Montag, 28. November 2016

Maleficent – Die dunkle Fee


Disney ist vom Wicked-Virus befallen. Gregory Maguires Roman Wicked – Die Hexen von Oz kam zwar bereits 1995 in den Buchhandel, doch erst durch die gleichnamige Musicaladaption gelangte der revisionistische Roman zu anhaltender, internationaler Berühmtheit. Das Buch wie auch das 2003 uraufgeführte Broadwaymusical blicken aus einer neuen Perspektive auf den populären Der Zauberer von Oz-Mythos und erzählen davon, dass die darin ihr Unwesen treibende böse Hexe eigentlich eine recht gute Seele ist. Eine Verfilmung des Buches oder des Musicals lässt zwar noch auf sich warten, doch der Disney-Konzern ist in jüngster Vergangenheit sehr strebsam darin, trotzdem im von Wicked popularisierten Markt zu wildern.

Der Computeranimationsfilm Ralph reicht's hat noch eine gute Ausrede. Zwar handelt auch dieses Werk von der guten Seite eines angeblichen Schurken, allerdings wird hier kein bereits bekannter Bösewicht uminterpretiert. Es kann sich dabei also um eine eher zufällige Parallele handeln. Aber es gibt noch einige weitere Disney-Projekte, in denen ein Teil des Wicked-Geistes mitschwingt: Die zum Disney-Konzern gehörige Fantasyserie Once Upon a Time etwa interpretiert im besten Wicked-Stil alle möglichen Märchen halb düster, halb verspielt um. 2013 brachte Walt Disney Pictures zudem mit Sam Raimis Fantasyspaß Die fantastische Welt von Oz seine eigene Vorgeschichte zu den Ereignissen aus Der Zauberer von Oz in die Kinos. Darüber hinaus erschienen zwei Romane, in denen Seehexe Ursula und böse Fee Malefiz ihre Sicht der Dinge erzählen.

Außerdem feierten die Disney-Trickstudios im selben Jahr mit einer gewissen Produktion namens Die Eiskönigin – Völlig unverfroren einen ihrer größten Erfolge. Wie Wicked steht in diesem Musicalsteifen eine junge Frau im Mittelpunkt, die aufgrund ihrer Kräfte zur Ausgestoßenen wird. Und rein zufällig wird diese Rolle im englischen Original von Idina Menzel gesungen und gesprochen – der ersten Broadway-Besetzung der Wicked-Hauptfigur, deren wichtige Gesangsnummer „Defying Gravity“ ganz klar „Let It Go“ inspirierte.

Den wirtschaftlichen Höhepunkt seiner Wicked-Obsession hat das Hause Disney mit Die Eiskönigin gewiss bereits erreicht. Doch die Spitze der Dreistigkeit, mit der bei der Oz-Umdeutung abgeschrieben wird, folgt erst mit Maleficent – Die dunkle Fee: Im Disney-Zeichentrickfilm Dornröschen war die diabolische Malefiz (im englischen Original: Maleficent, was im neuen Realfilm auch für die deutsche Synchro übernommen wurde) eine finstere Gestalt mit boshaftem Blick, diebischer Freude an ihrer eigenen Boshaftigkeit und einer eigenartig-grünen Hautfarbe. Ihre Hintergründe und Motive? Vage bis unbekannt. Wicked machte aus einer sich als Schurkin genießenden, grünhäutigen Antagonistin ohne nennenswertes Handlungsmotiv eine mitleiderregende Protagonistin. Wer nun errät, was das Konzept von Maleficent – Die dunkle Fee ist, darf sich darauf nichts einbilden, denn die Lösung liegt verboten nahe.

Die Idee zum Film wurde studiointern entwickelt und Anfang 2010 an Tim Burton herangetragen, der in den letzten Zügen seiner Realverfilmung von Alice im Wunderland lag. Burton lehnte das Projekt ab, woraufhin Disney es weiteren namhaften Regisseuren anbot. Unter anderem wurden David O. Russel (American Hustle) und Darren Aronofsky (Black Swan) angefragt, kurzfristig brachte sich auch Guillermo del Toro selbst ins Gespräch, aber all diese Verhandlungen kamen nicht zur Fruchtung. Stattdessen erhielt Regienovize Robert Stromberg den Zuschlag – seines Zeichens Szenenbildner von Avatar – Aufbruch nach Pandora, Tim Burtons Alice im Wunderland und Die fantastische Welt von Oz sowie leitender Effektkünstler bei Shutter Island, There Will Be Blood und zahlreichen weiteren Produktionen.

Die Alarmglocken dürfen an diesem Punkt laut schrillen: Da wäre ein Studio, das vom Wicked-Konzept besessen ist, sich vornimmt, es unverblümt auf eine seiner denkwürdigsten Schurkenrollen anzuwenden und es daher mehreren Starregisseuren schmackhaft machen will. Welche jedoch allesamt ablehnen, weshalb ein Novize herangezogen wird. Dies wiederum weckt unschöne Erinnerungen an Snow White and the Huntsman, Universal Pictures' semidüstere Neuerfindung des Schneewittchen-Märchens, die ebenfalls von einem Regieanfänger umgesetzt wurde – und bei der Kritik böse durchfiel. Als Produzent zeichnete bei Snow White and the Huntsman Joe Roth verantwortlich, der auch die Geschicke von Maleficent – Die dunkle Fee leitete.

War Snow White and the Huntsman zwar langatmig und seelenlos, wirkte er dank manch eigener Idee und der sichtbar kostspieligen Ausstattung trotz allem durchaus ambitioniert. Zumindest mehr als dieser Disney-Fantasiefilm. Bereits dem selbst auferlegten Ziel, den 1959 entstandenen Zeichentrickklassiker Dornröschen aus anderer Perspektive neu zu erzählen, wird Maleficent – Die dunkle Fee nicht gerecht. Lassen sich das große Vorbild Wicked und Der Zauberer von Oz ohne größere Logikbrüche vereinen, beißen sich hier Zeichentrickvorlage und Realverfilmung nahezu durchgehend. Dass Hauptdarstellerin Angelina Jolie keinen grünen Teint verpasst bekam, sei noch geschenkt. Doch auch davon abgesehen können beide Filme unmöglich in der gleichen Kontinuität spielen, da selbst so relevante Eckpunkte wie die Taufe der kleinen Aurora (besser bekannt als Dornröschen) inklusive Maleficents Verfluchung der Neugeborenen vollkommen anders ablaufen. Somit fehlt Robert Strombergs Regiedebüt ein nicht unbedeutender Spaßfaktor, den Wicked aufzuweisen hat.

Dies ließe sich verschmerzen, wäre Stromberg und der Drehbuchautorin Linda Woolverton eine runde, eigenständige Geschichte gelungen. Stattdessen strotzt Maleficent – Die dunkle Fee vor Logikfehlern und tonalen Inkonsistenzen. Im Intro führen der Avatar-Szenenbildner und die Alice im Wunderland-Autorin die magischen Fähigkeiten Maleficents ein, nur um ab dann ihre Kräfte auszuweiten oder zu verringern, wie es die Situation nun einmal verlangt. Ihre Jugendliebe König Stefan (als Erwachsener gespielt von einem auf lächerliche Weise chargierenden Sharlto Copley) wird während eines Zeitsprungs in der Erzählung wahnsinnig – den Grund erfährt das Publikum nicht. Ebenso kommt und geht die Einstellung, die die Untertanen Stefans gegenüber Maleficent und anderen magischen Wesen haben: Sehnsucht nach Frieden, Bereitschaft, sie in einem von Gier getriebenen Krieg auszurotten oder doch der genügsame Wille zur Koexistenz?

Besonders dramatisch ist der Mangel an Kohärenz, den die Charakterzeichnung der Titelfigur aufweist. Zunächst eine Fee unter vielen, schwingt sie sich nach einem schweren Verrat ihrer Jugendliebe Stefan zur nach Rache dürstenden Königin ihres eigenen Reiches herauf. Dieser Wechsel auf die Seite des Bösen ist jedoch rasch vergessen. Maleficent verflucht Aurora zwar zum Tode, weicht diesen Todesfluch kurzerhand aber zu einem tiefen Schlummer ab, den die Kleine ereilen wird, sobald sie sich im Alter von 16 Jahren in den Finger sticht. Die dunkle Fee fügt sogar die im Disney-Zeichentrickfilm einer anderen Figur vorbehaltenen Rettungsklausel hinzu.

Kaum ist diese Tat getan, beobachtet Maleficent, wie Aurora aufwächst, und gleicht dabei geduldig die Defizite ihrer Zieheltern aus. Es entsteht eine Beziehung zwischen Aurora und Maleficent, die die Inszenierung mittels düsterer Schattenwürfe und überdramatischer Musik gerne als Hassliebe darstellen würde, die aber auf dem Papier und in der schauspielerischen Darstellung frei von Ecken und Kanten ist. Weshalb Maleficent so rasch ihren zunächst mühevoll aufgebauten Zorn auf die Menschen verliert, das bleibt der Fantasie der Zuschauer überlassen. Immerhin: Die auch als ausführende Produzentin am Projekt tätige Angelina Jolie hat sichtbar Spaß an dieser Figur, was zumindest manche der unsinnigeren, albernen Momente (wie Maleficents „böse“ Tat, unerwartet einen Schauer zu erzeugen) durch Kurzweil erträglich macht. Dennoch ändert dies nichts an der lächerlichen Häufigkeit, mit der Regisseur Stromberg die Actrice bedeutungsvoll aus dem Schatten treten lässt, oder daran, dass Jolie in dramatischen Phasen zum melodramatischen Overacting neigt.

Nicht allein die Charakterentwicklung ist sprunghaft, genauso zerschnitten sind die raren Actionmomente in dieser 180-Millionen-Dollar-Produktion, welche genauso rasch vorbei sind, wie sie angefangen haben. Glücklicherweise fallen auch die Comedyeinlagen mit den drei guten Feen, die Aurora großziehen, eher knapp aus, denn die mit seltsamen Proportionen gestalteten Damen fallen mit ihrer Inkompetenz schnell auf die Nerven. Positiver bleibt da Elle Fanning (Super 8) in Erinnerung, die zwar in ihrer Prinzessinnenaufmachung um Längen jünger aussieht als Disneys Zeichentrick-Dornröschen, die jedoch den naiven Optimismus ihrer Figur strahlend zum Leben erweckt. Der heimliche Star von Maleficent – Die dunkle Fee ist allerdings Sam Riley als menschliche Form von Maleficents Hausraben und Lakaien. Anders als das restliche Ensemble trifft der Das finstere Tal-Nebendarsteller durchwegs einen seinen Szenen zugutekommenden, vitalen Tonfall, zudem sieht die an ihm verwendete Effektschminke glaubwürdig aus, womit er als wandelndes Fantasyelement vorführt, was aus diesem Film hätte werden können.

Die scharfen, eckigen Wangen, die Angelina Jolie verpasst bekam, um der Trickfigur ähnlicher zu sehen, sehen dagegen je nach Lichtgebung aus, als seien sie hastig angeklebt worden, und auch einige der digitalen Statisten aus dem Zauberwald stechen äußerst negativ heraus. Einzig eine späte Szene, in der Aurora und Maleficents nachts durch das Feenreich wandern, erinnert an Robert Stromergs Können, eine visuell kohärente, ansprechende Fantasiewelt zu gestalten. Außerhalb dessen gehen die Versuche, eine eigenständige Filmwelt zu erschaffen, durch all zu cartoonhaftes Design einzelner Nebenfiguren (die sich somit mit dem dreckig-pseudorealistischen Umfeld beißen) und dürftige Flugszenen zugrunde.

Somit gehen Inhalt und Form immerhin Hand in Hand, ist das Skript zu Maleficent – Die dunkle Fee (welches zahlreiche Rewrites durchlief) ebenfalls ein wildes, zusammengerafftes Durcheinander. Der finstere Look und die grimme Musik des Komponisten James Newton Howard dürften Maleficent – Die dunkle Fee für Kinder zu einem relativ harschen Seh- und Hörerlebnis machen. Gleichzeitig sorgen stupider Humor und liebloses Storytelling dafür, dass Maleficent – Die dunkle Fee ungewollt immer und immer wieder betont, wie viel ausgereifter und erwachsener Disneys graziöses Zeichentrick-Dornröschen ist. Daher empfiehlt sich ein Kinobesuch einzig für energische Disney-Komplettisten und große Angelina-Jolie-Fans.

Montag, 21. November 2016

Findet Dorie


13 Jahre nach dem Original schwimmt mit Findet Dorie die Fortsetzung des Pixar-Megaerfolgs Findet Nemo in die deutschen Lichtspielhäuser – und dies auf einer Erfolgswelle: In den USA und Kanada gelang es dem Sequel, mit einem Einspielergebnis von mehr als 480 Millionen Dollar aus wirtschaftlicher Sicht sämtliche Filme zu überbieten, die jemals unter dem Disney-Markennamen ins Kino entlassen wurden. So erfolgreich die neuste Fischgeschichte der Pixar Animation Studios auch sein mag, stellte sie keinesfalls eine sichere Nummer dar. Die letzte Pixar-Fortsetzung, die Agentenkomödie Cars 2, gehört schließlich nicht nur finanziell betrachtet zu den schwächsten Werken der Trickfilmschmiede – und nicht nur dies warf vorab kein vorteilhaftes Licht auf die Idee, auch Findet Nemo einen zweiten Teil zu spendieren.

Denn Regisseur Andrew Stanton sprach sich in der Presse jahrelang vehement gegen den Gedanken aus, die Geschichte von den Clownfischen Marlin und Nemo sowie der vergesslichen Doktorfischdame Dorie fortzuführen. Als Stanton nach dem wirtschaftlichen Misserfolg seines Realfilmdebüts John Carter plötzlich mitteilte, mit Findet Dorie letztlich sehr wohl seinen größten Kassenschlager weiterzuspinnen, waren die sarkastischen Kommentare nicht fern. Entgegen sämtlicher verständlicher Befürchtungen wirkt Findet Dorie allerdings nicht wie ein zynisch kalkulierter Comebackversuch – stattdessen ist das Sequel trotz gelegentlicher Déjà-vu-Augenblicke eine urkomische Komödie mit jeder Menge Herz.

Nach dem Ende geht es weiter …
Es ist etwas mehr als ein Jahr her, seit die unter Gedächtnisschwund leidende, gutherzige Fischdame Dorie dem übervorsichtigen Clownfisch Marlin dabei geholfen hat, seinen verschollen gegangenen Sohn Nemo wiederzufinden. Nun lebt das Gespann in unmittelbarer Nachbarschaft und scheint, zur Ruhe gefunden zu haben. Doch dann holen Dorie Erinnerungsfragmente daran ein, wonach sie vor ihrem Kennenlernen mit Marlin gesucht hat: Ihre Eltern, die sie als junges Fischlein verloren hat. Marlin versucht, seiner naiven Nachbarin auszureden, sich in ein neues Abenteuer zu stürzen – schließlich habe sie in seinem Korallenriff ja ein neues Zuhause gefunden. Dorie aber findet nicht mehr zur Ruhe und drängt darauf, ihren bruchstückhaften Erinnerungen hinterherzujagen.

Auf der Reise, die das Fischtrio von Australien nach Kalifornien verschlägt, zerstreiten sich die Optimistin, der Behutsame und sein abenteuerlustiger Nachwuchs allerdings und werden durch missliche Umstände getrennt. Dorie landet in einem Marineforschungsinstitut, wo sie zahlreiche neue Bekanntschaften schließt, etwa mit dem grantigen Septopus Hank, während Marlin und Nemo versuchen, zu ihrer Freundin zu gelangen. Wird Dorie ihre Eltern wiederfinden, und wird sie danach überhaupt Marlin und Nemo wiedersehen wollen?

Obwohl Findet Nemo seine zentrale Vater-Sohn-Geschichte harmonisch auserzählt hat, und sich eine friedliche Fischfamilie nicht dermaßen für eine mehrteilige Filmreihe anbietet wie kämpferische Superhelden oder eine Mission nach der nächsten annehmende Agenten, wirkt Findet Dorie keineswegs aufgesetzt: Stanton und Victoria Strouse nehmen sich in ihrer gemeinsam entwickelten Geschichte eines in Findet Nemo gern übersehenen Aspekts an, um auch diesem zu einem stimmigen Ende zu verhelfen. Dorie wusste zu Beginn des Megaerfolgs nicht, wo ihre Familie ist, und kam mit ihrer Vergesslichkeit so schlecht zurecht, dass sie ohne Marlins Hilfe stets drohte, sich zu verirren. Am Ende des Films änderte sich nichts daran, da sich Dorie allerdings Marlin und Nemo anschloss, fiel dies nicht weiter auf. Nun Dories Lage genauer zu hinterfragen, gibt den Drehbuchverantwortlichen die Chance, organisch an den Pixar-Renner von 2003 anzuschließen und zudem einfühlsamer von der Last der Fischdame zu erzählen.

Sensibler, und dennoch lustiger.
Weiterhin werden Dories irren Namensverwechslungen und ihre sich widersprechenden Aussagen pointiert eingesetzt und sorgen genauso wie in Findet Nemo für ausgelassene Lacher. Gleichwohl wird der Umgang von Dories Umfeld mit ihren Problemen komplexer gezeichnet als im Erstling: Waren Figuren dort von ihrer Vergesslichkeit entweder amüsiert oder dezent genervt, zeigen sich in Findet Dorie die Abgründe, wie sich ihre psychische Benachteiligung auswirkt. In ergreifenden Rückblenden ist zu sehen, wie ihre liebevollen Eltern in Fürsorge und Furcht um das Wohl Dories förmlich ertrinken. Der Streit zwischen Marlin und Dorie wiederum, der angesichts der glaubwürdigen, engen Bindung zwischen den Figuren aufreibend geraten ist, zeigt, wie sich Betroffene fühlen, wenn sie wegen ihrer Behinderungen stigmatisiert werden.

Verstärkt durch die minutiöse, ausdrucksstarke Animation der Figuren und die in der deutschen wie in der englischen Sprachfassung formidablen Sprecherleistung bei den tragenden Rollen ist Pixar somit eine sehr einfühlsame, dank des enormen Humorfaktors unaufdringliche Geschichte über Inklusion gelungen. Die sehr exzentrischen Randfiguren, wie die kurzsichtige Waldame Destiny und der neurotische Beluga Bailey (göttlich in der deutschen Fassung: Axel Malzacher) oder zwei streitsüchtige Seelöwen (die in der deutschen Fassung dickstes bayerisches Kauderwelsch sprechen) vergrößern die Gagquote weiter. Heimlicher Star des Films ist der grummelige Kraken Hank, der entgegen der Natur nur ein Ziel hat: Dafür zu sorgen, für immer in Gefangenschaft zu leben und somit seine Ruhe zu haben.

Wie auch der Erstling prescht die Fortsetzung im Road-Movie-Stil von Station zu Station, so dass diese überzeichneten Randfiguren nie zu lange um Aufmerksamkeit buhlen, sondern ihre schrillen Auftritte erfrischend bleiben. Dramaturgisch gibt es in den ersten zwei Dritteln daher allerdings auch gelegentliche „So ähnlich ist das doch schonmal passiert“-Augenblicke.

Ein großer Unterschied zum Original ist derweil das Finale. Diente es im Erstling als dramatischer Höhepunkt, steigert Stanton in Findet Dorie Dories turbulente Reise zu einem hysterischen Gagfeuerwerk, das als übertriebene, äußerst selbstironische Verfolgungsjagd ein unerwartetes Gegengewicht zu den sensiblen Zwischentönen des restlichen Films darstellt. Egal ob wild oder einfühlsam: Die Musikuntermalung durch den mehrfach Oscar-nominierten Komponisten begleitet das im Mittelteil etwas lange auf der Stelle herumirrende Geschehen mit eingängigen (wenngleich nicht ganz so einfallsreichen), streicherlastigen Melodien. Diese erinnern an den ersten Teil, ohne ihn direkt zu kopieren. Somit steht er sinnbildlich für den gesamten Film: Die bildhübsch umgesetzte Fortsetzung ist nicht ganz so überraschend und unverbraucht wie das Original, aber zugleich lustiger und emotionaler – hat aber auch ein paar kleine Längen, die Findet Nemo nicht aufweist.

Fazit: Eine würdevolle Fortsetzung mit Herz und Humor: Findet Dorie spinnt den Pixar-Hit Findet Nemo 13 Jahre später auf hohem Niveau, wenngleich nicht äußerst originell, weiter.

Sonntag, 20. November 2016

Ice Age – Kollision voraus!


Es gibt eine Szene in Ice Age – Kollision voraus!, die so viel mehr über diesen Animationsfilm aussagt, als sie es sollte: Die kunterbunte Herde, die sich einst bloß aus Wollhaarmammut Manni, Säbelzahntiger Diego und Faultier Sid zusammengesetzt hat, durchkreuzt einen von Meteoriten zerschlagenen, elektromagnetisch aufgeladenen Pfad ( … nicht fragen …). Da durch die lila Blitze, die von den Gesteinsbrocken ausgehen, ordentlich Chaos entstanden ist und es die pelzige Truppe eilig hat, versucht Sid, rasch durchzuzählen, ob alle das Hindernis hinter sich gelassen haben. Doch Sid kapituliert kurz darauf – denn bevor er alle Mitglieder seiner XL-Patchworkfamilie nennen kann, gehen ihm die Finger aus.

Selbstredend gibt es kein Filmgesetz, das besagt, wie groß ein Figurenensemble zu sein hat. Nicht einmal ein ungeschriebenes. Schließlich zeigten allein in jüngerer Vergangenheit unter anderem das Superheldenspektakel The First Avenger – Civil War und die durchgeknallte Satire Heil, dass eine Heerschar an Sprechrollen einem Film keineswegs schaden muss. In diesen Fällen ist die Größe des Figurenensembles aber zweckmäßig: Während das Marvel-Epos ganz klar einen Protagonisten kürt, und die weiteren Figuren dazu dienen, seinen zentralen Konflikt zu intensivieren, erhält Dietrich Brüggemanns derber Spaß gegen Rechts erst durch die Fülle an Figuren seinen markant-fiebrigen Irrsinn. Ice Age – Kollision voraus! hingegen gewinnt nichts dadurch, dass mittlerweile mehr Pelzträger über ihre Pfoten stolpern, als ein Riesenfaultier zählen kann. Zumal nach besagter Szene eine ganze Enklave an weiteren, neuen Figuren eingeführt wird.

Die zynische Erklärung dafür, dass die Eiszeitfamilie Wollny, äh, Manni wächst und wächst und wächst, führt natürlich ins Spielzeugregal. Wieso nur Sid-Plüschtiere verkaufen, wenn sogleich vier verschiedene Faultiere durch den Film spazieren und so Kaufimpulse auslösen können? Die weniger zynische Erklärung: Innerhalb der Blue-Sky-Studios mangelt es an Mut, Figuren aus früheren Ice Age-Teilen wieder auszusortieren und so ihre Fans zu enttäuschen, so dass immer mehr und mehr Ballast mitgeschleppt wird. Ganz gleich, welche der beiden Erklärungen zutrifft, oder ob vielleicht beide zu einem gewissen Grad zutreffen: Der nunmehr fünfte Part der computeranimierten Saga bekommt die Folgen der Ice Age-Überbevölkerung noch stärker zu spüren, als der bereits arg vollgestopfte und orientierungslose vierte Teil.

Das Ursprungstrio, das am ehesten als der Kleister betrachtet werden kann, der die Handlung zusammenhält, wird immer und immer wieder von Randfiguren übertönt, die in ihrem Debütfilm noch Funktion und Charakter hatten, nun aber bloß noch lärmende Stichwortgeber sind. Die Opossums Crash und Eddie sind diesbezüglich die schlimmsten Übeltäter, sie haben mittlerweile jegliche Persönlichkeit und Zurückhaltung abgegeben, um nur noch rumquäkend jeden Gag auf die Spitze und darüber hinaus zu treiben. Jedoch wissen die Autoren nicht nur mit diesem Duo nichts Vernünftiges anzufangen. Wiederholt stoppt der winzige Hauch an Restplot, der erzählt wird (ein Meteor rast auf die Erde zu, die Herde will dies aufhalten, während Manni lernen muss, die Zukunftspläne seiner Tochter respektieren zu lernen), um eine Parade an flachen Gags abzufeuern, damit auch ja jede der Nebenfiguren nochmal zum Zuge kommt.

Die Herde macht sich in Armageddon-Manier für ihre Mission bereit? Amüsant. Es wird gestolpert und gedrängelt? Auch noch amüsant. Dann aber kommentieren Crash und Eddie das Ganze und Sids Oma bekommt ebenfalls Gelegenheit, das Publikum daran zu erinnern, dass sie alt und frech ist. Bis dahin ist der Armageddon-Persiflage längst die Luft ausgegangen und selbst eine gelungene Pointe würde nur lästig wirken. Das tatsächlich abgelieferte Gezeter raubt dem Film dagegen die Chance, so charmant zu sein wie die ersten Ice Age-Teile. Solche Abläufe wiederholen sich in den anstrengenden ca. 95 Filmminuten mehrfach, weshalb es den gemeineren Teilen des Publikums nicht zu verdenken wäre, den Meteor anzufeuern, statt die zugegebenermaßen sehr flauschige Patchwork-Familie und deren Freunde. Erstaunliche Fellanimationen sind eben nicht alles, was eine anderweitig auf Technik-Mittelmaß liegende Digitaltrickkomödie ausmacht.

Zu den raren Glanzmomenten zählen konsequenterweise die neusten chaotischen Erlebnisse des Säbelzahneichhörnchens Scrat, das weiterhin unbeirrbar denselben Weg geht wie noch im ersten Ice Age-Teil: Das knuffige Tierchen, das auf der Jagd nach einer Eichel nicht nur sich selber immensen Schaden zufügt, sondern auch seiner Umwelt, kommt ohne jeglichen Ballast aus. Scrat steht für turbulenten Cartoon-Slapstick, und selbst wenn seine Looney Tunes-haften Einlagen nunmehr im Weltall spielen, so haben sie ungebrochen etwas uriges, bodenständiges: Das Fellbüschel will etwas erreichen und scheitert wortlos auf eskalierende, rasante Weise. Keine zwei Dutzend Nebenfiguren, keine Anspielungen auf Hashtags und Flirtportale, auch keine Popmusik. Sondern simpler, zwischendurch keck überzogen-garstiger Cartoonspaß. Das können die Ice Age-Macher, und zwar hervorragend. Weshalb also der ganze lästige Rummel drumherum?

Fazit: Der fünfte Ice Age-Film sieht besser aus als seine Vorgänger, doch Herz und Charme sind verloren gegangen: Scrat macht weiter sein entfesseltes Slapstick-Ding, während Sid, Diego und Manni durch einen hibbeligen Alibi-Plot stapfen, der sich durch zahllose, anstrengende Nebenfiguren zur Geduldsprobe wandelt.

Montag, 14. November 2016

Teen Beach Movie


In der Riege der musikalischen Disney-Channel-Eigenproduktionen gibt es mit Teen Beach Movie einen Film, der meiner Ansicht nach unverdienterweise an den Rand der popkulturellen Aufmerksamkeit gedrängt wurde. Die Musicalkomödie wurde 2013 erstmals ausgestrahlt, nachdem der Hype um High School Musical sowie Camp Rock versiegt ist und Lemonade Mouth an der Aufgabe scheiterte, ein neues Teen-Hitfranchise zu begründen. Teen Beach Movie wiederum holte sich zwar mit seiner US-Erstausstrahlung den (nach Reichweite gemessen) zweiten Rang in der Disney-Channel-Original-Movie-Bestenliste und rechtfertigte somit eine Fortsetzung, die 2015 ans Licht der Öffentlichkeit gelangte. Dennoch hinterließ die Regiearbeit von Jeffrey Hornaday (Choreograph des Klassikers Flashdance sowie des Disney-Themenpark-3D-Films Captain EO) keine bemerkenswerten Spuren in der Disney-Historie - halt ganz im Gegensatz zum Phänomen namens High School Musical oder dem kurz, aber intensiv lodernden Strohfeuer Camp Rock.

Vielleicht ist Teen Beach Movie paradoxerweise Opfer seiner so kessen Prämisse: Der von Vince Marcello, Mark Landry und Robert Horn verfasste TV-Film ist eine liebevolle Parodie auf die Strandparty-Filme der 60er-Jahre - ein filmisches Subgenre, das nach seinem zeitlich begrenzten, fast nur in den USA spürbaren Boom wieder ins cineastische Nirvana verschwunden ist. Somit ist das Konzept hinter dem Film für die Kernzielgruppe der Disney-Channel-Filme schwer greifbar - und selbst für vielee der zuschauenden Eltern zu obskur.

Selbstredend ist es bei der Sichtung des Teen Beach Movie von Vorteil, wenigstens eine grobe Ahnung dessen zu haben, was die Strandparty-Filme der 60er ausmachte: Sie zeichnen eine immerfröhliche, heile Welt, die durch triviale Probleme aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Stets gibt es einen Anlass, um zu singen und zu tanzen, die Jugendlichen entsprechen markigen Archetypen der Jugendkultur ihrer Zeit und die Kleidung ist pseudo-aufreizend. Eigentlich selbsterklärend, dennoch könnte ich mir vorstellen, dass der mangelnde Wiedererkennungswert des Parodierten Teen Beach Movie ein paar Steine in den Weg zur warmen Publikumsrezeption gelegt hat.

Dabei ist der mit Ross Lynch (Austin & Ally) und Maia Mitchell (The Fosters) in den Hauptrollen aufwartende Film ein sonnestrahlendes, ansteckendes Vergnügen, das die selbstbewusste Camp-Note der High School Musical-Filme (insbesondere des herrlichen dritten Teils) nimmt und mit einer spielerisch-persiflierenden Attitüde kreuzt: Die besten Freunde und passionierten Surfer Brady und Mack werden durch einen kuriosen Unfall in die Welt von Wet Side Story versetzt, dem überzogenen Lieblingsfilm Bradys und seines Großvaters. In eben dieser Gute-Laune-Welt müssen Brady Mack nicht nur herausfinden, wie sie wieder heimkommen, sondern zudem die Plotinkonsistenzen ausbügeln, die sie aus Versehen verursacht haben, und ihre durch Macks Umzugspläne entstandenen, eigenen Differenzen beilegen.

Anders als etwa High School Musical (und unzählige weitere Disney-Channel-Eigenproduktionen) wird die romantische Komponente in Teen Beach Movie sehr klein gehalten. Wenn es um Liebe geht, dann zumeist auf betont alberne Art und Weise, um die schematische Erzählweise von Strandpartyfilmen und anderen Feel-Good-Movies zu parodieren. Umso bemühter wirkt es, wenn Hornaday gelegentlich den humoristischen Drive seines farbintensiven, zügig erzählten Films stört, um eben doch ein paar "authentische" Gefühle aus den karikaturesken Wet Side Story-Figuren oder den auf dem üblichen, für junge Teenies zugänglichen Disney-Channel-Filmniveau verorteten Hauptfiguren Brady und Mack zu quetschen. Die große Stärke des Films sind ganz klar die Pleasentville erinnernden Momente Situationskomik, in denen die Vorhaben der Protagonisten mit der Retro-Filmrealität kollidieren sowie die augenzwinkernde, aber spürbar leidenschaftliche Darstellung nostalgischer Jugendfilme. Auch der konzeptionell überflüssige, eher an 80er- und 90er-Cartoonserien erinnernde Subplot um einen verrückten, bösen Wissenschaftler und seine rechte Hand macht dank der manischen Performances von Steve Valentine und Kevin Chamberlin großen Spaß.

Musikalisch bleiben ganz große Ohrwürmer der Marke Get'cha Head in the Game, We're All in This Together oder The Boys Are Back aus, dennoch ist die Mischung aus modernem Teenie-Pop, Bubblegum-Rock'n'Roll und Retro-Surfermusik stimmig und weiß, aus einer trüben Miene ein süffisantes Grinsen zu machen. Wie es bei diesem Regisseur zu erwarten steht, sind zudem die Tanzchoreographien schmissig. Kurzum: Wer High School Musical und ähnlichen Produktionen was abgewinnen kann, aber Teen Beach Movie noch nicht kennt, sollte diese verrückte Poolnudel unter den Disney-Channel-Filmen schnellstens nachholen.

Freitag, 11. November 2016

Steven Gätjen: "Rankings sind eine Reibungsfläche"


Nachdem ich vor wenigen Wochen mit Steven Gätjen über seine neue ZDF-Sendung sowie über das Geben und Aushalten von Kritiken gesprochen habe, haben wir uns nun erneut gesprochen. Dieses Mal ganz locker und ungezwungen zum Thema Disney. Denn demnächst geht es im Disney Channel mit der dritten Staffel Disney Magic Moments weiter. Ein weiteres Mal moderiert Steven Gätjen die ambitioniert und passioniert über die Disney-Wunderwelt informierende Rankingshow, und wie schon in Runde zwei bin auch ich als Kommentare von sich gebender Disney-Experte mit von der Partie. Grund genug, sich jeweils über die Show und unsere jeweilige Disney-Fanbiografie auszutauschen!

Wann und wie hat deine Leidenschaft für Disney begonnen?
Es fing mit den ersten Disney-Filmen an, die ich gesehen habe. Ich habe mich in diesen traumhaften, schönen Welten einfach wohl gefühlt. Und da mir meine Eltern schon sehr früh gerne vorgelesen haben, habe ich bereits als kleiner Junge gute Geschichten zu wertschätzen gelernt – und Disney kann das einfach! Intensiver wurde es dann, als ich mit 14 Jahren erstmals in Walt Disney World war. Das war für mich ein echter Wow-Moment, die Parks sind total genial, so märchenhaft und toll gemacht. Ich bin da mehrmals wieder hingereist, sowohl beruflich als auch privat.

Was war denn dein erster Disney-Film?
Ich weiß es nicht mehr so genau … Die ersten, an die ich vage Erinnerungen habe, sind Schneewittchen und die sieben Zwerge und Bambi, doch der, bei dem der Funke so richtig übergesprungen ist, war Das Dschungelbuch. Der hat meine Liebe zu Trickfilmen als Medium so richtig geprägt und mich nachhaltig geprägt.

Mein erster Disney-Film war ja Aladdin, aber meine Disney-Leidenschaft fing schon mit dem Disney Club im Ersten an, wo mich die Donald-Cartoons total gepackt haben …
Ohja, Donald ist ja auch richtig klasse!

… und daher war ich fast schon persönlich gekränkt als er selbst hier, im Entenland Deutschland, in Staffel zwei der Disney Magic Moments nicht zum lustigsten Tier gewählt wurde.
Ja, die Rankingergebnisse sind immer für eine Überraschung gut – da bleibe auch ich manchmal verdattert zurück. Ich bin mir sicher, dass du in der neuen Staffel bei der Ausgabe zu den besten Disney-Schauspielerinnen und -Schauspielern bei der einen oder anderen Platzierung fragend dreinblicken wirst. (lacht) Ich schätze, dass die Leute da mitunter danach abgestimmt haben, wie sehr sie die Personen generell mögen, und nicht konkret nach den Schauspielleistungen in deren Disney-Filmen. Aber das liegt in der Natur der Rankings: Sie sind ja eine Reibungsfläche, die Diskussionen anregen soll, wie man zu Filmen, Szenen und Künstlern steht, und da ist der vehemente Vergleich zwischen den eigenen Meinungen und der repräsentativen Abstimmung sehr willkommen.

Ja, ich freue mich schon sehr auf die Twitter-Debatten! Vor allem zu der Schauspieler-Folge, da kenne ich dank meiner Mitwirkung als Greenscreen-Kommentator bereits einige der Plätze. Das wird besonders spannend. Welche der Disney Magic Moments-Themen sind eigentlich deine Favoriten?
Ich zähle mal das Star Wars-Ranking dazu – da stand ja dasselbe Team dahinter, auch wenn es nicht als Disney Magic Moments lief. Die Folge hat mir riesigen Spaß gemacht, weil bei diesem Universum mein Herz aufgeht. Und in der neuen Staffel hatte ich besonders große Freude am Pixar-Ranking – auch hier, weil ich einen persönlichen Bezug zum Thema habe. Ich weiß noch, wie ich Toy Story im Kino gesehen habe und vorher dachte: „Ein computeranimierter Film über Spielzeuge, die zum Leben erwecken, das kann ja nichts werden …“ Und dann kam da so eine großartig erzählte Geschichte bei raus! Seither habe ich jeden Pixar-Film verschlungen und bin immer wieder enorm gespannt, wie die es schaffen, ihren Storys diesen speziellen Dreh zu verleihen. Einer meiner Favoriten von Pixar ist Die Unglaublichen. Allein die Idee, dass der Film in einer Welt spielt, in der Superheldsein verboten ist, weil die Bevölkerung dagegen geklagt hat, dass ihnen geholfen wird … Klasse. Oder Alles steht Kopf, wo uns Pixar in die Gefühlswelt eines jungen Mädchens entführt und mit einer kunterbunten Fantasiefigur bekannt macht … Bei Pixar gibt’s einfach immer wieder so brillante Einfälle.

Wo du Die Unglaublichen erwähnst: Da freue ich mich ja auch schon sehr auf die Fortsetzung!
Ich warte da erstmal ab. Ich bin natürlich gespannt, wie sie aussehen wird, aber … Ich weiß nicht. Findet Dorie fand ich zwar toll, aber längst nicht so gut wie das fantastische Original. Es fehlte mir da der Neuheitsfaktor.

Also bist du generell nicht so der Fortsetzungsfreund?
Daran liegt es nicht, ich mag viele Fortsetzungen. Aber gelegentlich fehlt mir bei ihnen halt was. Bei Avengers habe ich mich riesig gefreut, all diese Figuren erstmals auf der Leinwand miteinander interagieren zu sehen – und dann kam Avengers: Age of Ultron, der zwar als Film eigentlich genauso gut ist, doch er hat mich nicht mehr so sehr mitgerissen, weil ich halt schon wusste, wie es ist, wenn diese Helden aufeinander treffen. Aber er war wenigstens toll gemacht, genauso wie Pixar bei seinen Fortsetzungen bisher immer handwerklich top ist – gut, inhaltlich war Cars 2 nicht unbedingt mein Fall, dennoch hat er Achtung verdient. Ich habe mehr Probleme mit lieblos gestalteten Fortsetzungen wie Cap & Capper 2 oder Peter Pan: Neue Abenteuer im Nimmerland, die sich dann doch schwer tun, nicht wie Geldmache zu wirken …

Und wann hat bei dir die Faszination für die „Geschichten hinter den Geschichten“ begonnen, also für die Entstehung der Filme sowie für die Biografien der Macher? Meine erste Disney-Biografie habe ich mit 10 verschlungen, aber ich war sicher ein Frühstarter …
Oh, so jung war ich nicht, als das losging. Ich habe dennoch früh damit angefangen, mich dafür zu interessieren, wo die Ideen für die Filme herkommen, und auch die großen Persönlichkeiten hinter den frühen Disney-Filmen haben früh meine Aufmerksamkeit gewonnen. Intensiv habe ich mich mit der Materie aber erst im Erwachsenenalter auseinandergesetzt, als es mit der Disney Filmparade losging. Da dann aber so richtig – da habe ich mich auch mit der Disney-Arbeitsphilosophie befasst und der ganzen Einstellung des Unternehmens. Das fand ich richtig packend.

Auch wenn die kritischen Stimmen immer leiser werden, so hat es ja doch einige Unkenrufe gegeben, als Disney damit anfing, mehr und mehr Marken zu erwerben. Wie stehst du zu Disneys Kauf von Pixar, Marvel und Lucasfilm?
Wie alles im Leben, hat auch Disneys Unternehmensstrategie sicher positive wie negative Seiten. Aber ich glaube zum Beispiel nicht, dass George Lucas mit seinen letzten Filmen die Star Wars-Saga verbessert hat. Die Prequels sind bei weitem nicht so schlecht, wie sie gern geredet werden – aber so gut, wie man es sich gewünscht hätte, sind sie ebenfalls nicht. Mit Das Erwachen der Macht“ hat Disney hingegen gezeigt, dass sie der Reihe frischen Wind verleihen können. Und mit Rogue One, den tollen Castingentscheidungen beim Han-Solo-Film und den ganzen Marvel-Filmen beweisen sie auch, welche tollen Impulse sie setzen können und wie klug sie an diese Wahnsinnsaufgabe, solche Riesenfilme auf die Beine zu stellen herangehen. Und auch bei Pixar habe ich keine negativen Entwicklungen seit dem Disney-Einkauf bemerkt – es ist halt nur zu einfach, irgendwas negatives zu behaupten.

Angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen eine alberne, kleine Rausschmissfrage: Welche Disney-Figur würdest du dir den USA anstelle Donald Trump als Präsident wünschen?
Es geht ja darum, eine Position zu besetzen, die Intelligenz erfordert und mit Erfahrung sowie bedachter Emotionalität bekleidet werden sollte … Da würde ich auf Carl Fredricksen aus Oben setzen, dessen kaltes Herz im Laufe des Films erwärmt wurde und der am Ende Witz und Lebensfreude mitbringt. Alternativ wäre ich für Judy Hopps aus Zoomania, die mit ganz viel Engagement und Leidenschaft dabei ist, die zudem immer willens ist, dazuzulernen und die voller Energie dafür kämpft, für jeden die Welt zu einem besseren Ort zu formen. Das ist die richtige Einstellung.

Besten Dank für das Gespräch!

Disney Magic Moments ist ab Montag, dem 14. November 2016, wöchentlich ab 20.15 Uhr im Disney Channel zu sehen - immer schön mittwittern unter #DisneyMagicMoments!

Mittwoch, 9. November 2016

Demolition


Gefühle sind eine Sache, über die es sich ordentlich den Kopf zerbrechen lässt. Die Pixar-Trickstudios betrachteten die vertrackte Gefühlswelt mit ihrem Meisterwerk Alles steht Kopf, das auf wunderschöne Weise verdeutlicht, dass Kummer zum Leben dazugehört und es eben nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen sein kann. Die Feststellung, dass Kummer nicht unterdrückt werden sollte, ist allerdings nicht die einzige leinwandtaugliche Lektion, die über den menschlichen Gefühlshaushalt gemacht werden kann. Dies beweist etwa die rabenschwarze, knochentrockene Tragikomödie Demolition. Regisseur Jean-Marc Vallée und Drehbuchautor Bryan Sipe gehen mit dieser gerade einmal rund drei Millionen Dollar teuren Produktion den Fragen nach: Muss ich trauern, wenn ich einen wichtigen Menschen in meinem Leben verliere? Wie kann ich damit umgehen, wenn ich partout nicht in Tränen ausbrechen kann oder will? Und wie finde ich den Auslöser meiner emotionalen Verfassung?

Diese Fragen packt Dallas Buyers Club-Regisseur Vallée nicht etwa in eine tränenzieherische, pathetisch-kitschige Geschichte voller poetischer Monologe, die dem Publikum die Antworten denkbar malerisch vorkauen. Der kanadische Filmemacher skizziert stattdessen ein dezent-groteskes Exempel, das er allerdings so nüchtern-ironiefrei zum cineastischen Leben erweckt, als handle es sich dabei um ein alltägliches Drama:

Der Investment-Banker Davis Mitchell (Jake Gyllenhaal) gerät mit seiner Frau Julia (Heather Lind) in einen schweren Autounfall. Während er nahezu unbeschadet davonkommt, stirbt sie bereits kurz nach dem Unglück im Krankenhaus. Dort will sich der schockierte Davis an einem Automaten Süßigkeiten ziehen, doch die Packung bleibt stecken. Genervt notiert er sich die Kontaktdaten der Automatenfirma – und verfasst auf der Trauerfeier, die zu Ehren Julias abgehalten wird, einen ausführlichen Beschwerdebrief. In den kommenden Wochen eckt Davis in der Firma seines Schwiegervaters (Chris Cooper) an, zunächst, weil er sich keinen Kummer anmerken lässt, später, weil er die Macke entwickelt hat, kaputte Dinge in ihre Einzelteile zu zerlegen. Dies führt dazu, dass sich Julias Familie zunehmend von Davis distanziert, während Karen Moreno (Naomi Watts), die Kundendienstlerin des Automatenherstellers, eine Bindung zum Witwer aufbaut …

Durch die Diskrepanz zwischen Davis‘ mal unterkühlten, mal verschrobenen Handeln und der dramatischen, aber mit Blick für verquere Details versehenen Inszenierung entwickelt Demolition eine ungewöhnliche Stimmung: Die auf dem deutschen Markt mit dem irreführend-kitschigen Untertitel Lieben und Leben versehene Indie-Produktion ist voll mit pointierten Dialogen und humorvoll entgleisenden Situationen – doch die Lacher versanden zumeist in einer staubig-trockenen Stimmung. Der minutiöse Schnitt durch Jay M. Glen lässt ein Gros der Gags nicht verweilen, sondern lässt sofort die Handlung weiterlaufen, die Kameraarbeit Yves Bélangers wechselt indes zwischen schnörkelloser Darstellung des Plots und mit Weitwinkelobjektiven gefilmten Landschaftsaufnahmen, wann immer Davis ins Grübeln kommt.

Jean-Marc Vallée macht somit spürbar, wie es im Inneren seines Protagonisten aussieht: Davis Mitchell reagiert zunächst erschreckend abgeklärt auf den Tod seiner Frau, was sein Umfeld in Sorgen, Unverständnis und Wut stürzt. Der Banker ist jedoch nicht etwa bis auf die Knochen apathisch, sondern weiß selber, dass er seltsam mit diesem Schicksalsschlag umgeht – und sucht nach einem Ventil für seine verwirrten Gefühle sowie nach einem Weg, wieder mit sich ins Reine zu kommen. Eben diese Verquickung aus Gefühlskälte, vermeintlich unpassender Lebensfreude, Nachdenklichkeit und individueller, wenngleich nicht gesellschaftskonformer Verarbeitung drückt sich in der kitschfreien Regieführung aus, die auf das schräge, nie aber selbstgefällig-exzentrische Drehbuch trifft. Vallées Ansatz ist somit ein anspruchsvoller, da er Davis‘ Handeln nicht aus einer sicheren Distanz erklärt, sondern aus unmittelbarer tonaler Nähe erlebbar macht – auch auf die Gefahr hin, dass Teile des Publikums Davis als Unsympathen abstempeln und daher den ganzen Film über außen vor bleiben.

Dabei lohnt es sich, Demolition aufmerksam zu verfolgen, selbst wenn es für näher am Wasser gebaute Filmfreunde vielleicht unmöglich scheinen mag, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren. Denn der seit Jahren eine Top-Performance nach der nächsten abliefernden Jake Gyllenhaal gibt hier eine seiner besten Darbietungen: Dem Prisioners-Mimen gelingt es meisterlich, Davis nicht zu einer karikaturesken Kunstfigur verkommen zu lassen, sondern aus ihm eine glaubwürdige, eigenwillige Rolle zu formen, die ihr ganzes Leben einreißt, um herauszufinden, weshalb sie nicht trauert – und dabei irre Situationen provoziert. Dass Davis parallel dazu ein neues Leben aufbaut, indem er in der gleichermaßen bodenständigen wie quirligen Karen eine sympathische Gesprächspartnerin findet und sich obendrein herzlich (wenngleich pädagogisch fragwürdig) um ihren pubertierenden Sohn Chris (Judah Lewis) kümmert, setzen Vallée und Sipe unaufdringlich und somit originell um: Es bleibt offen, ob Karen für Davis nur eine Freundin oder eine potentielle, neue Lebenspartnerin ist, und der Subplot um den von Judah Lewis unaffektiert gespielten Chris vermeidet es trotz gegenteiliger Andeutungen durchweg, in irgendwelche Problembewältigungsgefilde zu schreiten.

Demolition ist schlussendlich das, was wohl passiert wäre, wenn Tree of Life-Regisseur Terence Malick und Fluch der Karibik-Steuermann Gore Verbinski gemeinsam einen Film gedreht hätten: Wann immer Jean-Marc Vallée tief in die Gedankenwelt seines Protagonisten abtaucht, nähert er sich dem markanten Stil Malicks an, inklusive non-chronologischem Schnitt und ausführlichem Vorführen dessen, was die Hauptfigur bewegt. Eingebettet ist all dies in eine zynisch-melancholische Stimmung, wie sie sich auch durch Verbinskis The Weather Man zieht, inklusive unzeremoniell eingebauter, kantiger Details. Das ist eine seltsame, aber erstaunlich gut ineinandergreifende Mischung – und eine, die dem Kern dieses Films umwerfend gut zu Gesicht steht: Es ist nicht respektlos, Kummer anders auszudrücken, als durch Heultiraden. Aber es kann schon zu kuriosen Situationen führen – aber jedem das, was ihm wohltut.

Fazit: Demolition ist vielleicht nicht Jean-Marc Vallées zugänglichste Regiearbeit, wohl aber seine beste: Der Dallas Buyers Club-Regisseur lässt sein Publikum rund 100 Minuten lang in den Schuhen eines Mannes laufen, der zwischen Apathie und zerstörerischem Frust gefangen ist – und Jake Gyllenhaal macht diese komplex-widersprüchliche Gefühlslage dank einer starken Performance eindringlich spürbar.

Professor Love


Manche leben nach der Regel „Drei sind einer zu viel“, für andere gilt „Immer mehr, immer fröhlicher“. Der Literaturprofessor Richard Haig (Pierce Brosnan) verfolgt in Liebesdingen die zweitgenannte Maxime und flirtet sich daher wie verrückt durch die Welt, selbst dann, wenn er gerade in einer Beziehung mit einer seiner Studentinnen steckt. Die Frauen, in die sich Richard wie am laufenden Band verguckt, glauben derweil an Monogamie und lassen es ihn bitter bezahlen, wann immer sie bemerken, dass er es mit seinen Frauenheldenqualitäten übertreibt.

Und in Hollywood? Um Klatsch und Tratsch mal bei Seite zu schieben: Es gilt in der Traumfabrik durchaus der Gedanke, dass zu viele Köche den Brei verderben. Eine Faustregel besagt etwa, dass ein Übermaß an Produzenten nahezu garantiert in einen schwachen Film mündet – weil zu viele Menschen mit Mitspracherecht dem Regisseur reinreden, irgendwelche Wünsche haben und Bedingungen aussprechen. Es mag Gegenbeispiele geben, nicht einmal wenige davon. Doch Filme wie die Romantikkomödie Professor Love dürften dieses Vorurteil noch lange, lange am Leben erhalten. Richard Haigs Liebeswirren entstanden nämlich unter der Beteiligung von fünf Produzenten, vier ausführenden Produzenten, drei Co-Produzenten und zwei co-ausführenden Produzenten – und das merkt man.

Was diese Heerschar an Produzenten verursacht hat, ist zwar keine derartige Vollkatastrophe wie die zwei Jahre auf Halde liegen gelassene deutsche Geschlechterkomödie Seitenwechsel, dennoch ist auch bei Professor Love ersichtlich, weshalb dieser Film in Deutschland erst über eineinhalb Jahre nach seiner Weltpremiere im EM-Programmloch mit wenigen Kopien versteckt wurde. Denn statt aggressiv stimmendem Unsinn hat Professor Love eine gähnend langweilige Wischiwaschi-Persönlichkeit zu bieten. Um dem Film gerecht zu werden, müsste man den üblichen Spruch „Nichts Ganzes und nichts Halbes“ in „Nichts Halbes und nichts Gevierteltes“ ummünzen.

Denn interessante Ansätze sind durchaus gegeben: Drehbuchautor Matthew Newman springt kurz nach Filmbeginn eilig zu einem Punkt, der üblicherweise das Ende einer normalen RomCom markiert. Richard entging knapp der Versuchung, seine Freundin Kate (Jessica Alba) zu betrügen, verdaute den Schock, dass sie von ihm schwanger ist, und beide ziehen ins sonnige Kalifornien, um ein neues Leben zu beginnen. Doch ein Zeitsprung um wenige Jahre enthüllt, dass es für Richard und Kate kein „und sie lebten glücklich bis an ihr Ende“ gibt. Die Ehe der Beiden liegt in Scherben, sie hat einen Neuen, er baggert sich wieder durch die Frauenwelt und es entsteht ein Streit ums Sorgerecht.

Der Hauch des Subversiven verschwindet aber bald darauf, und aus der Dekonstruktion einer normalen RomCom wird eine vollkommen normale Screwballkomödie mit Figuren, die sich ankeifen, aber doch irgendwie mögen. Und sobald Salma Hayeks Figur Olivia, die nicht nur Kates Schwester ist, sondern obendrein seit eh und je von Richard als heiß empfunden wurde, ins Scheidungsglück mit einstimmt, reiht sich ein Dreiecksbeziehungsklischee ans nächste. Die Chemie zwischen den Darstellern stimmt, Alba, Hayek und Brosnan wirken sehr eingespielt und trotz des miesen Materials engagiert. Durch diese Charisma-Offensive zünden wenigstens manche der ausgelutschten Gags, die allesamt durch eine zu flache Dramaturgie und Tom Vaughans ständig den weiteren Verlauf einer Szene überdeutlich machende Inszenierung vorhersehbar sind. Wenn im letzten Filmdrittel diese uninspirierte Leichtigkeit aufgegeben wird, um durch einen Subplot um Richards sterbenskranken Vater (Malcolm McDowell) dem Geschehen spröde Dramatik zu verleihen, verliert sich Professor Love endgültig in die Belanglosigkeit.

Fazit: Professor Love ist trotz sympathisch aufgelegter Hauptdarsteller eine langweilige, ziellose Angelegenheit.

Dienstag, 8. November 2016

Seitenwechsel


Wenn eine Kinoproduktion erst zwei Jahre nach Drehende auf die Leinwand gelangt, ist oftmals Vorsicht geboten. Insbesondere, wenn es sich um eine Geschichte handelt, die angesichts ihres Verzichts auf aufwändige Digitaleffekte nicht gerade nach einer ellenlangen Postproduktion schreit. Im Falle der deutschen Körpertauschkomödie Seitenwechsel kommt sogar ein weiteres Warnsignal hinzu: Der Verleih Warner Bros. versteckte Vivian Naefes Regiearbeit trotz eines namhaften Ensembles in der EM-Saison. Womöglich ist dies aber die beste Taktik, die Warner Bros. mit Seitenwechsel fahren konnte. Denn Seitenwechsel ist einer dieser Filme, die am uralten (und insgesamt ziemlich unsinnigen) Vorurteil Schuld tragen, Deutsche hätten kein Gespür für Komik.

15 Jahre Ehe haben die Beziehung zwischen Fußballtrainer Alex (Wotan Wilke Möhring) und Psychotherapeutin Teresa (Mina Tander) zugrunde gerichtet: Er ist ihr zu passiv, sie redet ihm zu viel. Ihre jeweils grundverschiedenen Ansichten, wie mit der derzeit schwer pubertierenden Tochter (Ruby O. Fee) umzugehen ist, erschweren das Miteinander ungemein. Als wäre dies noch nicht genug an Problemen, steht Alex‘ Verein kurz vor dem Abstieg, was Fußballhasserin Teresa nicht weniger interessieren könnte. Die überforderten Paartherapeuten der Eheleute schüren unterdessen Alex‘ Hass auf Psychologen – eine Scheidung steht deswegen kurz bevor, erst recht, da selbst im Bett nur noch Funkstille herrscht. Eines Morgens wachen Alex und Teresa jedoch im Körper des jeweils anderen auf, so dass sie gezwungenermaßen lernen, die Welt mit den Augen des Noch-Ehepartners zu betrachten …

Ein Foul am Zuschauer
Um sich kurz der Fußballsprache zu bedienen: Die Komödie der Obendrüber, da schneit es-Regisseurin erleidet auf inhaltlicher Ebene bereits in den ersten Minuten einen schweren Bänderriss. Daher ist es leider nicht überraschend, dass sich Seitenwechsel mühselig durch seine gesamte Laufzeit humpelt. Die Geschichte beginnt mit dem unglamourösen Kennenlernen des zentralen Pärchens: Alex und Teresa begegnen einander auf der Schwelle des neuen Jahrtausends und finden sich trotz peinlicher Frisur und abgeschmackter Klamotten ziemlich heiß. Was noch subversiv unromantisch beginnt und so die Hoffnung einer außerhalb des Rahmens denkenden, der abgehobenen Körpertauschprämisse zum Trotz authentischen Geschlechterkomödie schürt, nimmt bald eine schädliche Wende:

Schon der erste Wortwechsel zwischen Alex und Teresa macht überdeutlich klar, dass diese beiden Figuren nicht zusammengehören. Sie haben keinerlei gemeinsame Interessen (was daran liegen könnte, dass sie derart flache Pappfiguren sind, dass eine kleine Meinungsverschiedenheit allein genügt, um sie zu wandelnden Gegensätzen zu machen). Sie haben vollkommen unvereinbare Persönlichkeiten. Zu allem Übel verinnerlichen Tatort-Kommissar Wotan Wilke Möhring sowie Buddy-Hauptdarstellerin Mina Tander die Diskrepanzen zwischen ihren Figuren derart, dass keinerlei glaubwürdige romantische Spannung entsteht. Die Folge dessen: Alex und Teresa kommen wie zwei Menschen rüber, die bestenfalls für einen One-Night-Stand geeignet sind.

Das Drehbuch der Autorinnen Kati Eyssen & Andrea Sixt vollzieht jedoch keine zu dieser Figurenzeichnung passende Übung: Seitenwechsel ist nicht etwa die Geschichte einer notgedrungen geschlossenen Ehe, die Jahre später endlich mit Liebe erfüllt wird. Und noch viel weniger handelt der Film davon, dass zwei Menschen, die nicht zusammengehören, diesen Fakt endlich erkennen. Frei nach Schema F wird stattdessen die alte Masche durchgezogen, dass ein Paar, bei dem der Alltagstrott Überhand genommen hat, wieder zusammenfindet. Angesichts dessen, dass sich die Protagonisten aber nicht nur in romantischen, sondern sogar in grundlegenden zwischenmenschlichen Fragen abstoßen, ist die Frage „Finden sie wieder zueinander?“ ungefähr so spannend wie der Gedanke, dabei zuzuschauen, wie der Stadionrasen wächst.

Kein Esprit, keine Ideen
Mit dieser Figurendynamik eine Romantikkomödie zu erzählen, ist so, als würde eine Fußballmannschaft mit der falschen Sportausrüstung auf den Bolzplatz schreiten. In Eishockey-Kluft, möglicherweise. Bloß, dass diese Vorstellung einer ganz und gar danebengreifenden Mannschaft wesentlich lustiger ist, als das, was Seitenwechsel abliefert. Denn das gebotene Material reicht maximal für eine dürftige Durchhänger-Episode einer miesen Sitcom – aber niemals für eine Kinokomödie mit über 90 Minuten Laufzeit.

Alternativ: Nahezu durchweg bleiben die Spielzüge dieser Komödie durchschaubar und so rudimentär, dass es bestenfalls für die Kreisklasse genügt: Alex liebt Fußball und beißt dabei bei Teresa auf Granit. Teresa in Alex‘ Körper darf sich das nicht anmerken lassen. Und bekommt dauernd Erektionen. Alex in Teresas Körper missachtet derweil die Patienten seiner Frau (darunter: ein verschenkter Frederick Lau). Das war’s schon. Den grundlegenden Trickspielzug einer jeden Körpertauschkomödie, nämlich die gegenseitige Imitation des zentralen Darstellerduos, verhaut Seitenwechsel derweil ein ums andere Mal: Während Mina Tander ihre Teresa als geradlinige Businessfrau anlegt, übt sich Wotan Wilke Möhring als Teresa in Alex‘ Körper in anstrengend weibischen Gesten und Gesichtszügen. Und während Möhrings Alex bereits kaum weniger ist als eine langweilige Fußballnarr-Karikatur, holpert Tander als Alex in Teresas Körper von A nach B als hätte sie zwei Kokosnüsse im Schritt. Übertreibung mag ein komödiantisches Stilmittel sein, das Element der Überraschung ist jedoch die Initialzündung praktisch jeder guten Pointe. Und wenn sowohl Möhring als auch Tander durchweg gleich aufgesetzt das jeweils andere Geschlecht nachäffen, ohne irgendwie das Spiel ihres Gegenübers aufzugreifen, so ist das bloß ermüdend, statt komisch.

Ähnlich grobschlächtig greifen Naefe und das Autorenduo die uralten Geschlechtervorurteile der zickig-sensiblen Frau und des chauvinistisch-störrischen Mannes auf, ohne sie je mit gewitzten Einfällen zu brechen oder wenigstens zu aktualisieren. Wenn der vorgestrige, erschreckend spröde inszenierte Klamauk eben doch mal neue Akzente setzt, zeigt sich, welches Talent hier vergeudet wird: Wenn Alex und Teresa miteinander schlafen, obwohl sie noch im Körper des jeweils anderen stecken, bringt eine teils sinnliche, teils kess-alberne Inszenierung Seitenwechsel kurzfristig so etwas wie eine eigene Identität ein. Auch Tanders Versuche als Alex erstmals ein Tampon zu benutzen, ist in seiner juvenilen Frivolität gewitzt – was die zahlreichen Nebenfiguren von der Stange (notgeile Assistentin, bisexuelle Spielerfrau, aggressiver Rüpelfußballer, schmieriger Lokaljournalist …) nicht von sich behaupten können.

Angesichts dessen, dass selbst die Songauswahl lieblos erscheint, immerhin werden gleich zwei Songs zwei Mal verwendet, und dies zu sehr überschaubarem dramatischen oder komödiantischen Effekt, lässt sich Seitenwechsel vielleicht auch einfach als gewaltiger Ausrutscher abtun. Oder als misslungene Schwalbe. Oder doch eher als unnötige Blutgrätsche ins angeknackste Komikzentrum. So oder so: Alle Beteiligten haben bereits viel, viel Besseres geleistet. Also Staub abklopfen, weitermachen. Und den Seitenwechsel schnell aus dem Gedächtnis verbannen.

Fazit: Dafür gibt es die rote Karte: Seitenwechsel ist eine einfallslose Komödie voller uralter Klischees, durch die unsympathische, einseitige Figuren stolpern. Das hat dieser Cast nicht verdient!

Montag, 7. November 2016

Einschaltbefehl: Die dritte Staffel "Disney Magic Moments"


Es wird wieder kalt in unseren Breitengraden. Doch zum Glück gibt es ein Fernsehschmankerl, das darüber hinwegtäuscht und nicht nur die Herzen erwärmt, sondern auch bei Twitter wieder ordentlich Diskussionen anheizen wird: Disney Magic Moments!

Die beste, da informativste und passionierteste Rankingshow im deutschen Fernsehen, geht in die dritte Staffel! Und wie schon in Season zwei bin ich mit von der Partie: Ich hatte die Ehre, mich in die Greenbox setzen und meine Kommentare zu den Platzierungen in den repräsentativ ermittelten Hitlisten abgeben zu dürfen! Neben mir gibt es auch zahlreiche namhafte Mediengesichter und Disney-Fans zu sehen, und wem das nicht genug an ambitionierter Disney-Debatte ist, ist herzlich eingeladen, bei Twitter unter dem Hashtag #DisneyMagicMoments mitzuquatschen!

Die von Steven Gätjen souverän präsentierte Sendung ist ab dem 14. November 2016 immer montags um 20.15 Uhr im Disney Channel zu sehen, und dieses Mal geht es um die folgenden Themen:

- Die besten Gute-Laune-Songs
- Die beliebtesten Pixarfilme
- Die dramatischsten Duelle Gut gegen Böse
- Die fantasievollsten Welten
- Die bewegendsten Momente
- Die schönsten Weihnachtsfilme
- Die beliebtesten Schauspieler

Also: Einschalten, mit euren Favoriten mitfiebern und mitdiskutieren!

Whiskey Tango Foxtrot


Durch den jüngsten Irakkrieg wurde ein anderer militärischer Einsatz im nahen Osten medial verdrängt: Der Afghanistankrieg, von dem man eigentlich denken sollte, dass er zumindest für die US-amerikanischen Öffentlichkeit von Relevanz ist. Die komödiantisch-dramatische Kinoproduktion Whiskey Tango Foxtrot rückt den Fokus für etwas weniger als zwei Stunden zurück auf diesen vergessenen Krieg und berichtet davon, welch faszinierenden Subkosmos sich Journalisten in Kabul und Umgebung aufgebaut haben. Die frei nach wahren Begebenheiten operierende Regiearbeit des Duos Glenn Ficarra & John Requa (Crazy, Stupid, Love.) hat zwar trotz einer energiereichen Performance des Komödienstars Tina Fey kleinere Längen, dennoch stellt sie einen auf positive Weise eigenwilligen Beitrag ins Genre der Kriegs-Dramödien dar.

Die Vorlage zu Whiskey Tango Foxtrot sind die The Taliban Shuffle: Strange Days in Afghanistan and Pakistan betitelten Memoiren der Journalistin Kim Baker, an denen sich Drehbuchautor Robert Carlock jedoch sehr lose orientiert. Der 30 Rock-Showrunner und Co-Schöpfer von Unbreakable Kimmy Schmidt formt beispielsweise aus der in Wirklichkeit für die „Chicago Tribune“ schreibenden Kim Baker eine TV-Journalistin, die trotz großer Erfahrung nur ein kleines Licht in ihrer Branche darstellt. Davon frustriert, willigt die ledige, kinderlose Kinoversion Bakers (Tina Fey) im Jahr 2004 dem Angebot ihres Chefs ein, nach Afghanistan zu fliegen, um dort als Krisengebietsreporterin tätig zu werden. Mit diesem radikalen Tapetenwechsel beginnt praktisch ein völlig neues Leben für Kim: Da im afghanischen Journalistencamp arger Frauenmangel herrscht, wirkt das graue Mäuschen plötzlich wie ein heißer Feger – und nach einer sehr kurzen Eingewöhnungsphase entwickelt sich die neugierige, aber vorsichtige Reporterin geradezu zu einem Adrenalinjunkie.

Wenn Kim Baker nicht gerade über riskante Militäreinsätze oder die Stimmungslage in den Truppen berichtet, wühlt sie Dreck in der afghanischen Politik auf – oder feiert ausgelassene Partys mit der berühmten australischen Korrespondentin Tanya Vanderpoel (Margot Robbie) und dem schroffen schottischen Fotografen Iain MacKelpie (Martin Freeman). Doch wann immer sich so etwas wie Alltag einstellt, drohen neue Gefahren – sei es, dass sich die Situation in Afghanistan wieder zuspitzt, oder dass Kims Sender droht, die Berichterstattung über das Gebiet deutlich zu kürzen …

Wie Ficarra und Requa bereits mit dem selbstironischen Romantik-Komödiendrama Crazy, Stupid, Love. und der teils absurden, teils romantischen, teils frechen Betrügergeschichte I Love You, Phillip Morris zeigten, haben sich diese Regisseure auf Filme mit facettenreichem Tonfall spezialisiert. Nachdem ihr Heist-Movie Focus den steten Wechsel zwischen Dur und Moll nur mäßig durchstanden hat, ist Whiskey Tango Foxtrot wieder ein gelungenes Beispiel: Mit der scharfzüngigen Kim Baker, deren reales Vorbild bereits wiederholt als „Tina-Fey-Type“ beschrieben wird, weist die Geschichte eine kesse, sympathische Hauptfigur auf, die fast nie um eine schlagfertige Antwort verlegen ist.

Da sie trotzdem als Neuankömmling im Kabuler Journalisten-Subkosmos zunächst eine Außenseiterrolle inne hat, kommt sie dessen ungeachtet nie überheblich rüber und hat sehr wohl ihre kleinlauten Augenblicke. Diese runde Charakterisierung meistert Fey mühelos, ebenso, wie sie in den späteren Momenten überzeugt, in denen Afghanistan alles repräsentiert, was Kim wichtig ist, so dass sich die ruhigeren Passagen daraus generieren, dass sie um Freunde bangt, sich um die Zukunft ihres Jobs sorgt oder sie eine Romanze beginnt. Feys Chemie mit Martin Freeman, dessen Darbietung als forscher Bube mit sanftem Kern sehr pointiert überzeichnet ist, stimmt, und Autor Robert Carlock webt diesen Subplot unaufdringlich sowie glaubwürdig in die Story ein.

Auch Wolf of Wall Street-Entdeckung Margot Robbie weiß als erfahrene Starreporterin dank geschliffenem komödiantischem Timing sowie einem dezenten Hauch Überheblichkeit zu überzeugen. Kim Bakers wichtigster Militärkontakt, US-Marine-Corps-General Hollanek (Billy Bob Thornton) derweil gerät im Mittelteil des Films etwas zu sehr in den Hintergrund, so dass seine Rückkehr im letzten Akt fast wie ein unverdientes, dramaturgisches Ass wirkt, das aus dem Ärmel geschüttelt wird. Dafür gefallen seine raren Szenen, da Billy Bob Thornton die Rolle mit seiner markanten Mischung aus Charisma und Dreistigkeit auszufüllen vermag.

Einen herben Tiefpunkt des Films stellt derweil der fehlbesetzte Alfred Molina dar, der mit lächerlichem Bart und Honigkuchenpferdgrinsen als Karikatur eines afghanischen Politikers herumhampelt. Molinas aufgesetztes Spiel und die flache Charakterisierung dieser Rolle verstärken den bitteren Nachgeschmack, der eh schon da ist, weil in diesem sonst kritisch reflektierenden Film zwei wichtige afghanische Rollen ethnisch inkorrekt besetzt wurden. Christopher Abbott, der als afghanischer Sicherheitsmann auftritt, spielt seine Rolle wiederum sehr ruhig und einfühlsam, so dass sein Casting zwar aus Prinzip fragende Blicke provoziert, auf schauspielerischer Ebene muss er sich aber keine Kritik gefallen lassen.

Kims Begegnungen mit diesem illustren Figurenrepertoire wird zwar sehr episodenhaft erzählt, die Übergänge zwischen den mal rabenschwarzen Humor, mal feuchtfröhlichen, mal tragikomischen, mal rein dramatischen Ereignissen sind allerdings zumeist fließend. Nur wenn der Tonfall ganz radikal wechselt, sei es durch Molinas Witzfigur oder Anschläge, tritt das sonst sehr aufgeweckte Dialogbuch anschließend etwas auf der Stelle. Auch der kurz vor Schluss erfolgende, kleine Anflug an Sentimentalitäten ist zwar per se inhaltlich gerechtfertigt, aber länger, als es dem Gesamtpaket gut tut. Angesichts der soliden, anpassungsfähigen Musikuntermalung und der routiniert-fähigen Regiearbeit ist Whiskey Tango Foxtrot dennoch eine bemerkenswerte, tonal vielseitige Beschäftigung mit dem Thema der Kriegsreportage.

Fazit: Schlagfertig, kess und dennoch kritisch: Whiskey Tango Foxtrot hat zwar Schönheitsfehler, trotzdem ist diese originelle Kriegs-Dramödie zweifelsfrei einen Blick wert.

90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden


Der Nahostkonflikt lässt sich so einfach niederlegen: Man nehme zwei Fußballmannschaften. Eine israelische, eine palästinensische. Man nehme einen neutralen Grund, um die Partie auszutragen. Und 90 Minuten später herrscht endlich Frieden. Oder halt nach der Verlängerung. Oder nach dem Elfmeterschießen. Aber spätestens dann ist klar, welche Partei in diesem jahrzehntelangen Konflikt die Oberhand behält. Und das gelobte Land besiedeln darf. Der Verlierer? Tja, der muss umsiedeln.

Eine utopische Vorstellung, ein klein wenig albern ist sie auch. Und genau aus diesem Grundkonzept zieht die israelisch-deutsche Gemeinschaftsproduktion 90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden ihren Witz. Regisseur und Ko-Autor Eyal Halfon gestaltet diese vom ZDF mitgetragene Komödie als Mockumentary, also als Fake-Dokumentation, die die Vorbereitung des wohl wichtigsten Fußballspiels der Geschichte begleitet. Und auf dem Weg hin zum großen Kick zeigt sich: So simpel, wie zunächst gedacht, ist selbst dieser Ansatz der Konfliktbewältigung nicht. Denn beide Parteien wittern überall eine mögliche Bevorteilung der Gegenseite.

Die Zankereien, die sich vornehmlich zwischen den jeweiligen Teamchefs abspielen, sind köstlich. Wenn Moshe Ivgy und Norman Issa, beides in Israel gefeierte Schauspielgrößen mit ausgeglichenem privaten Hintergrund bezüglich des Nahostkonflikts, über die Wahl des Stadions zetern, wirken sie wie ein verkrachtes Ehepaar. Egal, ob sie nach einem politisch unbedarften Schiedsrichter ohne historisch vererbtes Stigma verlangen und sich gegenseitig des Schummelns bezichtigen. Dabei werden sie nicht als Karikaturen gezeichnet, sondern als sympathische Männer, die mit dem Rücken zur Wand stehen: Auch wenn sie sich aus politischen Gründen das Leben schwer machen, so ist es allein die Verantwortung, die sie zermürbt – menschlich kommen sie eigentlich miteinander klar.

Das von Eyal Halfon gewählte Mockumentary-Format erweist sich als vorzüglicher Kunstgriff: Für eine klassische Komödie wäre das Konzept arg herbeigezogen, zudem liefe die Erzählung Gefahr, entweder Partei zu ergreifen oder in Ermangelung eines Protagonisten in sich zusammenzufallen. Als Fake-Doku hält sich die Erzählung auf neutralem Boden auf, gibt beiden Seiten Zeit, Sympathiepunkte einzusammeln und fängt auch kühl einige Mogeleien ein. Die Mischung aus Blödeleien und satirischen Seitenhieben wird wiederum durch den nüchternen Dokumentationsstil geerdet – die Grenzen zwischen plausiblem Wahnsinn und fiktionaler Verzeichnung verschwimmen somit zu einem komischen Gesamtbild. Dazu tragen auch solche Randfiguren wie ein arabisch-stämmiger, israelischer Nationalspieler mit Identitätskrise bei oder Detlev Buck als simpler, aus Deutschland stammender Trainer der israelischen Mannschaft, der wegen seiner historischen Rolle Gewissensbisse bekommt – sowie gewaltigen Bammel, einen Fehler zu begehen.

Wie bei diesem Thema zu befürchten steht, druckst 90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden gen Ende ein wenig herum und plätschert somit mit einer seichten Schlusspointe aus. Dennoch bietet diese auch vor Seitenhieben auf die FIFA nicht zurückschreckende Produktion rund 85 Minuten geballter Gags – und so kindisch ihre Grundidee sein mag, regt sie auch zum Denken an. Wieso kann die Lösung nicht so einfach sein?

Fazit: Ein gut aufgelegter Cast und eine spritzige Grundidee: 90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden ist eine erfrischende Mockumentary, die ihr schweres Thema ernst nimmt und dennoch leichtfüßig bleibt.

Freitag, 4. November 2016

Ma Ma – Der Ursprung der Liebe


Acht Jahre lang hockte Regisseur und Autor Julio Medem eigenen Angaben zufolge am Drehbuch zu Ma Ma – Der Ursprung der Liebe, bevor sich alles gefügt hat. Mit Penélope Cruz, die den neuen Film des Lucía und der Sex-Machers mitproduziert hat, fand Medem eine fähige Hauptdarstellerin, die dieses Krebsmelodram mit Würde und Hingabe sowie einer bodenständigen, unaufdringlichen Performance erfüllt. Somit kann sich Cruz, die bevorzugt auf temperamentvollen Rollen besetzt wird, wieder von einer anderen Seite zeigen. Allerdings ist eine mit stiller Vehemenz gegen das Elend Brustkrebs angehende Cruz einer der wenigen gelungenen Aspekte dieser internationalen Koproduktion, bei der die Frage erlaubt sein darf: Wieso hat in den acht langen Jahren niemand das Skript aufgeräumt?

Ihren Anfang nimmt diese Parade des Leidens, als Magda (Penélope Cruz) zur Routineuntersuchung bei ihrem Gynäkologen geht. Der bildhübsche, charmante und gesanglich begabte Frauenarzt namens Raúl (Àlex Brendemühl) hat schlechte Nachrichten für die derzeit eine Trennung durchmachende, auf Jobsuche befindliche Mutter: Sie hat fortgeschrittenen Brustkrebs und wird nicht nur eine Chemotherapie durchlaufen, sondern sich zudem eine Brust entfernen lassen müssen. Wenige Stunden nach dieser Hiobsbotschaft lernt sie während eines Fußballspiels ihres Sohnes Dani (Teo Planell) den einfühlsamen Talentscout Arturo (Luis Tosar) kennen, der gerade auf der Suche nach Nachwuchstalenten für die Jugendmannschaft von Real Madrid ist. Während der Partie erhält er einen schockierenden Anruf: Seine Tochter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, seine Frau ist schwer verletzt und ins Koma gefallen. Arturo wird von dieser Nachricht niedergeschmettert, weshalb Magda ihn ins Krankenhaus begleitet, wo die beiden alsbald ob ihrer jeweiligen Tragödien eine zweckmäßige Freundschaft als gegenseitige Trauerbegleiter knüpfen.

Eingebettet wird diese Geschichte der gegen ihre Krankheit ankämpfende Magda, die sich nichts sehnlicher wünscht, als ein zweites Kind zu bekommen und zu erfahren, dass Raúl endlich seine Pläne vollzieht, eine sibirische Waise zu adoptieren, in beiläufige Skizzierungen der spanischen Wirtschaftskrise sowie in Momentaufnahmen der EM-Euphorie 2012. Darüber hinaus wird Magdas verfahrene Beziehung zu Danis Vater, den Philosophieprofessor Julián (Asier Etxeandia), angerissen sowie die verborgenen sexuellen Sehnsüchte der erwachsenen Protagonisten dieser Story, die sich mit ihrer Anhäufung an melodramatischen, knochentrocken behandelten Wendungen glatt als Arthouse-Seifenoper etikettieren lassen könnte.

Ma Ma ist nicht nur mit viel Pathos versehen. Medem illustriert seine Erzählung zudem mit teils schmerzlich-offensichtlicher Symbolik. So spazieren mehrmals Krebse durch die Strandszenen dieser zweistündigen Leidensgeschichte, die den Fortschritt von Magdas Krebserkrankung verbildlichen. Die Gegenüberstellung der wirtschaftlichen Lage Spaniens und der sportlichen Erfolge der spanischen Fußball-Nationalelf fallen ähnlich bemüht aus, zumal diese Subthematik irgendwann verschwindet und Magdas Leidensgeschichte weder bereichert, noch ansprechend kommentiert.

Untermalt von träger, einseitiger Musik aus der Feder des Komponisten Alberto Iglesias und bestickt mit weltfremden Monologen, wird Ma Ma – Der Ursprung der Liebe aus genau den falschen Gründen zu einem schwermütigen, ermattenden Kinoerlebnis. Den wenigen Freuden in Magdas Leben fehlt es an Leichtfüßigkeit, während ihre zahlreichen Rückschläge wegen der gekünstelten Bildästhetik Kiko de la Ricas und der meist kraftlosen Inszenierung ihre Wirkung verfehlen. Würde Cruz sie nicht so passioniert darbieten, gäbe es gar keinen Grund, mit Magda mitzufiebern. Medem erschafft zwar zusammen mit seinem manch cleveren Szenenübergang erstellenden Cutter Iván Aledo zwischendurch eine kunstvolle Stimmung, dennoch fehlt es Ma Ma letztlich an Substanz und Kohärenz. Es ist ein Film über Brustkrebs, Schwangerschaft, Leid, Mut, Elternliebe und sexuelle Selbsterfahrung. Und irgendwie ist er auch nichts davon, sondern einfach nur zwei Filmstunden voller Elend – abgesehen von einem Abstecher in einen Sexclub, der auch prompt wegen seiner Bild- und Klangästhetik wie aus einem anderen Film geklaut scheint.

Fazit: Penélope Cruz gibt ihr Bestes, aber dieses Melodram ist ebenso nichtssagend wie schwermütig. Eine arg ernüchternde Kombination.