Donnerstag, 26. Dezember 2019

Die schlechtesten Filme 2019 (Teil II)

Es tat weh, aber es wird noch mehr schmerzen: Nach den Plätzen 20 bis 11 meiner Flopliste 2019 präsentiere ich euch nun die unerbittlichen, die ätzenden, die schmerzvollen, die dämlichen, die nervenzersägenden Ränge 10 bis 1. Die üblichen, ehrenlosen Nennungen von Filmen, die es nur knapp nicht in die Flop 20 verschlagen hat, erspare ich uns dieses Mal dagegen. Es hat mich im Filmjahr 2019 nicht genug geärgert, um diesen Bonus zu bieten.

Platz 10: Und wer nimmt den Hund? (Regie: Rainer Kaufmann)

Eine Streitkomödie! Eines meiner Lieblingsgenres! Aber das heißt nicht, dass man das nicht verbocken kann: In Und wer nimmt den Hund? sehen wir ein jahrzehntelanges Ehepaar, wie es sich auseinanderlebt und letztlich trennen will. Es besucht dennoch eine Paartherapeutin (damit wir simpel in die Story forcierte Expositionsdialoge erhalten) und ... Joah, viel mehr steckt da nicht hinter: Die Figuren sind unsympathische, biedere und kleinliche Nervensägen, und ihre Wortgefechte sind so schlagfertig wie eine zu lange gekochte Nudel. Martina Gedeck ist selbst in Szenen, die spürbar als "So, wir müssen die Frau mal positiv darstellen, sonst gibt das Ärger"-Passagen geschrieben wurden, kratzbürstig, Ulrich Tukur gibt sich Mühe, hat aber mit dem laschen Skript zu kämpfen, und es wirkt einfach alles wie ein 30-minütiges TV-Special, das im Schnitt übergequillt ist und dann im Kino geparkt wurde.

Platz 9: Oh, Ramona (Regie: Cristina Jacob)

Netflix, Retter des Kinos™ und Beschützer der Filmkunst®, belästigte sein Publikum dieses Jahr mit einer rumänischen Teeniekomödie, bei der sich einem durchaus die Haare sträuben können. Der Film beginnt ja noch so, als könnte er auf schlichte Art gefällig sein. So durchbricht der Protagonist und Erzähler, Vollversager Andrei (Bogdan Iancu), mehrmals die vierte Wand und zensiert etwa die Drogen auf einer Party, indem er sie durch Obst ersetzt. Er scherzt darüber, dass man bei Netflix ja nie weiß, ob Kinder zuschauen, Nacktheit wird mit gewollt schlechten Grafikeinblendungen zensiert und Sexszenen werden durch visuelle Doppeldeutigkeiten ersetzt. Das ist ja alles ganz amüsant.

Doch die Figurenzeichnungen in der Filmadaption eines osteuropäischen Bestsellers ist selbst an den Maßstäben von Teenie-Sexkomödien gemessen platt und fahrig: Andrei ist ein Vollnerd, der sich in das schönste und populärste Mädchen der Schule verliebt hat - Titelfigur Ramona. Als Ramona ihn unerwartet von der Party weg- und in ein Schlafzimmer lockt, schmettert er ihre Avancen ab, weil er eine echte Beziehung, keinen schnellen Fick will. Daraufhin vergisst das Drehbuch völlig, wie es bis dahin diese Figuren gezeichnet hat, und macht Andrei zum unerklärlichen Frauenhelden und Superstecher, während Ramona zur sonderbaren Stalkerin mutiert, die ihm Hals über Kopf verfallen ist. Es sei denn, eine Sequenz verlangt für einen schnellen Gag erneut veränderte Persönlichkeitszüge. Der Film hätte mit seinem unglaubwürdigen Erzähler eine Ausrede für solches Hin und Her, doch diese Steilvorlage nutzt er nicht. Stattdessen skizziert Oh, Ramona Frauen als hohl und einen starken Mann an der Seite benötigend, misst den Wert eines Mannes an den sexuellen Eroberungen, die er hat, und verrennt sich in ein Liebesdreieck, in dem eine Option gleichgültiger ist als die andere.

Und nimmt man die ganzen Derbheiten bei Seite, die halt irgendwie zum Genre gehören, hier aber verkrampft-kopflos daherkommen, statt als "So sind notgeile Teenies halt"-Kolorit, ist ein völlig unverantwortlich behandelter Subplot, in dem Ramona behauptet, von ihrem Freund geschlagen zu werden, nur eine sonderbare Kleinigkeit in diesem Turm aus "Was zur Hölle?!"-Entscheidungen. Denn wenn die Liebesgeschichte auserzählt scheint und man denkt "Naja, da war viel Schrott bei, aber auch manch kreativer Einfall und Aggy Adams hat sich mit aller Macht bemüht, aus der lahmen Titelfigur was rauszuholen" kommt ein elendig langer, zäher, möchtegerndramatischer Nachklapp, der den Protagonisten endgültig zum verkommenen, sich selbst vollwinselnden Hasssubjekt macht und den Film über Gebühr ausdehnt. Es ist ein dämlicher, nerviger Schluss und der hat dann noch einen Nachklapp. Selten sitze ich vorm Bildschirm und schreie einen Film an: "Jetzt hör doch endlich auf!" Oh, Ramona ist einer dieser Filme.

Platz 8: Im Netz der Versuchung (Regie: Steven Knight)

Dafür, dass dieser "Es sollte ein Prestigeprojekt werden, wurde aber Edeltrash"-Film mit Matthew McConaughey und Anne Hathaway einen der, ähm, ambitionierteren (?) Twists der Dekade hat, ist Im Netz der Versuchung trotzdem einfach nur träge und öde: Der WTF?!-Faktor versackt völlig in Knights lebloser Inszenierung und die schleppenden Dialoge helfen auch nicht. Aber ich bin auch nach wenigen Minuten schon auf den Twist gekommen - wenn ihr ihn nicht kennt, sehr neugierig seid und Zeit totzuschlagen habt, könnt ihr euch mal an diesen Streifen wagen. Vielleicht reicht es bei euch für ein "Es ist mies, aber faszinierend."

Platz 7: Hellboy - Call of Darkness (Regie: Neil Marshall)

Meine Fresse, war das ein ätzender Film: Das Hellboy-Reboot ist einer dieser Filme, die einem die "Ich wurde in der Postproduktion zerschnitten"-Warnsignale ins Gesicht reibt. Abrupte Szenenwechsel, im Off vermittelte Figurenmotivation und mehrere hintereinander geklatschte Enden sind nur ein paar Beispiele dafür. Nicht, dass da viel war, das man hätte retten können, denn das Drehbuch spurtet ohne jegliches Gespür dafür, was die Titelfigur ausmacht, durch mehrere Hellboy-Comicstorylines und die Dialoge sind ohne jegliches Flair geschriebene Ansammlungen von Schimpfwörtern, Exposition und vulgärer Exposition. Die Actionszenen leiden unter einer steifen Inszenierung und schäbigen Effekten und der Sound ist extrem schrammelig abgemischt. David Harbour spielt die Ausgeburt der Hölle gut und mitten im Film gibt es eine storytechnisch völlig überflüssige Szene über die Sagengestalt Baba Jaga, in der plötzlich mit haptischen Effekten schaurige Stimmung erzeugt wird. Aber das hilft alles nichts.

Platz 6: Iron Sky: The Coming Race (Regie: Timo Vuorensola)

Ich mag den ersten Iron Sky, sehr sogar: Er ist eine irre, spritzige Mischung zwischen Nazisploitation-Persiflage, knalliger Sci-Fi-Komödie und tagespolitischen Sketchen. Iron Sky: The Coming Race dagegen ist eine viel zu spät nachgereichte Fortsetzung mit verstaubten Gags (Haha! Apple-Fans sind wie Sektenanhänger!), Effekten, die weit unter dem Niveau des charmanten Originals liegen, konfusem Storytelling und viel, viel, viel Leerlauf. Ein paar gute Gags hat er ja, wie etwa einen verflucht unkaputtbaren Mechaniker, aber alles in allem ist Iron Sky 2 ein Sketch, der einfach nicht enden will, obwohl der Gag schon lange durch ist.

Platz 5: Maleficent: Mächte der Finsternis (Regie: Joachim Rønning)

Wo wir bei Fortsetzungen sind, die es nicht braucht: Maleficent war ein ungeheuerlich mieser Disney-Film, das Produkt eines grausigen Produktionsprozesses und ein Meisterstück in Sachen "Wir haben überhaupt keine Ahnung, wovon genau wir jetzt erzählen wollen". Als dieses Elend 2014 unverdienterweise dennoch über 758 Millionen Dollar einnahm, hätte das Haus der Maus sich auf die Schulter klopfen können und sagen: "Wow, wie wir das nur überstanden haben?! Glück gehabt!" Aber: Nein, ein zweiter Teil musste her. Und der ist narrativ genauso halbgar: Erneut erzählt Linda Woolverton von der Fee Maleficent, die eigentlich eine Gute ist, nein, eine Gute, die schnell an die Decke geht, nein, eine Gute, die einfach alle falsch verstehen, nein, eine Gute, die zur Bösen wird, nein, eine Böse, die sich lange gut verhalten hat, nein, eine Gute ist.

Angelina Jolie stolziert so selbstverliebt durch den Film, dass sich nie die Möglichkeit gibt, Maleficent stimmig als Figur aufzubauen, und dieser Film hat ungeheuerliche Angst vor Konsequenzen: Unentwegt wird zurückgerudert, weggeschnitten oder Figurenentwicklung rückgängig gemacht, wenn sich was schlimmes andeutet. Was ziemlich peinlich ist, wenn man gleichzeitig versucht, ein düsteres Fantasyepos zu sein. Joachim Rønning ringt dem Material zwei, drei hübsche Bilder ab, doch es überwiegt das Gefühl, riesiger Zeitverschwendung beizuwohnen. Für einen Film, der einen Genozid-Subplot anreißt (und natürlich zu buntem Fluff degradiert) ganz schön dämlich.

Platz 4: Head Full of Honey (Regie: Til Schweiger)

Überflüssiges Nahezu-1:1-Remake, das jeglichen künstlerischen Impuls missen lässt, Teil I: Til Schweiger hat seinen gigantischen Kassenschlager Honig im Kopf noch einmal gedreht, nun aber in englischer Sprache. Doof nur, dass Til Schweiger in der Zwischenzeit als Regisseur und Cutter nachgelassen hat: Head Full of Honey sieht noch mehr nach Aufbackbrötchenwerbespot aus, womit die Emotion der Geschichte noch schlechter rüberkommt, und das Remake ist ein noch grausigeres Schnittgewitter, bei dem ruhige Gespräche mehr Cuts aufweisen als eine Michael-Bay-Actionszene. Immerhin, unpopuläre Meinung meinerseits: Nick Nolte spielt den rauen Großvater, der durch seine zunehmende Demenz aufweicht, besser als Dieter Hallervorden, der von Schweiger im Original in ein paar grobe Gags mehr reingequatscht wurde. Hilft diesem Film aber nur unwesentlich.

Platz 3: Monsieur Claude 2 (Regie: Philippe de Chauveron)

Ein spießiger Mistkerl rennt pampig dreinblickend durch die Gegend und beleidigt alles und jeden, was nicht ist wie er. Und wir sollen gehörig mit ihm mitlachen, weil er noch sagt, was sich sonst keiner traut. Nur ab und zu sollen wir schockiert lachen und dann sympathisch grinsen, "Ach, Monsieur Claude, du meinst es sicher nicht so!" Dann wendet sich das Blatt und er inszeniert eine riesige Lügennummer, um seine Schwiegersöhne vom Auswandern abzubringen. Nicht, weil er sie nun mag, sondern nur, weil er die Idee abscheulich findet, dass man sein geliebtes Frankreich doof finden könnte. Monsieur Claude 2 ist eine Reihe an Parolen und Witzen, wie sie der AfD gefallen könnten, dargeboten mit holperndem Timing und einem selbstgefällige Grimassen schneidendem Christian Clavier. Im Frühling 2019 in der Sneak gesehen, war Monsieur Claude 2 eines der unangenehmsten, elendsten Kinoerlebnisse, die ich seit längerem hatte. Und dieses Grauen wurde 2019 noch zwei Mal überboten. Seufz.

Platz 2: Das perfekte Geheimnis (Regie: Bora Dagtekin)

Überflüssiges Remake mit wenigen, aber sehr schädlichen kreativen Impulsen: Fack Ju Göhte-Macher Bora Dagtekin hat sich das Drehbuch zur italienischen Dramödie Perfect Strangers genommen, den Look des französischen Perfect Strangers-Remakes Le Jeu übernommen, ein paar charakteristische Ecken und Kanten abgefeilt und ein identitätsloses Remake rausgerotzt. Wobei, das stimmt nicht: Es ist ein lange Zeit identitätsloses Remake, das (anders als Sönke Wortmanns tolle Komödie Der Vorname) ohne Verve und Schwung die Pointen der Vorlage durchnudelt. Und dann wirft der Film gegen Schluss einfach mal jegliches Feingefühl sowie die Vorlage aus dem Fenster und wird zu einer grobschlächtigen, dummen Lachnummer, die ein regressives Weltbild hochleben lässt und homophoben Scheiß freundlich weggrinst, frei nach dem Motto: "Ja, ach, komm, hab dich nicht so!" Eine geschmacklose, dumme, Produktion, in der zu keinem einzigen Zeitpunkt Passion seitens des Filmemachers zur Geltung kommt - alles, was diesen Film anzutreiben scheint, sind die Erwartungen klingender Kinokassen. Dieser Film hat meinem wunderbaren Kollegen Dominik Porschen weh getan, wie könnte ich diesen Streifen guten Gewissens durchwinken?

Platz 1: Der König der Löwen (Regie: Jon Favreau)

Überflüssiges Nahezu-1:1-Remake, das jeglichen künstlerischen Impuls missen lässt, Teil II: Das perfekte Geheimnis hat wenigstens eine goldig aufspielende, sympathische Jella Haase auf der Pro-Seite. Was dagegen hat Der König der Löwen? Diese 250-Millionen-Dollar-Tech-Demo saugt sämtliches Leben, jegliche Emotion, alle künstlerische Brillanz aus der wunderschönen Zeichentrickvorlage und hinterlässt ein Grau-in-Grau-in-Sandbraun, durch das Tiere spazieren, deren Münder leblos auf- und zuklappen. Ja, das hier sind sensationell fotorealistische Animationen. Doch als ausgedehnte Der König der Löwen-Nacherzählung, die wahlweise das Original 1:1 kopiert oder aber dessen Sequenzen langsamer und steifer neu interpretiert, ist Jon Favreaus Der König der Löwen eine künstlerische Bankrotterklärung, ein kreatives Schwarzes Loch und der dreisteste, uninspirierste, eiskalt kalkulierteste Wirtschaftsschachzug, der behauptet, ein Film zu sein, den Disney in diesem Jahrzehnt abgezogen hat. Und dann vollführt diese Tech-Demo nicht einmal ihren Zweck, denn das Effektstudio, das diese Bilder gestemmt hat, ist mittlerweile pleite. Na, das hat sich ja mal gelohnt!

Mittwoch, 25. Dezember 2019

Die schlechtesten Filme 2019 (Teil I)

Vor allem im englischsprachigen Diskurs haben "Worst of"-Listen mittlerweile einen schlechten Ruf. Ich möchte aber für Floplisten eine Lanze brechen: Sie sind die beste Möglichkeit, die sich mir als Kritiker bietet, um in einem Meer aus Lob, Geheimtipps, "Ach, das und das kann gefallen" und "Naja, geht so" auch daran zu erinnern, dass ich etwas schlecht finden kann. Das stärkt die Glaubwürdigkeit. Und es sorgt für Perspektive. Während die einen schimpfen, Star Wars - Der Aufstieg Skywalkers sei ja der schlechteste Film des Jahres, weil ihre Lieblingsfigur zu wenige Sätze hatte oder es einen Kontinuitätsfehler zum restlichen Star Wars-Universum aufweist, sind das hier die Filme, die mich am meisten ärgerten. So anders können Ansätze sein.

Wie jedes Jahr gilt auch dieses Mal an dieser Stelle: Ich habe mit "Die schlechtesten Filme" eine zwar aufmerksamkeitserregende, allerdings reißerische Überschrift gewählt. Mir fällt nur leider nichts besseres ein. Schließlich klingt "Hassfilme" leider noch aggressiver. Selbst wenn es treffender wäre, denn hier geht es nicht ausschließlich um handwerkliche Rohrkrepierer, sondern um Filme, die bei mir auf höchst persönlicher Ebene große Antipathiepunkte sammeln. Filme, die mich wütend gemacht haben, mich frustrieren und nerven oder auf ätzende Weise langweilen. Anders gesagt: Während in der noch kommenden Liste meiner Lieblingsfilme die Filme gefeiert werden, die mein Filmliebhaberherz haben höher schlagen lassen, stelle ich euch nun die vor, bei denen es sich vor Antipathie zusammengezogen hat. Los geht es mit ...

Platz 20: Holmes & Watson (Regie: Etan Cohen)

Diese gähnend langweilige Sherlock Holmes-Parodie hat ihre Momente. Die generieren sich aber leider zumeist aus den weiblichen Nebendarstellerinnen, statt aus den Hauptfiguren, die nun einmal den Großteil des Films beschreiten. Wenn Rebecca Hall trocken über den Stand der Frau scherzt, Kelly Macdonald sich süffisant durch ihre paar Szenen scherzt oder Lauren Lapkus den Will-Ferrell-Schrägheit-Nerv besser trifft als es dieses Mal Will Ferrell tut, muss ich tatsächlich schmunzeln. Und Alan Menken hat eine herrlich überzogene Musicaleinlage verfasst. Aber davon abgesehen wird der "Was, wenn Holmes und Watson dumm wären?"-Gag sehr schnell sehr alt: Überdehnte, tumbe Gags und viel Grimassen schneiden. Gähn.

Platz 19: Friedhof der Kuscheltiere (Regie: Kevin Kölsch und Dennis Widmyer)

Diese Neuverfilmung des Stephen-King-Klassikers Friedhof der Kuscheltiere hat die tollste Filmkatze, die es dieses Jahr im Kino zu sehen gab. Das ist ein gigantischer Pluspunkt. Aber sonst? Die Figuren sind ungeheuerlich dünn skizziert, womit mir die tragischen Entscheidungen des Protagonisten ebenso sehr am Allerwertesten vorbeigehen, wie mir ihr Schicksal egal ist, wenn die Figuren von Horrorereignissen heimgesucht werden. Der Look ist, von ein paar Szenen mit kreativen Schneid abgesehen, völlig uninteressant und selbst die üblichen Billig-Schrecksequenzen mit aufgedrehter Tonspur fallen flach. Dieser Film ist völlig leblos. Hier könnt ihr nun ein Wortspiel eurer Wahl einsetzen.

Platz 18: Raus! (Regie: Philipp Hirsch)

Aus der Kategorie "Filme, bei denen es mir leid tut, dass ich sie nervig und enttäuschend finde", präsentiere ich euch dieses Mal: Die politisch angehauchte Aussteiger-Wander-Jugendramödie Raus! mit Milena Tscharntke, Tom Gronau, Matti Schmidt-Schaller und vielen anderen. Der Film zeigt einen Linksaktivisten, der nicht hinter der Sache steht, sondern damit nur Frauen beeindrucken will, und sich nach einer superpeinlichen Aktion verschanzt. Er stolpert über einen Aufruf, sich aus der Gesellschaft auszuklinken. Diesem Aufruf folgen auch ein Reichensöhnchen, eine frühere Rechtsradikale, eine Sex-Influencerin mit antikapitalistischer Weltsicht und ein abenteuerlustiger Typ, der einfach nur was erleben will. Was folgt, verwässert seinen Gesellschaftskommentar bis zur Unkenntlichkeit, setzt auf ultradünn geschriebene Figuren und erinnert mehr an KiKA-Wanderabenteuer, als an Teenager-Problemauseinandersetzung. Naja, bis Psychoterror und Gewaltspitzen auch die Ausrede "Es ist halt Babys erster Film über Gesellschaftsausstieg" kaputt machen. Raus! hat einen guten Cast und Philipp Hirsch hat ein inszenatorisches Auge, doch der Film findet partout nicht zusammen.

Platz 17: Green Book (Regie: Peter Farrelly)

Todd Phillips jammerte während der Promo-Phase für seine Comicadaption Joker, dass er das Komödienfeld vorzeitig verlassen hat und sich neuen Genres zuwendete, weil es unmöglich geworden sei, heute noch Komödien zu drehen. Die müssten ja nun alle gesellschaftlich aufgeklärt sein, und wo bliebe da der Witz? Mal davon abgesehen, dass Phillips irrt und es sehr wohl großartige Komödien gibt, die nicht weiter nachtreten, wenn Leute schon am Boden liegen, frage ich mich, was er gemacht hat, während Green Book seinen Erfolgszug erlebt hat. Denn Green Book beweist mit seinem Einspielergebnis von 323,5 Millionen Dollar (bei einem Budget von 23 Millionen) sowie mit drei Oscar-Siegen (darunter als bester Film), dass auch 2019 noch immer unsensible Komödien riesigen Anklang finden können.

Jede Oscar-Saison bringt einen Film mit, den ich überhaupt nicht leiden kann, doch dass er zum großen Abräumer der Saison wird, ist mir bisher nur sehr, sehr, sehr selten passiert. Aber Green Book ist für mich wirklich der mieseste Oscar-Gewinner dieser Dekade, wenn nicht sogar seit noch längerer Zeit. Ja, Mahershala Ali spielt großartig und dank ihm hat der Film seine gefälligen Momente. Doch eine Komödie über einen Pizza mampfenden Italiener, der einem Schwarzen beibringt, dass seinesgleichen doch Brathähnchen lecker finden muss, und dass er den Stock aus dem Hintern nehmen und einfach nur Spaß haben sollte, ist schon eine ziemlich fragwürdige Angelegenheit. Und wenn der Film dann noch Szenen beinhaltet wie "Du bist selber Schuld, wenn du von Rassisten verprügelt wirst", dann kann ich nur sagen: Willkommen in den Flops des Jahres, Leute! Und kommt mir nicht mit "Nun stell dich nicht so an", denn zuckrige Grütze, die sich nicht wirklich für das Leid ihrer Figuren interessiert, ist Green Book auch im luftleeren, apolitischen Raum.

Platz 16: Nightmare Cinema (Regie: Alejandro Brugués, Joe Dante, Mick Garris, Ryūhei Kitamura und David Slade)

Was habe ich mich auf den Film gefreut, ich als alter Liebhaber von Horror-Episodenfilmen. Und dann spielt die Rahmenhandlung auch noch in einem Kino, in dem ein seltsamer Kerl (Mickey Rourke) die Filme zum Publikum passend aussucht! Doch leider ist Nightmare Cinema ein Gemischtwarenladen, in dem man Qualität mühevoll suchen muss, zwischen all den Resterampe-Produkten. Der Film beginnt solide mit einem postmodernen Slasherkommentar, der seine Idee schlicht etwas überreizt, doch dann folgt eine sehr behäbige, witzig gemeinte, doch sehr hohle Episode über Schönheitsoperationen, bevor eine völlig lächerliche Dämonengeschichte in einer katholischen Schule das Niveau noch weiter herunterreißt. Ergänzt wird das Elend durch eine pseudo-intellektuelle, schnell durchschaubare Schwarz-Weiß-Episode über einen albtraumhaften Arztbesuch und letztlich durch eine Episode, die so abläuft, wie Shyamalan-Hater denken, dass all seine Filme so ablaufen. Was für ein Schrott.

Platz 15: Feedback (Regie: Pedro C. Alonso)

Dieser Kammerspielthriller zeigt einen beliebten, aber auch umstrittenen Radiomoderator (Eddie Marsan), wie er während einer Livesendung von Eindringlingen bedroht wird. Sie erpressen ihn und verlangen, dass er seinem Gast des Abends schreckliche Wahrheiten entlockt. Klingt nach genau meinem Geschmack, war aber eine unfassbare Geduldsprobe: Regisseur Pedro C. Alonso lässt seine Low-Budget-Produktion echt edel aussehen, leider ist die Soundabmischung eine unfassbare Katastrophe und die Dialoge sind klobig, unnatürlich und nervig. In einem dialoglastigen Film ist das ein extremes Minus, und dann schlägt die Story auch noch Haken, die es mir völlig unmöglich machen, mitzufiebern: Es gibt keine Sympathieträger, aber Alonso inszeniert diesen Thriller so, dass sich Spannung aus der empatischen Frage "Wie kommt X nur aus der Lage wieder heraus?" generieren soll. Und wenn man auch nur eine Sekunde zu lang über die politische Massage des Films nachdenkt (und die trägt Feedback gegen Ende mit naivem Stolz vor sich her), wird erst deutlich, wie sich der Film mehrmals ins eigene Knie schießt. Aber, hey, ein paar gute Gewaltspitzen hat er.

Platz 14: Godzilla II: King of the Monsters (Regie: Michael Dougherty)

Nach Gareth Edwards packendem Godzilla wird Warner Bros. westliche Godzilla-Saga einfach mal mit voller Macht gegen die Wand gefahren: Weg mit der langsam brodelnden, intensiven Spannung, her mit chaotischer digitaler Zerstörungswut. Und statt diese Megamonster-Klopperei wenigstens auf die sich kloppenden Megamonster zu fokussieren, zeigt Michael Dougherty bevorzugt digitalen Rauch, computeranimierten Schotter und fliegende Funken aus dem Computer. Kombiniert mit ziellosen, widersprüchlichen, schleppenden Szenen rund um dünn skizzierte, menschliche Figuren, die sich saudumm anstellen und dem Film jegliche Energie rauben, ergibt Godzilla II Popcornkino der hirnlosen Kopfweh-Kajüte.

Platz 13: Cats (Regie: Tom Hooper)

Ein abartig hässlicher Film mit dem Spannungsbogen einer geraden, horizontalen Linie und einem Übermaß an unangenehm nahen Nahaufnahmen. Aber der Cast hängt sich voll rein und es ist wenigstens ein Film wie keiner zuvor. Grausig, aber denkwürdig.

Platz 12: Murder Mystery (Regie: Kyle Newacheck)

Ein durchschaubarer Krimiplot, eine lange Parade an mäßig witzigen Witzen und ein Plot, der mit zehn, 15 Minuten weniger vielleicht noch ganz süffig hätte geraten können: Adam Sandlers Netflix-Filme sind für ihn nichts anderes als Ausreden, schöne Orte zu bereisen und für Netflix sind sie Content, der aus irgendwelchen Gründen zieht. Murder Mystery hat wenigstens einen sympathischen Cast, der sich bemüht, was aus dem Material zu machen. Es gibt viel zu wenig Filme mit Luke Evans und Gemma Arterton!

Platz 11: Belleville Cop (Regie: Rachid Bouchareb)

Was für ein elend langweiliger Film: Der bequemliche Cop Baaba Keita (Omar Sy) schlägt eine Beförderung nach der anderen aus. Doch seine Freundin will hinaus in die weite Welt, weg von den Fängen Baabas dominanter Mutter, die sich in alles einmischt. Als eines Tages ein Freund Baabas getötet wird, bricht er doch auf in neue Gefilde: Er zieht mit seiner Mutter nach Miami, wo er sich mit dem amerikanischen Polizisten Ricardo (Luis Guzman) zusammentut, um den Mord an seinem Freund aufzuklären. Belleville Cop klaut sich Versatzstücke aus den Beverly Hills Cop-Filmen, Lethal Weapon und Red Heat zusammen, ohne sie irgendwie zu kommentieren oder sehenswert abzuwandeln, und ist dann auch noch mit witzfreien Dialogen gesegnet, einem Erzähltempo, bei dem einem fließender Honig rasant vorkommt und der Krimiplot lebt von Zufällen und noch mehr Zufällen. Was für ein Elend.


Sonntag, 22. Dezember 2019

Musikalisches Immergrün – Die besten Disney-Songs der Dekade (Teil III)

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Platz 65: Hochzeits-Abenteuer ("Wedding Adventure") aus Phineas & Ferb
Musik und Text von Martin Olson, Rob Hughes und Aliki Theofilopoulos (dt. Fassung von Christine Roche, Ursula von Langen & Thomas Amper)

In einem ähnlichen Stil gehalten wie zwei sehr frühe Phineas & Ferb-Songs und mit leichten Anleihen an den Red-Hot-Chili-Peppers-Song By the Way ist dieser ganz und gar unkitschige Hochzeitssong eine turbulente Aufzählung von skurrilen Hochzeitsfeierideen und Phineas & Ferb-Rückgriffen. Nicht der hellste Song auf dem Phineas & Ferb-Leuchter, aber sehr schmissig und launig. Ich kann mir nicht helfen, ich hab einfach Freude an ihm.


Platz 64: Zeige dich ("Show Yourself") aus Die Eiskönigin II
Musik und Text von Robert Lopez & Kristen Anderson-Lopez (dt. Fassung von Nina Schneider)

Ich kann mir nicht helfen, ich finde allgemein einfach nicht den Zugang zu Lopez & Lopez, wenn sie ein Lied vollkommen ernst meinen. Rare Ausnahmen bestätigen die Regel, aber für mich klingen die Lieder des mehrfach preisgekrönten Ehepaars zu oft zu sehr nach den Bausteinen ihrer inhaltlichen Funktion. Daher zünden ihre parodistischen Arbeiten (etwa in der Scrubs-Musicalfolge) für mich viel besser. Auch Zeige dich klingt für mich etwas zu arg nach "Hallo, ich bin der Wendepunkt-Song, der den dritten Akt auflöst", doch er lässt Elsa genug Raum, um richtig was rauszuschmettern und rein gesanglich Gänsehaut zu erzeugen - egal, von welcher Sprachfassung wir hier reden. Die Szene zum Lied gefällt mir deutlich mehr, da sie eine visuelle Wucht ist. Aber, allem Meckern auf hohem Niveau zum Trotz: Zeige dich ist schon ein Song mit viel Nachdruck, und er hat sich bei mir durchaus eingeprägt. Leicht widerwillig, aber erfolgreich.


Platz 63: Walmingo ("Whalemingo") aus Phineas & Ferb
Musik und Text von Robert F. Hughes, Dan Povenmire, Martin Olson und Bobby Gaylor (dt. Fassung von Christine Roche, Ursula von Langen & Thomas Amper)

Eine absurde, surreale kleine, musikalische Geschichte, die wunderbar vorführt, wie viel kreative Schöpfungskraft in Phineas & Ferb steckt. 'nuff said.


Platz 62: Mondgeschmack Sensation ("Moon Farm") aus Phineas & Ferb
Musik und Text von Jon Colton Barry, Robert F. Hughe und Dan Povenmire (dt. Fassung von Christine Roche, Ursula von Langen & Thomas Amper)

Ein historischer Song in der Geschichte von Phineas & Ferb: Die Trickserie, die sich sukzessive zu einem schwindelerregenden Turm aus Running Gags, Selbstironie und Meta-Gags steigerte, brach hier erstmals im Laufe eines Songs die vierte Wand: Baljeet legt sich hier mit dem Sänger aus dem Off an, Phineas wiederum spricht explizit vom Soundtrack, der gerade zu hören ist. Diese Illusionsbrüche sollten später noch häufiger vorkommen. Vor allem aber ist Mondgeschmack Sensation einfach ein lustiger, eingängiger, alberner Song.


Platz 61: Hack mein Herz kurz und klein ("Chop Away at My Heart") aus Schlimmer geht's immer mit Milo Murphy
Musik und Text von Scott Heiner, Andrew Novak und Dan Povenmire (dt. Fassung von Michael Ernst)

Dieser fiktive Boyband-Chartkracher ist ein Schlimmer geht's immer mit Milo Murphy-Running-Gag, der in sieben Folgen vorkommt und eine der Stammfiguren in ihrer Jugendsünden-Zeit als Herzschmerz-Popbubi zeigt. Es ist eine alberne, süffisante Parodie von Boyband-Pop, wie es ihn heute (im Westen) kaum noch gibt, ein echter Ohrwurm und ein herrliches, wiederkehrendes Element in dieser spaßigen, feinen Serie. One Direction? Wer sind das?!

Samstag, 14. Dezember 2019

Musikalisches Immergrün – Die besten Disney-Songs der Dekade (Teil II)

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Los geht es, mit meinem musikalischen Rückblick auf das Disney-Jahrzehnt. Was die 2010er in der Welt der Disney-Musik von anderen Jahrzehnten abhebt? Nun, eine Sache sticht klar hervor: Irgendwie standen die Welten in den Jahren 2010 bis 2019 Kopf. Einst war das Kino Disneys große Musical-Plattform, während etwa in den 1990er-Jahren die Trickserien eher abenteuerlicher Natur waren. Dank Dan Povenmire und Jeff 'Swampy' Marsh sah das im nun ausklingenden Jahrzehnt schon ganz anders aus: Phineas & Ferb und Schlimmer geht's immer mit Milo Murphy wurden die Disney-Fernsehserien musikalischer denn je. Auf der großen Leinwand dagegen mischten sich Musicals und Nicht-Musicals bunt durcheinander.


Platz 70:  Good To Be Bad aus Descendants 3
Musik und Text von Antonina Armato, Tim James, Thomas Sturges und Adam Schmalholz

Was die High School Musical-Trilogie in den 2000er-Jahren war, ist Descendants für die nun endende Dekade. Wie schon der Schulspaß mit Zac Efron, Vanessa Hudgens, Ashley Tisdale und Lucas Grabeel, ist auch die Descandants-Saga von Choreograf Kenny Ortega inszeniert, der hier noch bunter und noch schriller vorgeht. Teil drei lief seltsamerweise noch immer nicht in Deutschland (man hätte die neusten Geschichten der Schurken-Nachfahren doch an Halloween zeigen können?!), aber Good To Be Bad konnte ich trotzdem nicht entgehen. Der Song ist das, was passiert wenn man die "Happy Village"-Musical-Trope auf den heutigen Disney Channel anwendet, und eröffnet die Story des campigen Musicalabenteuers. Und das mit vereinzelten visuellen Rückgriffen auf die vorhergegangenen Teile.


Platz 69: Der Hai im Danville Hafen ("The Shark of Danville Harbor") aus Phineas & Ferb
Musik und Text von Jim Bernstein, Michael Diederich, Robert Hughes, Martin Olson und Dan Povenmire (dt. Fassung von Christine Roche, Ursula von Langen & Thomas Amper)

Stellt euch schonmal darauf ein, dieser Serie noch häufiger zu begegnen: Phineas & Ferb machte es sich zur (nahezu) granitharten Regel, mindestens einen Song pro Folge zu bieten. Und als für Disney-Verhältnisse erstaunlich langlebige Serie hat diese irre, mit Running Gags und Selbstironie bestückte Produktion halt allerhand Lieder zu bieten. Dieses Shanty über einen Monsterhai lehnt sich an Sink the Bismark von 1960 an. Der Song wiederum kommt in einer Blues Brothers-Deleted-Scene vor, und Blues Brothers gehört zu den Dutzenden von Filmen, auf denen in der Serie angespielt wird. In der Folge, aus der dieses Lied stammt, wird dagegen unter anderem auf Donald Duck und Fluch der Karibik angespielt. Ja, kein Wunder, dass sie zu meinen Lieblingsfolgen gehört ...


Platz 68: FroyoYOLO aus Live & Maddie
Musik und Text von Ron Hart und Eric Peter Goldman

Disney-Channel-Sitcoms sind leider so ziemlich Hit 'n' Miss, aber für Liv & Maddie habe ich wirklich eine Schwäche: Nicht nur, dass Dove Cameron sehr gut spielt, generell ist die Familie, um die sich die Serie dreht, zwar am Familiensitcom-Reißbrett entwickelt, doch mit mehr Pepp und Nuance umgesetzt als üblich. Und die Serie traut sich auch immer wieder an überraschend bissige Plots heran - wie etwa an voreiligen Onlinejournalismus und an toxische Online-Fandoms, die gegen Genderswap-Blockbuster sind (die Ghostbusters lassen grüßen). Die Serie hat auch eine (nicht immer konsequent durchgezogene, dennoch positiv auffallende) feministische Ader. Eine Folge, die sich damit auseinander gesetzt hat sowie mit der Frage "Pop mit Haltung oder knalliger Pop mit kreativ-aufwändigen Musikvideos?" hat sogleich zwei gute Songs zu bieten. Leider ist der inhaltlich mehr tragende Song dieser Episode, What a Girl is, nicht ganz so schmissig wie der (innerhalb der Serienwelt peinliche, auf metafiktionaler Ebene jedoch herrlich-parodistische) Zuckerpop FroyoYOLO, über den ich mich noch Jahre später beömmeln kann.


Platz 67: Alienherz ("Alien Heart") aus Phineas & Ferb
Musik und Text von Dan Povenmire und Martin Olson (dt. Fassung von  Christine Roche, Ursula von Langen & Thomas Amper)

Alienherz gehört zu den ausgewählten Songs aus Phineas & Ferb, zu denen Disney offiziell auch eine Demo-Version veröffentlicht hat, was allen Serienfans die Gelegenheit gibt, hinter den Entstehungsprozess zu blicken. Das Lied wird von Ferbs Vater und Phineas & Ferb in der Rolle der Retro-Band Max Moden and the Mainframes gesungen, womit der ruhige, unauffällige Lawrence versucht, seine Frau Linda (die in den 80ern ein Popstar war) davon zu überzeugen, dass auch er aufregend sein kann. Klingt nach Sitcom-Plot, wird aber mit dem üblichen, spritzigen Phineas & Ferb-Humor aufgepeppt. Die Szene umfasst unter anderem Rückgriffe auf die Folge rund um die Pinke (das Ende der Schnürsenkel), während der Song an Planet Claire der B-52s angelehnt ist. Der ist übrigens aus dem Jahr 1979 und ist somit älter als die meisten der Referenzen rund um Lindas Popkarriere. Ob Lawrence seiner Frau damit was beweisen wollte?


Platz 66: Ich will 'ne Frau mit 'ner Ritterrüstung (" I Want a Girl with a Suit of Armour") aus Schlimmer geht's immer mit Milo Murphy
Musik und Text von Danny Jacob (dt. Fassung von Michael Ernst)

Ich kann ein ganz simpler Mensch sein. Gib mir Disney, pack Hard Rock dazu, und ich denke: "Ach, geil, ein Disney-Song, der rockt." Und schon bin ich glücklich. So etwa geschehen bei Ich will 'ne Frau mit 'ner Ritterrüstung, einem fetzigen Loblied auf die in Mittelalteraufmachung daherkommende Pizzalieferantin und Ex-Babysitterin Veronica. Der Verfasser des Songs, Danny Jacob, hat übrigens hier und da in der Animationswelt seine Spuren hinterlassen: Der regelmäßige Hans-Zimmer-Kollaborateur arbeitete zusammen mit Elton John an DreamWorks' Trickkomödie Der Weg nach El Dorado, außerdem klampfte er in Shrek und verfasste Lieder für Lilo & Stitch: Die Serie, den Direct-to-DVD-Film Leroy & Stitch, für Kuzcos Königsklasse und für die herausragende Serie Kim Possible.

Fortsetzung folgt ...

Sonntag, 1. Dezember 2019

Musikalisches Immergrün – Die besten Disney-Songs der Dekade (Teil I)


In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Disney-Konzern enorm gewandelt. Was 2003 beinahe Opfer einer feindlichen Übernahme durch Comcast geworden wäre und 2009 hoffte, dass Die Jagd zum magischen Berg ein Blockbuster werden könnte, ist mittlerweile der Platzhirsch im Kinogeschäft. Der 2009 noch mit gutem Glauben erhoffte, dritte Frühling für die Kunst des abendfüllenden Zeichentrickfilms blieb dennoch aus. Aber eine Sache hat sich auch in zehn Jahren nicht geändert: Musik ist ein essentieller Teil des Disneyzaubers.

Angefangen mit Steamboat Willie, der mit seinem bildsynchronen Ton die Kinozuschauer erstaunte und Micky zu Turkey in the Straw allerhand Schabernack treiben ließ, über die Silly Symphonys, die sich durch ihren mitunter nahezu lyrischen Musikgebrauch definierten, bis hin zu Schneewittchen und die sieben Zwerge, der Geburtsstunde dessen, was jahrzehntelang als Kern der Marke "Disney" aufgefasst wurde: Lange Zeichentrickmärchen für die ganze Familie, die einen mit ihren markanten, harmonischen Liederkompositionen für den Rest des Lebens begleiten. Auch abseits des Zeichentrickfilms setzte Walt Disney häufig auf die magische Macht der Musik, und so verwundert es wohl kaum jemanden, dass das mit Zeichentrickelementen versehene Musical Mary Poppins die erfolgreichste Realfilmproduktion zu Walts Lebzeiten wurde - und für zwei Jahrzehnte Disneys größter Realfilmhit blieb. Inflationsbereinigt ist Mary Poppins sogar weiterhin ungeschlagen - solange wir von Filmen der Marke Disney sprechen, denn Disneys (eingekaufte) Tochterfirmen haben so manchen Hit zu bieten, der noch größer ist.

Derweil hat in den vergangenen zehn Jahren eine Generation an Disney-Realfilmmusicals eine beeindruckende Entwicklung durch gemacht: Die poppigen Disney-Channel-Produktionen, die einst viele ältere Disney-Fans zur Verzweiflung gebracht haben, sind mittlerweile für einen ganzen Schlag an erwachsenen Disney-Fans genauso nostalgisches Wohlfühl-Klangfutter wie es einst die Songs aus der Disney-Renaissance für Leute in ihren Zwanzigern und Dreißigern waren. Und dieser Disney-Klangkosmos wächst und wächst: Wo einst Hannah Montana und High School Musical für Jubelschreie sorgten, sind schon längst Violetta und die Descendants durch die Gehörgänge marschiert.

Und selbst in den Disney-Freizeitparks ist es eine wahre Herausforderung einen Winkel zu finden, an dem man vor musikalischer Stimmungsmanipulation sicher ist - überall lauern Eigenkompositionen, stärker oder weniger stark umarrangierte Instrumentalversionen von populären Disney-Songklassikern und kurze Anleihen an obskurere Lieder, die selbst unter den stolzesten Disneyliebhabern weniger bekannt sind. Es ist, wie es ist: Disney wäre ohne seine Musik, und insbesondere ohne sein herausragendes Liedgut, nicht solch eine mächtige Institution. Das muss gar nicht erst groß ausdiskutiert werden, selbst die größten Verehrer der Non-Musicals Disneys werden da - vielleicht mürrisch - zustimmen.

Um den Wechsel von dieser zur nächsten Dekade zu zelebrieren, möchte ich euch in dieser Artikelreihe mitnehmen. Mit auf eine Reise quer durch Disneys beeindruckende Liedersammlung der Jahre 2010 bis 2019. Und ihr kennt es vielleicht noch von dieser Artikelreihe: Ich werde nicht chronologisch vorgehen, sondern den Reiseverlauf von meiner ganz persönlichen Hitliste abhängig machen.

Ich präsentiere also voller Stolz und ohne Scheu:

Musikalisches Immergrün - Die besten Disney-Songs der Dekade

Damit genug des Vorgeplänkels. Der Übersicht zu Liebe soll hiermit auch dieser Artikel sein Ende finden - und mit dem nächsten Beitrag in dieser Artikelreihe geht es dann endlich los und wir arbeiten uns langsam hoch bis hin zur Spitzenposition.

Ich hoffe ihr genießt diesen Countdown so sehr, wie ich die Arbeit an ihm.

Auf dann!

Dienstag, 1. Oktober 2019

Ready or Not


Der Zahn des Zeitgeistes nagt am Filmdiskurs - teils auch völlig ungerechtfertigt. Warner Bros. muss einen regelrechten Slalom absolvieren, um Joker in die US-Kinos zu bringen, denn die Vorfreude auf den bereits preisgekrönten Film wird von (teils arg hochgekochten) Kontroversen über seine (vermeintliche) Gewaltverherrlichung begleitet. Und Universal Pictures kippte für unbestimmte Zeit die Kinoauswertung der Waffengewalt-Satire The Hunt, da gerade einfach nicht die richtige Zeit dafür sei, einen Film zu veröffentlichen, in dem Menschen aus Spaß andere Menschen jagen. Und die Walt Disney Company? Lustig, dass ihr fragt. Denn die hat ohne mit der Wimper zu zucken, so als sei es business as usual den Fox-Searchlight-Film Ready or Not in die Kinos gebracht. In dem ein reicher Familienclan eine unschuldige Braut jagt. Ja, auch mit Schusswaffen ...

Inszeniert wurde Ready or Not vom Regieduo Matt Bettinelli-Olpin & Tyler Gillett, das unter anderem bereits den Genre-Geheimtipp Southbound verantwortete, einen schwarzhumorigen Horror-und-Thriller-Episodenfilm mit vielen cleveren, kleinen Ideen. Und in eine ähnliche Kerbe schlägt auch Ready or Not, wenngleich hier der blutschwarze Humor eine etwas stärkere Beinote darstellt als in Southbound: Der wohlhabende Familienclan Le Domas hat sich als Brett- und Kartenspieldynastie ein Vermögen aufgebaut und pflegt einige mit diesen Ursprüngen ihres Wohlstands verbundene Traditionen. So muss jedes neue Familienmitglied in der Nacht, in der es in den Clan einheiratet, eine Karte aus einer alten Holzkiste ziehen, die bestimmt, welches Spiel in dieser Nacht gespielt wird.

Was die Braut Grace (Samara Weaving) nicht weiß: Eine dieser Karten bestimmt, dass Verstecken gespielt wird - und das nicht nach normalen Regeln. Stattdessen muss das neue Familienmitglied bis Sonnenaufgang vor dem Rest der Familie fliehen. Denn der ist schwer bewaffnet und hat die Aufgabe, die sich versteckende Person zu töten. Und natürlich ist es ausgerechnet diese Karte, die Grace zieht ...

Die von Guy Busick und R. Christopher Murphy verfasste Horrorkomödie zieht viel Humor daraus, wie sie hier Karikaturen der oberen Zehntausend aneinanderreiht. Da wäre die eingeheiratete Frau aus schlechten Verhältnissen, die alles dafür tun würde, nicht zurückzukehren. Der Sarkast, der den ganzen Rummel um seine Familie und um Reichtum über hat. Der Hohlkopf, der im Leben nichts gerissen bekäme, wäre er halt nicht Teil dieser Familie. Die oberflächliche Koksnase. Der arrogante Patriarch, der sich sonstwas auf die Familiengeschichte einbildet. Das alle verurteilende Biest, das die Tradition als Gesetz sind. Und so weiter ...

Mit makabrem Situationswitz und spitzen Dialogen zeichnet Ready or Not ein saukomisches, grausiges Bild der Reichen - und daher ist es etwas schade, dass der Film seine satirische Ader bezüglich der Scheinheiligkeit der 1% auf den letzten Metern für zünftigen Genrespaß opfert. Andererseits hat das Ende eine so selbstbewusste, frivole Horrornote, dass es den Filmemachern schwer zu verübeln ist, auf die Genrerichtung, statt auf die thematische Komponente zu setzen. Zumal der Hinweg ein echtes Vergnügen ist: Gekonnt balancieren Bettinelli-Olpin und Gillett zwischen Spannung, Splatterekel, Splatterspaß und rabenschwarzem Humor. Das gelingt ihnen einerseits aufgrund eines hervorragenden Gespürs für Timing - hier verlaufen Szenen etwas zügiger und wirken damit pointiert, dort reizen sie den Moment mit diabolischer Freude aus und schüren so Spannung.

Es ist aber auch Samara Weaving, die großen Beitrag dazu leistet, dass Ready or Not sowohl Spaß macht als auch seiner blutig-spannenden Seite gerecht wird. Die The Babysitter-Hauptdarstellerin gibt hervorragend die Braut, die ein Todesspiel durchstehen will: Egal, ob sie mit großen Augen Angst vermittelt, mit Leib und Seele ausdrückt, wie sehr sie von der Situation die Schnauze voll hat, oder in breit grinsenden Zynismus ausbricht - Weaving macht diese radikalen Schwankungen glaubwürdig und macht Grace zu einer sehr sympathischen Protagonistin, mit der man mitfiebert, geschockt ist und in Rachegelüste verfällt.

Verpackt ist das Ganze in einen sehr edlen Look, gerade für eine sechs Millionen Dollar teure Horrorkomödie: Von Kameramann Brett Jutkiewicz über weite Strecken nur mit natürlichem Licht ausgeleuchtet, wird Ready or Not zum gülden-dunkelbraun schimmernden Menschenjagdstück mit einem hochdetaillierten, protzigen Schauplatz (Produktionsdesign: Andrew M. Stearn, Setausstattung: Mike Leandro), das man gesehen haben muss.

Sonntag, 29. September 2019

Mein Blind Date mit dem Leben


Es wirkt an der Oberfläche zunächst einmal wie ein schlechter Witz: Ein quasi erblindeter Jugendlicher macht eine Ausbildung. Ausgerechnet zur Servicekraft. Und dann auch noch in einem Luxushotel! Da, wo ein scharfes Auge, ein sicheres Auftreten und absolute Stolperfreiheit unerlässlich sind! Das kann ja nur in beschämende Slapstick-Kapriolen münden … Mein Blind Date mit dem Leben ist jedoch keinesfalls ein unsensibles, zweistündiges „Ein junger Mister Magoo versucht sich als Kellner“-Lachfest. Sondern die inspirierende filmische Adaption einer erstaunlichen wahren Geschichte – gewitzt-feinfühlig von Groupies bleiben nicht zum Frühstück-Regisseur Marc Rothemund umgesetzt und mit bestechendem Charme von Kostja Ullmann in der Hauptrolle gespielt.

Die rund zweistündige Dramödie Mein Blind Date mit dem Leben erzählt lose die Geschichte des Motivationsredners und Autoren Saliya Kahawatte. Der Deutsch-Singhalese verlor im Teenageralter annähernd 95 Prozent seines Sehvermögens, weigerte sich anschließend allerdings, sein Leben von diesem Handicap diktieren zu lassen. Also beschloss er, weiter seinen Wunsch zu verfolgen, in einem Luxushotel zu arbeiten. Da Bewerbungen mit ehrlichen Angaben bezüglich seiner Sehbehinderung allesamt abgelehnt werden, verschweigt er sie letztlich – und kriegt anschließend den begehrten Ausbildungsplatz. Was sich in Wirklichkeit in einem Hamburger Hotel abgespielt hat, verlegt Rothemund in seinem Film in den leinwandfüllenden, altmodisch-prunkvollen Bayerischen Hof in München.

Dort lernt Saliya den lockeren Lebemann Max (herrlich: Jacob Matschenz) kennen, der schon kurz nach diesem Treffen bemerkt, welche Scharade sein Mitauszubildender spielt. Aus dem verbissen jegliche Hürden nehmenden Saliya und dem sorgenfreien Max wird ein eingespieltes Team – trotzdem stellen sich dem nahezu blinden Träumer immer neue Herausforderungen, die zunehmend an seinem Nervenkostüm nagen …

Das Skript von Oliver Ziegenbalg (Friendship!) und Ruth Toma (Kebab Connection) ist in Stimmungszyklen aufgebaut: Eingangs wird ganz zügig und effizient Saliyas Leben vor dem Eintreten seiner dramatischen Sehprobleme skizziert. Danach führt Mein Blind Date mit dem Leben nüchtern, aber mit kleinen emotionalen Ausrutschern, vor, wie sich der Abiturient ans Leben mit seinem Handicap herantastet: Ullmann spielt glaubwürdig, wie Saliya zwar von seiner Sehbehinderung zermürbt wird, aber stur daran arbeitet, irgendwie weiter zu machen und neuen Mut findet. Dies hat einen eher dramatischen Unterton, allerdings sind die munteren Gespräche zwischen Saliya und seiner Schwester Sheela (perfektes Timing: Nilam Farooq) kleine muntere Momente, die sehr gut die nächste Phase des Films vorbereiten.

Saliyas erste Wochen am Bayerischen Hof inszeniert Rothemund als launige „Betrugsgeschichte“: Max und Saliya verheimlichen mit verschwörerischem Grinsen untereinander den Vorgesetzten Saliyas Handicap – und mit beschwingter Musik sowie glanzvoller Bildästhetik lädt der Regisseur sein Publikum dazu ein, sich mit den Beiden über jeden neuen Kniff zu freuen. Rothemund legt es unaufdringlich nahe, nicht über Saliya zu lachen, sondern mit ihm. Schleichend kehrt mit Johann von Bülows arrogantem Ausbilder Kleinschmidt, der daran einen Narren gefressen hat, Saliya zu piesacken, jedoch auch wieder größere Dramatik in die Handlung ein. Und auch die Liebelei mit der Gemüselieferantin Laura (Anna Maria Mühe) steht auf wackligen Beinen ...

Wenn die Stimmung danach völlig ins Dramatische kippt und Rothemund skizziert, wie Saliya an der Mühe, nicht als Blinder unter Sehenden aufzufallen, zu zerbrechen droht, tut sich der Oscar-nominierte Regisseur etwas schwerer als zuvor: Zwar gerät dieses Tief plausibel und Ullmanns Performance rutscht stimmig vom charismatischen Strahlemann zu jemandem Selbstdestruktiven. Spürbare Nachwirkungen hat diese Phase aber kaum, so dass der letzte Akt vergleichsweise simplifiziert daherkommt.

Inspirierend bleibt die Story dennoch: Ein gut gelauntes Inklusionsplädoyer, das humorvoll erklärt, welche Hürden Blinde im Alltag zu nehmen haben – und das die altbekannte Moral „Lebe deinen Traum“ auf unverbrauchte Weise neu aufzäumt. In Form der afghanischen Küchenkraft Hamid (Kida Khodr Ramadan) treibt Rothemund obendrein den Gedanken, Grenzzäune im Kopf des Publikums einzureißen, ganz charmant auch bei den Nebenfiguren fort: Solche sympathischen, nicht aber anbiedernden Nebenrollen braucht das deutsche Massenkino viel häufiger.

]Fazit: Ein einfühlsam erzählter Gute-Laune-Film, der zu berühren weiß: Mein Blind Date mit dem Leben packt sein Thema ebenso sensibel wie gewitzt an und punktet mit einer tollen Darbietung von Kostja Ullmann.

Dienstag, 23. Juli 2019

Passengers


Guardians of the Galaxy-Star Chris Pratt. Die Tribute von Panem-Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence. Ein elegant gestaltetes, mittels zumeist sehr ansehnlicher Effekte verwirklichtes Raumschiff als Setting. Und ein schnell begriffenes Konzept, das in allerlei Genres funktionieren würde – von Horrorfilm oder Psychodrama bis hin zu Hochglanzblockbuster: Was, wenn man bei einer mehr als ein Jahrhundert überdauernden Weltraumreise viel zu früh aus seinem künstlichen Schlaf geweckt wird?

Passengers ist ein (oberflächlich betrachtet) überaus attraktiver Hollywood-Film. Einer, der bei sehr flüchtiger Betrachtung hält, was er verspricht: The Imitation Game-Regisseur Morten Tyldum erschafft eine vor Rückverweisen strotzende, ästhetische Science-Fiction-Welt. Das Drehbuch von Jon Spaihts (Prometheus) ist dynamisch strukturiert: Mit ruhigem Prolog, einem zunächst sehr lustigen ersten Akt, der ins Dramatische kippt. Einem romantisch aufgezogenen zweiten Akt, der in unter die Haut gehende Suspense kippt. Ehe der sukzessive vorbereitete, laute und effektlastige, mit Action bepackte finale Akt folgt.

Jennifer Lawrence und Chris Pratt spielen ihr leinwandtaugliches Charisma aus. Pratt verinnerlicht ein Großteil der vielen, verworrenen Emotionen seiner Rolle. Lawrence indes spult zwar die Videobotschaften ihrer Figur routiniert runter (und somit die Szenen, die ihr eine runde Hintergrundgeschichte geben sollen), erweckt sonst jedoch einen engagierten Eindruck.

Doch die Oberfläche von Passengers ist rasch weggekratzt. Es fängt schon beim Produktionsdesign an. Dass sich die Kulissen an Filmklassikern anlehnen, ist noch problemlos. Dass die als Zufluchtsort und Hort komödiantischer Szenen dienende Bar an die aus Shining angelehnt ist, ist aber, je nach Blickwinkel: A) Ein recht wahlloser Verweis. Oder B): Beweis dafür, dass das Gesamtwerk deutlich leichtgängiger und gedankenloser geraten ist, als es wohl einst sein sollte.

Die Instrumentalmusik von Komponist Thomas Newmans wiederum ist einprägsam, betörend schön und komplex arrangiert – sowie ein dreister Eigenklau aus seinen Arbeiten für die Pixar-Filme Findet Nemo, WALL·E und Findet Dorie. Die Technologie des als Schauplatz dienenden Raumschiffs operiert nur auf Hollywood-Logik, mit Makeln, die sich nach der Storydramaturgie richten. Nicht nach einer inneren, kohärenten Logik.

Und all dies sind noch immer (etwas tiefer gehende) Schönheitsfehler. Die wirklich argen Probleme an Passengers, die einen anhaltend bitteren Nachgeschmack hinterlassen, werden im Film erst nach rund der Hälfte der Laufzeit bemerkbar. Doch sie nehmen sukzessive zu. Und da Tyldum im haarsträubende Züge annehmenden Finale jegliche rettende Option links liegen lässt, gerät Passengers vom Blockbuster mit unglücklichen Implikationen zum möglichen Diskussionsanreger und schlussendlich zu einem frustrierend-problematischen Stück Popkultur.

Spoilerfrei lässt sich dies nicht näher artikulieren – Sci-Fi-Liebhaber und Gelegenheitskinogänger, die nicht zu viel wissen wollen, sollten anhand der obigen Zeilen abschätzen, wie sehr sie Passengers denn nun reizt. Alle anderen können sich gerne vorab auf ein mehr als bloß fragwürdiges Ende gefasst machen …

Ab hier SPOILER!
Entgegen dem, was die Trailer und TV-Spots behaupten, handelt Passengers nicht davon, dass ein Mann und eine Frau 90 Jahre vor Ankunft an ihrem Ziel auf einem Raumschiff aufwachen, während der Rest der Passagiere noch seinen das Altern ausbremsenden Schlaf hält. Stattdessen dreht sich der Beginn des Films um einen einzelnen Mann, dem diese Misere widerfährt. Chris Pratt spielt dies mit Galgenhumor, der in „Das Beste aus der Sache machen“-Spritzigkeit übergeht und dann Schritt für Schritt zu wahnhafter Einsamkeit wird.

Als nach etwa einem Jahr dieses Wrack von einem Mann kurz davor steht, Selbstmord zu begehen, spielt er mit dem Gedanken, einen weiteren Passagier aufzuwecken – und ihm somit die vermeintlich sichere Zukunft auf einem noch 89 Reisejahre entfernten Planeten zu nehmen. Er hadert mit sich, was Pratt mit verletzten Hundeaugen und verlorenem Gesichtsausdruck darbietet, gibt letztlich aber nach, und reißt eine Journalistin aus ihrem künstlichen Schlummer – ohne ihr davon zu erzählen.

Dass sich daraufhin zwischen den beiden Figuren eine neckische Dynamik entwickelt, ist vertretbar. Lawrence und Pratt holen mit ihrem komödiantischen Timing und dem im Mittelteil süffisant-zynisch-doppelbödigen Humor viel aus dieser Prämisse heraus. Und dass sich nach dieser in gewisser Weise einem Mord (auf Zeit) gleichkommenden Tat Passengers nicht auf Anhieb zum Psychothriller wandelt, kann wohlwollend als strukturelle Überraschung gesehen werden. Ähnlich eines Slasherfilms, der vor dem brutalen Finale durch Humor seine Figuren menschlicher macht.

Dennoch muss diese den Film überschattende Tat auf langer Sicht Konsequenzen nach sich ziehen – und in der Skizzierung dieser wird Passengers endgültig vom glattgebügelten, aber kurzweiligen Blockbuster mit potentieller Sci-Fi-Psychokammerspiel-Prämisse zum Problemwerk. Nach allerlei süßlich-verspielten Liebesalbereien kommt das dunkle Geheimnis ans Licht. Von einer kurzen Montage abgesehen, in der Lawrence mit voller Inbrunst die Gefühle darbietet, die ihre Figur erfüllen, von Horror und Wut hin zu Abscheu, macht Tyldum ein RomCom-Missverständnis aus der Sache. Unsere füreinander bestimmten Helden liegen sich in den Haaren, aber eine freundliche Bildsprache, quirlige Hintergrundmusik und gewitzte Dialoge sowie gemeinsam überwundene Actionsequenzen führen sie nach dem Zoff schrittweise wieder zusammen!

In den letzten Filmminuten entwirft Tyldum mehrere Szenarien, in denen das Karma wieder ausgeglichen werden könnte. Aber die zwar leicht erklärte, dennoch gravierende und grauenvolle Verzweiflungstat bleibt ungesühnt. Viel schlimmer: Sie wird als die einzig richtige Entscheidung geschildert, eine mit fruchtbaren, aus inniger Liebe entsprungenen Nachwirkungen.

Es ist völlig akzeptabel, wenn Blockbuster-Figuren moralisch fragwürdig handeln und Plots ethische Fragen aufwerfen. Etwa: „Wie würdest du handeln, wenn du dein Leben retten und verbessern könntest, indem du die Pläne einer anderen Person zerstörst?“ Es müssen auch nicht einmal sämtliche unentschuldbaren Entscheidungen bestraft werden – Krimis, in denen der Mörder entkommt und Horrorfilme, in denen das Böse nur gehemmt, nicht aber bezwingt wird, sind nicht grundlos beliebt.

Passengers gehört aber nicht zu diesen fies-grimmen Geschichten. Sondern ist die fröhlich dahingesäuselte, ohne jeglichen Funken der Subversion versehene Geschichte eines Mannes, der zum Selbstschutz und zur Bespaßung das Leben einer Frau zum Entgleisen bringt. Sie verlieben sich. Sie kommt hinter den Ursprung dieser Romanze, woraufhin die Frau nach kurzem Wutanfall erkennt, dass er den richtigen Riecher hatte und sich ihm willig hingibt. Munter-romantische Streicherklänge, Happy End für alle! Das wird Teilen des Publikums zurecht den Magen verdrehen – und andere naiv-ahnungslos ein Weltverständnis in den Kopf setzen, das es zu bekämpfen, statt zu bestätigen gilt.

Sonntag, 21. Juli 2019

Manchester by the Sea


Hausmeister Lee Chandler (Casey Affleck) ist ein wortkarger Eigenbrötler, der stur seinen Weg geht. Eines Tages erhält Lee einen Anruf von einem Bekannten: Lees Bruder Joe (Kyle Chandler) erlitt einen Herzinfarkt. Noch bevor Lee im Krankenhaus ankommt, stirbt Joe an den Folgen seiner Herzattacke. Kurz darauf erfährt Lee, dass ihm die Aufgabe in die Hände fällt, die Vormundschaft für seinen Neffen Patrick (Lucas Hedges) zu übernehmen.

Der 16-Jährige bemüht sich, im Angesicht der Tragödie Haltung zu bewahren, trotzdem lassen die ersten Zwists mit seinem Onkel nicht lange auf sich warten – selbst wenn Patrick Lee durchaus mag und eh mehr Zeit mit seinen zwei Freundinnen (Kara Hayward und Anna Baryshnikov) verbringt. Und dennoch: Es scheint so, als würde alles, zumindest den Umständen entsprechend, annehmbar laufen. Aber die Rückkehr in seine frühere Heimat, ein beschauliches Küstenstädtchen, nagt an Lees Nerven …

Zwischenzeitlich plante Hollywood-Star Matt Damon, mit Manchester by the Sea sein Regiedebüt zu feiern. Schlussendlich übernahm dann jedoch Drehbuchautor Kenneth Lonergan die Regiepflichten, der schon 2000 mit You Can Count On Me eine stille, herzzerreißende Familiengeschichte inszenierte. Wie schon diese zweifach für den Oscar nominierte Geschichte, besticht auch Manchester by the Sea insbesondere mit den authentisch-komplexen Gefühlswelten der zentralen Figuren, die Lonergan sehr beiläufig und effizient einfängt.

Lee hat dank der ersten Filmminuten schnell die Sympathien auf seiner Seite, obgleich er als schwierige Type gezeigt wird: Wie er augenrollend die seltsamen Forderungen und Fragen der Hausbewohner erduldet, hat bei aller Tristesse, die durch die grau-nassen Bilder und die plätschernde Erzählweise vermittelt wird, durchaus spröden Witz an sich. Genauso provoziert Afflecks stoische Einsamer-Wolf-Masche in ihrer eingangs unbeirrbaren Penetranz immer wieder aufmunternde Schmunzler.

Im Zusammenspiel zwischen Afflecks dauergeknicktem Lee und dem schwer pubertierenden Möchtegernweiberhelden Patrick, den Lucas Hedges mit facettenreicher Lebendigkeit darbietet, entsteht zusätzliche, unaufdringlich-trockene komödiantische Reibung. Diese dient in Lonergans atmosphärisch küstennebelsprödem Drama als das menschelnde Fundament einer einsichtsreichen, niemals effekthascherischen Charakterskizze: Lee lebt im ständigen Kampf mit seinen niederschmetternden Erinnerungen daran, was einst in seinem Heimatort geschehen ist. Da er sich zumindest oberflächlich in eine funktionale Apathie gerettet hat, bleiben emotionale Ausbrüche und forcierte Streitgespräche aus.

Stattdessen manövriert er sich mit dem beständigen Tuckern eines Kleinbootes durch den Wellengang seiner Gefühle – und Lonergans Film folgt seinem Protagonisten: Ruhiger Alltagswitz, kontrollierte Verzweiflung, streng hinterfragter Optimismus und viel, viel alternativlose Gleichgültigkeit. Dank Afflecks unangestrengtem, aber aussagekräftigem Spiel, kurzen Gänsehautauftritten von Michelle Williams als Lees Ex-Frau und der sich konsequent entfaltenden Erzählung, wie Lee und Patrick mit ihrer Lage umgehen, wird dies nie langweilig. Nur einige wenige der frühen Rückblenden hätte es nicht gebraucht, da sie bereits markant angedeutete Dinge bloß nochmal aufbringen.

Innerhalb von 138 Minuten macht Lonergan sein Publikum somit zu einem mehr und mehr Verständnis aufbringenden, daher immer emotionaler in diese Familienangelegenheit involvierten Betrachter. Am Ende dieser genau beobachteten, filigran erzählten Geschichte wird kaum wer auch nur einen Deut schlauer sein. Manchester by the Sea entwirft weder eine mondäne, noch eine intellektuell anspruchsvolle Geschichte. Was dieses Drama jedoch tut? Es bereichert sein Publikum um ein vielschichtige, glaubwürdig-offene sowie emotionale Erfahrung, die hängen bleibt.

Fazit: Großartige Performances und eine gemächliche, feingliedrige Erzählung: Manchester by the Sea ist ein Drama mit überraschender Humornote und Figuren, deren berührendes Schicksal lange nachhallt.

Dienstag, 18. Juni 2019

Die irre Heldentour des Billy Lynn


Ang Lees gesellschaftskritisches, dezent humoriges Drama Die irre Heldentour des Billy Lynn ist ein kurioser Fall. Im Laufe dieser Geschichte über eine fiktive Footballspiel-Halbzeitshow, in der ein frei erfundener Kriegsheld eines realen militärischen Konflikts zelebriert wird, heißt es, dass Hollywood damit liebäugle, die Heldentaten des wortkargen Soldaten verfilmen zu wollen. Jedoch müsse der in George W. Bushs Irakkrieg dienende junge Erwachsene schnell einen Deal abschließen. Denn das Publikum verfüge nur über ein kurzes Erinnerungsvermögen.

Es ist irgendwo zwischen Poesie und bitterer Ironie zu verordnen, wie sehr sich diese Aussage am Exempel von Die irre Heldentour des Billy Lynn bewahrheitet. Denn stückweise ist die Adaption eines Ben-Fountain-Romans durchaus bemerkenswert. So ist die Struktur des Films einprägsam: Life of Pi-Regisseur Ang Lee und Kameramann John Toll verfolgen in semidokumentarischen, gestochen scharfen Bildern den Titelhelden Billy Lynn auf Schritt und Tritt.

Es ist fast so, als sei man Lynns stummer Kompaniekamerad, der sich ihm unbemerkt an die Fersen heftet, um mitzuerleben, wie Lynn bei seiner Heimkehr von seiner Familie begrüßt wird und wie er gemeinsam mit dem Rest seiner Truppe ohne größere Vorwarnungen in die Halbzeitshow einer wichtigen Footballpartie eingebunden wird. Die nüchternen Beobachtungen, wie Passanten anno 2004 in den Vereinigten Staaten auf ihre Soldaten reagieren und wie sich die auf kurzem Heimurlaub befindlichen Jungs geben, werden durch Rückblenden auf Billy Lynns Zeit im Irak aufgebrochen.

So ergänzen sich Erinnerungen und deren Folgen, gegenwärtiges Handeln und die Taten, die zur jetzigen Situation führten, stimmig zu einem unaufgeregten, detailreichen Gesamtbild. Das von Jean-Christophe Castelli verfasste Drehbuch ist fein beobachtet, konsequenterweise sind die gesellschaftskritischen Aspekte des Films keine reine Plattitüden, sondern ausgewogen. Die irre Heldentour des Billy Lynn lässt keinen Zweifel am Unrecht des Irakkrieges und mahnt entsprechend vor Kriegspropaganda – und auch das Bild der ungestümen Alphamännchen in Uniform wird wiederholt gezeichnet. Gleichwohl zeigt Regisseur Ang Lee große Empathie für seinen Protagonisten und mehrere seiner Kameraden, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen zur Armee gemeldet haben – um kleine Fehltaten vergessen zu machen, um ihre Familie zu versorgen, um Leuten zu helfen, ohne vorher zu ahnen, wie sehr Andere diese Hilfe kaputt machen werden. Und Kriegsfilme? Naja, die spülen armen Soldaten, die der Staat gerne vergisst, sobald sie unpraktisch werden, wenigstens etwas Geld zu …

Eine grau-graue Weltsicht mit wenigen tiefschwarzen, schwer zu verurteilenden Randerscheinungen und ebenso wenigen, hell scheinenden Beispielen des tragischen, aber strahlenden Heroismus: Billy Lynns irre Heldentour eröffnet zwar keine neuen Erkenntnisse, macht sie aber dank der originellen Präsentation auf ungewöhnliche Form spürbar. Dabei hilft auch der lakonische Humor – etwa, wenn Lee süffisant die Doppelzüngigkeit vorzeigt, mit der die USA ihren Kriegshelden begegnen oder wenn der Regisseur mit jeder Menge Spektakel vorführt, wie absurd feierliche Events zu Ehren von Militärhelden sind. Obendrein bekommt Tron: Legacy-Hauptdarsteller Garrett Hedlund mehrere Schmunzler zugeschustert: Als Sgt. Dime übernimmt er auf augenzwinkernd-übertriebene Weise den Part des taffen, keinerlei Sentimentalität duldenden Vorgesetzten, der eine eher machohafte Sicht der Dinge hat – wenn er nicht gerade spitzbübisch Zivilisten verschaukelt. Gelegentlich lässt er auch seine einsichtsreiche und nachdenkliche Seite aufblitzen, womit er die rundeste Figur dieses Films ist.

Neben Hedlund fallen sonst vor allem Chris Tucker (humorvoll, aber längst nicht so grell wie in seinen früheren Rollen) und Kristen Stewart als Billy Lynns liberale, desillusionierte, fürsorgliche, etwas direkte Schwester auf. Joe Alwyn hingegen ist solide, aber (was auch dem Drehbuch zuzuschreiben ist) recht blutarm in der Hauptrolle. Was uns allmählich zu den Stolperschwellen dieser Heldentour führt – trotz all dieser Elemente ist Ang Lees Produktion insgesamt betrachtet keinesfalls denkwürdig. So, wie im Film beschrien, droht Billys Story zu einem Nichts zu verpuffen. Es bleibt einfach kaum etwas haften von diesen zwei Stunden in den Schuhen eines Irakkriegsveteranen. Die Rückblenden auf die Zeit im Irak? Blass, lasch, und durch den sich zwar bemühenden, aber fehlbesetzten Vin Diesel als hobbyphilosophischer Sergeant recht klischeehaft. Und auch die eigentliche Handlung lässt einfach Pepp vermissen, ein gewisses Etwas, das aus dem theoretischen Widerhaken der Story („Wird Billy Lynn beantragen, nicht in den Irak zurückkehren zu müssen?") eine spürbare Dringlichkeit macht.

Stattdessen experimentiert Lee halbseiden mit der Vermittlung seiner Filmbilder: Gelegentlich driftet Lee aus der semidokumentarischen Ästhetik ab, hin zum Erzählen aus direkter Egoperspektive. Wenn die Kamera das Kinopublikum jedoch wortwörtlich in Billy Lynns Position versetzt, bricht die Illusion zusammen: Sein Gegenüber ist stets zu nah, zu akkurat drapiert und mit zu hoher Zielstrebigkeit auf ihn fokussiert, als dass es sich nicht echt anfühlt. Es gleicht eher einer Egoshooter-Zwischensequenz – also dem Gegenteil dessen, was dem Tonfall dieser geknickten Heldentour zugutekäme. Obwohl Lee nur eine Handvoll solcher Einstellungen verwendet, zieht ihre Wirkung große Kreise: Diese so glaubhafte, bodenständige, unspektakuläre Erzählung mit ihren plausiblen Kommentaren zum Irakkrieg (und Militärhandlungen sowie -feiern generell) kommt letztlich falsch und gekünstelt daher, so dass sie eher fluffig, denn dramatisch wirkt.

Fazit: Gute Einzelaspekte machen nicht immer einen guten Film: Ang Lees Drama über den Umgang mit und die Gedankenwelt von Kriegsveteranen hat reizvolle Ansätze, verpufft aber ohne denkwürdigen roten Faden. Für Lee-Komplettisten und alle, die das Thema fasziniert, dennoch ein solider Film.

Montag, 10. Juni 2019

Verborgene Schönheit



Jeder Plot hat eine Daseinsberechtigung. Jede Geschichte ist erzählenswert. Sie muss nur in einem angemessenen Kontext erzählt werden. Und selbstredend kommt es auf die Umsetzung an. Struktur, Tonfall, handwerkliches Können und künstlerischer Einfallsreichtum – diese Elemente prägen eine Geschichte viel stärker als der rudimentäre Plot. Selbstredend steckt in manchen Plots ein größeres, stärkeres Potential. Eine aus sich heraus strahlende, sich nahezu sofort aufdrängende Herangehensweise, die frisch und fesselnd erscheint. Der Plot von Verborgene Schönheit ist haarsträubend – und kann daher als Saatkorn für einen fiesen, feinen Film herhalten, der eine ungewöhnliche Story erzählt. Per se lassen sich die folgenden Zeilen also irgendwo zwischen neutral und reizvoll einordnen:

Die Werbefachleute Whit Yardshaw (Edward Norton), Claire Wilson (Kate Winslet) und Simon Scott (Michael Peña) bangen um die Zukunft ihrer Firma: Ihr bester Freund und Vorgesetzter, Howard Inlet (Will Smith), ist seit dem Tod seiner Tochter vor wenigen Jahren depressiv, ja, nahezu katatonisch. Er weigert sich, zu reden, zu arbeiten oder mehr als das Nötigste zu essen. Um ihre finanzielle Zukunft abzusichern, wollen sie ein letztes großes Geschäft abschließen, bräuchten dafür jedoch eigentlich Howards Unterschrift. Da dieser aber weiterhin apathisch durch den Tag stapft, beschließen sie, die drei Laiendarsteller Amy (Keira Knightley), Raffi (Jacob Latimore) und Brigitte (Helen Mirren) anzuheuern. Sie sollen Howard gegenüber die Verkörperungen der Liebe, der Zeit und des Todes spielen und ihn so in den Wahnsinn treiben, damit er endlich als unzurechnungsfähig attestiert wird und Whit, Claire sowie Simon die Geschicke der Firma ohne ihn leiten können.

Daraus ließe sich nach der Schule des ersten Kill the Boss-Teils eine schwarze Komödie spinnen. Oder ein Thriller, der zu ähnlich großen Teilen aus der Sicht des Opfers und der Täter erzählt wird – eine Art Gaslicht oder Das Haus der Lady Alquist fürs Jetzt. Oder ein beklemmender Mystery-/Psychothriller aus der Sicht des Opfers – inklusive gemeinem Plottwist, der dessen beste Freunde als Strippenzieher enttarnt.

Stattdessen ist Verborgene Schönheit ein noch krasserer Fall narrativer, tonaler und inszenatorischer Fehlgriffe als die kurz zuvor veröffentlichte Sci-Fi-Liebesgeschichte Passengers, in der moralische Kurzschlussentscheidungen auf kitschigste, konventionellste Weise romantisiert werden. Allan Loebs Drehbuch platzt förmlich vor Glückskeksweisheiten und Kalendersprüchen, die Komponist Theodore Shapiro (Trumbo) mit durchaus wunderschönen, allerdings somit drastisch fehlleitenden Melodien untermalt. Knightley, Mirren und Latimore bieten diese Kitschphrasen in einem konsequent abgedroschenen Tonfall und mit weit aufgerissenen, staunenden Augen feil – und auch SPECTRE-Nebendarstellerin Naomie Harris muss als Trauerbegleiterin durchweg einen anbiedernd-belehrend-entzückten Singsang von sich geben.

Will Smith wiederum spielt sich in den ersten vier Fünfteln des Films die Seele aus dem Leib – und das so sehr, dass er die hauchdünne Schicht an ehrlicher Emotionalität in dieser cineastischen Geschmacklosigkeit zum Zerreißen bringt. Wenn er als Howard mit verquollenen Augen und steinerner Miene in einem Gefühlsmix aus Wut und Trauer Dominosteine aufbaut oder Fahrrad fährt, agiert Smith so aufgesetzt und gewollt, dass es förmlich von der Leinwand runterbrüllt: „GEBT MIR ENDLICH DEN VERDAMMTEN OSCAR! BITTE!!!!!!!!!!!!“ Im letzten Fünftel hingegen rutscht Smith schlagartig in den Kamillentee-und-Seelenbalsam-Tonfall seiner Kollegen ab – damit auch ja niemand aufgewühlt den Saal verlässt.

Kamerafrau Maryse Alberti (The Wrestler) kann mit ihren stimmig ausgeleuchteten Bildern leider nicht David Frankels Regieführung aushebeln. Der Regisseur solch deutlich gelungener Filme wie Marley & Ich und Der Teufel trägt Prada setzt den Stoff wie eine weihnachtliche, pseudophilosophische Spezialfolge einer 80er- oder 90er-Jahre-Sitcom um – inklusive mit im Kino versackenden Lachpausen, wann immer eine der Figuren einen schlagfertigen Spruch von sich gibt. Doch abgesehen von wenigen perfekt getimten, staubtrockenen Kommentaren Helen Mirrens oder der dauerverzweifelt agierenden Keira Knightley gibt es in Verborgene Schönheit nichts zum Lachen:

Die Dialoge und der generelle Tonfall sind zu verkitscht-zuckrig, um den potentiell schwarzhumorigen Kern würdigen zu können. Im Gegenzug sind die Absichten von Howards Freunden zu abgebrüht, als dass sich dieser Story irgendetwas Inspirierendes abgewinnen ließe. Verborgene Schönheit ist der noch hässlichere, noch stärker missratene und moralisch fragwürdigere junge Bruder des ebenfalls schon überaus kritischen Will-Smith-Pathosdramas Sieben Leben.

Fazit: Eine Story, die in diversen Genres funktionieren könnte, doch niemals als inspirierend-philosophische Dramödie, wird mit nichtigen Alltagsweisheiten bespickt als ungeheuerlich bemühte, inspirierend-philosophische Dramödie ins Kino entlassen. Um die hier verborgene Schönheit zu finden, braucht es ein Hochleistungsmikroskop.