Samstag, 28. November 2015

Die Coopers – Schlimmer geht immer


Realfilmkomödien für die ganze Familie gehörten bei Walt Disney Pictures viele Jahre lang zum Standardrepertoire. In den Achtzigern und Neunzigern etwa veröffentlichte das Studio regelmäßig solche vergnüglichen Produktionen wie Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft, Mighty Ducks oder Mr. Präsident Junior – alles niedrig budgetierte Unterfangen, die auf Video und im Fernsehen dennoch ein langes Leben genossen. Von derartigen Projekten hat sich Disney jedoch mittlerweile weitestgehend distanziert: Die meisten Disney-Kinofilme sind aufwändige Materialschlachten von höchst unterschiedlicher Qualität, wie etwa Maleficent – Die dunkle Fee an einem Ende des Spektrums oder Fluch der Karibik am anderen Ende. Nur gelegentlich mischen sich solche Dramen wie Saving Mr. Banks oder verschrobene Nischenideen wie Into the Woods dazwischen.

Wann immer Disney entgegen der gegenwärtigen Konzernpolitik sehr wohl eine kleine familienorientierte Komödie anpackt, gebührt ihr schon allein wegen ihrer Außenseiterposition innerhalb des Studio-Outputs Aufmerksamkeit. Was hat Die Coopers – Schlimmer geht immer an sich, dass dieser Film zwischen Effektspektakeln und pompösen Märchen ebenfalls grünes Licht erhielt? Die Antwort liegt wohl eher in der Produktionsgeschichte verortet, denn im eigentlichen Material dieser Komödie:

2011 war es noch Konkurrent 20th Century Fox, der das in den USA sehr populäre Kinderbuch Alexander und der abscheuliche, grässliche, mistige, eklige Tag adaptieren wollte. Das Studio erwarb daher einen Entwurf des Autoren Rob Lieber, den unter anderem Fox-Dauerkollaborateur Shawn Levy als Produzent zu unterstützen gewillt war. Lisa Cholodenko, Regisseurin des Indie-Familiendramas The Kids Are All Right, wurde unter Vertrag genommen, um das Projekt zu inszenieren, außerdem sollte sie am Drehbuch mitwirken. Alsbald konnten die Produzenten Steve Carell gewinnen, um eine der Erwachsenenrollen zu übernehmen. Im September 2012 ließ Fox das Projekt aber fallen, da die Studiobosse das Budget als zu hoch für einen primär an Kinder gerichteten Film befanden. Kurze Zeit später setzte sich Disney ins gemachte Nest – nicht aber, ohne Einfluss auf die Ausrichtung von Die Coopers – Schlimmer geht immer zu nehmen. Disney und Cholodenko gingen aufgrund Differenzen über den zu wählenden Ansatz getrennte Wege, Rob Lieber fielen wieder die alleinigen Autorenpflichten zu und Indie-Regisseur Miguel Arteta wurde mit der Inszenierung und dem restlichen Casting betraut.

Für Disney war Die Coopers – Schlimmer geht immer etwas, das sich als „Rubbellosinvestition“ bezeichnen lässt: Geringe Kosten (ein Budget von 28 Mio. Dollar ist für Disney ein Klacks), geringe Risiken, geringe Mühen (ein Skriptentwurf und ein namhafter Darsteller waren ja bereits vorhanden). Entweder trifft der Film einen Nerv beim Publikum oder nicht. Dann wird er halt in Fernsehdauerrotation gesteckt, bis sich die Investition irgendwann bezahlt gemacht hat.

Die gute Nachricht fürs Familienpublikum: Die hinter den Disney-Kulissen präsente Beiläufigkeit, mit der Die Coopers – Schlimmer geht immer umgesetzt wurde, ist im Film selbst nicht zu spüren. Immerhin blieb Autor Rob Lieber, der diese Kinderbuchadaption erst ins Rollen brachte, bis zum Schluss mit an Bord. Und auch das vollständige Ensemble wirkt so, als wäre es mit großem Vergnügen bei der Sache. Die schlechte Nachricht: Trotzdem ist Die Coopers – Schlimmer geht immer längst kein moderner Disney-Komödienklassiker geworden – dafür versagen einfach zu viele Gags dieser zwar gutmütigen, jedoch zu laschen Erzählung.

Vielleicht liegt es daran, dass das sehr kurze Kinderbuch hier mit aller Macht auf abendfüllende Laufzeit aufgeblasen wird, obwohl sich die Idee nicht sonderlich dazu eignet: Der elfjährige Alexander Cooper (Ed Oxenbould) ist ein Pechvogel wie er im Buche steht, was seine Familie aber nicht kümmert. Also wünscht er sich zu seinem Geburtstag, dass der Rest des Coopers-Clan endlich einmal Verständnis für seine Klagen hat. Und wie durch ein Wunder läuft am Geburtstag des australienversessenen Buben für sein familiäres Umfeld alles schief, was nur schief laufen kann. Seine als Autorin arbeitende Mutter Kelly (Jennifer Garner) verschläft, obwohl ein wichtiger Termin ansteht. Papa Ben (Steve Carell) findet keinen Babysitter für den noch in den Windeln liegenden Trevor, was ihn in Bedrängnis bringt, da ein Bewerbungsgespräch ansteht. Alexanders älterer Bruder Anthony (Dylan Minnette) bricht unwissentlich eine Streit mit seiner Freundin Celia (Bella Thorne) vom Zaun und Schwester Emily (Kerris Dorsey) ist ausgerechnet am Tag der Premiere ihres Schultheaterstücks übel erkrankt …

Der Kinofilm deckt somit wesentlich mehr Missgeschicke ab als das 32-seitige Kinderbuch. Dessen ungeachtet hat dieser Kinofilm gerade einmal so viel Plot zu bieten wie eine durchschnittliche Folge einer Familiensitcom. Gähnende Langeweile kommt zwar nicht auf, weil die Darsteller zu energisch sind und das Drehbuch die Pechsträhne der Coopers bis zum Äußersten ausquetscht, statt schlicht minutenlang nur noch auf der Stelle zu treten. Trotzdem ist der Komödie ihre schmale Handlungsdichte anzumerken: Kinoformat hat die Story nicht, und dass die 'Sh*t happens'-Moral explizit in aller Breite ausgewälzt wird, schmälert die Leinwandtauglichkeit des Skripts ungemein. Es gibt unzählige Disney-Filme, die es den jüngsten Publikumsmitgliedern zutrauen, die Essenz des Geschehens ohne schalen Monolog zu verstehen – dass gerade so eine simple Story wie diese anders vorgeht, sorgt bedauerlicherweise für einige üble Durchhänger. Ältere Kinogänger könnten diese Momente als lästig empfinden, während die Jüngeren einen unnötigen Tempoverlust auszuhalten haben.

Ähnliches gilt für die diversen Gags, die ins Leere laufen. So blickt ein auf der Rückbank sitzender Alexander in den ersten Filmminuten entnervt durch die Gegend, während seine Schwester und seine Mutter vorne im Auto mit dem Radio mitsingen. Sie singen nicht schief, sie singen keinen besonders peinlichen Song, sie blamieren sich auch nicht vor anderen Personen. Dennoch lässt Regisseur Miguel Arteta diesen Moment ruhen, als wäre er der totale Brüller. Später bekommt Alexander von seinem Lehrer ein Meerschweinchen in die Hand gedrückt, das er übers Wochenende pflegen soll – woraufhin nichts aus dieser zusätzlichen Last, die Alexander stören könnte, gemacht wird. Solche Nullnummern wiederholen sich. Zwar nicht in hoher Frequenz, auffällig sind sie dennoch.

Allerdings hat Die Coopers – Schlimmer geht immer seinem Kinderpublikum, ewig Junggebliebenen und geneigten Eltern genügend pfiffige Dialogpassagen und kurzweilige Situationskomik zu bieten, um gelegentlich zu amüsieren. Ganz vorne dabei sind Kerris Dorseys spritzige Eskapaden als Schauspielanfängerin Kelly, die von einer Erkältung in Mitleidenschaft gezogen wurde und bald darauf dank Hustensaft-Überdosis am Rad dreht. Die vereinzelten Slapstickeinlagen wissen derweil insbesondere Carell und Dylan Minnette gut zu meistern, Alexanders Plotfaden derweil kommt immer dann inspiriert daher, wenn Autor Rob Lieber behutsame Seitenhiebe auf die Macken heutiger Schulkinder ins Skript einstreut.


Diese und weitere lichten Momente, zu denen unter anderem der knappe Auftritt von Community-Fanliebling Donald Glover zählt, reichen zwar nicht aus, um Die Coopers – Schlimmer geht immer zu einem der besseren Disney-Miniprojekte zu küren. Aber sie bewahren die Komödie locker davor, eine weitere tumbe, charakterlose Fließband-Kinderproduktionen zu werden. Der erfreulichste Aspekt an dieser losen Buchadaption ist trotzdem auf der Businessseite anzutreffen: Das Coopers-Rubbellos machte sich für Disney wahrlich bezahlt. Insgesamt spielte die Komödie über 100 Millionen Dollar an den Kinokassen ein – und dürfte somit garantieren, dass der so sehr auf Blockbuster fixierte Disney-Konzern die Verwirklichung charismatischer, kleiner Filme in naher Zukunft nicht völlig aufgeben wird. Schöne Sache.

Freitag, 27. November 2015

Best Exotic Marigold Hotel 2


In unserer von Anglizismen und schmeichelnden Umbenennungen geprägten Sprachwelt ist nunmehr Vorsicht geboten, wann immer man verführt ist, eine Filmproduktion einfach nur als ideales Seniorenkino zu bezeichnen. Daher sei John Maddens Überraschungshit Best Exotic Marigold Hotel aus dem Jahr 2012 an dieser Stelle lieber als Best-Ager-Dramödie etikettiert – so mühselig diese Wortschöpfung auch sein mag, womöglich ist dem Werk damit tatsächlich das größere Recht getan. Denn der filmische Indien-Abstecher mit ergrauter Starbesetzung mag mit seiner altmodischen Erlesenheit und seinem hohen Maß an Identifikationsmöglichkeiten für Kinobesuchen höheren Semesters zwar auf Senioren zugeschnitten sein, keineswegs aber ist er exklusiv an sie gerichtet.

Ähnliches gilt nun für den zweiten Teil der Bestsellerverfilmung, die auch zum Kassenschlager wurde: Part eins generierte allein auf der Leinwand mehr als das 13-fache seines Budgets, weswegen der Verleih Fox Searchlight Pictures nicht lang zauderte, um bei Drehbuchautor Ol Parker das Konzept für eine in diesem Genre so rare Fortsetzung in Auftrag zu geben. Der US-Originaltitel des 10 Millionen Dollar teuren Films sagt im Grunde genommen alles aus, was es über dieses Projekt zu wissen gibt: The Second Best Exotic Marigold Hotel kann es – unter anderem allein schon mangels Originalität – nicht mit dem Vorläufer aufnehmen. Aber die neuen Geschichten der nach Indien geflohenen 'Best Ager' sind wenigstens ähnlich geraten, wie der auf die geminderte Qualität hinweisende Original-Filmtitel: Charmant, wenn auch arm an Überraschungen und Knallergags.

Nicht nur Ol Parker ist erneut mit von der Partie, sondern auch Regisseur John Madden und ein Großteil des ursprünglichen Ensembles. Dieses bekommt in Best Exotic Marigold Hotel 2 (wie die Komödie hierzulande heißt) allerhand zu tun – und schlussendlich irgendwie doch nichts. Denn auf der Suche nach neuen Handlungsbögen hat sich Parker, dieses Mal ohne Romanvorlage, für den silbergrauen Cast zahlreiche kleine Geschichtchen ausgedacht. Diese sind alleinstehend ganz nett anzuschauen, greifen aber nur selten sehenswert ineinander über – und noch seltener erreichen sie auch nur ansatzweise die Tragweite des Originalfilms: Die scharfzüngige Muriel (Maggie Smith) etwa versucht in ihrer neuen Manager-Position dem für ihr geliebtes Hotel zuständigen Sonny (Dev Patel) zu helfen, eine zweite Gaststätte in Indien zu gründen. Diese Hilfe hat er aufgrund der stressigen Vorbereitungen seiner nahenden Hochzeit auch dringend nötig. Evelyn (Judi Dench) derweil erhält ein verführerisches Jobangebot, während Douglas (Bill Nighy) damit kämpft, ihr endlich seine Liebe zu gestehen.

Madge (Celia Imrie) ist unterdessen auf der Suche nach der großen Liebe. Norman und Carol (Ronald Pickup und Diana Hardcastle) hingegen versuchen sich an Romanzen außerhalb ihres gemeinsamen Liebeslebens, bekommen es aber auch mit einem mutmaßlichen Auftragskiller zu tun (was harmloser ist als es klingt!). Und dann wären da die zwei neusten Gäste des Best Exotic Marigold Hotels: Guy Chambers (Richard Gere) und Lavinia Beach (Tamsin Greig), denen Sonny nicht die gleiche Behandlung zukommen lässt – was Irrungen und Wirrungen mit sich bringt …

Obschon Best Exotic Marigold Hotel 2 Themen wie den nahenden Tod oder auch die Suche nach einem neuen Lebenssinn im Rentenalter anschneidet, wächst die neuste Arbeit des Shakespeare in Love-Regisseurs zu keinem Zeitpunkt über den tonalen Status einer XL-Kinositcom hinaus: John Madden lässt sein illustres Figurenensemble durch eine Vielzahl kleiner Missverständnisse und verbal ausgetragener Kabbeleien stapfen, während die inhaltlichen Entwicklungen nur zweitrangig sind. Oder sogar drittrangig, denn Konsequenz wird in Indien dieses Mal klein geschrieben: Manche Kinobesucher könnte es stören, dass die neuen Geschichten der Hoteldauergäste zu weiten Teilen denen aus dem ersten Film widersprechen. Ging es im Erstling darum, in Indien endlich Ruhe zu finden, ist in der Fortsetzung für die Figuren wieder fit sein angesagt. Da die Darsteller ihren Rollen jedoch mühelos und unaufdringlich eine „Wer rastet, der rostet!“-Mentalität zur Hand geben, lässt sich die seit Teil eins verdrehte Zielsetzung der Figuren jedoch durchaus verzeihen.

Überhaupt hängt der Sehgenuss bei dieser gut zwei Stunden langen Komödie, mehr noch als in Best Exotic Marigold Hotel, vom Gutwillen des Zuschauers für die vor der Kamera versammelten Mimen ab. Da die Storys trivialer sind und Ol Parkers Skript einige dramaturgische Durchhänger aufweist (welche hauptsächlich Schuld der zahllosen halbherzig angerissenen Subplots sind), ist der Charme dieses Films sein bedeutsamster Trumpf. Und dieser wird zwar teilweise durch die einladende, exotische Kulisse generiert, doch auch diese wäre ohne die vor ihr auftretenden Akteure null und nichtig. Die wertvollsten Ensemblemitglieder sind dabei die kühne Judi Dench, der herrlich verschroben-schüchterne Bill Nighy und der Charmebolzen Richard Gere, wobei Maggie Smiths ehrlich-dreiste Schnauze ebenfalls für einige der besten Momente von Best Exotic Marigold Hotel 2 verantwortlich ist.

Die witzigen, liebenswerten oder einfach nur kurzweiligen Passagen gehen wohlgemerkt in der Fülle an beiläufigen oder gar absolut belanglosen Momenten unter – was zusammen mit der unrhythmischen Erzählweise (auch bedingt durch John Maddens laschen Schnitt) diesen cineastischen Indienurlaub zuweilen zäh dastehen lässt. Gewiss wäre es den Freunden des ersten Teils sauer aufgestoßen, hätten die Filmemacher nicht sämtlichen wiederkehrenden Figuren ein gutes Maß Leinwandzeit eingeräumt. Jedoch wirken so viele der Plotfäden wie Füller, dass es zu Gunsten der Höhepunkte dieses Films erstrebenswert gewesen wäre, den sekundären Hotelbewohnern vielleicht eine gemeinsame Handlung zu geben, statt alle auf jeweils ein eigenes Abenteuerlein zu schicken. Somit hätte Best Exotic Marigold Hotel 2 nach seinem großen, Urlaubslust weckenden Finale auch schneller und somit prägnanter ein Ende gefunden.

Da im Mittelteil einige der Lacher flach fallen und die Storys rund um Dev Patels freundlichen Hotelmanager dank klischeehaft geschriebener Dialoge recht lieblos wirken, lohnt es sich nur für überzeugte Anhänger des ersten Teils, auch in das zweitbeste Exotic Marigold Hotel einzuchecken. Wer aber über die schlaffe Dramaturgie hinwegsehen kann und sich schlicht nach zwei weiteren Leinwandstunden mit den launigen Senioren sehnt, bekommt dank des gut aufgelegten Ensembles und der pittoresken Bilder ein streckenweise sympathisch-entspanntes Filmovergnügen geboten.

Fazit: Wer nach dem ersten Film nicht genug hat, bekommt mit Best Exotic Marigold Hotel 2 eine banalere, aber weiterhin sehr charmante Fortsetzung geliefert. Viel zu lang, etwas unkonzentriert, doch Fans der gut aufgelegten Ensemble-Mitglieder werden trotzdem nicht bereuen, zugegriffen zu haben.

Elser – Er hätte die Welt verändert


Wohl kaum eine Epoche wurde durch Historienfilme dermaßen abgegrast wie das finstere Kapitel, das sich von 1939 bis 1945 erstreckte. Spätestens seit Quentin Tarantinos Meisterwerk Inglourious Basterds dürfte über den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust und über Hitler endgültig alles gesagt sein, was es kinematografisch zu sagen gab. Dieser bärenstarke Geniestreich knallte mit voller Wucht und diebischem Genuss eben dieser cineastischen Sparte einen abgegriffenen Baseballschleger vor den Latz. Er zerlegte das mit zeitlichem Abstand geschaffene, sich überschätzende Betroffenheitskino zu Kleinholz. In seiner inspirierten Zerstörungswut erwies sich Inglourious Basterds aber obendrein als distinguiert, intellektuell und kultiviert. Mit einem finalen Grinsen sagte diese wilde Mischung aus sündiger Unterhaltung und Arthaus-Qualitäten: Schluss, das war's, bitte gehen Sie weiter, der NS-Historienfilm ist bloß noch eine Ruine!

Und dennoch: Die Vorstellung, dass Filmemacher weltweit die NS-Zeit nach Tarantinos fulminantem Weltkriegs-Spaghettiwestern-Exploitation-Drama tatsächlich als verbrannte Erde ansehen, blieb eine utopische. Weder verfiel die Kinowelt unmittelbar nach Veröffentlichung der Geschichtsmär in eine Schockstarre, noch ist in Jahr sechs nach Inglourious Basterds eine Flaute zu vermelden. Obwohl diese neuen Historienfilme über die NS-Jahre ein bloßes Addendum darstellen, bedeutet es aber nicht, dass sie alle vergessenswert sind.

Ausgerechnet Oliver Hirschbiegel, Regisseur des äußerst theatralen und streckenweise ungewollt komischen Führerbunkerdramas Der Untergang, hat die Zeichen der cineastischen Zeit erkannt. Weil Filmschaffende nunmehr alles erdenkliche über Hitler gesagt haben, darf in Elser – Er hätte die Welt verändert der Führer selbst nicht mehr zu Wort kommen: Der Diktator, der in Hirschbiegels kontrovers besprochenem Kassenerfolg noch fasziniert in aller Bandbreite beleuchtet wurde, hat hier lediglich einen knapp bemessenen Auftritt. Während seiner wenigen Leinwandsekunden ist er vollkommen unverständlich – sein Mikrofon hallt, übersteuert, unterstreicht doppelt und dreifach seine grausige Artikulation. Adolf Hitler wird wieder zur Zerrgestalt degradiert – und mehr von ihm bräuchte dieser Film auch nicht.

Hirschbiegel nutzt seine sich erst nach dem Abgang des filmisch mundtoten Hitlers entfaltende Erzählung vielmehr, um sogleich auf mehrerer Ebene Korrektur folgen zu lassen. So rücken er und die Drehbuchautoren Léonie-Claire & Fred Breinersdorfer beruhend auf jüngeren geschichtsschreiberischen Erkenntnissen das öffentliche Bild der historischen Persönlichkeit Georg Elser gerade. Elser ist in der Bundesrepublik nahezu unbekannt, und viele, die sehr wohl von ihm wissen, erachten ihn aufgrund seiner bisherigen Darstellung oftmals als eigenbrötlerischen, etwas tumben Trotzkopf. Elser – Er hätte die Welt verändert zeichnet ein ganz anderes Bild des schwäbischen Schreiners, der am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller eine selbstgebaute Bombenkonstruktion versteckte, um die gesamte NS-Führungsriege auszulöschen.

Bekanntlich ging der Plan schief: Hitler verließ das Gebäude 13 Minuten früher als von Elser erwartet und entkam so der Detonation. Elser indes wurde während seiner Flucht in die Schweiz gefasst und daraufhin von den Schergen des Regimes nach Berlin gebracht. Obwohl er seine Tat gestand, verhören ihn die Nazis weiter, folterten ihn, weil sich sein Geständnis, als Einzeltäter gehandelt zu haben, nicht in ihr Weltbild fügte …

Während der Leinwand-Elser die höllischen Foltermethoden des Reichskriminalamts und der Gestapo über sich ergehen lässt, zeigen Rückblenden, wie es so weit kommen konnte, dass ein einzelner Mann, noch dazu einer mit friedfertigem Gemüt, das erste bedeutende Attentat auf Hitler versuchte. Das gern genutzte narrative Mittel der in eine Verhörsituation eingestreuten Rückblenden ist sogleich die einzige Schwäche dieses Dramas von nennenswerter Größe: Dadurch, dass Elser – Er hätte die Welt verändert nicht auf einen durchgängigen, chronologischen Erzählstrang setzt, sondern zwei Handlungsfäden spinnt, rauben die Autoren ihrer Erzählung Potential. Die Spannungsentwicklung wird aufgrund der Unterbrechungen durch die jeweils andere Zeitebene (Elsers Gefangenschaft einerseits, andererseits die Entwicklung, die ihn zum Bau der Bombe trieb) mehrmals zurückgehalten, wodurch dem Publikum auch vermehrt Möglichkeit zur emotionalen Distanzierung gegeben wird. Diese Ruheinseln sind angesichts des Gezeigten zwar eher klein, trotzdem würde sich die Wirkungsintensität dieser Kinorpoduktion bei einer chronologischen Erzählweise wohl um ein Vielfaches erhöhen, ohne dass ihr dadurch der Anspruch abhanden käme.

Trotz der leicht missglückten Erzähldynamik weiß Hirschbiegel, eine hochgradige Beklommenheit zu erzeugen – gerade weil sich der Regisseur von den großen Gesten und dem Duktus seines Oscar-nominierten Bunkerspiels distanziert. In aller demütigen Sorgfalt erschafft Hischbiegel ein unterschwellig verstörendes Bild einer Gesellschaft voller Mitläufer. In der ersten Rückblende scheint kurz alles eitel Sonnenschein zu sein, Elser fühlt sich als Teil eines durchaus zahlreich vertretenen Menschenschlags, der das Leben in sämtlichen Facetten genießt – und entsprechend tolerant, gesellig und friedlich geraten ist. Aber nach und nach schleicht das braune Verderben in die Köpfe der Gesellschaft. Zunächst sind es nur Stammtischparolen und neckische Auseinandersetzungen zwischen politisch rechten Bürgern und ihren eher links orientierten Zeitgenossen. Aber von Szene zu Szene wird aus einer störenden Minderheit die bedrohliche Mehrheit, bis schlussendlich auf einem Erntedankfest alles mit Hakenkreuzen übersät ist, ein ganzes Dorf ob dieser Symbole erfreut grinst und dankbar die Lügen der Nazis schluckt.

Dass da schäbiges Filmmaterial einer Sportveranstaltung als von Hitler gebrachter technischer Fortschritt umjubelt wird, obwohl in den Straßen deutscher Städte noch einige Monate zuvor über aufwändige Abenteuerfilme diskutiert wurde, ist noch mit Abstand das geringste Merkmal blinden Führungsgehorsams. Amüsiert feixt Elsers Umfeld, wenn Mitmenschen gedemütigt werden, sollten sie nicht der NS-Idelogie entsprechend handeln. Fröhlich haften sich – nahezu – alle an die Fersen des abscheulichen Demagogen. Um diesen Verfall aufzuzeigen, streut Hirschbiegel in einige Rückblenden mit verständlich romantisiertem Beiklang Elemente des Heimatfilms ein, um diese dann gewaltvoll zu ersticken. So illustriert der Regisseur, wie die Nationalsozialisten nachhaltig die deutsche Vorstellung von Heimat verschmutzten.

Selbst in den Verhörszenen, welche strukturell klar vom Erzählfaden über die Nazifizierung der Gesellschaft abgegrenzt sind, findet sich das Thema des Mitläufertums und Wegschauens wieder. Denn noch drastischer als die schonungslos gefilmten Folterungen Elsers stellt Hirschbiegel die Routine dar, die sich bei den Tätern und Mitwissern breit machte. Wie selbstverständlich verlässt die Protokollantin den Raum, ehe die Gestapo ihre Werkzeuge auspackt, woraufhin die junge Frau direkt vor der Tür sitzend ein Buch liest. Hirschbiegel zeigt die empathielos ihre Arbeitspause ausnutzende Dame in einer quälend langen Einstellung, während überdeutlich das brutale Schauspiel aus dem Verhörzimmer schallt. Abgesehen von Elser, der in den Rückblenden die ideologische Wandlung seiner geliebten Heimat nicht weiter aushält, treibt es sonst nur Reichskriminaldirektor Arthur Nebe irgendwann zu einem unerwarteten Gefühlsausbruch: Ihm reißt ob Elsers bestechenden Weisheiten der Geduldsfaden, und dank Burghart Klaußners packendem Spiel sieht man als Zuschauer, wie sich der zuvor so moderate Nebe an einem gewissen Punkt nur noch in gallende Wut flüchtet.

So wenig schmeichelhaft Elser – Er hätte die Welt verändert ist, so aktuell ist er. Die Verhörmethoden, die gezeigt werden, sind mancherorts noch immer alltäglich und eine bedauerliche Tendenz zum sturen Mitläuferdasein ist in unserer Gesellschaft weiterhin zu beobachten. Insbesondere in Zeiten komplexer, dennoch dringender Probleme. Dass Hirschbiegel und Kamerafrau Judith Kaufmann die detailgenauen Kostüme und Schauplätze ihres Films eben nicht in ein genretypisch schattiges Licht setzen, sondern ihr Werk wie eine kontemporäre Geschichte ausleuchten, verstärkt die Unmittelbarkeit der mitschwingenden Aussagen.

Vor allem aber ist es Hauptdarsteller Christian Friedel (Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte), auf dessen Schultern das qualitative Gelingen dieser Produktion ruht. Mit sympathischer Leichtigkeit gibt er einen sanften Lebemann, der Frauen um den Finger wickelt, sich vornehmlich um das Hier und Jetzt kümmert, dann aber zur schleichenden Erkenntnis kommt, dass ein Einschreiten dringend vonnöten ist. Das mehrdimensionale Zusammenspiel Friedels mit Katharina Schüttler in der Rolle von Elsers, durch ihren abscheulichen Mann gebeutelten, Geliebten sorgt obendrein für zusätzliche Identifkationsmöglichkeiten. Ebenso beugt es jedoch einer verklärten Heroisierung Elser vor – und vermeidet somit einen weiteren Fehler, der in NS-Geschichtsdramen häufig anzutreffen ist. Friedels spitzbübische Figur ist ein liebevoller, wenngleich kurzsichtiger Taugenichts. Allerdings hatte er genug Haltung, sich gegen das zu sträuben, was sich direkt vor seiner Nase abspielte, während Millionen anderer Bürger die Augen verschlossen haben.

Quentin Tarantinos Inglourious Basterds mag die Idee, man könne durch eine unendliche Flut an NS-Geschichtsfilmen weiterhin neue Lektionen von Belang lernen, in Schutt und Asche gelegt haben. Solange aber das cineastische Postskriptum zu diesem Themenkomplex aus Filmen wie Elser – Er hätte die Welt verändert besteht, gibt es kaum etwas zu beklagen, wenn sich Regisseure in die Ruinen dieses unter seiner eigenen Last zusammengebrochenen Genres trauen. Vor allem, wenn sie wie Hirschbiegel etwas wieder gut zu machen haben. Elser ist die Antithese zu seinem eigenen Kassenschlager Der Untergang – und darum ein sehenswertes "Post Skriptum".

Fazit: Intensiv, beklemmend und verdammt gut gespielt: Elser – Er hätte die Welt verändert ergänzt die ungeheuerlich lange Reihe an Nazidramen trotz Mängeln in der Erzählstruktur um einen aktuellen, klugen und tonal ausgewogenen Film.

Donnerstag, 26. November 2015

A Most Violent Year


New York City. The Big Apple. Eine Metropole mit Charakter, mit einer unzählige Menschen inspirierenden Ausstrahlung – und mit einer Historie, die von mehreren Rückschlägen geprägt ist. Einen dieser Tiefpunkte stellen die frühen 80er-Jahre dar. Im Fahrwasser der Ölkrise, um sich greifender Korruption und herber Budgetkürzungen des kommunalen Apparates verlor New York City vorübergehend seinen Glanz, seine Identität, seine Ordnung. Aus der beliebten, lebendigen Großstadt wurde ein stinkender, kaum regulierter Moloch schlecht kontrollierter Aggressionen. Die Kriminalitätsrate erlebte zu dieser Zeit einen gewaltigen Anstieg, wobei der vorläufige Höhepunkt 1981 erreicht wurde. Vor diesem Hintergrund erzählt Autorenfilmer J. C. Chandor (Der große Crash – Margin Call, All is Lost) in A Most Violent Year die fiktive, aber höchst plausible, Geschichte eines geschäftigen Immigranten, der sich inmitten dieser moralischen Korruption den amerikanischen Traum erfüllen will.

Abel Morales (Oscar Isaac) arbeitet seit Jahren verbissen daran, eine große Nummer im Heizölgeschäft zu werden. Auf dem Weg nach ganz oben in diesem hart umkämpften Geschäft entsagt er vehement der steten Versuchung, es seinen übel tricksenden Kollegen gleichzutun. Er mag vielleicht die Steuern minimal frisiert haben, ansonsten rühmt sich Abel damit, ein guter, ehrlicher Geschäftsmann zu sein – daher pflegen er und seine Frau Anna (Jessica Chastain) auch keinerlei Verbindungen zum früheren Besitzer der Firma: Annas Vater, einem berüchtigten Gangsterboss. Abel duldet in seiner Nähe nicht einmal Schusswaffen – weder im eigenen Haus, noch dürfen seine Fahrer welche bei sich tragen. Dabei werden diese neuerdings vermehrt zu Opfern bewaffneter Überfälle, weshalb sie Abel unter Druck setzen, mehr für ihre Sicherheit zu tun. Abel plagen aber viel größere Probleme: Um sein Unternehmen zu vergrößern, möchte er ein weitläufiges Industriegelände erwerben, benötigt zum Abschluss des Kaufs aber noch einen Betrag in Millionenhöhe. Und ob ihm die Banken ein Darlehen genehmigen, wird mit einem Schlag fraglich, als ein ehrgeiziger Staatsanwalt (David Oyelowo) ankündigt, den Ölfirmen strengstens auf die Finger zu schauen – insbesondere Abels Buchhaltung interessiert ihn …

Drei ereignisreiche, von Rückschlägen und Bedrohungen durchsetzte Tage im Leben eines unbiegsamen, selbstgerecht auftretenden Unternehmers. Erzählt in rund zwei Filmstunden. Zwei Stunden, die in aller Breite das Gefühl transportieren, wie sich die Schlinge langsam zuzieht. Innerhalb der Geschichte wie außerhalb. Werkimmanent ist es die Schlinge aus Betrug, Verrat und Tücke, die sich um Abels Hals zieht. Außerhalb dieses Milieu-Thrillerdramas ist es die Schlinge einer langsam die Nerven zerreibenden Anspannung, die von Szene zu Szene immer schroffer wird. Sie ruht immer belastender auf dem Nacken des aufmerksamen Betrachters und transportiert unmissverständlich: Es gibt keinen einfachen Ausweg. Und wir, die Zuschauer, können uns diese kriminalistische Kalamität bloß hilflos mitansehen.

Auf abstrakte Weise teilt sich Chandors dritte Leinwandarbeit daher wenige, doch entscheidende, Züge mit Paul Thomas Andersons gefeiertem Historiendrama There Will Be Blood. Auch diese zweifach Oscar-gekrönte Tour de Force handelt von einem verbissenen Ölunternehmer und generiert ein Gros seiner Spannung aus der zwar unterschwelligen, aber kontinuierlich gellender werdenden, Drohung einer gewaltsamen Eskalation. Der von Daniel Day-Lewis verkörperte Schürfer Daniel Plainview allerdings ist bereits zu Beginn seines Films ein misanthropischer Eigenbrötler, der frei von Skrupeln seinem Tagwerk nachgeht. Abel dagegen vertritt eine gänzlich andere Weltsicht als Plainview oder die zahllosen Protagonisten einschlägiger Gangster-Filme – und bietet dem interessierten Publikum, das weder auf eine abgründige Hauptfigur wartet noch auf literweise Blutvergießen, somit einen für dieses Genre unerwarteten Zugang zur sich allmählich entfaltenden Handlung.

Wimmelt es in Geschichten über den Sirenengesang von Korruption und Gewalt üblicherweise vor manischen Gestalten, sind die Charaktere in A Most Violent Year allesamt geerdet – allen voran der ins Trudeln geratene, stoische Held dieses Stücks. Oscar Isaac spielt Abel nahezu mit steinerner Miene – aber eben nur 'nahezu'. Denn die Gesteinsschicht erodiert, lässt eine vielschichtige Zusammenwirkung zahlloser Faktoren erahnen. Abel kann ängstlich und zugleich völlig von seiner Ehrlichkeit begeistert sein, frustriert und zukunftsgewiss, in Gedanken an seine von Chandor nur angerissenen Vergangenheit verloren und um seinen jetzigen Anschein besorgt. Isaacs Darbietung besticht durchgehend, egal, ob Abel einen ungehorsamem Mitarbeiter ermahnt (Eleys Gabel, der auch für die meisten der harscheren Supsensemomente verantwortlich ist), mit Kollegen verhandelt oder schlicht grübelt und dabei in vieldeutige Stille verfällt.

Zu den Höhepunkten in diesem von einer starken Sequenz zur nächsten gleitenden Thrillerdrama zählen aber jene Augenblicke, in denen Jessica Chastain als Abels modische, selbstbewusste Frau Anna auftaucht. Energisch und mit Raffinesse greift Anna in der Klemme durch, und ist als trickreiche, impulsive Person das klare Gegenteil ihres Ehemanns – ein Bild, das Chastain aber ohne große Gesten zu zeichnen versteht. So ordnet sie sich eindeutig der Grundstimmung dieser leisen Produktion unter, in der das, was gesagt und getan wird, mindestens so bedeutend ist wie das, was nicht geschieht. Auch der in nur wenigen Szenen agierende Brite David Oyelowo gibt eine effektive, unaufdringliche Darbietung und bezwingt jegliche Genreklischees.

In A Most Violent Year herrscht eine grau-graue Mentalität vor, die sich abseits der bei aller Ruhe dennoch unberechenbaren Performances auch in der Kameraarbeit widerspiegelt. Bradford Young fängt den urbanen wie drohenden charakterlichen Zerfall in konturarmen grau-braun-grauen Weitwinkelaufnahmen ein, die eine latente Eleganz aufweisen und so im Zusammenspiel mit den bemerkenswerten Kostümen Kasia Walicka-Maimones einen seichten Hoffnungsschimmer aufrecht erhalten. Umso dramatischer ist Alex Eberts elektronische und symphonische Elemente vereinende Hintergrundmusik, die teilweise den Anschein meditativer Klänge erweckt, welche zunehmend kompromittiert werden. Und schon fühlt man sich wie Abel, fühlt sich unter Druck gesetzt; in einem Moment gefangen, in dem sie Schlinge des Verderbens immer enger wird …

Fazit: Eine Kriminalstudie, die nicht durch ständige Gewalt, sondern deren zunehmend nachdrücklichere Androhung immenses Unbehagen auslöst: J. C. Chandor erschafft mit raffinierten Dialogen und schneidender Stille ein fesselndes Thrillerdrama über die Art von Kompromissen, die man zu tätigen gewillt ist, wenn man sich selbst als unbeugsam behaupten will. Herausragend gespielt, intelligent, lange nachwirkend: Ein filmischer Triumph!

Home – Ein smektakulärer Trip


2001 fiel mit dem Komödienhit Shrek – Ein tollkühner Held der Startschuss für den rasanten Aufstieg von DreamWorks Animation. Die feiste Parodie auf archetypische Disney-Filme, die gleichzeitig bewies, dass nicht nur Computeranimation aus dem Hause Pixar Anklang findet, erhielt geballtes Kritikerlob, schnappte Pixar den ersten Animations-Oscar weg und löste eine Welle an Trittbrettfahrern aus. Auch die von Jeffrey Katzenberg geleitete Animationsschmiede orientierte sich jahrelang an ihrem Shrek-Modell und schuf im Akkord neue Familienkomödien mit einigen kernigen Gags, aber bewährt-vertrauten Storymodellen. Dies brachte ihr noch diverse weitere Kassenschlager ein – und in den Augen einiger Branchenbeobachter kurzzeitg den Status des Platzhirsches in ihrem Medium. Doch ein zu großes Vertrauen auf Sequels und einen stets ähnlich kessen Tonfall ließ die Zugkraft des Studios auf langer Sicht schwinden.

Obwohl das Studio mit den charakterorientierteren Werken Kung Fu Panda und Drachenzähmen leicht gemacht zwischenzeitlich eine neue Reife bewies, führte zuletzt eine lange Reihe an wirtschaftlichen Enttäuschungen sowie finanziellen Fehlentscheidungen dazu, dass die Zukunft des Unternehmens am seidenen Faden hängt. Der Studio-Hauptsitz musste vermietet werden, zudem wurden diverse geplante Filme abgeschrieben – selbst wenn DreamWorks Animation noch mehrere Jahre im Voraus plant, zählt nunmehr jeder einzelne Dollar. Traurig, aber nicht schockierend. Denn in jüngster Vergangenheit verlor das Studio seinen so typischen Biss. Abgesehen von solch dramatischen Ausnahmefilmen wie Drachenzähmen leicht gemacht 2 bringt DreamWorks Animation mittlerweile bevorzugt seichte Komödienkost in die Kinos. Flott und trendy genug, um weiterhin frech und wild vermarktet werden zu können, aber letztlich so zurückhaltend und dramaturgisch zahnlos, um möglichst niemanden zu verschrecken. Nach Die Croods, Turbo – Kleine Schnecke, großer Traum und Die Abenteuer von Mr. Peabody & Sherman, die von variierender Qualität waren, setzt Home – Ein smektakulärer Trip diese Reihe nun zu äußerst bedauerlichem Ergebnis fort.

Die neuste Regiearbeit von Tim Johnson (Antz, Ab durch die Hecke) beginnt mit der beiläufigsten, harmlosesten Alien-Invasion der Filmgeschichte: Die ebenso freundliche, wie feige und naive Alienrasse der Boovs befindet sich wieder einmal auf der Flucht vor ihrem Erzfeind. Dieses Mal soll die Erde den zumeist lilafarbenen, krakenähnlichen Wesen als Zufluchtsstätte dienen. Nicht ahnend, wie dreist ihr Handeln aufgefasst werden könnte, siedeln die Boovs alle Menschen nach Australien um, während sie den Rest des Globus bevölkern und ihren Gewohnheiten gemäß einrichten. Nur die 12-jährige Tip wird dank eines Zufalls übersehen – und glaubt, es bei den Boovs mit gefährlichen Aggressoren zu tun zu haben. Als sie den ungeschickten Boov namens Oh kennenlernt, formt sie mit ihm dennoch eine ungleiche Partnerschaft: Er verspricht, ihr zu helfen, zu ihrer Mutter zu gelangen. Derweil steht sie ihm zur Seite, während er vor seinen Artgenossen flieht. Diese wollen ihn nämlich zur Rechenschaft ziehen, nachdem er aus Versehen der gesamten Galaxie einen Hinweis über ihren Aufenthaltsort hat zukommen lassen …

Auf dem Papier hat Home – Ein smektakulärer Trip durchaus Potential für einen ebenso spannenden wie humorvollen Film. Und tatsächlich basiert die Produktion auf einem Kinder- und Jugendroman, dem sehr positive Kritiken zuteil wurden. Bedauerlicherweise lassen das Drehbuch von Tom J. Astle und Matt Ember sowie die Inszenierung keinerlei dramaturgische Fallhöhe aufkommen: Nach der glimpflich ablaufenden Invasion tritt die konventionelle Geschichte jedes Mal auf die Bremse, sobald Spannung entstehen könnte. Missverständnisse zwischen den Hauptfiguren werden rasch aufgelöst, das Wohlergehen von Tips Mutter wird wiederholt vorgeführt und auch der Zorn der anderen Boovs gegenüber Oh nimmt niemals bedrohliche Züge an.

Anders aber als etwa der ebenfalls im Frühjahr 2015 gestartete Shaun das Schaf – Der Film, der ebenfalls wenig Interesse daran hat, sein junges Publikum zu ängstigen, wandelt Home seinen niedrigen Spannungrad aber nie zu einer Stärke um. Das Abenteuer Ohs und Tips ist nicht auf eine Wohlfühlstimmung und gewaltige Charmeoffensive ausgelegt, sondern läuft wie eine konventionelle Trickkomödie ab – inklusive gelegentlicher Actionpassagen und großem Finale. Im Gegensatz zu Die Pinguine aus Madagascar kann dieser rund 95-minütige Sci-Fi-Film auch nicht mit irrsinnigem Tempo und einer gesunden Prise Wahnwitz auftrumpfen, um über den banalen Plot hinwegzutrösten: Home – Ein smektakulärer Trip ist zu kraftlos, um einen wirklich zu packen, und zu angepasst, als dass er erfolgreich alles auf die Comedy-Karte setzen könnte.

Dass sich Home – Ein smektakulärer Trip jedoch „nur“ im unteren Drittel des DreamWorks-Pantheons ansiedelt, statt sich schnurstraks die rote Laterne zu schnappen, liegt nahezu ausschließlich an der charakterlichen sowie visuellen Darstellung der starrköpfigen und dauerängstlichen Außerirdischen. Obwohl die Konstellation einer uniform denkenden Figurengruppe, aus der ein liebenswerter Querdenker heraussticht, vom Trickstudio mit dem Halbmond bereits völlig durchgekaut wurde, haben diese Aliens etwas Reizendes an sich. Dass die Boovs sowohl strebsam und spaßbefreit als auch extrem feige und kindlich sind, macht sie im großen DreamWorks-Figurenfundus einzigartig und zudem zu atypischen Sympathieträgern. Ihre geballte Ignoranz gegenüber menschlichem Verhalten und irdischer Kultur sorgt darüber hinaus zu einigen wenigen, aber stets treffsicheren, zudem die Altersgrenzen sprengenden Gags.

Diese stellen so etwas wie das Rettungsnetz der 132 Millionen Dollar teuren Produktion dar, denn sonst hat Home – Ein smektakulärer Trip nur wenige humorige Einfälle zu bieten, die Groß und Klein gleichermaßen ansprechen. Jüngere Zuschauer dürften von der eigenartigen Grammatik der Boovs noch amüsiert sein, da aber der Slapstick für DreamWorks-Verhältnisse erschreckend ideenarm ausfällt und die – überraschend gedrosselten – Popkulturreferenzen nur selten Biss haben, kommt es in Home – Ein smektakulärer Trip oftmals zu Leerlauf. Trickfilmliebhaber dürfen sich wenigstens daran erfreuen, dass die Trickkünstler bei der Animation der Aliens alle Register ziehen und nicht nur Mimik und Gestik, sondern auch ihre Farbe nutzen, um ihnen Ausdruck zu verleihen. Vor allem Käpt'n Smek, der Anführer der Boovs, ist gerade dank seines Auftretens eine sehr vergnüglich Figur. Dies tröstet jedoch nicht über die beliebige Animation der Menschen hinweg, die keinerlei bleibenden Eindruck hinterlässt.

Der insgesamt wie ein Fließbandprodukt wirkende Streifen fällt allein in einem Aspekt völlig aus dem Rahmen: Der Soundtrack ist mit tanzbarem Elektro-Pop bestückt, vornehmlich mit Stücken der im englischsprachigen Original die Figur der Tip sprechenden Chartstürmerin Rihanna. Darüber hinaus imitiert Komponist Lorne Balfe mehrmals den Klang typischer Rihanna-Nummern. Diese Klangkulisse verortet Home – Ein smektakulärer Trip zwar mit Nachdruck im Heute, allerdings erstickt sie die wenigen gehühlvollen Momente des Films in tonal unpassender, charttauglicher Musik. Es ist zwar nicht so, dass Oh, Tip und Co. je auch nur im Ansatz die Emotionalität eines Drachenzähmen leicht gemacht anstreben, trotzdem hätte Tim Johnson nicht sämtlichen Anflüge von Gefühlen demontieren müssen.


Wer sich trotzdem auf unbedingt den, hierzulande unter anderem von Bastian Pastewka und Uwe Ochsenknecht gekonnt synchronisierten, smektakulären Trip einlassen möchte, darf übrigens ohne Bedenken zur 3D-Version greifen. Denn die Tiefenwirkung ist dermaßen beeindruckend, dass sie fast im Alleingang rechtfertigt, Home – Ein smektakulärer Trip zu sehen. Wenn man denn 3D-Junkie ist. Generell gesprochen hat diese DreamWorks-Produktion nämlich nur die Qualität einer hinnehmbaren DVD-Produktion zu bieten.

Montag, 23. November 2015

Shaun das Schaf – Der Film


Wohl kaum jemand käme auf den Gedanken, sämtliche Realfilme über einen Kamm zu scheren. Animationsfilme dagegen müssen dies leider gelegentlich über sich ergehen lassen, und erst recht die diversen Subkategorien dieses Mediums. Noch immer glauben zahlreiche Gelegenheitszuschauer, Zeichentrickfilm sei nahezu ausschließlich für Märchenmusicals da, während Computeranimationsfilme gleichbedeutend mit familientauglichen Komödien seien. Diese ignorante Haltung nimmt jedoch glücklicherweise kontinuierlich ab, so dass sich diese Formen des Trickfilms vielleicht eines Tages gänzlich von der ungerechtfertigten Schubladisierung befreien können. Eine andere Gattung animierter Produktionen wiederum muss sich wohl gar nicht aus einem engen Image-Gehege befreien, da es schon seit einiger Zeit tonal sehr widersprüchliche Paradebeispiele aufweist: Der Stop-Motion-Trickfilm.

Auf der einen Seite halten groteske, finstere Stopptrickwelten wie jene aus Nightmare before Christmas, Coraline und Corpse Bride diese cineastische Erscheinungsform am Leben, auf der anderen Seite aber gibt es freundlichere Produktionen wie Rudolph mit der roten Nase oder die gesittet-verschrobenen Wallace & Gromit-Geschichten. In einem der Kurzfilme über das außergewöhnliche Hund-und-Herrchen-Gespann aus dem Hause Aardman Animation trat auch erstmals das knuffige Schaf Shaun auf, welches seit 2007 weltweit mit einer eigenen Serie die Herzen von Kindern, Junggebliebenen und Trickbegeisterten erobert. Nach 130 offiziellen Kurzepisoden von maximal sieben Minuten Laufzeit erhält das Blöktier nun seinen eigenen Kino-Langfilm. Und auch wenn voreingenommene Seelen Shaun das Schaf – Der Film voreilig als reinen Kinderkram abtun werden, beweist die britisch-französische Koproduktion gleich mehrere Dinge auf einmal: Kino-Trickfilme müssen auch im Jahr 2015 nicht zappelig sein. Die Kinoversion einer im Kinderfernsehen versendeten Serie kann auch Erwachsenen herzlichen Spaß bereiten. Und: Dialoge sind überbewertet!

Denn wie schon die Serie kommt auch Shaun das Schaf – Der Film komplett ohne Worte aus – gelegentliches Kauderwelsch und Tiergeräusche natürlich mal ausgenommen. Die Regisseure Mark Burton und Richard Starzak lassen jedoch nie einen Moment aufkommen, in dem es in Ermangelung des gesprochenen Wortes langweilig wird. Denn bei Shaun, seiner Herde, dem Hütehund Bitzer und dem namenlosen Bauern ist wieder einmal ordentlich was los: Von dem fest eingefahrenen Tagesablauf auf der Farm entnervt, zetteln Shaun und seine Mitschafe eine kleine Revolution an, so dass der Bauer und seine hündische rechte Hand ihrem Tagwerk nicht weiter nachgehen können. Doch was die es sich im Haus gut gehen lassenden Schafe nicht auf Anhieb bemerken, ist dass der Farmer durch ein Versehen in die Großstadt verfrachtet wird. Ohne ihn nimmt das Chaos auf der Mossy Bottom Farm schnell überhand, weswegen Shaun beschließt, wieder den Status quo herzustellen …

Das 85-minütige Abenteuer der liebenswerten Knettierchen ist eine hinreißende Rarität in der modernen Filmlandschaft, und darüber hinaus ein mühelos funktionierendes Paradoxon: Ständig passiert etwas, es gibt also praktisch gar keinen narrativen Leerlauf, und trotzdem wirkt Shaun das Schaf – Der Film nicht einmal im Ansatz hektisch oder sprunghaft. Es ist ein gemütliches Sehvergnügen, das Burton und Starzak hier mit ihren grundsympathischen Figuren erschaffen, und dennoch vergeht bei dieser Parade an witzigen Ideen die Zeit wie im Fluge. Wie man dieses Aufeinanderprallen von Erzähltempo und Filmwirkung nennen soll, darf nun jeder für sich selbst entscheiden. Wie wäre es mit 'flinkem Flanieren'?

Aber ganz gleich, welches Etikett man diesem mittels Plastilin erschaffenen Land- und Stadtausflug nun aufkleben will, was die 17 Animatoren innerhalb von 10 Monaten hier geschaffen haben, bleibt erstaunlich: Während die altbekannte Mossy Bottom Farm auf der Leinwand in neuer Bandbreite begutachtet werden darf, strotzt die an London angelehnte Großstadt nur so vor Feinheiten, die das junge Publikum Staunen lassen dürften, während das ältere Publikum zur amüsanten Suche nach überraschenden Details eingeladen wird.

Entscheidender als die Hintergründe sind aber noch immer die Figuren, und die haben nichts von ihrem Charme und ihrer Ausdrucksstäre verloren. Egal, ob in Slapstickszenen oder in Passagen, die durch eine gewinnende Mischung aus Einfallsreichtum und Niedlichkeit das Publikum für sich einnehmen: Stets lauert ein weiterer perfekt getimter Lacher, ein goldiger Schmunzler oder eine lustig-clevere Popkulturreferenz um die Ecke. Neben den bekannten Serienhelden sorgen im Film auch ein an ALF erinnernder Hund und ein wahnwitziger Tierfänger dafür, dass die Lachmuskeln keine Ruhepause erhalten – sofern man als Zuschauer denn die Geduld für ein dialogfreies, actionarmes Stopptickabenteuer aufbringt. Verbissene Zyniker und (Möchtegern-)Pubertierende, die alles, was familienfreundlich ist, direkt als dumm und öde abtun, werden an Shaun das Schaf – Der Film nämlich wenig überraschend keinen Gefallen finden.

Da aber die Integration der neuen Figuren gelungen ist und der neue Schauplatz nichts an der gewohnten Dynamik ändert, werden Liebhaber des Wolltiers geballte Freude an diesem Film haben. Erst recht, weil Story und Inszenierung dafür sorgen, dass sich Shaun zwar treu bleibt, aber zugleich genügend Ungewöhnliches erlebt, um den Sprung von TV-Kurzfilmen zu abendfüllender Kinoproduktion zu rechtfertigen. Und nach dem Abspann bleibt einem aufgrund des dargebotenen, mustergültigen Zusammenspiels zwischen possierlicher Animation und munterer Tonkulisse nur eins: Der dringende Wunsch nach „Mäh“-er.

Fazit: Liebenswert, supersüß und saukomisch, ähhh, schafkomisch! Shaun macht es sich nun auf der großen Leinwand bequem und beschert seinen großen und kleinen Fans ein erfrischendes, gewitztes Abenteuer, das gerne fortgesetzt werden darf.

Kingsman: The Secret Service


Die lose Comicadaption Kingsman: The Secret Service wirkt nicht ohne Grund wie eine unheilige, unverschämt spaßige Kreuzung aus Kick-Ass und den leichtfüßig-wirren Jahren der James Bond-Reihe. Die Grundidee zur Vorlage dieser außergewöhnlichen Agentenkomödie entstand nämlich am Set von Matthew Vaughns Kick-Ass-Verfilmung, als sich der Regisseur mit Comicschöpfer Mark Millar unterhielt. Im Gespräch wurde ihnen bewusst, dass sie neben facettenreichen Superheldengeschichten ein weiteres Faible teilen: Eskapistische, vor verrückten Ideen überbordende Agentenfilme – wie etwa die meisten der 007-Filme mit Sean Connery oder Roger Moore. Schnell entstand bei Vaughn und Millar das Interesse daran, einen solchen Stoff fürs heutige Publikum zu erschaffen, wobei der zentrale Elitespion aus einem niederen sozialen Milieu stammen sollte. Millar nahm diese Idee und formte sie mit Comiclegende Dave Gibbons (Watchmen) zu einem sechsteiligen Band. Diesen wiederum nutzten Vaughn und seine Schreibpartnerin Jane Goldman als grobe Planskizze für diesen derben Filmspaß:

Während eines Einsatzes der unabhängigen Spionage-Organisation Kingsmen kommt es zu einem tödlichen Missgeschick, wodurch Gary „Eggsy“ Price (Taron Edgerton) zum Halbwaisen wird. Zum Trost schenkt ihm der todchic gekleidete Agent Harry Hart alias Galahad (Colin Firth) eine besondere Medaille. Mittels dieser könne der Junge einmalig einen Gefallen jeglicher Art einfordern. Als Eggsy siebzehn Jahre später, mittlerweile zum arbeitslosen und kleinkriminellen Schulabbrecher mit Kodderschnauze herabgestiegen, wegen Autodiebstahls verhaftet wird, nutzt er endlich seinen modischen Blankoschein. Kurzerhand wird er aus der Haft entlassen und vom aufgeschlossenen Gentleman Harry abgeholt. Dieser zeigt sich von Eggsys Lebenswandel schockiert, dennoch bietet er ihm einen Posten bei den Kingsmen an – vorausgesetzt, dass er die knallharte Ausbildung besteht. Was Eggsy nicht weiß: Die Edelagenten stehen unter enormen Druck, da sich ein undurchschaubares, mörderisches Komplott am Horizont abzeichnet. Im Zentrum dieser Verschwörung scheint der Internet- und Telekommunikations-Milliardär Richmond Valentine (Samuel L. Jackson) zu stehen …

Obschon Vaughn als Regisseur mit X-Men: Erste Entscheidung zuletzt einen gestandenen Blockbuster inszenierte, der zudem nicht auf den Kopf gefallen ist, so ist seine filmische Visitenkarte bislang wohl eher Kick-Ass. Die 30-Millionen-Dollar-Produktion schnitt an den Kinokassen zwar schwächer ab als von den Verantwortlichen erhofft, erarbeitete sich aber mit ihrem feisten Mix aus Gesellschaftskritik, Superhelden-Dekonstuktion und Genrehommage auf DVD und Blu-ray eine ansehnliche Fangemeinde. Vaughn leistet in Kingsman: The Secret Service erneut einen kernigen Balanceakt aus knalligen Albernheiten und rauen Späßen, was jedoch nicht bedeutet, dass er schlicht Kick-Ass aus dem Neopren-Outfit rausgeholt und in einen maßgeschneiderten Anzug gesteckt hat.

Die bewusst groben gesellschaftlichen Seitenhiebe, die Kick-Ass mitprägen, weichen hier gelegentlichem Sozialkommentar. Was auf dieser Ebene an Biss fehlt, da sich Vaughn in seinem Superheldenfilm noch über mangelnde Zivilcourage aufregte, hier nun aber Klassenunterschiede schlicht nur aufs Korn nimmt, gleicht Kingsman: The Secret Service an anderer Stelle aus. So ist die Action um ein Vielfaches besser choreografiert, spannender in Szene gesetzt und knackiger geschnitten – sowie irrsinniger und brutaler: Vaughn vereint in seinen Actionsequenzen den rasanten Bombast moderner Blockbuster mit dem kuriosen Ideenreichtum alter Bond-Filme und der schonungslosen Attitüde eines Quentin Tarantino. Höhepunkt des Ganzen ist ein Abstecher Harrys in eine fundamentalistische Südstaatenkirche, die ausgerechnet den förmlichen Oscar-Preisträger Colin Firth auf Anhieb in den Actionolymp katapultieren dürfte.

Generell ist es eine Wonne, was Firth in Kingsman: The Secret Service abliefert: Als stets galanter, wohlartikulierter britischer Gentleman überhöht er sein Image, gleichermaßen dreht er es durch seine mal pfiffigen, mal frivolen Actionszenen und eine stets kess-amüsierte Attitüde auf links. Auch Samuel L. Jackson ist als lispelnder Selfmade-Milliardär mit ansteckender Freude bei der Arbeit und erschafft eine Figur, so unsubtil, so wahnwitzig, so selbstverliebt wie es sich in früheren Zeiten für einen Bond-Widersacher ziemte. Bloß, dass Valentine zugleich ganz klar eine Figur des 21. Jahrhunderts ist, nicht nur aufgrund seiner IT-Kenntnisse, sondern auch wegen seiner Popkulturobsession sowie seiner modernen Verwirrung darüber, welcher Gesellschaftsschicht er zugehört. Egal ob in Monologen oder im Zusammenspiel mit seiner Handlangerin (Sofia Boutella als zügellose Antwort auf Bond-Figuren wie Beißer und Oddjob), Firths spaßiger Rolle und dem Protagonisten – Jackson sorgt für ein echtes Gagfeuerwerk und erinnert mit Nachdruck daran, dass er weit mehr spielen kann als nur eine ernste Autoritätsperson.

Obwohl das Marketing Firth ins Zentrum rückt, ist der bislang nahezu unbekannte Taron Egerton der unbestrittene Star des Films. Zu Beginn gelingt es ihm, einen launischen, auf eine lässige Außenwirkung bedachten Jugendlichen aus der Unterschicht zu verkörpern, dessen ungenutztes Potenzial gut versteckt, nicht aber unmöglich zu erkennen ist. Egerton macht Eggsy aufgeweckt und sympathisch genug, so dass nachvollziehbar ist, weshalb jemand wie Harry an ihn glauben könnte. Trotzdem lässt er markant genug den „Assi“ raushängen, um das Agentengenre neu durchzumischen. Sobald die Kingsman-Ausbildung beginnt, skizziert Egerton dann allmählich und glaubwürdig die Wandlung seiner Figur zum idealen Gentleman-Spion: Mit Charisma und einem Hauch Ironie formiert Egerton aus Eggsy den neuen 007 im Stile Sean Connerys, Roger Moores und Pierce Brosnans, den manche Bond-Fans so sträflich vermissten. Dank der Komponisten Henry Jackman und Matthew Margeson kann sich Kingsman: The Secret Service mit seinen atmosphärischen, treibenden, stilvollen Klängen außerdem auf musikalischer Ebene mit vielen 007-Missionen messen.

Wie Vaughn durch Figuren wie Eggsy, Harry und Valentine sowie die überraschende, herrlich bescheuerte Handlung früheren Epochen des Agentenfilms Tribut zollt, ist durchweg faszinierend: Kingsman: The Secret Service ist eine passionierte Hommage an dick aufgetragene Spionageblockbuster, gleichzeitig macht Vaughn mit grotesker Brachialität und derben Gags deutlich, dass er schlussendlich am liebsten den unerzogenen Bruder im Geiste seiner Idole erschaffen will. Und nicht etwa einfach bloß einen neuen Roger-Moore- oder Pierce-Brosnan-Bond. Dadurch büßt er zwar ordentlich an Massentauglichkeit ein, dank stets cleverer Popkulturreferenzen (die mal offenkundig, mal subtil sind), sprühendem Dialogwitz und packender, ungewöhnlicher Action hat Kingsman: The Secret Service seiner Zielgruppe allerdings so viel zu bieten, dass er locker etwas Kollateralschaden verkraften kann.


Fazit: Kingsman: The Secret Service ist ein sündiges, derbes, großartiges Kinovergnügen. Ein tolles Ensemble, stylisch-zügellose Action und feist-cleverer Humor lassen diesen Ghetto-Agenten problemlos an Kick-Ass vorbeiziehen. Extrem kultverdächtig!

Donnerstag, 19. November 2015

"Der Marsianer – Rettet Mark Watney": Eine Komödie?


Die Kinowelt wird von Marken dominiert. Das muss man einfach einsehen, ganz gleich, ob man dies befürwortet, duldet oder verabscheut. Und die Vereinigten Staaten ticken dahingehend besonders franchiseorientiert: Aktuell, nur noch wenige Wochen vor Jahresende, befinden sich in den Top Ten der US-Jahrescharts 2015 neun Kinofilme, die entweder Fortsetzungen sind (Jurassic World, Avegers: Age of Ultron, Fast & Furious 7, Mission: Impossible - Rogue Nation, Pitch Perfect 2), Remakes (Disneys Cinderella), Spin-Offs (Minions) oder Teil einer mächtig vermarkteten Kino-Marke sind (Avengers: Age of Ultron, nochmal, sowie Ant-Man und Pixar-Animationsfilm Alles steht Kopf). Dazwischen befindet sich exakt ein weiterer Film: Ridley Scotts Weltraumgeschichte Der Marsianer – Rettet Mark Watney. Wenn heutzutage eine erwachsenenorientierte Produktion, die nicht auf einem bereits bestehenden Kinowerk aufbaut, solch einen Erfolg landet, dann muss etwas dahinter stecken. Über 207 Millionen Dollar allein in den Vereinigten Staaten erarbeitet sich ein Film nicht ganz von allein.

Ein wichtiger Aspekt, der die Bestselleradaption lange in den US-Kinos zu einem Publikumsmagneten gemacht hat, ist die Mundpropaganda. Sehr positive Kritiken von professionellen Filmjournalisten sowie vom "normalen", zahlenden Publikum (8,2 Punkte bei IMDb, 93% bei der RottenTomatoes-Userbewertung) können durchaus Wirkung zeigen. So etwas passiert wohl, wenn ein sehr gut gemachter Film zum richtigen Zeitpunkt kommt ... und sein Publikum mit einer sehr positiven Grundattitüde umgarnt. Denn für einen Film über einen Astronauten, der ganz allein auf dem Mars gestrandet ist, hält Der Marsianer nach einem halben Akt der Desillusionierung und Panik eine sehr optimistische "Irgendwie kämpf ich mich da durch!"-Stimmung aufrecht. Und all das, ohne dabei dem Betrachter kitschige Kalendersprüche um die Ohren zu pfeffern.

Dass ein beliebter, erfolgreicher und sehr positiv besprochener Film, der noch dazu von einem namhaften Regisseur wie Ridley Scott stammt, Teil des Gesprächs rund um die Awards-Saison ist, liegt auf der Hand. Allerdings erreichen wir hiermit einen großen, großen Streitpunkt: Bei den Golden Globes wird Der Marsianer als "Beste Komödie" antreten. Was zahlreichen (vor allem englischsprachigen) Filmjournalisten überhaupt nicht bekommen ist. Es sei eine Blamage für die Globes und eine Beleidigung gegenüber Scotts Film.

Ich frage: Wirklich? Ich zumindest bin auf der Seite der für die Globes verantwortlichen Hollywood Foreign Press Association. Als ich Scotts Weltraumabenteuer gesehen habe, hatte ich nach den rund zwei Stunden schmerzende Wangen, weil ich so viel gegrinst habe. Denn nachdem Scott den Ernst der Lage etabliert und in dunklen Farben einen niedergeschmetterten Matt Damon alias Mark Watney gezeigt hat, der sich in seiner Marsstation selber operiert, wird dieser Film zu einer launigen Zelebration dessen, was Wissenschaft kann. Mit spritzigem Sarkasmus kommentiert Watney den ganzen Film über seine Lage, indem er Rückschläge bei seinen Experimenten auf die betont leichte Schulter nimmt sowie die auf dem Mars zurückgelassene, discolastige Musikauswahl mit endlosen Seitenhieben attackiert. Die Szenen auf der Erde zeigen die NASA-Crew als eine Gruppe eloquenter, smarter Menschen, die alle grundverschiedene Charaktere haben und sich daher zu sehr pfiffigen Ergebnissen kabbeln, während sie unentwegt ergebnisorientiert nach Lösungen suchen, um Watney zurückzuholen.

Es stimmt, dass der von Fluch der Karibik-Kameramann Dariusz Wolski in kräftigen Farben eingefangene, mit beeindruckender Tiefenwirkung erstaunende Marsianer kein Non-Stop-Lachfest ist. Ridley Scott setzte es sich nicht zum Ziel, eine immens hohe Gagdichte zu liefern und mit so vielen Pointen um sich zu feuern, wie etwa Edgar Wright bei Hot Fuzz oder Seth Rogen und Evan Goldberg in Das ist das Ende. Das Skript von Drew Goddard (Alias, Cloverfield) lässt nämlich genügend Raum, um dem von Matt Damon charismatisch gespielten Mark Watney in mehreren charakterlichen Facetten zu zeigen und die verschiedenen Rettungsmissionsideen sowie deren Entwicklung plausibel auszuarbeiten. Trotzdem ist der Grundtenor des Films nicht etwa "Oh nein, der arme Mark wird sicher einen qualvollen Tod sterben!", sondern "Wissenschaft! Yeah!", was sogar nahezu Wort für Wort so im Dialogbuch gesagt wird. Mit schmissiger Archivmusik und nicht einer einzigen antagonistischen Figur feiert Der Marsianer die Fähigkeit des menschlichen Verstands sowie das Potential der Gesellschaft, an einem Strang zu ziehen. Wir werden, zusammen mit Watney, in eine aussichtslose Situation gesteckt - und lachen uns aus ihr raus, auf den Schwingen einer "Stehaufmännchenmentalität".

Außerdem: Der Abspannsong dient als gepfefferte Pointe. Welches ernstzunehmende Survivaldrama, als das viele Der Marsianer nun plötzlich bezeichnen, tut schon sowas?

Dienstag, 17. November 2015

Kenneth Branaghs "Cinderella"


Märchen sind einer der tragenden Pfeiler der Walt Disney Company. Schon der erste Langfilm des Unterhaltungsgiganten, Schneewittchen und die sieben Zwerge, brachte eine altbekannte Mär auf ikonische Weise in die Kinos. Seither packt Disney in unregelmäßigen Abständen weitere animierte Märchenadaptionen an, und sie alle sind im Pantheon der am meisten geachteten Trickfilme vorzufinden. In jüngster Vergangenheit hat der Konzern zudem einen Narren daran gefressen, Märchen, die bereits in animierter Form Teil des Disney-Kanons sind, neu als Realfilm umzusetzen. Rein kommerziell machte sich dieser Trend bislang bezahlt, während diese „Realmakes“ aus künstlerischer Sicht bislang eine bescheidene Bilanz aufweisen.

Gelang es Tim Burton 2010, seinem Milliardenhit Alice im Wunderland trotz allerhand dürftiger Momente zumindest einige clevere Aspekte zu verleihen, stellt die 2014 gestartete Dornröschen-Neuinterpretation Maleficent – Die dunkle Fee eine inkohärente, mittelschwere Katastrophe dar. Robert Strombergs ungelenke Regiearbeit spülte dessen ungeachtet über 750 Millionen Dollar in die Kassen – keine niedrige Hürde, die Cinderella rund zwölf Monate später zu überbieten hatte. Der von Kenneth Branagh auf Zelluloid gebannte Kostümfilm kam unterm Strich nicht ganz an diese Summe heran, mit 542,69 Millionen Dollar muss er sich dennoch nicht vor seinen Genrekollegen verstecken. Gegönnt sei der 95-Millionen-Dollar-Produktion dieser Erfolg! Denn Thor-Regisseur weiß, im Gegensatz zu den Köpfen hinter den zwei soeben genannten Kassenschlagern, die Magie des Pate stehenden Disney-Zeichentrickklassikers einzufangen und gleichwohl eine eigene Identität zu entwickeln.

Im Gegensatz zum unvergesslichen Zeichentrickfilm der Regisseure Clyde Geronimi, Wilfred Jackson und Hamilton Luske blickt diese Cinderella-Adaption ausführlich auf das Leben der Titelfigur, bevor es aufgrund ihrer garstigen Stiefmutter zur reinen Tortur wurde: Gemeinsam mit ihrer fürsorglichen Mutter (Haley Atwell) und ihrem gutmütigen Vater (Ben Chaplin) führt die kleine Ella ein unbeschwertes Dasein … Dann erkrankt ihre Mutter überraschend, letztlich erliegt sie ihrer Erkrankung sogar. Jahre später findet der Witwer in Lady Tremaine (Cate Blanchett) eine neue Liebe. Die oberflächliche, herrische Frau hat aber wenig für Ella übrig; sie gibt allein auf sich selbst und ihre leiblichen Töchter Anastasia und Drizella (Holliday Grainger und Sophie McShera) acht. Als dann Ellas Vater während einer Geschäftsreise spurlos verschwindet, entwickelt sich Tremaine endgültig zu einer gefühlskalten, befehlshaberischen Natter, die ihre Stieftochter ohne Unterlass tyrannisiert. Zum Hausmädchen erniedrigt und nur noch unter dem beißenden Spitznamen Cinderella bekannt, glaubt die gute Seele, in einem Albtraum gefangen zu sein. Doch dann geht die frohe Botschaft durchs Land, dass der nach einer Gattin suchende Prinz (Richard Madden) einen festlichen Ball gibt. Eine gute Fee (Helena Bonham Carter) sorgt letztlich dafür, dass Ella dort ordentlich Eindruck schindet …

In den Walt Disney Animation Studios galt jahrzehntelang die Maxime: In der Kürze liegt die Würze. Dies macht sich auch bei der dreifach Oscar-nominierten Zeichentrickversion von Cinderella bemerkbar, die mit gerade einmal 74 Minuten Laufzeit auskommt. Derart knapp fasst sich Branaghs Realfilm nicht, mit 112 Minuten übertrifft er sogar Burtons Reise ins Wunderland und Strombergs tonal schizophrene Dornröschen-Umdeutung. Ganz so lang hätte die Erzählung nicht ausfallen müssen: Bis die von Cate Blanchett mit denkwürdiger Garstigkeit verkörperte Stiefmutter in die Story Einzug erhält, findet das Skript von Aline Brosh McKenna und Chris Weitz keinen souveränen, narrativen Fluss. Ab diesem Wendepunkt sitzt der Erzählrhythmus zwar bis zum Schluss, jedoch fallen dafür die zahlreichen Wiederholungen von Ellas Lebensmotto „Sei immer mutig und gütig!“ mit der Zeit ziemlich störend auf.

Von diesen Faktoren abgesehen, nutzt Disneys neuer Cinderella-Film seine längere Laufzeit sinnig. Hauptsächlich dienen die zusätzlichen Filmminuten dazu, den Figuren stärkere Konturen zu verleihen. So wird Ellas Widerwillen, sich gegen ihre unerträglichen Stiefschwestern und deren sadistische Mutter aufzulehnen, fundiert begründet. Ebenso gibt es mehr Einblicke in das Palastleben, ferner wird Lady Tremaine deutlich ausdifferenzierter dargestellt als in den meisten Verarbeitungen der Aschenputtel-Erzählung. Zwar bleibt dank der wundervoll fiesen Cate Blanchett stets außer Frage, dass Tremaine sich ihrer Stieftochter gegenüber durch und durch unschicklich verhält, jedoch geben McKenna & Weitz ihr eine plausible, nachvollziehbare Motivation. Somit erhält die zweifache Academy-Award-Preisträgerin die Gelegenheit, sich sowohl in genussvoller Thetralik zu üben, als auch mit leiseren Momenten Akzente zu setzen.

Es ist auch Blanchetts Rolle, die ein Gros der Sequenzen trägt, in denen Cinderella gleichermaßen aufgeweckt wie tänzerisch die eingeschränkten Möglichkeiten thematisiert, die Frauen jahrhundertelang in ihrer Lebensgestaltung hatten: Dass in vielen Märchen Frauen durch einen Prinzen errettet werden, muss nämlich nicht zwangsweise als patriarchale Erzähldynamik aufgefasst, sondern kann auch als Abbildung der Realität vergangener Zeiten verstanden werden. Da bezahlte Arbeit für das weibliche Geschlecht zumeist ein Tabu war, mussten Frauen in der Wahl ihrer Gemahlen taktieren und Initiative ergreifen, wenn sie ihr Schicksal verbessern wollten. Dies kommentiert Branaghs Film mit gebotener Haltung, ohne dabei von der eskapistischen – und vor allem genderneutralen – Märchenstimmung abzulenken. Und ob nun Frau oder Mann: Der Traum davon, durch eine bedingungslose Liebe sein Elend hinter sich zu lassen, ist ungebrochen nachfühlbar. Erst recht in diesem visuellen Prachtwerk, das sich durch Branaghs ehrliche, direkte Inszenierung klar von modernen Hollywood-Blockbustern abhebt.

Kenneth Branagh verzichtet genauso sehr auf das Auffangnetz der Ironie, wie er jeglichem Zynismus entsagt und sich gegen den Trend stellt, alles rau und grimmig zu zeichnen. Dieser Ansatz wäre aufgrund moderner Sehgewohnheiten zum Scheitern verurteilt, wäre Branaghs Film nicht von Anfang bis Ende von einer klar erkennbaren Ehrfurcht gegenüber der Märchenvorlage durchzogen. Branagh ist mit Passion dabei, was sich etwa in den farbenfrohen, minutiös geplanten und prunkvollen Bildern zeigt, die er und Kameramann Haris Zambarloukos auf die Leinwand zaubern. Entgegen der heutigen Hollywood-Norm wurden gar analoge Kameras verwendet, um ein zeitloses Feeling zu kreieren und sich des Weiteren vor dem handgemachten Zeichentrickfilm zu verneigen. Aus eben jenem lieh Branagh mehrere ikonische Bilder, die er allerdings nicht 1:1 kopiert, sondern behutsam variiert – wie etwa die magische Entstehung des Ballkleids, mit dem Ella alle Blicke auf sich zieht.

Generell sind die Verwandlungsszenen am Disney-Klassiker orientiert, aber zugleich originell genug, um nicht bloß eine blanke Hommage darzustellen. Mit rasantem Slapstick und einer ansteckend-amüsierten Helena Bonham Carter als gute, aber konfuse Fee gehören die wenigen übernatürlichen Passagen sogleich zu den Höhepunkten des Films. Knapp dahinter reiht sich bereits der prächtige Ball des Prinzen ein, der dank der fabelhaften, von Sandy Powell (Aviator) gestalteten Kostüme eine echte Augenweide ist. Den Look des Disney-Films lässt Powell wohlgemerkt weitestgehend hinter sich, ähnlich wie auch Komponist Patrick Doyle primär sein eigenes Ding dreht – dies aber erfolgreich: Die Musik ist zeitlos und träumerisch, wenngleich längst nicht so eingängig wie die aus dem Disney-Evergreen.

Obwohl ihre tierischen Freunde – die nur sehr begrenzte Laufzeit erhalten, dann aber zuckersüß daherkommen – klar an den 50er-Jahre-Film angelehnt sind, lässt sich auch Hauptdarstellerin Lily James kaum spürbar vom Zeichentrickklassiker beeinflussen. Die Downton Abbey-Mimin verleiht aber auch ohne solche Schützenhilfe der Titelheldin ein sympathisches, selten kitschiges Naturell – wenngleich sie sich nicht dermaßen in ihrer Figur verliert wie ihre Ensemblekolleginnen. Die Herren der Schöpfung zu guter Letzt tun effizient ihren Dienst, ohne sonderlich aufzufallen. Richard Madden darf als Prinz gut aussehen, Stellan Skarsgård als Großherzog schmierig sein und Nonso Anozie als Kapitän der Palastwache ein paar geschliffene Wortwitze abliefern. Es sind halt die Damen, die in Cinderella im Zentrum stehen – ihre Sorgen, ihre Träume und ihre märchenhafte Garderobe.


Fazit: Trotz kleiner Längen: Cinderella ist um ein Vielfaches besser als Maleficent – Die dunkle Fee und Tim Burtons Alice im Wunderland. Die Optik ist fabulös, Cate Blanchett ist eine Wucht und Kenneth Branaghs Inszenierung beweist, dass Märchen auch heutzutage in nüchterner, ehrlicher Form funktionieren.

Montag, 16. November 2015

Das komplette Dutzend: Mein Ranking der 'Marvel Cinematic Universe'-Filme


Bis Ant-Man endlich in die deutschen Heimkinos krabbelt, dauert es leider noch ein wenig. Immerhin räumt der schrumpfende Superheld aktuell die chinesischen Kinos, wodurch aus dem kleinen ein respektabler Erfolg wird. Was wiederum beweist: Die Marvel Studios haben den Dreh raus. Hier in Deutschland dürfen die Besucherzahlen zwar gern noch ein Stückchen wachsen, dennoch kann sich das Superhelden-Label ganz uneitel als Erfolgsmaschiene bezeichnen. Und missgönnen kann man es dem Studio wohl kaum. Schließlich liefert Marvel - nahezu - durchgehend gute Qualität ab!

Um das Warten auf den DVD- und Blu-ray-Start von Ant-Man zu versüßen, habe ich mich in meine Denkerstube gesetzt und alle Teile des Kino-Franchises namens Marvel Cinematic Universe gegeneinander aufgewogen. Herausgekommen ist nicht ein Ranking der wichtigsten, einflussreichsten oder gemeinhin populärsten Einträge in diese Reihe. Sondern eine Übersicht, welche Filme wie sehr mein Herzen höher schlagen lassen ...


Darüber, wer die rote Laterne in diesem Ranking bekommt, musste ich nicht einen einzigen Augenblick lang nachdenken: Iron Man 2 ist von allen Marvel-Eigenproduktionen die, in welcher der Aufbau des Filmuniversums am ungelenkesten geraten ist und den eigentlichen Plot wiederholt ausbremst. In Sachen Action erreicht Jon Favreaus Regiearbeit mit der Monaco-Sequenz viel zu früh ihren Höhepunkt, während das Finale eine leblose CG-Schlacht zwischen fliegenden Rüstungen ist. Und generell verlieren selbst amüsante Szenen wie die Anhörung ganz zu Beginn, in der Tony Stark sein Anrecht auf den Iron-Man-Anzug verteidigen muss, durch eine zähe Narrative ihren Schwung. Ein leider zu Beginn der Story bereits ausbrennender Whiplash, gespielt von Mickey Rourke, und ein nicht ausreichend genutzter, doch spaßiger Sam Rockwell als Justin Hammer retten Iron Man 2 davor, eine Totalkatastrophe darzustellen.


Ich weiß, mit dieser Platzierung mache ich mir keine Freunde. Aber selbst wenn ich Iron Man deutlich besser finde als sein Sequel, so schaue ich mir Jon Favreaus Riesenerfolg nur noch im Rahmen von Marvel-Retrospektiven an. Was daran liegt, dass ich in Iron Man kaum mehr sehe als einen Standard-Actionfilm. Weder bringt Favreau eine nennenswerte inszenatorische Raffinesse mit, noch ergibt die Motivation des von einem wenig Eindruck hinterlassenen Jeff Bridges gespielten Schurken wirklich Sinn. Aufgrund dessen geht dem letzten Akt zügig die Puste aus. Was enorm unterhält, ist dafür der erste Akt, auch "die Robert-Downey-junior-One-Man-Show" genannt, sowie die Trainingsmontagen, in denen Tony Stark das Iron-Man-Sein probt.


Kontrovers, kontrovers ... Ich weiß! Aber Der unglaubliche Hulk hat einige Punkte, die ihn in meinen Augen über Iron Man heben. So verleiht Regisseur Louis Leterrier dem in Brasilien spielenden ersten Akt eine gute "Mann auf der Flucht"-Atmosphäre, indem er den Look der Slums gekonnt in Szene setzt und Edward Norton freies Geleit darin gibt, einen getriebenen Menschen zu spielen, welcher sich vor seinem inneren Dämonen sowie dem US-Militär versteckt. Die ersten Actionszenen setzen daher auch mehr auf Katz-und-Maus-Spielchen, als auf CG-Gewitter. Der mittlere Teil ist etwas zäher erzählt als nötig, doch ein sich gehörig selbst genießender Tim Roth als Antagonist und die thematisch komplexe Filmmusik halten auch dieses Segment aufrecht, ehe das zerstörerische Finale dank der sich in Hulks und Abominations solider Charakteranimation abzeichnenden Mimik mehr Persönlichkeit mitbringt als der letzte Iron Man-Kampf. Gewiss, Liv Tyler und Norton könnten eine bessere Chemie haben und kaum verlässt der Film Brasilien, fehlt ihm das ästhetische, gewisse Etwas. Trotzdem ein unterschätzter Teil der Marvel-Reihe!


Während Iron Man 2 mit jeder Sichtung in meiner Gunst noch weiter fällt, legt Thor mit jeder Sichtung an Sympathiepunkten zu: Die Charakterisierung Lokis und der sein Handeln antreibende Konflikt sind zwar längst nicht so shakespearesch geraten, wie die Autoren und Regisseur Kenneth Branagh es wohl gern hätten. Und Thors Attacke auf die Welt der Eisriesen ist träge erzählt sowie unästhetisch umgesetzt. Allerdings überzeugt mich dank Chris Hemsworth und Natalie Portman die Romanze zwischen Thor und Jane, die Dialogwitze haben ordentlich Zunder und das "World Building" ist hier zum ersten Mal im Marvel Cinematic Universe richtig schön ausgereift.


Aufgrund erzählerischer Schwächen (so wird die Motivation der schurkischen Dunkelelfen zwei Mal genannt, aber nie wirklich begreiflich) ist das Thor-Sequel möglicherweise der schlechter gemachte Part unter den bisherigen Thor-Filmen. Allerdings habe ich ihn ein Stückchen lieber als das Original: Hemsworth balanciert den Pathos und die spaßige Seite seiner Paraderolle noch besser. Die Actionszenen (vor allem die Attacke auf Asgard sowie das immens spaßige, einfallsreiche Finale) sind schmissiger. Und Tom Hiddleston alias Loki wird besser eingesetzt als noch in Thor. Über die lahmen Antagonisten und einige Längen kann ich nicht hinwegsehen, aber wenn Thor - The Dark Kingdom zündet, dann sprühen deutlich mehr Funken als beim ersten Anlauf.


Das Problem mit solchen Countdowns ist ja, dass sie zwar eine Rangfolge abbilden. Und in Fällen wie diesen sogar eine Rangliste, bei der ich mir recht sicher bin, sie nicht schon morgen komplett umkippen zu wollen. Aber die Abstände zwischen den einzelnen Produktionen lassen sich in einem bloßen Ranking nur schwer abbilden. Naja, dafür gibt es ja die Begleittexte: Gurardians of the Galaxy schlägt Thor - The Dark Kingdom um die doppelte Länge einer Beinprothese! Regisseur James Gunn kreiert hier eine wunderbar verschrobene, dennoch glaubwürdige, farbenfrohe Sci-Fi-Welt, die von immens sympathischen Figuren bevölkert wird. Verquickt mit einer extrem starken Ansammlung an musikalischen Evergreens ist Guardians of the Galaxy ein sehr, sehr vergnüglicher Filmritt. Dass die anarchisch-eigenwilligen Figuren mit ihrer ironischen Art zuweilen in ihnen nicht gerecht werdende, konventionelle Plotschienen geschubst werden, ist bedauerlich. Aber es kommt ja ein Sequel ...


Und noch eine sicherlich aneckende Entscheidung meinerseits: Regisseur Peyton Reed, der zum Projekt hinzugestoßen ist wie die Jungfrau zum Kind, hat mit Ant-Man eine richtig, richtig launige Superheldenkomödie erschaffen! Dieser bunte Mix aus Heist-Movie, Marvel-Bombast, verschrobenem Witz und Schrumpfeskapaden legt ein zügiges Tempo vor, schröpft ein Maximum aus den Kräften seines Titelhelden und schafft es, anders als Guardians of the Galaxy, aus seinem untermotivierten Schurken einen spaßig-fiesen Antagonisten zu formen. Das Spiel mit Konventionen und ironischen Brechungen ist hier zwar weniger riskiofreudiger als in Gunns Weltallspaß, dafür aber auch trittsicherer. Ein richtig erfrischender, kleiner Film in einer überwältigenden, großen Filmreihe!


Iron Man habe ich gern im Kino gesehen. Thor hat Spaß gemacht. Captain America - The First Avenger war die erste Marvel-Eigenproduktion, die ich geliebt habe: Joe Johnston, der Mann hinter dem böse unterschätzten Disney-Superheldenabenteuer Rocketeer, zündet mit diesem pulpigen, stylischen Supersoldatenstoff ein bestens aufgelegtes Retro-Feuerwerk ab. Die Stimmung des Films befindet sich in einer ansteckenden "Indiana Jones ... mit Soldaten!"-Laune, Chris Evans und Hayley Atwell haben mehr Chemie als alle anderen Marvel-Filmpaare, und man muss einfach seinen Hut davor ziehen, wie gut die Autoren Christopher Markus und Stephen McFeely ihren Protagonisten für das Publikum von Heute aufbereiten. Captain America ist ganz klar ein Mensch seiner Zeit, und obwohl der Film sein historisches Setting atmet und lebt, ist es auch klar ein Film der Gegenwart. Und somit frei von der Propaganda der frühen Comics über Steve Rogers.


Der liebste Avenger der großen Kinogemeinschaft hat mich mit seiner dritten Solomission dann auch endlich vollauf gepackt: Shane Black, der Drehbuchautor hinter solchen Action-Kultfilmen wie Lethal Weapon, schwingt sich nach Kiss Kiss Bang Bang nochmal auf den Regiestuhl und verpasst der Iron Man-Reihe eine tüchtige Dosis Lässigkeit, die sich sehr gut mit der Coolness von Robert Downey junior verträgt. Der zentrale Konflikt handelt dieses Mal nicht von einem Fiesling, der Tony Stark unbedingt seine Erfindung stehlen will, sondern von einer ganz anderen externen Bedrohung. Sowie von den inneren Kämpfen, die unser Titelheld austragen muss. Spritzige Actionszenen, die sich auf eine eigene Dramaturgie und pfiffige Ideen verlassen, statt auf reines Effektgewitter, extrem coole Nebendarsteller und ein herrlich-kesser Twist machen Iron Man 3 zu einem extrem guten 80er-Actionfilm, der sich sehr überzeugend als Marvel-Bombastspaß der Jetztzeit verkleidet. Saucool!


Einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten und womöglich der bislang ikonischste Marvel-Superheldenkracher. Und das alles vollkommen zurecht! Joss Whedon gelang mit seinem Big-Budget-Debüt ein unverschämt agiles Kunststück: Der Buffy-Schöpfer bringt mehrere exzentrische Superhelden unter einen Hut, um mit ihnen ein Actionspektakel zu veranstalten, das für Fans und Neuzugänge gleichermaßen geeignet ist. Schnippische Dialoge, große Actionszenen, in denen jeder Held seine Stärken beweisen kann, aufregende Kamerafahrten, und eine flüssige Dramaturgie: Dieser Film ist waschechte, köstliche Popcorn-Unterhaltung ...


... jedoch ist Marvel's The Avengers auch, wenn wir mal die zu stemmende Mammutaufgabe und Pioniersarbeit total dreist ignorieren, relativ "normal". Dafür, dass ein Gott, ein Mulitmillionär, ein Supersoldat aus den 40ern, ein Wissenschaftler mit Wutbewältigungsproblemen sowie zwei Spitzenagenten zusammenkämpfen, lässt es Avengers noch sehr bodenständig angehen. Das kann man dem Film auch auf gar keinen Fall ankreiden! Beim Schritt von einer Blockbustermarke zu einer Überblockbustermarke direkt mit nerdigem Comicwahnwitz um sich zu schlagen, wäre vermessen gewesen. Als aber im Sommer 2015 Avengers: Age of Ultron anstand, war ich sowas von bereit für exzentrischen, megalomanischen Comic-Irrsinn. Für einen Film, der die komplexe, knallige Mythologie der Vorlagen voller Genuss auf die Leinwand bringt. Und genau das hat dieses Epos geleistet: Mehr von allem, ohne unter dieser Last zusammenzubrechen. Das Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt der Marvel-Filmsaga! Daran wird gewiss nicht jeder Freude haben, doch ich stehe auf diese ganz besondere Geschmacksrichtung!


Was. Für. Ein. Hammerfilm! Wenn so ziemlich das Einzige, was ich zu beklagen habe, der deutsche Filmtitel ist, dann haben wir es zweifelsohne mit einem stolzen Meisterwerk zu tun. Was Anthony und Joe Russo mit Captain America: Winter Soldier fabriziert haben, ist durchdachtes, adrenalinhaltiges, hochspannendes und unterhaltsames Bombastkino, wie es im Buche steht! Die Actionsequenzen überschlagen sich vor starken Stunts und packenden Charaktermomenten, die völlig verkannte Hochdruckmusik von Henry Jackman fetzt mehr, als alles andere in Marvels bisherigem Musikkanon und die Darstellerriege, bestehend aus Chris Evans, Anthony Mackie, Scarlett Johansson, Robert Redford, Sebastian Stan, Samuel L. Jackson und Frank Grillo balanciert perfekt auf dem schmalen Grat zwischen Entertainment-Feuerwerk und Politthriller ... Dieses Mordsstück von einem Superheldenknaller fesselt mich jedes Mal aufs Neue und legt die Messlatte für die dritte Phase des Marvel Cinematic Universe ungeheuerlich hoch! Civil War? Zeig, was du kannst!