Freitag, 30. Juni 2017

Amerikanisches Idyll


Es ist ein Gefühl, das wir alle schon einmal durchgemacht haben: Wir denken, jemanden zu kennen, und erfahren dann über Ecken, dass dieser Mensch viele ungeahnte Facetten aufweist. Ewan McGregors Regiedebüt Amerikanisches Idyll nutzt dieses Gefühl als arbiträres Sprungbrett, um in den Sumpf einzutauchen, der oberflächlich als amerikanischer Traum betrachtet wird. Der Autor Nathan Zuckerman (David Strathairn) begegnet auf einem Klassentreffen seinem einstigen Freund Jerry Levov (Rupert Evans), dessen Bruder Seymour (Ewan McGregor) zu Schulzeiten jedermanns Idol war. Jerry erzählt Nathan, dass Seymours Leben in Wahrheit längst nicht das sorglose Zuckerschlecken war, das sich alle ausmalen:

Der jüdische Seymour gründete nach der Schulzeit mit der überzeugten Katholikin und Schönheitskönigin Dawn Dwyer (Jennifer Connelly) eine Familie und zog gegen den Willen seines Vaters aufs Land. Dort zeigten sich erste Risse im paradiesischen Leben des von allen nur „Schwede“ genannten sonnigen Gemüts, als seine Tochter Merry (vom Teenageralter an von Dakota Fanning gespielt) als Stotterin aufwächst und Probleme hat, Freunde zu finden. Daraufhin entwickelt sie zuerst eine beunruhigende Fixierung auf ihren Vater, ehe sie vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs zur rebellischen Teenagerin aufwächst. So zieht sie die Kritik des gutbürgerlichen Umfelds ihrer Eltern auf sich und wird zur Hauptverdächtigen eines Terroranschlags, was wiederum Seymours Eheglück in Mitleidenschaft zieht …

Die in der Romanvorlage unerlässliche Rahmengeschichte ist in McGregors Film nur ungelenkes Beiwerk: Der Grundgedanke, dass kein Traum in Wirklichkeit so makellos ist wie es scheint, kommt zwar rüber, dies aber in denkbar holpriger Weise. Emotional besteht keinerlei Resonanz zwischen Binnen- und Rahmengeschichte, stattdessen sorgen die hölzernen Dialoge zwischen Nathan und Jerry sowie Nathans zuweilen schmerzlich naheliegenden Erzählerkommentare wiederholt für störenden Leerlauf.

Der Kern von Amerikanisches Idyll derweil mag zwar die ausufernde Romanhandlung aufs Wesentliche kondensieren, allerdings scheitern McGregor und Drehbuchautor John Romano dabei, die radikalen Stimmungswechsel wirkungsvoll umzusetzen. Situationen wie Merrys Elektrakomplex werden kurz und intensiv eingeführt, um prompt fallen gelassen zu werden, so dass das Familiendrama immer wieder tonale Ausreißer ins Derbere oder Groteske hat, die letztlich nur irritierend wirken – vom Bombenanschlag auf ein Postamt abgesehen: Dass diese drastische Szene hervorsticht, ist thematisch gerechtfertigt, wenngleich dieser Filmmoment in weniger symbolisch aufgeladener Form eine noch größere emotionale Schlagkraft mit sich brächte.

Während Ewan McGregor auch unter seiner mitunter schwerfälligen Regieführung eine solide, facettenreiche Darbietung abgibt, agieren seine Ensemblekollegen spröde – abgesehen von der überdramatischen Dakota Fanning, welche aus der hitzköpfigen Rolle der Rebellentochter eine völlige Furie macht. Dadurch geht dem Handlungsverlauf viel der von den Figuren immer wieder betonten Ambiguität verloren, so dass es diesem Drama an innerer Anspannung mangelt.

Bemerkenswert ist indes die Kameraarbeit von Martin Ruhe: Die frühen Momente im langen Rückblick auf das Leben des Schweden erstrahlen in kräftigen Farben und sind in einem weichen Licht gezeichnet. Je dramatischer und aussichtsloser seine Lage wird, desto kontrastreicher und schärfer, aber auch trüber wird die Bildästhetik. Dieser Wechsel erfolgt schrittweise und lässt Amerikanisches Idyll zu einer Art Stimmungsbild des US-Mittelstands werden: Glänzender Optimismus in den Nachkriegsjahren, rauere Aussichten in den desillusionierten Jahren des Vietnamkriegs und der nachfolgenden Ära des Regierungsmisstrauens. So bleibt von diesem ironisch betitelten Idyll wenigstens eine Hoffnung übrig: Mit einem besseren Skript und etwas mehr Zurückhaltung kann aus McGregor noch ein guter Regisseur werden – ein Auge für leinwandtragende Bilder hat er zumindest schonmal.

Fazit: Großer Roman, ganz klein: Ewan McGregors Regiedebüt sieht gut aus, ist inhaltlich und tonal jedoch ziemlicher Murks.

Diese Kritik erschien zuerst auf Quotenmeter.de

Freitag der Karibik #49


Zur Feier dessen, dass Pirates of the Caribbean in Russland aktuell enorm abräumt: Hier ein Up is Down-Cover der russischen YouTuberin Alina Gingertail. Memo an die Welt: Es gibt zu wenig Up is Down-Coverversionen.

Donnerstag, 29. Juni 2017

Nebel im August


Die Schreckenstaten während des Dritten Reichs wurden bereits in zahlreichen Filmen verarbeitet – von großen Hollywooddramen wie Schindlers Liste hin zu kleinen, erschütternden Werken wie die Ausnahmeproduktion Son of Saul. Insbesondere ist es aber das deutsche Kino, das sich in hoher Taktung darin betätigt, diese finsteren Geschichtskapitel zu verarbeiten. Und dennoch finden sich weiterhin Aspekte der Nazizeit, die bislang nicht im Übermaß auf die Leinwand gebracht wurden. Ein solches ist die Euthanasie, der sich Regisseur Kai Wessel in Nebel im August annimmt. Der Filmemacher handelt diese in Form eines exemplarischen Einzelschicksals ab, welches schon im gleichnamigen Tatsachenroman von Robert Domes zusammengefasst wurde: Das Leben eines jungen Mitglieds der Gemeinde der Jenischen, das in einer Nervenheilanstalt Wind von den mörderischen Taten seiner angeblichen Pfleger bekommt …

Süddeutschland zu Beginn der 1940er-Jahre: Der aufgeweckte, jedoch vorlaute Ernst Lossa (Ivo Pietzcker) wird von seinem Kinderheim als „schwer erziehbar“ diagnostiziert und einer Nervenheilanstalt überwiesen. Dort soll dem 13-jährigen Halbwaisen, der als Sohn eines fahrenden Händlers aufgewachsen ist, seine rebellische Ader ausgetrieben werden. In der von Dr. Veithausen (Sebastian Koch) mit eiserner Hand geleiteten Klinik finden sich Menschen jeden Schlags, die nicht der Vorstellung einer makellosen Herrenrasse entsprechen, die das NS-Regime propagiert. Wie der hellwache, aber unangepasste Ernst nach und nach bemerkt, werden dort regelmäßig Insassen ermordet. Das vermeintliche Pflegepersonal begründet dies hinter verschlossenen Toren damit, dass nur so das Volk gereinigt werden kann. Ernst plant gemeinsam mit der Mitpatientin Nandl, seiner ersten Liebe (Jule Hermann), die Flucht – begibt sich damit jedoch in große Gefahr …

Schon früh kristallisiert sich Hauptdarsteller Ivo Pietzcker als Glanzlicht dieses kargen Dramas heraus: Der Jungdarsteller agiert gänzlich ohne die für viele Mimen seines Alters typische Verkrampftheit und erhält schon in der Auftaktsequenz die Gelegenheit, scheinbar mühelos seine Rolle des Ernst Lossa als störrischen Pubertierenden darzustellen: Ernst ist frech, vorlaut und schlagfertig, hat aber die Sympathien auf der Seite, weil er mit seiner rotzigen Attitüde gegen die gestrengen, empathielosen Gefolgsleuten des NS-Regimes rebelliert.

Gleichwohl wird klar, dass Ernst Lossa kein junger Widerstandskämpfer ist, sondern schlicht ein launenhaftes Kind, das gegen Befehle, unsinnige Vorschriften oder unverständliche Autoritätsstrukturen Sturm läuft – und gegen alles, was ihm fremd ist. Erstmal in der Nervenheilanstalt angelangt, mault Ernst seine Mitinsassen an, sei es, weil sie ihm zu nahe kommen, er ihre Behinderungen lachhaft findet oder er schlicht die Geduld verliert, wenn er sich mit einem zuvorkommenden, stotternden Buben unterhält. Pietzcker gelingt es, die sprunghafte Laune Ernsts, von mitfühlend und kritisch hinterfragend zu derb und selbstgefällig, stimmig unter einen Hut zu bringen. Ebenso taut er schrittweise im Umgang mit den anderen Patienten auf, ohne seine Lausebengel-Ausstrahlung zu verlieren: Mit unzufriedenem Gesichtsausdruck, doch einem Geduld ausstrahlenden Gestus, füttert er verschlossene Kinder und knüpft vorsichtige Bande mit der von Jule Hermann goldig gespielten Nandl.

Während das Zusammenspiel Hermanns und Pietzckers zwar eine charmante Unschuld ausstrahlt, jedoch nie solche Funken versprüht, dass sie die Ausführlichkeit ihrer romantischen Ausflüge rechtfertigen würde, gefällt Pietzckers Interaktion mit Fritzi Haberland umso mehr: Haberland gibt mit gebeutelter, erschöpfter Haltung eine Krankenschwester, die das sinnlose Morden nicht weiter hinnehmen kann, jedoch nicht weiß, wie sie dagegen vorgehen sollte. Mit Ernst schließt Haberlands Figur der katholischen Sophia ohne explizite Absprachen einen Pakt – sie bemühen sich, unauffällig und im Kleinen Sand ins Getriebe der Euthanasiemaschine zu streuen.

Diese von Kameramann Hagen Bogdanski in grau-graublauen Farben gehaltene Geschichte weist aber eine träge Dramaturgie auf, so dass sich keine Spannung oder aufreibende Dramatik entwickelt. Die schwermütig ablaufenden Kapitel dieser Geschichte werden dabei ebenso wenig von tiefgehenden Charakterisierungen geprägt – von Ernst abgesehen, sind alle handelnden Figuren recht simpel beschrieben, wie etwa die von der Euthanasie überzeugte Krankenschwester Edith. Henriette Confurius verleiht ihr zwar eine bemerkenswert frostige Präsenz, trotzdem lässt sich die Einseitigkeit dieser Rolle oder auch des kalkulierenden, gewissenlosen Dr. Veithausen nicht verleugnen.

Fazit: Nebel im August ist dank seines guten Hauptdarstellers und respektvollen Umgangs mit dem erschütternden zentralen Thema trotz dramaturgischen Leerlaufs ein passables Historiendrama.

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de

Freitag, 23. Juni 2017

Freitag der Karibik #48

Ich habe schon lange keine Coverversion von He's a Pirate mehr gepostet. Aber The Snakecharmer sind hier zur Rettung!

Trinkt aus, ihr Schottenpiraten, Yo-Ho!


Freitag, 16. Juni 2017

Freitag der Karibik #47



Die Geschichte der Pirates of the Caribbean-Musik ist eine Geschichte der Kollaboration. War Hans Zimmer beim ersten Film der Mann, von dem die Initialzündung für viele der letztlich genutzten Leitmotive ausging, und Klaus Badelt derjenige, der die Gesamtrichtung vorgab, übernahm Hans Zimmer bei den nächsten drei Teilen die Federführung von Anfang bis Ende. Bei Salazars Rache ging Zimmer jedoch von Bord und überließ den Kapitänshut dem einzigen Komponisten aus der Remote-Control-Productions-Familie, der ebenfalls an allen der ersten Pirates of the Caribbean-Filmen mitwirkte: Geoff Zanelli.

Wie es so bei Filmreihen mit ikonischen Stücken halt ist: Wenn ein neuer Eintrag in diese musikalische Geschichte folgt, muss er sich erstmal gegen den übermächtigen und von den Fans komplett einverleibten Schatten der Vorgänger durchsetzen. Erinnern wir uns nur daran, wie der Star Wars: Erwachen der Macht-Soundtrack teilweise als der Schwanengesang von John Williams bezeichnet wurde. Und nun haben sich die neuen Scoreelemente schrittweise ihren Platz im Star Wars-Pantheon erarbeitet.

Mit wachsendem Alter der Pirates of the Caribbean-Saga wird es dem entsprechend für neue Stücke immer schwieriger, sich auf Anhieb mit den alten Themen messen zu lassen. Daher wollte ich Geoff Zanellis Aufstieg zum Hauptkomponisten unter der Totenkopfflagge etwas Zeit lassen, ehe ich ihn hier genauer unter die Lupe nehmen. Nach zahlreichen Soundtrack-Rotationen und mehreren Rewatches des Films später ist aber die Zeit eines Urteils gekommen ...

Ich würde durchaus behaupten, dass es im Falle von Salazars Rache ungewöhnlich schwer ist, ein Oberthema zu finden oder ein Hauptmerkmal, unter das ich diesen Soundtrack stellen würde. Fluch der Karibik ist der Holzbläser-Teil der Reihe, Die Truhe des Todes dank Davy Jones' mächtig-tragischer Erkennungsmelodie, dem epochaler aufgebauten Jack-Sparrow-Actionthema und den rockig-satten Kraken-Klängen der wuchtige Part, Am Ende der Welt der schwelgerisch-schmachtende, Fremde Gezeiten der mit den spanischen Gitarren. Und Salazars Rache? Wenn ich mir die sehr sauber-munter dekonstruierte He's a Pirate-Version in Erinnerung rufe, die Zanelli mehrfach nutzt, sowie das sehr lyrische Erkennungsstück für Carina Smyth, so würde ich dazu tendieren, diesen Film musikalisch als den ordentlichsten, hellsten zu bezeichnen.

Was die gänzlich neuen Stücke anbelangt, geht dieser Soundtrack mir nicht derart ins Ohr wie die wenigen neuen Aspekte des Fremde Gezeiten-Scores. Salazars Thema sticht für mich klar Blackbeards (wobei beide akustische Cousins des Motivs sind, das während Davy Jones erstem Auftauchen zu hören ist), da es eine höhere dissonante Macht hat. Aber das Spanier-Thema und die Meerjungfrauen-Suite segeln dann doch an Carinas Stück und Henrys Melodie vorbei, sie stechen einfach fescher und kantiger hervor.

Hinsichtlich der Abwandlung der bereits bekannten Stücke ist Salazars Rache jedoch um Längen seinem Vorgänger voraus. Wo Zimmer in Fremde Gezeiten zwischenzeitlich (und widerwillig) im reinen Jukeboxmodus die "Hits von früher" abspielt, ist Zanelli in Salazars Rache wesentlich findiger und setzt auf äußerst schöne Verschränkungen und Variationen der ikonischen Pirates of the Caribbean-Musiksammlung. Neben der bereits erwähnten, eher locker-leichten He's a Pirate-Variation, die das episch-moderne Musikthema ein paar Schritte zurück in das akustische Vokabular klassischer Abenteuerfilme übersetzt, bleibt auch die extrem stolz-bombastische Version in Erinnerung, die in der von Salazar erzählten Rückblende zu hören ist, wenn ein junger Jack Sparrow ein so verrücktes Manöver anordnet, dass es noch Jahrzehnte später als ein waschechtes Jack-Sparrow-Manöver bezeichnet werden sollte, wenn eine junge Dame namens Elizabeth Swann etwas ähnliches vorschlägt.

Toll ist auch, wie Zanelli die Jack-Sparrow-Einmarsch-Melodie (etwaig als The Medaillon Calls bekannt) aus ihrem Urlaub nach Teil vier zurückholt und sowohl dynamisch als Aspekt der Bankraubszene benutzt wie auch in reinrassiger Form bei der Rückkehr der Black Pearl. Und Zanelli hat sich meinen ewigen Respekt dafür erarbeitet, wie er zum Schluss des Films die Liebessuite aus Am Ende der Welt variiert: Bei Hans Zimmer klang sie in all ihren Versionen stets melancholisch, was auch wunderbar zum Film passt, aus dem sie stammt. Fernweh, äußere wie innere Kälte, Trennungsschmerz, gehemmte Liebe, das am Herzen zerrende Gefühl der bittersüßen Erwartung, ständig trübte etwas die Freuden der Romantik. Die abschließende Sequenz von Salazars Rache hingegen klemmt zwischen One Last Shot und He's a Pirate eine reine, in sich ruhende, herzzusammensetzende Spielweise dieser atemberaubend schönen Komposition - und es könnte die Szene nicht besser begleiten. Da verzeihe ich es ihm auch (fast), das sehr ernste und auf Piratenzusammenhalt hinweisende Hoist the Colours in einer Szene zu nutzen, um einen Gag zu unterstreichen.

Wenn ein sechster Teil kommt, darf Zanelli also liebend gern erneut komponieren - dann auch gern etwas experimentierfreudiger und größer in den Gefühlen, denn um mit Am Ende der Welt zu konkurrieren, fehlt Salazars Rache einfach noch der Funken etwas.

Freitag, 9. Juni 2017

Freitag der Karibik #46


Eine Beobachtung aus der Kategorie "Haben die das so geplant, oder haben sie es einfach so genommen, wie es kommt?": Der Umgang mit Ziegen in den Pirates of the Caribbean-Filmen der Post-Gore-Verbinski-Ära.

Wie sich energische Fans der Reihe eventuell erinnern können: Ted Elliott & Terry Rossio bezeichneten auf dem Audiokommentar zu Teil zwei Gores Inszenierungsstil als "... und eine Ziege". Der gute Gore hat nämlich in seinen drei Pirates of the Caribbean-Filmen das Bild immer und immer wieder durch zusätzliche lebende Details bereichert und dabei nicht selten auf Ziegen zurückgegriffen.

In Fremde Gezeiten sowie Salazars Rache, den beiden Pirates of the Caribbean-Teilen, die nicht von Gore inszeniert wurden, sind derweil keine Ziegen zu sehen. Es wird aber über sie gesprochen.

Es könnte ein gigantischer Zufall sein. Oder pure Absicht: Ziegen sind durch Gores intensiven Gebrauch von ihnen als Bildvitalisierungselement ein wiederkehrender, (für Fans) erkennbarer Teil dieser Filmsaga geworden. Spätestens die Anmerkung von Rossio & Elliott hat dies festzementiert. Gleichzeitig sind sie Gores Ding. Was also machen die Regisseure, die in seine Fußstapfen treten? Sie lassen Ziegen aus ihren Bildern raus. Als Wink gen Vergangenheit werden sie aber prominent erwähnt. Als mutmaßlicher Bestandteil der Black-Pearl-Befreiungszeremonie. Und als Carina Smyths Urteil darüber, wie intelligent die sie verurteilende Gesellschaft ist.

Vielleicht ist es ein liebevoller Schachzug, um den Anfängen der Reihe treu zu bleiben und dennoch etwas als Gores Ding zu reservieren. Eventuell ist es ein ebenso purer wie genialer Zufall. So oder so: Ich würde es feiern, wenn dies fortgeführt werden würde. Auf dass in allen kommenden Pirates of the Caribbean-Teilen über Ziegen gesprochen wird, aber keine mehr zu sehen sind - es sei denn, Gore sollte überraschenderweise wieder Regie führen.

Ein Erpel feiert Geburtstag ...

... und zur Feier gibt es einen Vorgeschmack auf die kommende DuckTales-Neuauflage.



Donald Duck, du einzig-wahrer Träger deines Vornamens: Lebe hoch!

Dienstag, 6. Juni 2017

Wonder Woman


Ein ungläubig betrachtetes Wunder.
Wenn das Unglaubhafte nicht weiter hinterfragt wird, dann haben wir es mit der "Aussetzung der Ungläubigkeit" zu tun. Aufgrund der Popularität dieses Fachterminus in der englischsprachigen Filmanalyse wird es aber auch in anderen Sprachen vor allem "suspension of disbelief" genannt.

Für den Erfolg dieses Kunstgriffes ist einerseits stets jede einzelne Person im Publikum in der Bringschuld. Natürlich könnte ich mit verschränkten Armen und bitterer Miene in meinem Kinosessel versacken, die Leinwand grimmig niederstarren und unentwegt schnauben: "Wenn ein Asteroid auf die Erde zurast, würde die NASA niemals auf die Idee kommen, eine Gruppe Ölbohrer dorthin zu schicken." Oder ich reiche dem mir gebotenen Filmprogramm etwas Gutwillen und lasse mich auf das grundlegende Konzept ein. "Okay, der Gott des Donners, ein Supersoldat aus den 40er-Jahren, der jahrzehntelang im ewigen Eis herumlag, ein Meisterschütze, eine gerissene Auftragskillerin, ein Wissenschaftler mit Wutproblemen und ein arroganter Milliardär mit fliegender Rüstung tun sich zusammen und retten die Welt ... warum nicht?"

Sämtliche Bringschuld hinsichtlich der "suspension of disbelief" auf die Schultern des Publikums zu verteilen, ist allerdings ein kunsthandwerklicher Trugschluss. Selbstredend ist der persönliche Faktor ein entscheidender. Er ist es, durch den sich erklärt, weshalb Person A bei übernatürlichen Horrorfilmen eher in Lachkrämpfe statt in Schreiattacken verfällt und Person B mehr Tränen über das Gefühlsleben einer gezeichneten Ente vergießt als über die dramatische Verfilmung der wahren Geschichte, wie ein krebskranker Mann zum Supersportler wird. Dessen ungeachtet sind die Geschichten, die im Kino erzählt werden, sowie die Entscheidungen, die sie in Form bringen, unmöglich aus der Gleichung zu nehmen. Schließlich brauchen wir alle etwas, worauf wir reagieren. Wäre "suspension of disbelief" eine rein auf der Publikumsseite entschiedene Sache, so würden wir uns alle völlig um Kopf und Kragen reden, sollten wir die Unterschiede besprechen, wie Joel Schumacher und Christopher Nolan jeweils Batman interpretieren.

Eine Geschichte zu erzählen, wie in einem der unsrigen Wirklichkeit ähnlich gerateten Filmuniversum eine Person mit Superfähigkeiten und comichaftem Kostüm flott den Verlauf eines Weltkrieges verändert, ist eine sehr knifflige Herausforderung für jede "suspension of disbelief". Marvels Captain America - The First Avenger stellt sich dieser Aufgabe, indem die Geschehnisse durch eine Indiana Jones-Linse beobachtet werden. Ja, wie Captain America in seinem knalligen Outfit durch Wälder rennt, Nazis verprügelt und Kameraden rettet, sieht albern aus. Aber Regisseur Joe Johnston inszeniert es auch auf eine vergnügliche, eskapistische Art und Weise, mit stilisierter Farbästhetik, die an die ersten Farb-Serials erinnert, mit fröhlich-patriotischer Musik und indem er Hauptdarsteller Chris Evans verschmitzt lächeln lässt. Kurzum: Wenn ich mich auf die Idee "Supersoldat räumt an der Front auf" einlassen kann, so lache ich nun mit dem Film, statt über ihn.

Patty Jenkins geht in einem Wendemoment ihrer Comicadaption Wonder Woman einen anderen Weg. Es lässt sich darüber diskutieren, dass sie einen anspruchsvolleren Weg geht, weil sie sich nicht auf die spaßige Indiana Jones-Weltflucht-Methode verlässt. Jenkins lässt Wonder Woman nicht durchs Kriegsgebiet des Zweiten Weltkriegs wüten und markiert es als spritzige Freude. Nach einem Skript von Sex and the City-Autor Allan Heinberg involviert die Monster-Regisseurin die Amazone in den Ersten Weltkrieg, wo sie nach einigem Bedenken ihres Zufallsbekannten Steve Trevor (Chris Pine) an die Front gebracht wurde. Steve erläuterte der Kriegerin aus einer abgeschiedenen, von mythologischem Glauben durchzogenen Welt, dass dieser militärische Konflikt aussichtsloser, verzahnter und komplexer ist, als sie glaubt. Und dass viel gefährlichere Waffen benutzt werden, als die, denen sie bislang begegnet ist. Dennoch drängt sie danach, mitzukämpfen - was Steve sogar gutheißt. Er warnt sie nur vor, dass die Realität vielleicht anders ist, als sie aufgrund ihrer Erziehung und Herkunft erwartet.

Im "No Man's Land" in Belgien angelangt, wo seit gefühlten Ewigkeiten der Waffenkonflikt auf einer einzelnen Stelle verharrt, reißt Diana alias Wonder Woman impulsartig aus. Sie schmeißt die unserweltliche Kleidung ab, die sie zuvor zur Tarnung anlegte, öffnet ihren Zopf und stapft aus dem Schützengraben - mit wallenden Haaren, rot-güldenem Brustpanzer und Amazonendiadem auf dem Haupt. Komponist Rupert Gregson-Williams lässt eine hochdramatische Coverversion des Wonder-Woman-Erkennungsmusikstücks erklingen, das Hans Zimmer und Junkie XL für Batman v Superman: Dawn of Justice erschaffen haben. In Zeitlupe boxt die Heldin Gewehrkugeln hinfort, die auf sie zu schnellen. Jenkins zelebriert dies stücknüchtern, ohne Kontext zu liefern, wie es das Kriegsgeschehen verändert, wir wissen nur, dass irgendein strategischer Knoten platzt. Es ist kein "Hurra, es geht im Krieg vorwärts"-Moment. Regisseurin Patty Jenkins selber sagt, dass die Szene nichts über die Gegenseite aussagt und nicht klar wird, wie viel nun eigentlich erreicht wird. Es ist eine todernste Sequenz, die sich allein auf die Figur stützt, die in ihrem Fokus steht.


Und es ist die Szene, die erstmals meine "suspension of disbelief" im DC-Blockbuster Wonder Woman bricht. Aber es sollten viele, viele Beispiele folgen, weil sie den vorhergegangenen Witz des Films in Rente schickt. Ich kaufe eine übertrieben zelebrierte Superheld-im-Weltkrieg-Szene in augenzwinkernder Form ab. Für eine ernsthafte Variante übertreibt es Wonder Woman dagegen mit den Zeitlupeneinstellungen, wacklig animierten, extrem schnellen Zooms über das geografisch unklar gezeichnete Schlachtfeld und mit den eher nach Schattenboxen anmutenden Gewehrkugel-aus-dem-Weg-hau-Moves. Ganz davon zu schweigen, dass ich gar nichts aus der Szene gezogen habe. Über den Kriegsverlauf habe ich nichts erfahren und soll ich offenbar auch nicht - aber entgegen Jenkins' Aussagen sehe ich hier auch keine Charakterentwicklung. Die Figur der Diana Prince (oder Prinzessin Diana von Themyscira) ist den gesamten Film über als sehr stur angelegt - ähnlich wie ihr ideologisches Marvel-Pendant Steve Rogers alias Captain America (welches aber wenigstens durch mehrere persönliche Rückschläge gehen muss und so eine Spannungskurve gestattet). Diana glaubt unentwegt an das Gute, lässt sich dabei nicht einmal vom intendierten Weg abbringen. Wonder Woman war für mich daher schon Wonder Woman, bevor sie auch nur ihre Inselheimat verlassen hat.

Steve Rogers hatte solch eine "Zum-Superhelden-Ich-mutier"-Szene in Captain America - The First Avenger, nämlich als er einen Körper erhält, der seinem übermenschlichen Moralkompass entspricht. Welche Wandlung Diana in der "No Man's Land"-Szene erreicht, bleibt mir derweil auch nach der fünften in Superzeitlupe weggeschlagenen Kugel und der neunten Einstellung, in der das Compositing aus real vor der Windmaschine gefilmter Gal Gadot und dem mit Greenscreentrickserei eingefügtem Hintergrund nicht ganz stimmig ist, ein Rätsel. Sie machte bereits den gesamten Film über ihr Ding. Das ist der Grund, weshalb wir sie als Zuschauende anfeuern (wenngleich es ihren Storyfaden fad gestaltet). Der narrative Gehalt dieser Szene (und die Kampfchoreografie sowie die Digitaltricks) reichen einfach nicht an den mitgelieferten, inszenatorischen Ernst und die somit suggerierte Dramatik heran. Und diese gigantische Divergenz zwischen dem, was bei mir ankommt, und dem, was ich als Intention vermute, ist eine derartige Last für Wonder Woman, dass meine "suspension of disbelief" in mehrere Tausend Teile zerbricht. Ich weiß nicht, wieso ich es feiern sollte. Und ich kann es nicht ernst nehmen, weil ich die Ästhetik als unfertig erachte.


Eine Heldin, die unsere Gegenwart braucht. Aber nicht der Film, den ich ihr gönnen würde.
Während die "No Man's Land"-Szene bei mir dafür sorgte, dass ich mir in der Pressevorführung das von Fremdscham ausgelöste Lachen verkneifen musste, weckt sie im (überwiegend US-amerikanischen) Filmdiskurs-Netz regelrechte Jubelstürme. Sie sei ein Befreiungsschlag. Tränenbäche werden gebeichtet. Gänsehaut sowieso. Was für eine gigantische Meinungslücke, die da klafft. Zumal sie sich nicht auf diese symbolisch ausgewählte Szene beschränkt. Sie betrifft den Film generell, der meiner Auffassung nach sehr viele eklatante Makel hat, in den USA jedoch mit sagenhaften 93 Prozent bei Rottentomatoes und aktuell durchschnittlich 8,3 Punkten bei IMDb gefeiert wird. Eine Meinungsschere, die ich mir aus erzählerischer und handwerklicher Sicht partout nicht erklären kann. Zeit, in die medienwissenschaftliche Trickkiste zu greifen.

Die Medien- und Kommunikationswissenschaft kennt einen Fachzweig, der sich mit der Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Befindlichkeiten und dem (Miss-)Erfolg von popkulturellen Werken befasst. Manche Professoren tauften diesen Fachzweig auf den Namen "diagnostische Kritik", und es ist ein faszinierendes Feld. Es ist jedoch ein Fachgebiet, in dem sich alle stets vor Augen halten sollten, dass die Grenze zwischen Korrelation und Kausalität zuweilen eine schwammige, dünne Linie ist. So hat im ewigen Wettrennen um die US-Late-Night-Reichweitenkrone in den vergangenen Wochen The Late Show with Stephen Colbert erstmals den monatelang amtierenden Platzhirsch The Tonight Show starring Jimmy Fallon überholt. Colbert ist ein unverblümter Trump-Kritiker, der sich in jeder Ausgabe selber übertrifft, Jimmy Fallon macht nur fluffig-oberflächliche Witze über den US-Präsidenten. Der Popularitätsschub Colberts korreliert mit den immer lachhafter werdenden Aktivitäten im Weißen Haus. Ob Colbert wegen Trump immer beliebter wird, liegt nahe, aber es gilt, tiefer zu graben, um es medienwissenschaftlich zu belegen.

Es ist wichtig, dies im Hinterkopf zu behalten. Denn ich kann jetzt, ohne größere Medienstudien als
Belegmaterial, nur Thesen aufstellen. Aber machen wir dieses Gedankenspiel mal kurz mit, ja? Die USA befinden sich derzeit in einem gewaltigen politischen Sumpfloch. Donald Trump genießt laut Gallup bei seinem Volk eine Zustimmungsrate von desaströsen 38 Prozent. Kaum ein Tag vergeht im vermeintlichen Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ohne dass neue sexistische, rassistische oder schlichtweg dämliche Skandale das Tagesgespräch dominieren. Ein dummer, störrischer, hasserfüllter, alter, weißer Mann ruiniert das Land innenpolitisch und schottet es außenpolitisch-diplomatisch ab. In einem Kino zu sitzen und zu sehen, wie eine Frau durch einen Schützengraben spaziert und beschließt, diese verzahnte, angeblich unmöglich zu rettende Situation in die Hand zu nehmen, woraufhin sie aufs Kriegsfeld spaziert und mit scheinbarer Leichtigkeit (sowie vollkommen unbeschadet) den Tag rettet - ja, das kann eine extrem befreiende Wirkung haben. "Verdammt, ja, mit Hillary Clinton wäre gerade alles besser!"

Und ich gönne allen Zuschauerinnen und Zuschauern diese revisionistische Freude an der Szene. Auch für solche Momente ist das Kino gedacht: "Mann hat Mist gebaut, Frau mistet aus. #MichelleObama2020" Dessen ungeachtet finde ich es schon verwunderlich, wie wenig sich die US-Kritik (ob professionell oder vom Gelegenheitspublikum) vom wackligen CG in dieser Sequenz beirren lässt. Oder an anderen Stellen des Films. Geschweige denn von all den anderen Dingen, die mir bei Wonder Woman ein Dorn im Auge waren. Da ist auch die Politisierung des Films für mich kein Argument mehr.

Zweifelsohne ist es schade, dass Wonder Woman mehr als nur ein Film sein muss. Und genauso sehr ist es von Bedeutung, zu erkennen, dass er aber mehr ist. Es ist ungeheuerlich, dass Frauen vor und hinter der Kamera in Hollywood mehr Hürden zu nehmen haben als Männer. Es ist verflixt schade, dass seit zwölf Jahren kein Superheldenfilm mit weiblicher Hauptrolle gestartet ist. Und dass Regisseurinnen nur einen Bruchteil der Big-Budget-Chancen erhalten, die Männern präsentiert werden. Deshalb beruhigt es mich, welchen Topstart Wonder Woman in den USA hinlegte - wenn schwache Comicadaptionen von Männern Hits werden können, dann eben auch jene, die Frauen inszenieren.

Aber Gleichberechtigung bedeutet halt auch, dass ich Patty Jenkins und Wonder Woman für all das kritisiere, wofür ich auch Zach Snyder und Batman v Superman: Dawn of Justice oder Filme ähnlicher Kajüte kritisiere. Und ich muss leider sagen, dass Jenkins' Werk mehr Parallelen zu solchen aufgeblähten, schwerfälligen und enervierenden Superheldenfilmen aufweist, als mir lieb ist. Was jedoch nicht heißen soll, dass Jenkins Wonder Woman so dermaßen gegen die Wand fährt, dass ich diese Produktion mit dem heiß debattierten DC-Superhelden-Gegeneinander gleichsetzen würde. Ein bisschen besser ist das 150-Millionen-Dollar-Projekt glücklicherweise dann doch geraten. Was zu einem nicht zu unterschätzenden Grad Hauptdarstellerin Gal Gadot zu verdanken ist, die den unerschütterlichen Heroismus ihrer Rolle mit vergleichbarem Charisma umsetzt wie ihn Chris Evans nutzt, um Captain America zu mehr als einem muskulösen Pfadfinder zu machen. Hinzu kommt ein stimmiges komödiantisches Timing, mit dem sie sämtliche Gags über Wonder Womans Kulturschocks zu Lachern macht, bei denen wir mit ihr zusammen amüsiert sind - und nicht etwa über die ahnungslose Figur lachen.

Umso ärgerlicher, dass diese gute Performance das zentrale Element eines Films ist, der nicht derart von der Strahlkraft der Figur gesteuert wird, wie die meisten Marvel-Studios-Werke von ihren Hauptfiguren bestimmt sind. Wonder Woman beginnt ungeheuerlich zäh, mit einer Einführung über das Leben auf der Amazoneninsel Themyscira. Das Erzähltempo lässt den suboptimalen Einstieg in Thor - The Dark Kingdom zügig aussehen und so bekommen wir eine junge Diana zu sehen (überzeugend als "junge Gal Gadot" gecastet, aber hölzern sprechend: Lilly Aspel), die den anderen Amazonen hinterher rennt und deren Übungen nachahmt. Wir bekommen den Mythos erklärt, dass der Kriegsgott Ares die Menschheit verdirbt, und Amazonen die Aufgabe haben, das zu unterbinden. Es werden narrative Brotkrumen gestreut, dass Diana anders und wichtiger ist als die anderen Amazonen. All dies in einen Türkisgrün-Farbfilter getaucht. Chris Pines Steve landet auf der Amazoneninsel, was zu ein paar "Zu hilf, ein Mann!"-Gags führt. Es folgen die langsame Annäherung zwischen ihm und Diana, Diskussionen zwischen Diana und den anderen Amazonen, die zu den vielen, vielen Hinweisen führen, dass diese Figur unbeirrbar ist, und irgendwann reisen die beiden Hauptfiguren endlich ins London zu Zeiten des Ersten Weltkriegs.

Die London-Szenen sind klar die besten des Films, da Kameramann Matthew Jensen ihnen mehr visuelle Tiefe mitgibt als den flach ausgeleuchteten Themyscira-Sequenzen, während wir noch von dem haltlosen CG-Wahnwitz des letzten Akts verschont werden. Die Kostüme sind detailliert, die Sets ausladend und der Dialogwitz zwischen Pine und Gadot sehr launig. Die kleineren Scharmützel, etwa wenn Wonder Woman in einem Hinterhof eine Gruppe Spione ausschaltet, sind flott inszeniert und solide choreografiert - generell punktet Jenkins, wann immer sie in Actionszenen auf größere Effekte verzichtet. Wenn Wonder Woman einen Dachboden voller feindlicher Soldaten fertig macht und dabei in Zeitlupe sowie Zeitraffer mit Schild, Schwert und Körperbeherrschung arbeitet, sieht das gut aus - ganz im Gegensatz zu den größeren Actionmomenten, deren halbfertigen Effekte dem Film schaden. Und bedauerlicherweise nehmen diese Passagen mit Fortlauf der Handlung sukzessive zu.


Ein Schlussakt zum Fremdschämen.
Wonder Woman wäre bei weitem nicht die erste zäh beginnende, sich dann amüsant einpendelnde Comicadaption. Doch der "Der Culture Clash von Thor trifft auf das unverfälschte Comicheldentum vor realer Kriegskulisse von Captain America"-Akt in Wonder Woman wird nicht nur durch die besagte "No Man's Land"-Szene getrübt. Sondern auch durch Antagonisten, die in ihrem Mix aus inhaltlicher Unmotiviertheit und darstellerischer Lachhaftigkeit in X-Men: Apocalypse nicht weiter auffallen würden. Elena Anaya (Die Haut, in der ich lebe) chargiert sich mit angeklebter Porzellanmaske witzlos, aber manisch durch ihre Szenen und wird dabei von Danny Huston als ruchloser deutscher General mühelos in den Schatten der fehlenden Glaubwürdigkeit gestellt. Es mangelt am comic-nostalgischen Kontext, der den albernen Look und die übertriebene Boshaftigkeit von Red Skull in Captain America - The First Avenger verankert. Es ist nicht einmal die losgelöst-bespaßte Manie von Jesse Eisenberg alias Lex Luthor in Batman v Superman zu spüren. Es ist eine orientierungslos-aufgesetzte Schurkenhaftigkeit, wie sie Jared Leto in Suicide Squad zu Tage legt - nur ohne die markante, wenngleich streitbare Optik.

Mit David Thewlis gibt es auf der Seite der Briten, für die Chris Pines Steve arbeitet, einen weiteren Part, der eher durch gestelztes Overacting auffällt. Somit gerät Wonder Woman, wann immer Chris Pine und Gal Gadot vorübergehend in den Hintergrund treten oder sogar völlig eine Szene aussitzen, ins Schwanken. Das passiert so oft, dass sich meine "Suspension of disbelief" in Luft auflöst. Der dritte Akt bringt den Film dann vollkommen zum Kippen. Etwa, eenn die Titelheldin viel, viel begriffsstutziger geschrieben ist, als sie von Gal Gadot gespielt wird. Wenn Steve der nur noch als weltfremdes Naivchen dastehenden Wonder Woman die komplexe Realität erklären muss (was Wonder Woman in Sachen feministischer Wirkkraft meiner Ansicht nach meilenweit hinter Ghostbusters zurückwirft). Und wenn die Finalschlacht aus unförmigem CG-Gewitter besteht, wie es aus dem Batman v Superman-Finale stammen könnte. Oder aus dem Suicide Squad-Schlussakt. Marvel lässt seine Superheldenfilme zwar auch stets im Schlussakt zu Materialschlachten mutieren, aber durch Parallelmontage (Guardians of the Galaxy Vol. 2, The Return of the First Avenger und Avengers: Age of Ultron öffnen mehrere Subschauplätze im Actionfinale), stetig wandelnde Machtverhältnisse (The First Avenger: Civil War) oder unerwartete Taktiken des Helden (Doctor Strange) wird stets ein Mehr geboten, das zusätzlich zum reinen Effektgewitter als Anreiz dient, am Ball zu bleiben. Der Schlusskampf in Wonder Woman hingegen ist ein monotones, ästhetisch unausgegorenes "Heldin wird attackiert. Heldin wehrt ab. Heldin wird wieder attackiert. Heldin wehrt ab. Heldin wird wieder attackiert ...", so dass das Geschehen schnell ermüdet. Dennoch wird es durch nachgeschobene Expositionsmonologe und eine aus dem Nichts gezauberte Kalenderspruchmoral gestreckt - Guardians of the Galaxy Vol. 2 etwa handelt wenigstens durchweg vom Wert der Familie, so dass etwaiger Kitsch im Schlussakt narrativ fundiert ist.

Wonder Woman ist behänder inszeniert als Batman v Superman: Dawn of Justice und trotz des trägen Anfangs erzählerisch stringenter ausgetüftelt. Hinzu kommt das Spiel von Gadot und Pine, und schon zieht Patty Jenkins' Big-Buget-Debüt am Bodensatz des sogenannten "DC Extended Universe"-Filmfranchises vorbei. Aber selbst der Vergleich zu Suicide Squad fällt mir schwer. Denn Wonder Woman hat mit dem London-Part mehr Vergnüglichkeit, Witz und Cleverness als David Ayers kaputtgeschnittenes Werk zu bieten. Aber all das, was Suicide Squad an Fokus vermissen lässt, gleicht Wonder Woman durch Frust und Peinlichkeit aus. Suicide Squad zieht wenigstens relativ stramm an seinen schwächsten Momenten vorbei und ist so ein Beispiel für kurzweilige Inkompetenz, während Wonder Woman in seinen Schwächephasen versumpft, so dass sie als arges Gegengewicht zum gelungenen London-Part dienen. Für mich kommen daher Erinnerungen an Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro hoch, der einige gute Momente hat, aber noch mehr Totalausfälle mitbringt. Bloß, dass Marc Webbs Film völlig unfokussiert ist und somit zwischendurch einfach nervt. Im Gegensatz zum zweiten Amazing Spider-Man ist Wonder Woman hingegen keine Superhelden-Clipshow, sondern ein zusammenhängendes Kuddelmuddel aus "Ja, zeig's ihnen!" und aggressiv frustrierendem "Wieso, wieso nur tust du das?!"

Schade drum. Vielleicht kriegt das bereits angekündigte Sequel die Kurve.

Wonder Woman ist ab dem 15. Juni 2017 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

Freitag, 2. Juni 2017

Freitag der Karibik #45

Achtung, dieser Artikel enthält Spoiler zu Pirates of the Caribbean - Salazars Rache!


Die treuen Seelen unter euch wissen: Meine erste Sichtung von Pirates of the Caribbean - Salazars Rache war eine Achterbahnfahrt der Emotionen. Und wie ich schon angedeutet habe, liegt dies zum Teil an meiner innigen Liebe für die Pirates of the Caribbean-Filmsaga, die sich beim ersten Gucken angesichts meines Unwissens über den weiteren Verlauf des neusten Teils mit einigen Entwicklungen gerieben hat. Nun, da der Film bereits seine erste Spielwoche hinter sich gebracht hat, möchte ich euch gern detaillierter erklären,K an welchen Stellen ich bei der ahnungslosen ersten Betrachtung der Disney/Bruckheimer-Produktion im Kinosaal enorme Höhen und Tiefen durchgemacht habe, weil ich nicht wusste, ob ich gerade Kanonbrüche und andere Gemeinheiten bezeuge, oder doch noch alles eine (für mich) gute Wende nimmt ...

Während ich die gesamte Eröffnung rund um Henry Turner mochte, beschlich mich erstmals das "Ohje, ich weiß nicht ..."-Gefühl mit Käpt'n Jack Sparrows Einführung. Ich wusste zwar schon vor dem Film durch ein Interview mit den Regisseuren Joachim Rønning und Espen Sandberg, dass sie den Film mit einem versackten, glücklosen, aus dem Gleichgewicht geratenen Jack beginnen. Dennoch hat sich nun, sechs Jahre nach Fremde Gezeiten und 14 Jahre nach dem ersten Teil bei mir Nervosität breit gemacht: Ich trage diese Filmreihe nun fast mein halbes Leben mit mir mit. Jetzt sind ist nicht nur der Originalregisseur weg, sondern auch die Originalautoren. Und jetzt wollen sie die ikonischste Figur der Reihe neu erarbeiten, nun, wo sich deren Darsteller unter dem medialen Brennglas befindet. "Bitte, bitte verzockt euch nicht", so mein Gedanke. Und zunächst ... läuft alles glatt. Jack, verwirrt, verschlafen, zugesoffen in einer Bank stehend und laut denkend kam so rüber, wie ich mir den legendären Käpt'n nach einer ellenlangen Pechsträhne vorgestellt hätte.

Dann aber kommt es zur Bankraub-/Fluchtszene, und ab dann wurde immer wieder meine nervöse "Bitte, bitte, lasst diesen Film gut sein!"-Seele aus dem Gleichgewicht gebracht. Jedoch nicht durch das Skript oder die Inszenierung, sondern ausgerechnet durch das Schauspiel: Bis zur als Langtrailer genutzten Hinrichtungssequenz kam es mehrfach zu kurzen Augenblicken, in denen mir Depps Performance eher vorkam wie eine Jack-Sparrow-Imitation, und nicht wie das Original. Es sind stets nur kurze "Blinzle zu lang, und du versäumst sie"-Momente, dennoch brachten sie mich aus dem Konzept - zumal auch Depps Tonlage in ihnen eher an den Verrückten Hutmacher erinnerte. Ich saß da, in meinem Sessel, und dachte mir: "Ich wäre gewillt, das als kleine Problemchen abzutun, statt als den Film erdrückende Last, wenn es bei diesen wenigen Momenten bleibt. Sollten sie sich aber mehren, dann ... Gute Nacht ..." Zum Glück blieb es aber bei diesen Schnitzerchen, sobald Jack wieder eine Crew hat und das Festland verlässt, spielt er konstant und bringt sogar die "Jack findet sich wieder"-Sache gut und mitreißend rüber.

Ein weiterer Punkt, der mich aus dem Konzept brachte: Die angedeutete Behauptung, Salazar würde aus dem Teufelsdreieck befreit, weil Jack seinen Kompass abgegeben hat. Da läuteten all meine Alarmglocken: Jack hat im Laufe der vorhergegangenen Filme mehrmals seinen Kompass abgegeben, als hätte Salazar schon längst sein Unwesen treiben müssen. Die Pirates of the Caribbean-Saga ist gerade einmal fünf Filme lang, da sollte man doch Überblick über die Story behalten können und solche Fehler vermeiden!

Ich war fuchsteufelswild wegen dieser Sache, bis im späteren Verlauf von Salazars Rache erklärt wird, dass Jack den Kompass nicht "betrügen" darf, um zu vermeiden, seinen größten Feind zu entlocken. Und das lässt sich mit den restlichen Filmen vereinbaren: Jack gab seinen Kompass bislang stets aufgrund eines größeren Plans ab. Hier hingegen nur für 'ne Buddel voll Rum, obwohl er auch einen Ring oder sonstwas hätte abgeben können.

Dass in der Rückblende gezeigt wird, wie Jack durch den Kapitän (oder Steuermann) der Wicked Wench erhalten hat, ist wiederum ein dezenter und somit bedauerlicher Widerspruch zu Die Truhe des Todes, wo gesagt wird, dass Jack den Kompass von Tia Dalma erhalten hat. Nun lässt sich das Problem dadurch erklären, dass Jack vielleicht den Kompass verloren und danach wieder bei Tia Dalma erworben hat - hätten wir PotC-Fans ein solches Riesenuniversum an erweitertem Material wie die Star Wars-Fans, könnte man den Kanon auch ganz offiziell wieder ins Lot bringen. So hinterlässt die Rückblende ein kleines Fragezeichen mit möglicher Lösung. Ganz ehrlich: Find ich nicht soooo schlimm, da schien mir das erste Kompass-Ärgernis größer, bis es geklärt wurde.

Dafür durfte ich mich bei der Erstsichtung gleich doppelt ärgern, als die Black Pearl aus ihrer Flasche befreit wurde. Zunächst sah es so aus, als würde sie allen Ernstes absaufen - und ich hätte es Autorenneuling Jeff Nathanson zugetraut, es dabei zu belassen und für mich wäre es eine riesige Beleidigung gewesen. Stattdessen taucht sie ja wieder auf - noch dazu von The Medaillon Calls begleitet. Ein echter Festmoment - der auch fast (aber nur fast) vergessen macht, dass Jack auf das mutmaßliche Ende der Pearl viel zu ruhig reagiert hat (man erinnere sich an seinen Wutausbruch in Fremde Gezeiten, als er erfährt, dass Barbossa sie verlor).

Und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für ein emotionaler Kampf das Ende für mich war: Finde ich es nun gut, dass die Reihe scheinbar beendet ist oder regt es mich auf? Kaum habe ich während des Abspanns Frieden damit gefunden, folgt natürlich auch dieser Cliffhanger von einer Nachabspannszene! Tja, Disney genießt es wohl, mit meinem Seelenwohl zu spielen ...

War Dogs


Regisseur Todd Phillips dürfte gemeinhin vor allem für die Hangover-Trilogie bekannt sein. Die chaotischen Abenteuer des sogenannten Wolfsrudels aus disharmonischen Freunden steigerten sich vom Junggesellenabschied-Filmrisstrubel hin zu einer visuell beeindruckenden, inhaltlich aber zähen Kriminal-Actionkomödie. Phillips' Entwicklung setzt sich nun, zumindest teilweise, in War Dogs fort: Der Old School-Filmemacher feilt hier weiter an seinen ästhetischen Handwerkskünsten, und auch das Verhältnis von Humor zu Dramatik verschiebt sich im gemeinsamen Vehikel des Das ist das Ende-Nebendarstellers Jonah Hill und des Whiplash-Frontmanns Miles Teller noch stärker gen Ernsthaftigkeit. Doch erfreulicherweise verfügt War Dogs über mehr Esprit als der von einem Übermaß an Leerlauf und zähen Augenblicken geplagte Hangover 3: Die lose von wahren Begebenheiten inspirierte Geschichte ist ein reizvoll-trockenes, ironisch angehauchtes Businessdrama im Look eines Michael-Bay-Spektakels.

David Packouz (Miles Teller) hat nur überschaubares unternehmerisches Geschick: Um seiner Tätigkeit als medizinischer Masseur zu entfliehen, erwirbt er massenweise hochwertiger Bettlaken, die er an Altersheime verkaufen will. Die Betreiber könnten sich aber nicht weniger dafür interessieren, wie schmiegsam die Bettwäsche ihrer Heimbewohner ist – und so bleibt der werdende Vater auf seiner Investition sitzen. Als er seinem früheren Schulfreund Efraim Diveroli (Jonah Hill) begegnet, der ein kleines Waffenhandelsunternehmen führt, sieht David eine attraktive Gelegenheit, doch noch an die nötigen Summen zu gelangen, um seiner Freundin Iz (Ana de Armas) und dem kommenden Nachwuchs ein schönes Leben zu ermöglichen. David heuert bei Efraims Firma AEY an – und erfährt, dass die US-Regierung neuerdings sämtliche Beschaffungsaufträge öffentlich ausschreiben muss. Die großen Waffenhändler kämpfen vehement um Großaufträge – aber es bleiben Krümel von diesem Kuchen übrig, die so kleine Unternehmen wie AEY mehr als nur satt machen …

Selbst das Leben in Saus und Braus ist keine Bro-Komödie
Mit War Dogs wandelt Todd Phillips auf den Pfaden dreier Produktionen: Aus thematischen Gründen werden Erinnerungen an Andrew Niccols Satiredrama Lord of War – Händler des Todes wach, einem hochpolitischen Film mit Nicolas Cage, der mit deftigem Humor laut die amoralische Welt des Waffenhandels anklagt und der für seinen Protagonisten eine herbe Fallhöhe bereit hält. Darüber hinaus ist War Dogs gewissermaßen die juvenile Version von Martin Scorseses Kracher Wolf of Wall Street: Beide Filme versetzen ihr Publikum in eine Welt des Exzesses und der verantwortungslosen Verschwendung – wo Scorsese aber in annähernd drei Stunden ausführlich sämtliche Facetten der betrügerischen Wall-Street-Welt beleuchtet, hakt Phillips den Adrenalinrausch und die Gefahren des planlosen Waffenhandels zügiger und nicht ganz so manisch ab.

Dennoch haben beide Filme gemeinsam, dass sie die Perspektive ihrer Protagonisten übernehmen und sich somit die Moral der Geschichte nicht überdeutlich ankündigt, sondern sie sukzessive auf einen eintröpfelt: Ja, die hedonistischen Protagonisten von Wolf of Wall Street sowie War Dogs genießen stellenweise das Leben aus vollen Zügen, und es mag sein, dass sie trotz mancher Schicksalsschläge unbelehrbar sind – dennoch sollte allen Filminteressenten mit halbwegs intaktem Gewissen klar werden, wie bitter der Nachgeschmack der gezeigten Lebenswandel ist.

Die deutlichsten Parallelen weist War Dogs aber zu Michael Bays kleinem Passionsprojekt Pain & Gain auf: Bay drehte seine stilistischen Markenzeichen in seiner rabenschwarzen Gangsterposse voll auf, setzte somit die verbrecherischen, muskelbepackten Antihelden, die sich zu Ruhm und Reichtum betrügen wollten, greller als seine üblichen Blockbuster-Helden in Szene. Der Filminhalt widersprach derweil vehement der Verpackung: Mark Wahlberg, Anthony Mackie und Dwayne Johnson spielen in Pain & Gain arrogante Hohlköpfe, die den amerikanischen Traum missverstehen und sich mit Dummdreistigkeit rücksichtslos in der Gesellschaft nach vorne boxen wollen.

Diesen Gedanken verfolgt Todd Phillips nahezu 1:1 in War Dogs: Der Regisseur und sein Stammkameramann Lawrence Sher fangen die moralisch verwerfliche „Von ganz unten nach ganz oben“-Aufstiegsgeschichte in kontrastreichen, gestochen scharfen Bildern ein, wie sie einem Michael-Bay-Megablockbuster entsprungen sein könnten. Tagsüber blendet ein azurblauer Himmel, die Sonne strahlt in einem saftigen Orange, abends erfüllt ein komplexes Farbspiel aus Blau, Orange und Purpur den Himmel im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Anderswo erschafft ein die ganze Leinwand erfüllendes Farbschema eine intensivere Stimmung: In der Wüste schimmert das Bild in stechenden Gelbtönen, andere Schauplätze sind Grau und Stahlblau. Weitwinkelaufnahmen und gezielt eingesetzte Kameraeinstellungen aus der Froschperspektive stilisieren David und Efraim zu saucoolen, taffen Typen hoch, deren Autos glänzend lackiert sind und deren Klamotten selbst in chaotischen Momenten so schneidig sind, dass die Zwei trotz verdattertem Gesichtsausdruck respektive deutlichem Übergewicht direkt auf das Set eines Mode-Werbeshootings spazieren dürften. Verquickt wird die Hochglanzoptik mit zeitgemäßen, lässigen Kompositionen von Cliff Martinez (The Neon Demon) und einem zeitlosen Chartkracher-Soundtrack.

Doch was durchweg stur in einem „Ist das nicht verflucht cool?“-Stil vermittelt wird, erzählen die Drehbuchautoren Phillips, Jason Smilovic und Stephen Chin mit einer zerrüttenden Begeisterung. Eingangs mag War Dogs ein euphorisches Tempo haben und Efraims sowie Davids Aufstieg im Waffenbusiness mit unironischen Erfolgsmontagen skizzieren. Aber nicht einmal nach einem Drittel der Laufzeit intensivieren sich die Risse, die sich bereits bei Efraims Einführung als fahrlässigen Großkotz angedeutet haben: Als Waffenhändler begeben sich die Jungunternehmer leichtsinnig in Gefahr, und auch wenn sie Hangover-mäßig selbst auf der Flucht vor drohender Waffengewalt verbal schlagfertig sind, so lässt die Schlagzahl an klassischen Pointen radikal nach. Das Duo mag sich ob vermeintlich cleverer Geschäftstricks selber beweihräuchern, aber narrativ distanziert sich War Dogs subtil von seinen Figuren:

Phillips bleibt nah bei ihnen, gibt nur selten Außenstehenden wie Davids Frau Iz Raum, kritische Nachfragen zu stellen. Doch da Szenen selten auf einer Pointe enden, sondern Phillips die Probleme der Waffenhändler durch längere Laufzeit stärker gewichtet, wird klar: Nein, so wie diese Möchtegernhelden will kein vernünftiger Mensch sein. Im Zusammenspiel mit der das Geschilderte bejubelnden Inszenierung ergibt sich ein sehr konzeptueller, schwer zu greifender, aber den gesamten Film aufwertender Humor. Freunde von Pain & Gain werden dies zu schätzen wissen, wer schon den Witz dieses Films nicht mochte, wird derweil mit War Dogs aller Wahrscheinlichkeit ebenfalls Probleme haben.

Schaulaufen für Hill & Teller
Anders als Michael Bays selbstironischer Verbrecherirrsinn Pain & Gain verzichtet War Dogs auf eine „So dumm, dass man ihn lieb haben muss“-Rolle. Verhalf ein sich mit Hundeblick durch seine Schreckenstaten schlagender Dwayne Johnson dem heimlichen War Dogs-Vorläufer wenigstens zu einem Sympathieträger der Marke „Er ist nicht böse, er ist auf unzurechnungsfähige Weise naiv!“, so ist Phillips' Projekt kompromissloser, aber uncharmanter. Miles Teller wirkt als David Packouz neben Jonah Hills Möchtegern-Scarface zwar bodenständig, letztlich spielt Teller ihn aber als jemanden, der es eigentlich besser wüsste, aber gleichermaßen zu faul und zu gierig ist, um gegen seinen kleinkriminellen Kumpel zu rebellieren. Auch das sehr nüchterne Zusammenspiel mit Lebensgefährtin Iz erschwert es David, als Identifikationsfigur herzuhalten – wobei Ana de Armas‘ steife Performance es Teller eh kaum ermöglicht, seiner Figur wenigstens eingangs eine plausible romantische Ader zu bescheren.

So wenig Tellers Performance nach Sympathien greift – der Two Night Stand-Mime kann trotzdem in dieser Rolle punkten, indem er trockenen Witz, überschwängliche Begeisterung über Fortschritte bei AEY und still wachsenden Frust über Efraim ungezwungen unter einen Hut bringt. Hill hingegen legt Efraim als überlebensgroßen, unberechenbaren Freak an, dessen magnetische Anziehungskraft auf Geschäftspartner und David zwar nachvollziehbar ist, der aus sicherer Distanz jedoch einfach nur noch irre erscheint. Efraim ist ein Schlag Mensch, der einem mit seinen Macken ein süffisantes Grinsen entlockt, während der Verstand leise, aber bestimmt sagt: „Schnell weg, bei dem ist niemand sicher!“

Der restliche Cast kann sich, auch aufgrund dessen, dass der narrative Fokus auf den AEY-Bossen klebt, nicht sonderlich nach vorne spielen. Allein die Gastrolle eines alten Wegbegleiters Phillips‘ hat angesichts ihrer schmierigen Erscheinung, jedoch trockenen Handlungsweise, durchaus Prägnanz. Dass die Autoren gen Schluss wiederholt auf diesen Quasi-Cameo zurückgreifen, lässt War Dogs zwar nach dem Spannungshöhepunkt weiterplätschern, ein eiskalter, Fragen aufwerfender Schluss unterstreicht dafür den Status dieses Films als schwarzes Schaf in Phillips' Vita: Keine Schlusspointe, kein letzter Knall, sondern ein Auslassungszeichen: So wie in War Dogs sollte der amerikanische Traum nicht sein, aber allen künstlerischen Freiheiten dieses Films zum Trotz, ist er als bitteres Stück Ironie verflixt akkurat …

Fazit: Ein ironisch-dramatischer Mix aus Lord of War, Pain & Gain und Wolf of Wall Street: War Dogs ist zwar nicht ganz so ambitioniert und wild, wie es diese Kombination an Vorbildern erwarten lässt, dennoch ist Hangover-Macher Todd Phillips ein Hochglanzfilm mit trockenem Hintersinn gelungen, der nicht unterschätzt werden sollte.

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de