taten in den bisherigen Tschiller-Tatort-Ausgaben nach Istanbul ausgeliefert. Firat kann sich der türkischen Justiz aber entziehen, woraufhin sich die 17-jährige Polizistentochter Leonora (Luna Schweiger) auf eigene Faust aufmacht, um am Ganoven Blutrache für den Mord an ihrer Mutter auszuüben. Bei diesem Versuch gerät die „Lenny“ genannte Teenagerin jedoch in die Fänge von Firats ruchlosen Geschäftspartner Süleyman Şeker (Özgür Emre Yildirim). Erst daraufhin nimmt Tschiller: Off Duty Fahrt auf. Denn als Lennys Vater, der verbissene Cop Nick Tschiller (Til Schweiger), davon Wind bekommt, dass seine Tochter verschwunden ist, reist er ihr hinterher, um sie aus dem Schlamassel zu befreien. Somit gerät Tschiller in ein internationales Abenteuer, bei dem nicht nur das Leben seiner Tochter auf dem Spiel steht, sondern auch ein Komplott aufgedeckt werden muss. Um diese Mission zu bewerkstelligen, ist Tschiller auf die Hilfe von alten Verbündeten (u.a.: Fahri Yardım alias Yalcin Gümer) angewiesen, und auch neue, teils schwer einzuordnende Bekanntschaften werden geschlossen …

Ein wichtiger Aspekt, in dem Tschiller: Off Duty das bisher vom Schweiger-Tatort gebotene übertrifft, ist die hier gebotene Abwechslung. Auch wenn in Der große Schmerz eine gut aufgelegte Helene Fischer für Abwechslung sorgte und Fegefeuer mit einer Geiselnahme hinter den Kulissen der Tagesschau Aufmerksamkeit zu erhaschen versuchte, stellte sich bei den Actionkrimis aus Hamburg innerhalb von nur vier Ausgaben eine gewisse Routine ein. Das hatte zur Folge, dass Hauptdarsteller Til Schweiger in seiner Rolle zuletzt nur noch zwei extreme Emotionen zeigen durfte: Geballte Wut oder tiefe Trauer. In Tschiller: Off Duty lassen Autor Darnstädt und Regisseur Christian Alvart hingegen wieder eine größere Bandbreite an Tonalitäten zu.

Repräsentativ dafür steht ein kurzer Moment, in dem Tschiller sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand steht. Impulsiv, wie „der Terrier von Hamburg“ nun einmal ist, greift er in dieser unmöglich zu bewältigenden Situation zur Knarre, droht seinem Gegenüber und reitet sich so nur tiefer in die Scheiße. Als er deswegen geneckt wird, antwortet er in einem gleichermaßen genervten wie verzweifelten Tonfall: „Scheiße! Fuck Off!“ Was niedergeschrieben keinerlei Eindruck macht, schürt durch Schweigers Intonation im Film Spannung: Tschillers Unsicherheit ist hörbar, ebenso wie sein Eingeständnis, sich gerade sein Leben noch schwerer gemacht zu haben. Und gleichzeitig wird in dieser und ähnlichen Szenen ersichtlich, dass wir es mit einem fehlbaren Helden zu tun haben, der dennoch jeden erdenklichen Strohhalm ergreift, um vorwärts zu kommen.

Das ist wahrlich keine ausgefeilte, profunde Dramatik, aber es geht weit über die binäre Vorgehensweise beim Hamburg-Tatort hinaus und erlaubt so eine packende Popcornkino-Erzähldynamik: Es schwebt stets im Raum, dass die nächste Actionszene nicht weit sein kann. Ob Tschiller darin aber der Aggressor oder der Gejagte ist, ob er sie mit Findigkeit oder purer Willenskraft übersteht und ob es eine Prügelei, Schießerei oder Verfolgungsjagd ist, wird nicht so weit voraustelegrafiert. Obendrein geraten manche Actionszenen eher humorvoll, während andere den Schwerpunkt auf Thrill legen oder gar beides bieten (Stichwort: Mähdrescher!). Damit schnüren die Filmemacher ein rundes, alles bietendes Action-Paket. Ein Action-Paket, das verflixt gut aussieht: Das an Hollywood-Maßstäben gemessen lachhafte Budget von acht Millionen Euro ist diesem Kino-Tatort nicht anzumerken – die prächtigen Aufnahmen von Kameramann Christof Wahl lassen den in Moskau, Istanbul, Berlin und Moskau gedrehten Film stattdessen deutlich kostspieliger erscheinen.

Spektakuläre und völlig durchgeknallte Stunts wie den Loopings fliegenden Hubschrauber aus SPECTRE gibt es zwar nicht zu sehen, ein großer Verlust ist dies aber nicht: Anstelle vereinzelter, großer Set pieces bilden bei Tschiller: Off Duty zahlreiche, prägnante Kämpfe und knackige Fluchtszenen das Grundgerüst des Films. Tschiller kämpft und schießt sich so von A nach B (respektive von Istanbul nach Moskau), er flieht und wird verfolgt, und stets inszeniert Alvart dies mit versierter Hand und mitreißendem Tempo. Wo SPECTRE in seiner Selbstgefälligkeit gähnend langweilig daherkommt, punktet Alvarts Regiearbeit mit flotter, kerniger Action, die zwar nur selten originell choreografiert ist, dafür aber dank zielsicherer Kameraführung und guter Stuntarbeit meilenweit an James Bonds 24. Kinomission vorbeizieht. Gelegentlich schneidet Cutter Marc Hofmeister sehr hektisch von einem Bild zum anderen, wodurch die Tritte und Schläge und Sprünge Schweigers nicht immer ihre volle Wucht entfalten. Der Löwenanteil der Actionszenen ist aber präzise geschnitten, so dass eine Übersicht des Geschehens gewahrt ist und trotzdem nie der Schwung verloren geht.

Auch die effektive, kühle und dennoch treibende Musik von Martin Todsharow verleiht Tschiller: Off Duty Hollywood-Feeling – selbst wenn sie keine einprägsamen Leitmotive fabriziert. Mehr noch als die Action ist es aber Yardım, der eine Sichtung dieses Actioners bezahlt macht: Der Mime stellt einmal mehr sein begnadetes komödiantisches Timing zur Schau, und die Freundschaft zwischen ihm und Schweiger macht sich auch durch eine tolle Figurendynamik bemerkbar. Er lockt in den gemeinsamen Szenen die menschelnde Seite des verbissenen Tschillers hervor und dient als Gümer zudem als spritziger Stichwortgeber und süffisanter Kommentator des Geschehens. Gelegentlich wird Gümer auch als wandelnde Notfalllösung genutzt, um aus storytechnischen Sackgassen herauszukommen, diese „Deus Ex Machina“-Momente sind aber launig genug, um im Rahmen reiner Actionkinounterhaltung durchzugehen. Da sticht die verschachtelte, immer wieder nur beiläufig erfolgende, Erörterung des von Şeker ausgeheckten Komplotts schon ärger hervor – da es für Tschiller aber primär nur darum geht, seine Tochter zu retten, bleibt die Handlung dennoch stets zugänglich.

Lobenswert ist zudem die Besetzung zahlreicher lokaler Schauspieler in den russischen und türkischen Rollen: Zwar bringt das nicht durchgehend fließende Deutsch der Darsteller gelegentliche Verständlichkeitsprobleme mit sich, für die dadurch gewonnene Authentizität und das so größer werdende Flair des Films macht sich dieser Preis aber bezahlt. Vor allem Berrak Tüzünataç als türkische Hotelangestellte (harte Aussprache, glaubwürdiges Spiel), Özgür Emre Yildirim als herrlich grinsender Fiesling Şeker und die goldige, humorvolle Alyona Konstantinova als leichtes Mädchen Dasha sind große Bereicherungen für diese grenzüberschreitende Ganovenhatz. Da darf man durchaus voller Bedauern feststellen, dass Tschillers sechste Mission wieder nur im Fernsehen stattfinden soll. Eine Planänderung wäre zu begrüßen. Denn: Diese Figur ist für die große Leinwand geboren!

Fazit: Tschiller: Off Duty ist die Antithese zum letzten Bond: Während SPECTRE großartig anfängt und sich daraufhin in eine bleierne Ente verwandelt, braucht der Kino-Tatort etwas, um aus dem Quark zu kommen. Aber wenn Nick Tschiller erst einmal Blut geleckt hat, fetzt das Teil!