Sonntag, 28. August 2016

Battleship



Der sein Potential konsequent unterbietende Tunichtgut Alex Hopper (Taylor Kitsch) wird von seinem Bruder Stone (Alexander Skarsgård) dazu verdonnert, bei der US-Navy anzuheuern. Dort kann sich der temperamentvolle Alex zwar zum Leutnant mausern und eine Beziehung mit Admiralstochter Samantha (Brooklyn Decker) aufbauen, Verantwortungsbewusstsein lernt er trotzdem nicht. Deswegen steht ihm der Rausschmiss aus dem Militär kurz bevor. Aber während des großen Rimpack-Flottenmanövers entdeckt die Flotte des Admirals Shane (Liam Neeson) ein gigantisches, unbekanntes Objekt im Meer. Wie sich herausstellt, ist es außerirdischen Ursprungs und baut ein Schutzschild um sich auf. Nur noch eine Handvoll Zerstörer der Navy befindet sich in Reichweite des Objekts, der Kontakt zur Außenwelt ist nicht möglich. An Bord eines dieser Schiffe befindet sich Alex, der alsbald sein Führungstalent beweisen muss, denn die Aliens verfügen über zerstörerische, übermächtige Waffen ...

Schiffe versenken: Der Film

Anfang des Jahrzehnts: Comicverfilmungen haben sich von einer Rarität in Hollywood zu einer festen, kommerziell außerordentlich rentablen Institution entwickelt. Comicriese Marvel baute sogar ein eigenes Studio auf, welches mit Iron Man, Captain America und Co. die Blockbuster-Landschaft ordentlich aufmischt. Kein Wunder, dass auch weitere filmfremde Unternehmen in dieses Geschäft einsteigen und ihre Lizenzprodukte auf die Leinwand bringen wollen.

Die Firma Hasbro ist in dieser Beziehung der aggressivste Akteur. Auch wenn einige Hasbro-Projekte partout nicht fruchten wollen, sondern hartnäckig in der Vorbereitungsphase stecken bleiben. Dazu zählen eine neue Cluedo-Leinwandadaption sowie ein Monopoly-Spiel. Losgetreten wurde Hasbros Gier nach Kinoeinnahmen durch Transformers, die, von der Umsetzung ihrer frühen Filme abgesehen, durchaus das Zeug dazu haben, im Kino zelebriert zu werden. Immerhin haben diese als langlebige Reihe von Actionfiguren eine eigene Mythologie und etablierte Figuren zu bieten. Das bietet sich nicht weniger für einen Kinofilm an, als eine populäre Reihe von Comicheften.

Trotzdem ändert dies nichts an der filmischen Dreistigkeit, die Brettspiel-Variante des simplen Strategiespiels „Schiffe versenken“ um Aliens bereichert auf das männliche, jugendliche Kinopublikum loszulassen. Dass die Trailer eine inoffizielle Transformers-Fortsetzung erwarten lassen, machte Battleship schlussendlich zum Spitzenanwärter auf den Titel „kommerziell am kältesten durchkalkuliertes Filmprodukt 2012“. Angesichts dessen, dass schon die wesentlich filmtauglicheren Transformers bis dahin in reinen Effektlärm mündeten, sind das alles andere als viel versprechende Voraussetzungen für einen vergnüglichen Action-Blockbuster.

Vor diesem Hintergrund betrachtet ist Battleship eine gehörige qualitative Überraschung – und da der Film bis heute für viele Filmfreunde eine Lachnummer darstellt, ist er wohl auch ein unterschätztes Werk. Denn Hancock-Regisseur Peter Berg fabrizierte mit seiner Effektschlacht das flüssiger erzählte, kurzweiligere und somit aufregendere Gegenmodell zu Michael Bays Alien-Invasionen (die Zerstörungsoper Transformers: Ära des Untergangs mal ausgenommen). Und das, obwohl sich weder das Drehbuch, noch das Produktionsdesign mit Originalität bekleckern. Doch die Umsetzung stimmt, und das ist gerade bei dieser Art von auf Hochglanz polierter, anspruchsarmer Action-Unterhaltung ein entscheidender Punkt.

Einfallslos, aber vergnüglich umgesetzt

Das Autoren-Duo Jon & Erich Hoeber (R.E.D.) orientierte sich bei der Handlung und den Figurenentwürfen dieses Spektakels sehr eng an den einschlägigen Blockbuster-Vorbildern. Die Filmografie von Michael Bay wurde genauso wie ausgewählte Produktionen Jerry Bruckheimers (u.a. The Rock, Top Gun) nach bewährten Klischees abgeklopft und in das Konzept eines nautischen Militäractionfilms gepresst. Das einzige ansatzweise originelle an Battleship ist der Schauplatz, schließlich spielt unwirkliche Hollywood-Action auf hoher See derzeit nur im Piratenzeitalter. Ein Sci-Fi-Actionthriller, in dem die US-Navy gegen Aliens kämpft, hat dagegen schon einen unverbrauchten Klang.

Regisseur Peter Berg und Hauptdarsteller Taylor Kitsch (John Carter) gelingt zudem schon in den ersten Minuten, woran Michael Bay mit seinen jüngeren Regiearbeiten katastrophal scheiterte. Trotz aller Vorhersehbarkeit ist die Charakterisierung der Hauptfigur Alex Hopper nämlich sehr amüsant geraten. Anfangs zeichnet sich sogar ein Hauch emotionalen Dilemmas ab, doch dieser Ansatz geht nach einiger Zeit zwischen den Seegefechten unter. Trotzdem bleibt der spitzbübische Hopper eine sympathische Rolle, die zu keinem Zeitpunkt in das anstrengende Territorium von Shia LaBeoufs Transformers-Figur abgleitet.

Die restlichen Navy-Mitglieder unter den Figuren sind kaum mehr als Stichwortgeber, sowohl ernster als auch komödiantischer Natur. Liam Neeson wird sträflich unterbeschäftigt und Rihannas schmerzlich hölzernes Spiel wird durch die Coolness der ihr zugeteilten Sprüche überdeckt, ansonsten gibt es über diesen Aspekt von Battleship nicht viel zu urteilen. Überraschend spritzig sind dagegen die Szenen über die „Helden der zweiten Reihe“ rund um Brooklyn Decker. Diese mögen zwar am Reißbrett entworfen sein, dennoch enthalten sie viele augenzwinkernd-humorige Momente und dürfen auch Relevantes zur Hauptgeschichte beitragen. Auch hier gilt: Das bekommt nicht mehr jede überlange Popcorn-Produktion hin, und selbst wenn, dann selten so anspruchslos-engagiert wie bei Battleship.

Action, als wäre Transformers übersichtlich inszeniert

Das Hauptaugenmerk liegt selbstverständlich auf der bombastische Ausmaße annehmenden Action, die neben dem explosiven Meeresgeschehen vor Hawaii auch Abstecher aufs Festland macht, wo die Alienwaffen (deren Design sehr an die Transformers-Filme erinnert) eine Schneise der Zerstörung durch Großstädte ziehen. Was die schiere Masse an Explosionen, Schusswechseln und Krawall angeht, muss sich Peter Berg vor Sprengstoff-Maestro Michael Bay nicht verstecken. Berg unterscheidet sich vom Megalomanen Bay jedoch darin, dass er sein Publikum nicht inmitten des Getümmels von fliegendem Metall, Flammen und computergeneriertem Schutt und Asche packt. Stattdessen zieht Berg die Kamera ein Stück weit zurück, um aus einer mehr Überblick gewährenden Betrachterposition aus das volle Ausmaß der Zerstörung zu zeigen.

Dadurch lassen sich die enormen Schauwerte von Battleship besser bestaunen als die verwackelten und in Super-Nahaufnahmen verlorenen CGI-Monstrositäten aus den ersten drei Transformers-Filmen. Obwohl die 200-Millionen-Dollar-Produktion nach der Figureneinführung praktisch eine einzige, gewaltige Actionszene darstellt, wird die Seeschlacht zwischen Marine und Aliens nie langweilig. Dem Drehbuch mag es an Originalität und Anspruch mangeln, dennoch gelang es den Filmemachern, durch abwechslungsreiche Actionsequenzen den Unterhaltungsfaktor oben zu halten und dem Effektwahnsinn eine klare Richtung zu verleihen. Anders gesagt: Die Story mag hauchdünn sein, aber sie erfüllt ihren Dienst, indem sie den (zu großem Teil digitalen) Bleihagel immer wieder unerwartet durchrüttelt und so vor Monotonie bewahrt. Sogar die Vorlage konnte man überraschend schlüssig in das Geschehen einbinden.

Die Filmmusik von Steve Jablonsky prescht währenddessen energisch voran und weiß, die Action kraftvoll sowie stimmig zu untermalen. Der Transformers 1 – 3-Komponist bedient sich allerdings freimütig an den typischen Stilmitteln jüngerer Hans-Zimmer-Filmmusiken; lange, bassreiche Noten erinnern zum Beispiel frappierend an Inception oder The Dark Knight. Aufgrund eines Verzichts auf einschneidende Leitthemen ist die während der Action noch sehr stark wirkende Musik nach dem Abschalten also rasch wieder vergessen. So steht der Filmscore als Paradebeispiel für das Gesamtwerk: Battleship bringt das Adrenalin für rund zwei Stunden zum Kochen und unterhält dabei recht mühelos. Sobald der Abspann beginnt, bleiben bloß ein paar coole Sprüche und die beeindruckenden Effekte in Erinnerung zurück. Als filmisches Fast Food funktioniert Battleship aber um Längen besser als die ein überdeutliches Vorbild darstellende erste Transformers-Trilogie.

Fazit: Peter Berg vermengt in einem nautischen Blockbuster-Flickenwerk „Schiffe versenken“ mit Transformers und einem Hauch Top Gun. Anspruch und Originalität gehen dabei früh von Bord, doch eine durchweg unterhaltsame Erzählweise und stattliche, mit sicherer Hand inszenierte Action machen aus einem dreisten Kommerzwerk die gelungenere Transformers-Alternative.

Donnerstag, 25. August 2016

Hardcore


Hart, schnell, krank und lediglich mit dem Minimum an Alibistory versehen: Musikvideo-Regisseur Ilya Naishuller und Produzent Timur Bekmambetov (Wanted) stellen sich vor den Actionkino-Alltag und versetzen ihm einen gepfefferten Tritt in die Eier. Denn ihr komplett in der Egoperspektive (nicht aber komplett am Stück) gefilmtes Stück kinematografischen Irrsinns namens Hardcore setzt sich aus der kühnen Derbheit der Crank-Filme und der wackligen Logik jener First-Person-Shooter zusammen, die primär auf ein hohes Gewaltpotential ausgelegt sind. Verschnaufpausen sind in diesem absonderlichen und kernigen Actionkonzentrat ungefähr so rar gesät wie in Mad Max: Fury Road. Jedenfalls, sobald der zumeist nur seine Hände zeigende Protagonist Henry erst einmal Fahrt aufgenommen hat. Denn seinem mit wildem Eifer verfolgten, adrenalingeschwängerten Feldzug gegen das in nur wenigen Worten erklärte Böse ist ein gemächlicher Prolog vorgeschaltet, der den Betrachter an die Ich-Perspektive gewöhnt und obendrein die Low-Sci-Fi-Welt dieser Nischenproduktion einführt:

Schwer verletzt wacht Henry im Labor seiner Frau Estelle (Haley Bennett) auf. Besorgt dreinblickend pflegt sie ihn, bringt seine Erinnerung auf Vordermann und nutzt ihr Wissen in Sachen Cyborgtechnologie, um ihrem Gatten mit hochmodernen Prothesen ein Weiterleben zu ermöglichen. Doch noch während des letzten Feinschliffs an der Prozedur, die Henry zu einem Kämpfer irgendwo zwischen Mensch und Maschine machen soll, platzt der psychopathische Akan (Danila Kozlovsky) ins Labor. Er demütigt Henry und nimmt Estelle gefangen, um sie dazu zu zwingen, eine willenlose Heerschar an kybernetisch aufgemotzten Soldaten zu erschaffen. Das kann Henry natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Also rennt, springt, prügelt, schießt und kämpft Henry im Moskau einer nahen Zukunft, was das Zeug hält, und um an Akan zu gelangen, dessen Plan vereitelt werden muss. Auf dem Weg zur Befreiung Estelles ist Henry nahezu auf sich allein gestellt. Nur der schräge Jimmy (Sharlto Copley) steht mit wirrem Rat und unvorhersehbarer Tat zur Seite …

Selbst wenn die Marketingköpfe hinter Hardcore es stellenweise so darzustellen versuchen: Die russisch-amerikanische Produktion ist längst nicht die erste „First-Person-Erfahrung“ der Kinogeschichte. Bereits die Kriminalroman-Adaption Die Dame im See von 1947 versuchte mit den damals gegebenen Möglichkeiten, den Zuschauer wortwörtlich in die Perspektive der Hauptfigur zu versetzen. Seither spielten Regisseure in unregelmäßigen Abständen mit diesem Konzept, wie etwa Gaspar Noé in Enter the Void, Franck Khalfoun in Alexandre Ajas Maniac oder Andreas Tom mit FPS – First Person Shooter. Während die erstgenannten Filme mit dem Perspektivspiel einen dramaturgisch-psychologischen Effekt erzielen, haben der deutsche Horrorfilm FPS und Hardcore eins gemeinsam: Sie imitieren den Look und das Feeling von Egoshootern – FPS schielt dabei auf den Horrorsektor, Hardcore stärker auf bewusst krude eine Mischung aus der Welt von Call of Duty: Advanced Warfare und dem Humor eines Duke Nukem 3D.

Als hauptsächlich mit der GoPro Hero3 Black Edition gedrehter Kinofilm hat Hardcore aber auch viel von den Videos, die eine Jugendsubkultur aus Russland mit Vorliebe bei YouTube hochlädt: Mit Helmkameras gefilmte Stuntvideos. Im Gegensatz zu diesen, die als Nebenprodukt von todesmutigen Aktionen entstehen, weiß der hoch kinetische Hardcore aber die Bedürfnisse des Publikums zu berücksichtigen: Regisseur Ilya Naishuller achtet stets darauf, dass trotz der sich unentwegt bewegenden Kamera eine Übersicht der Szene gewahrt ist. Wenn Henry etwa aus einem Geheimversteck flieht, so blickt er sich ruhig um, bevor das Chaos so richtig losbricht. So kann sich der Zuschauer Orientierung verschaffen, womit die geballten, schnellen Actionsequenzen noch immer spannend bleiben, statt zu einem reinen Bewegungswust zu verkommen. Nur gelegentlich stiftet Naishuller Verwirrung, dies aber teils mit gewitztem Effekt, etwa wenn Henry einen Sprung vom Dach eines Autos nur übersteht, weil er mit viel Glück auf dem vorbeifahrenden Motorrad einer Helferin landet.

Überhaupt bewahrt Naishuller seinen Actiontrip davor, eintönig zu werden, indem er die waghalsigen Stunts und das ruchlose Gemetzel mit pointiertem Humor auflockert: So selbstbewusst und fähig „Hardcore Henry“ auch auftreten mag, diverse Male überschätzt sich der Anti-Held dann doch und scheitert bei von anschwellender Musik begleiteten Kunststücken oder legt sich ganz schlicht und unzeremoniell bei einem Sprung auf die Fresse. Insofern ist Henry der schweigsame Bruder im Geiste des Crank-Protagonisten Chev Chelios: Jason Stathams abgebrühter Auftragskiller vollführt in seinen bislang zwei Filmen ebenfalls abgefahrene Dinge, bloß um an anderer Stelle über seine eigenen Füße (oder sein Ego) zu stolpern. Generell wirkt Hardcore wie ein in der Egoperspektive gefilmter Cousin des elektrisierenden und durchgeknallten Crank: High Voltage, der ebenfalls Actioneskapaden mit pechschwarzem Humor vermengt.

Während bei Mark Neveldine und Brian Taylor aber die kranken Einfälle Vorfahrt haben, legt Ilya Naishuller mehr Wert auf eine hohe Actiondichte – diese setzt sich zu ähnlich großen Teilen aus realistischen Stunts und unverfrorenen, ultrablutigen Gewaltspitzen zusammen. Eben diese Splatter-Momente stehen mal für sich und setzen somit hinter den vorhergegangenen Actionpassagen ein dickes Ausrufezeiten, andere werden vom Musikvideo-Regisseur wiederum so betont albern präsentiert, dass sie einen ganz abgeschmackten Humor bedienen. Allerspätestens im großen, von Queen-Musik begleiteten Finale lässt Hardcore jegliche Zurückhaltung links liegen und greift mit faszinierender Frechheit die Lachmuskeln der Zuschauer an, für die Zimperlichkeit ein Fremdwort ist.

Nicht, dass das krass-schrille Finale unvorhergesehen auf das Publikum hereinbricht: Mit dem extrem dick auftragenden Nebendarsteller Sharlto Copley haut Naishuller seinem Publikum eine genüsslich-exzentrische Rolle um die Ohren. Der unter anderem aus Elysium bekannte Südafrikaner chargiert sich wandelbar, doch stets maßlos übertrieben durch absurde Dialoge, die den Plot am Laufen halten und Hardcore zwar kein Herz, aber zumindest eine Persönlichkeit verleihen. . Wenngleich auch Copley die wenigen Leerläufe dieses Films nicht übertönen kann (so ist ein schwach ausgeleuchteter Abstecher in ein Bordell etwas lang geraten), sorgt er immerhin für Spaß und bestärkt Henry in seiner Motivation, es Akan heimzuzahlen. Denn Henrys rudimentär charakterisierte Freundin ist keine so überzeugende Antriebsfeder wie Copleys Jimmy, dessen sonderbare Art (die zu einer unvergesslichen Musicaleinlage führt) schon eher einen (kaputten) moralischen Orientierungspunkt markiert. Und das ist symptomatisch für Hardcore: Wieso nach Normalität streben, wenn es auch einen harten, bescheuerten Weg gibt?

Fazit: Harte, durchgeknallte Action für filmverrückte Adrenalinjunkies der Generation Call of Duty und YouTube: Hardcore pfeift auf Kinogesetze und bringt Videospiellogik sowie GoPro-Stuntaktionen ebenso derbe wie amüsant auf die Leinwand. Das ist nicht mehr Papas Actionkino!

Montag, 22. August 2016

A War


Wenige Minuten nach Filmbeginn rüttelt ein lautstarker Knall den Zuschauer durch: Eine dänische Gruppe von Soldaten patrouilliert durch Afghanistan, einen vorsichtigen, bedächtigen, langsamen Schritt nach dem anderen. Doch einer dieser Soldaten unternimmt einen fatalen Schritt, löst eine Landmine aus, die unter ohrenbetäubendem Lärm losgeht. Eingefangen in den unruhigen Bildern einer agilen Handkamera glaubt man sich fast in einer Dokumentation, die soeben einen grauenvollen Moment eingefangen hat. Und auch im Anschluss daran wirkt Tobias Lindholms A War vorerst wie ein nüchterner, den Trubel eines Afghanistaneinsatzes einfangender Tatsachenbericht. Nur gemächlich stellt sich Offizier Claus Michael Pedersen (Pilou Asbæk) als Hauptfigur dieses Filmes heraus:

Der belesene, einfühlsame Vorgesetzte einer Wacheinheit wird dabei gezeigt, wie er nach dem tragischen Landminenvorfall seine Einheit auf Kurs zu halten versucht. Ein Soldat will unbedingt nach Hause, weil ihn sein Gewissen umbringt – der von der Landmine gesprengte Kollege lief nämlich auf seinem Platz in der Soldatenkette. Mit den Einheimischen verhandelt Claus derweil, um sie dazu zu bringen, ihnen bei der Ortung weiterer Minen zu helfen. Ein Afghane wiederum bettelt Claus an: Sein jüngstes Kind hat schwere Brandwunden, und er weiß sich nicht mehr zu helfen. Claus versucht sein Bestes. Alsbald steht der besorgte Vater vor den Pforten des Stützpunktes: Wegen seines Kontaktes zum dänischen Militär seien nun die Taliban hinter ihm her. Claus muss immer mehr Entscheidungen in immer kürzerer Zeit treffen, all das, während seine geliebte Frau Maria (Tuva Novotny) ganz allein ihre drei Kinder großzieht und das Familienwohl aufrecht zu halten hat.

Tobias Lindholm gehört zu den wichtigsten Köpfen der aktuellen dänischen Filmlandschaft. Als Drehbuchautor verantwortete er unter anderem die Politthrillerserie Borgen – Gefährliche Seilschaften sowie das Schuld-oder-Verleumdung-Drama Die Jagd, als Regisseur und Autor verwirklichte er den Gefängnisfilm R sowie das Spannungsstück Hijacking – Todesangst ... In der Gewalt von Piraten über somalische Piraten. Ein wiederkehrender Clou in Lindholms Schaffen: Lindholm verankert seine Werke gern zunächst fest und stringent in einem Genre, bloß um nach einer inhaltlichen Zäsur einen drastischen Genrewechsel folgen zu lassen. So geht er auch in seinem für einen Oscar nominierten Drama A War vor:

Der umsichtige und stets um seine Jungs besorgte Claus schließt sich einem Routineeinsatz an, der außer Kontrolle gerät. Um einen Verletzten zu retten, muss Claus innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden, ob Unterstützung aus der Luft nötig ist und überhaupt eingreifen darf, oder ob dabei Kollateralschäden entstehen können. Kurz danach wird Claus aufgrund seiner Entscheidung unehrenhaft heimgeschickt. Die somit folgende bittersüße Rückkehr zu seiner Familie, bitter, da vor erniedrigendem Hintergrund, süß, weil er endlich seine Liebsten wiedersieht und seiner Frau unter die Arme greifen kann, nimmt jedoch kurz darauf an Bitternis zu: Claus muss vor ein Schöffengericht, um sein Handeln in Afghanistan zu rechtfertigen. Denn ihm wird vorgeworfen, leichtfertig den Tod von Zivilisten verschuldet zu haben.

Und diese Anklage ätzt sich in jede Pore des Protagonisten sowie des längst in den Bann gezogenen Betrachters: Lindholm nimmt der Bildsprache jegliche noch verbliebene Hektik, lässt die Kameras fast schon beängstigend ruhen. Die Sequenzen sind nunmehr von Stille, statt von sich überlappenden Dialogen geprägt und lassen somit Zeit zur Reflexion – aber nicht, um eine konkrete, unanfechtbare Antwort zu finden. Der zum Justizdrama gewandelte Kriegsfilm besteht im zweiten Akt aus zwei Sorten von Szenen: Jenen, in denen Claus im eigenen Heim wegen der ihn und seine Frau plagenden Gedanken keine Ruhe findet, und selbst unschuldige Anblicke wie die unter einer Decke herausragenden Füßlein seiner Kinder unschöne Erinnerungen wecken. Und jenen, die im unzeremoniellen, grau-grauen Gerichtssaal spielen, in denen gefordert wird, klare Aussagen über chaotische, zurückliegende Situationen zu treffen.

Mit der klinischen Sauberkeit und keinerlei Licht-und-Schatten-Metaphorik bedienenden, hellen Ausleuchtung des Gerichts verzichtet Lindholm auf jegliches Pathos sowie auf eine das Urteil vorwegnehmende Emotionalisierung. Der Schwerpunkt liegt allein auf Ethik, auf der Rechtslage und auf der Frage, ob Claus und die trocken befragten Zeugen aus dem zuvor gezeichneten, unübersichtlichen Geschehen Antworten zu ziehen wissen, die das Handeln des Protagonisten auch aus der Distanz rechtfertigen. Dank des facettenreichen Spiels von Pilou Asbæk, der vor allem im zweiten Akt mit seinen ins Nichts schweifenden, fragenden Blicken Bände spricht, und der starken, jegliche etwaigen Klischees der umsorgenden Soldatengattin oder hysterischen, da überlasteten Mutter vermeidenden Tuva Novotny, wird A War entgegen des so rationalen Fokus nie zu einem gefühlslosen Film: Claus‘ Schicksal darf Mitleid erregen, selbst wenn der nahezu durchweg auf Musikuntermalung verzichtete Lindholm es nicht provoziert. Ebenso überlässt er jedem einzelnen Betrachter sein eigenes Urteil: Was wäre die richtige Entscheidung gewesen, und kann diese überhaupt ohne ein großes „Aber …“ gefällt werden?

Fazit: Das mit vielschichtigen Darstellungen aufwartende, intelligente Drama A War ist eine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit Schuldfragen sowie eine einnehmende Befassung damit, was Soldaten in Afghanistan durchmachen.


Sonntag, 21. August 2016

The Jungle Book


Rudyard Kiplings Das Dschungelbuch gehört zu den großen Klassikern der Literatur. Möglicherweise noch berühmter als die Geschichtensammlung des britischen Autors ist allerdings die 1967 erstveröffentliche, aus den Walt-Disney-Animationsstudios stammende Zeichentrickadaption. Insbesondere in Deutschland hat sich der musikalische Film in die Popkultur und das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Mit mehr als 27 Millionen gelösten Eintrittskarten ist es der erfolgreichste Kinofilm der hiesigen Nachkriegsgeschichte und Lieder wie Probier’s mal mit Gemütlichkeit und Ich wär‘ so gern wie du sind in der Bundesrepublik absolute Evergreens geworden. Andere filmische Interpretationen der Buchvorlage kommen nicht einmal ansatzweise an den Bekanntheitsgrad des Oscar-nominierten Zeichentrickspaßes heran.

Nachdem Walt Disney Pictures in den 90ern bereits einen (zwar fortgesetzten, aber weitestgehend vergessenen) Realfilm aus dem beliebten Stoff machte, folgte dieses Frühjahr mit The Jungle Book eine neue Adaption in Form eines Effektspektakels. Die unter der Leitung von Iron Man-Regisseur Jon Favreau verwirklichte Produktion entstand nahezu ausschließlich am Computer – bloß das Menschenkind Mogli ist real. Das ist technisch beeindruckend, doch Favreau hat neben all der Effektextravaganz nicht vergessen, auch Humor und Spannung in seinen Film zu legen …

Ein digitaler Dschungel, der echter kaum wirken könnte
Der Menschenjunge Mogli wurde im indischen Dschungel von einem Rudel Wölfe großgezogen. Sein Mentor ist derweil der Panther Baghira, der ihm beibringt, welche Regeln im Tierreich zu beachten sind, und wie er im Urwald überleben kann. Als der garstige Tiger Shir Khan erfährt, dass es sich ein Mensch im Dschungel bequem gemacht hat, stellt er den anderen Tieren ein Ultimatum: Sie sollen den Buben ausliefern oder sie werden seine unbequeme Seite kennenlernen. Um Mogli zu schützen, beschließen seine Zieheltern und Mentor Baghira, ihn zur nächsten Menschensiedlung zu bringen. Doch auf dem Weg dorthin warten nicht nur weitere Gefahren, sondern auch die Versuchung eines von Sorgen befreiten Bärenlebens …

Tricktechnisch ist The Jungle Book ein wahrhaftes Meisterwerk: Visual Effects Supervisor Robert Legato und seinem Team ist es gelungen, am Computer einen täuschend echten, atemberaubenden Dschungel zu erschaffen. Die Wildnis ist nicht nur fotorealistisch, sie umgibt auch den einzigen Darsteller dieses Films nahtlos. Egal, ob Sethi alias Mogli durch Wiesen, Geäst oder Gestrüpp rennt, ganz gleich, ob die von Bill Pope (Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt) geführte Kamera dem Jungen auf Augenhöhe gegenübersteht oder auf ihn herabblickt und zeigt, wie seine Füße den Boden berühren: Stets wirkt es, als befände sich der Newcomer in einem tatsächlich existierenden, malerischen und dennoch bedrohlichen Dschungel.

Die Animation und Gestaltung der in diesem digitalen Dschungel lebenden Tiere ist ebenfalls gelungen, wenngleich nicht auf einem dermaßen überragenden Niveau: Während das Team des Effektkünstlers, der unter anderem bereits die Effekte in Titanic, Armageddon und Avatar – Aufbruch nach Pandora betreute, den verschiedenen Figuren eine überzeugende Körpersprache verleiht, sind die Mundbewegungen nicht bei allen Tieren gleichermaßen ausgefeilt. Die Übernahme von Bewegungsschemata, die so in der Natur vorkommen, wie etwa die mit kräftigen Schritten gezogenen Kreise eines Tigers, werden von den Animatoren behutsam mit vermenschlichten Akzenten bereichert, so dass die Tierfiguren fähig sind, Emotionen auszudrücken. Doch während etwa die Wölfe, Balu und King Louie flüssige, glaubwürdige Mundbewegungen haben und somit die Illusion sprechender, realistisch wirkender Tiere durchweg aufrechterhalten, gibt es sowohl bei Shir Khan als auch bei Baghira wiederholt Augenblicke, in denen ihre Münder nur auf und zu klappen, als seien sie Klapppuppen.

Aufgrund von Nethis Spiel stören die raren Momente, in denen die Umsetzung der Tierfiguren nicht komplett rund ist, allerdings nur in begrenztem Maße. Denn Nethi gelingt etwas, was manche ältere Kollegen, die schon mehrmals in ihren Filmen mit digitalen Geschöpfen zu tun hatten, nicht schaffen: Nethi interagiert mit seinen tierischen, am Computer erstellten Freunden und Feinden so, als befänden sie sich direkt in seiner Nähe. Während etwa Megan Fox in Teenage Mutant Ninja Turtles wiederholt und ganz verzweifelt die einzuhaltende Augenlinie zu suchen scheint, hat Nethis Spiel in Gesprächssequenzen etwas Ungezwungenes und (im besten Sinne) Alltägliches: Nethi hält während der Dialoge zumeist Augenkontakt, wandert aber auch, ganz wie es im wahren Leben ist, mit dem Blick ab, um auch die Körpersprache seines Gegenübers wahrzunehmen oder bei unangenehmen Themen dem Blick seines Gesprächspartners zu entgehen. Bloß wenn Nethi eine Szene weitestgehend allein zu tragen hat, mutet der sportliche Jungdarsteller hölzern an, schaut beispielsweise etwas distanziert aus seiner roten Unterwäsche oder lässt seinem Bewegungsablauf anmerken, dass er einstudiert ist.

Neu, und doch bekannt
Für Jon Favreau ist The Jungle Book somit etwas ähnliches wie ein Comeback: Der Regisseur, der mit dem unfokussierten Iron Man 2 und dem trägen Cowboys & Aliens Zweifel aufkommen ließ, ob er den Big-Budget-Dreh noch raushat, meldet sich nach dem peppigen Indie Kiss the Cook auf dem großen Parkett mit einer wiedergewonnenen Leichtigkeit zurück. Zwar ist Favreaus The Jungle Book aufgrund der so real wirkenden Gefahren, denen sich Mogli zu stellen hat, deutlich nervenaufreibender als der Disney-Zeichentrickklassiker. Allerdings besteht The Jungle Book ja nicht ausschließlich aus dem ruchlosen Shir Khan, der gigantischen Kaa und dem ebenso wechsellaunigen wie überdimensionalen Louie: Nach dem etwas zähen Einstieg, in dem Drehbuchautor Justin Marks Storypunkte wie die Funktionsweise des Wolfsrudels arg ausführlich, doch ohne Drive, erklärt, findet The Jungle Book eine bezaubernde Balance aus aufregendem Abenteuer-Feeling, dramatischen Wendepunkten und vergnüglichen Atempausen – all das begleitet von John Debneys monumentaler Filmmusik, die neue Themen clever mit Reprisen der 1967er-Stücke vermengt.

Und nicht nur musikalisch gibt es wohlige Déjà-vus: Wie schon in der Zeichentrickversion schickt sich Balu an, der große Publikumsliebling zu werden: Locker-lässig aus der Hüfte geschossene Sprüche und ein warmes Gemüt machen den Bären zur guten, kumpelhaften Seele dieses Films, während Baghira einmal mehr mit seiner selbstlosen Sorge um Mogli und seinem Wissen über das schwierige Verhältnis zwischen Zivilisation und Tierreich das strenge Gewissen darstellt.

King Louie derweil ändert sich vom ungefährlichen, ulkigen Stolperstein in Moglis Reise zu einem einschüchternden wie sonderbar-komischen XXL-Mafiaboss. Shir Khans Motivation ist indes stärker ausgearbeitet als im Disney-Original: Der Tiger wird somit vom galant-gemeinen Fiesling des Zeichentrickklassikers zu einem gleichermaßen groben wie gerissenen Demagogen. Interessanterweise hat der seine Erzählung eines im Dschungel lebenden Menschen insgesamt mehrdimensionaler anpackende „Realfilm“ von Jon Favreau eine launigere Schlussnote als das zum Schluss melancholisch werdende, zuvor so beschwingte Walt-Disney-Zeichentrick-Dschungelbuch. Das ist etwas perplex, und bekommt durch das bereits angekündigte Sequel einen bitteren Nachgeschmack des reinen Kommerzdenkens. Aber wenn der Abspann mit viel Witz und guter Musik (sowie in der generell sehr einnehmenden 3D-Version mit jeder Menge starken Pop-up-Effekten) besticht, dann verjagt Favreau mit geballtem Spaß jeden Zweifel: The Jungle Book ist einer dieser Neuaufgüsse, die problemlos neben dem nostalgisch verehrten, nüchtern betrachtet aber leicht überschätzten Vorbild bestehen können.

Fazit: Starke Tricktechnik, sympathische Figuren und gute Musik: The Jungle Book ist eine sehenswerte, etwas dramatischere und abenteuerlichere Ergänzung des gezeichneten Disney-Klassikers.

Dienstag, 16. August 2016

Endlich offiziell: Geoff Zanelli übernimmt für Hans Zimmer das Ruder in der "Pirates"-Musikwelt


Lange mussten Pirates of the Caribbean-Fans warten, um zu erfahren, wer nach Hans Zimmer ans musikalische Steuerrad treten wird. Der Oscar-Preisträger gab bereits kurz nach dem Kinostart von Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten bekannt, für einen etwaigen fünften Teil nicht zur Verfügung zu stehen. Er sei vollkommen ausgetrocknet, was Ideen für Piratenmusik anbelangen würde. Als der fünfte Teil langsam Gestalt annahm, wurden viele Namen offiziell bestätigt. Sowohl was den Pirates of the Caribbean: Dead Men Tell No Tales-Cast anbelangt, als auch die -Crew des fünften Sparrow-Abenteuers. Nur hinter einer Position prangte ein gigantisches Fragezeichen: Der des Komponisten.

Schon 2014 ließ die Gerüchteküche verlautbaren, dass wahrscheinlich Geoff Zanelli übernehmen wird, doch erst jetzt macht Walt Disney Pictures diese Personalfrage offiziell. Und es hätte kaum eine bessere Entscheidung für die seeluftgeschwängerte Filmreihe geben können.

Denn Zanelli ist seit Beginn der Piratensaga ihre heimliche Nummer in Sachen Musik. So arbeitete er im Erstling intensiv an der Erkennungsmelodie der Skelettpiraten und verlieh deren Thema (nach eigenen Aussagen) eine "Cinderella auf einem Metallica-Konzert"-Stimmung, außerdem verpasste er dem Film eine seiner knackigsten Seeschlacht-Melodien. Im zweiten Teil verantwortete Zanelli derweil die percussionlastige Leitmusik der Kannibalen und Tia Dalmas subtil-schaurig-schönes Motiv, während er im dritten Teil den Track Entering the Bath House und die meisten der Calypso-Stücke beisteuerte. In Fremde Gezeiten schlussendlich komponierte Zanelli in Rücksprache mit Zimmer das Leitthema für die Spanier sowie das der Briten.

Darüber hinaus arrangierte er ausgewählte Stücke Zimmers für einzelne kurze Szenen in den Pirates-Fortsetzungen um (etwa formte er aus Hoist the Colors die Eröffnungsmelodie der Schiffbruch-Bay-Szene). Und die Krönung zum Schluss: Basierend auf Zimmers Demo arrangierte Zanelli sämtliche He's a Pirate-Abspannvariationen der bisherigen PotC-Teile.

Über Dead Men Tell No Tales sagt Zanelli: "Was Hans für die Pirates-Filme erschaffen hat, definierte den Klang eines gesamten Genres neu. Es war stets erfüllend, mit ihm und Jerry Bruckheimer an den vergangenen vier Filmen zu arbeiten. Dead Men Tell No Tales vergrößert das Pirates-Universum um neue, einzigartige Elemente, und ich werde dem entsprechend eine unverwechselbare Klangwelt für diesen Film formen, die die bisherigen Jahre der Zusammenarbeit am Pirates-Kosmos als Sprungbrett nutzen wird."

Klingt großartig, klar soweit?! Darauf eine Buddel voll Rum!

Sonntag, 14. August 2016

10 Cloverfield Lane


Sie wurde unter Film- und Fernsehfans bereits unzählige Male diskutiert: Die „Mystery Box“, mit der Produzent J. J. Abrams seine bevorzugte Herangehensweise ans Geschichtenerzählen beschreibt. Laut Abrams mangelt es unserem modernen Entertainment zumeist am Reiz des Geheimnisvollen, was er mit der Erzählweise sowie der Vermarktung seiner TV- und Kino-Projekte zu ändern versucht. Das mit konkreten inhaltlichen Angaben sehr sparsame Star Wars: Das Erwachen der Macht-Marketing hat dies zuletzt auf Blockbuster-Ebene vorgemacht, doch das Paradebeispiel für Abrams‘ Philosophie dürfte wohl Cloverfield sein. Die 25-Millionen-Dollar-Produktion wurde durch einen ein mysteriösen Trailer angekündigt, der im Sommer 2007 in den USA vor Transformers kopiert wurde. Zuvor war das Projekt vollkommen unbekannt, auch anschließend hielten sich der Verleih Paramount Pictures und Abrams‘ Produktionsfirma Bad Robot mit Informationen bedeckt.

Die Wartezeit bis zum Kinostart im Januar 2008 wurde durch ein aufwändiges virales Marketing überbrückt, das Interessenten mehr über die Welt erzählte, in der Matt Reeves‘ Found-Footage-Horrorthriller angesiedelt ist. Filmszenen und den eigentlichen Inhalt der Produktion anreißende Details blieben derweil äußerst rar. Das Publikum begrüßte es, und angesichts positiver Kritiken und weltweiten Einnahmen von 170,8 Millionen Dollar wurden alsbald auch Stimmen laut, dass ein weiterer Cloverfield-Film folgen könnte. Anfang 2016 überraschten Bad Robot und Paramount erneut mit einem Trailer, den zuvor keiner hat kommen sehen: Michael Bays 13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi startete in den USA in Begleitung eines atmosphärischen Trailers, der sich in seinen letzten Sekunden als Vorschau auf das bis dahin komplett geheim gehaltene Projekt 10 Cloverfield Lane enttarnt. Eine direkte Cloverfield-Fortsetzung sei der nur 15 Millionen Dollar teure Film allerdings nicht, wie die Filmemacher der Presse kurz darauf mitteilten. Es handle sich eher um einen „Blutsverwandten“. Und wenn der Cloverfield-Familie eins im Blut liegt, dann wohl schneidende Spannung …

Ratlos im Bunker

Im Mittelpunkt der rätselhaften Ereignisse steht die junge Frau Michelle (Mary Elizabeth Winstead), die überstürzt aus ihrem bisherigen Leben flieht. Dabei gerät sie in einen schweren Unfall, nach dem sie in einem unterirdischen Bunker erwacht. Eingeschlossen in einem kargen Raum. Festgekettet. Der streng dreinblickenden Mann (John Goodman), der Michelle überwacht, spricht in wirren Worten davon, dass draußen etwas Grausames vor sich gegangen sei. Nur in diesem Schutzbunker wäre man also noch sicher. Michelle schenkt dem Mann allerdings keinen Glauben. Deutet doch alles daraufhin, dass sie entführt wurde. Dann aber bemerkt Michelle, dass sich eine weitere Person im Bunker befindet: Emmett (John Gallagher Jr.), der beteuert, dass es an der Erdoberfläche tatsächlich zu erschreckenden, mysteriösen Ereignissen gekommen sei. Sagen die beiden Männer womöglich die Wahrheit? Oder wartet das Grauen eher im Inneren des Schutzbunkers?

Nachdem Regisseur Matt Reeves in Cloverfield den Found-Footage-Ansatz nutzte, um als angebliche Videoaufnahme eines New Yorker Yuppies zu zeigen, wie dieser einen Monsterangriff auf den Big Apple erlebt, geht Dan Trachtenberg in 10 Cloverfield Lane einen inszenatorisch klassischeren Weg. Doch auch ohne Found-Footage-Gimmick gelten in diesem kammerspielartigen Thriller Beschränkungen der Erzählperspektive: Die Erzählung konzentriert sich praktisch durchgehend auf Michelle, das Drehbuch von Josh Campbell, Matt Stuecken und Damien Chazelle ist so aufgebaut, dass der Zuschauer zu keinem Zeitpunkt einen nennenswerten Wissensvorsprung gegenüber Michelle hat. Daraus zieht Trachtenberg jede Menge Spannung, indem er das Publikum unentwegt miträtseln lässt: Was ist an der Oberfläche geschehen, welche Absichten haben Emmett und der sich als Howard vorstellende Besitzer des Bunkers? Gibt es einen Ausweg aus dem Bunker, und wenn ja, wäre es klug, ihn zu wählen?

Rundum spannend

Inszenatorisch macht Trachtenberg bei seinem Debütfilm nahezu alles richtig: 10 Cloverfield Lane ist einer dieser Filme, die tonal unentwegt auf der Kippe stehen und daher unberechenbar sind. Einerseits schürt der Regisseur ein Gefühl der Beklommenheit und Klaustrophobie, etwa durch Einstellungen, die unterstreichen, wie bedrückend Michelles grau-braune Betonzelle innerhalb des Bunkers ist. Andererseits sind andere Räume in Howards Bunker heimeliger, mit Einrichtung in einem etwas piefigen 60er-Jahre-Charme, einer stylischen Jukebox und einer großen Sammlung von teils sehr schrägen VHS-Filmen. Kameramann Jeff Cutter steuert derweil gegen die Erwartungshaltung an, und bricht das statische, auf den Bunker beschränkte Geschehen durch dynamische Aufnahmen auf: Mal sind es schleichende Fahrten vom Ende eines Raumes hin zu den sich bedächtig anschweigenden Figuren, andere Male saust die Kamera leicht wackelnd durch den Bunker, wenn die Stimmung unter dem Erdboden eskaliert.

Begleitet wird das hoch atmosphärische Geschehen durch Instrumentalmusik von The Walking Dead-Komponist Bear McCreary, der auf lautstarke, symphonische Klänge setzt und somit nicht den beengenden Handlungsort, sondern die bewegten Emotionen Michelles in Musik umwandelt. Die Klang-Bild-Schere ist daher zuweilen arg groß, jedoch verleihen die Darsteller 10 Cloverfield Lane der getragenen Musik zum Trotz ein erdiges Gefühl. Hier stehen keine überzeichneten, überlebensgroßen Hollywood-Kino-Figuren im Mittelpunkt, sondern glaubwürdige, ambivalente Figuren mit Indie-Feeling. Mary Elizabeth Winstead begeistert als das absolute Gegenteil einer typischen „Scream Queen“, also einer verängstigten Horrorfilm-Protagonistin, die ihrer Darstellerin bloß aufreibende Schreie abverlangt. Winstead fürchtet sich leiser und echter, mit vorsichtigem Zittern am ganzen Leib – wobei sie nur selten vor Angst erstarrt. Die Drehbuchautoren haben eine Figur erschaffen, die in jeder Situation nach einer Lösung sucht, um diese dann mit Geduld und Kombinationsgabe umzusetzen. Dennoch wirkt Winsteads Michelle nie abgebrüht, so dass sie als ideale Identifikationsfigur dient.

John Gallagher Jr. wiederum sorgt als unbedarfter, lässiger Typ für unaufgeregten Humor, während John Goodman seine beste Leistung seit über zehn Jahren abliefert: Er bringt die wechselhaften Launen Howards allesamt dermaßen glaubhaft rüber, dass jede Stimmungsschwankung aufs Neue schockiert. Kaum gewöhnt man sich an den etwas verpeilten, aber gutmütigen Retter, wandert er in psychopathische, bedrohliche Gefilde ab. Und kaum gewöhnt man sich an den still-bedrohlichen Howard, wandelt er sich zum cholerischen, ansonsten normalen Zeitgenossen. Oder zeigt sonst eine mittlerweile wieder vergessene oder gar gänzlich neue Facette. Somit verleiht Goodman 10 Cloverfield Lane auch einen sehr dunklen, aber prägenden Sinn für Humor, denn mitunter sind seine Stimmungsschwankungen ebenso abrupt wie pointiert. Gerade diese humorigen Momente machen die unvermeidlichen Entgleisungen umso nervenaufreibender. Und selbst wenn nicht alle für die immense Spannung sorgenden Rätsel auch bis zum Schluss Rätsel bleiben, sorgt 10 Cloverfield Lane mit subtilen Verweisen auf Cloverfield und einigen weiteren offenen Fragen auch nach dem turbulenten Finale für Grübelfalten.

Fazit: Atmosphärisch dicht, hochspannend und eine schauspielerische Tour de Force: 10 Cloverfield Lane ist Spannungskino par excellence!

Samstag, 13. August 2016

Eddie the Eagle – Alles ist möglich



Die Olympischen Winterspiele 1988 gehören wohl zu den denkwürdigsten der Sportgeschichte: Unter anderem sorgte in diesem Jahr eine Bobmannschaft aus dem tropischen Jamaika für Wirbel. Diese ultimative Underdog-Geschichte einer Gruppe von unerfahrenen Sportlern, die sich in einer Disziplin zu beweisen versucht, die in ihrer Heimat keinerlei Standing hat, inspirierte wenige Jahre später einen Kinofilm: Jon Turteltaubs Disney-Sportkomödie Cool Runnings von 1993. Glaubt man den Pressestatements, die Kingsman – The Secret Service-Regisseur Matthew Vaughn zum Besten gegeben hat, war es dieser Film, der ihn dazu gebracht hat, nun eine ähnlich gelagerte Produktion anzupacken: Als er sich eines Abends mit seinen Kindern Cool Runnings angesehen hat, war er nach eigener Aussage völlig begeistert – und zudem erschüttert, dass niemand mehr solche Werke ins Kino bringt. Also hat er es sich zur Aufgabe gemacht, selber so einen Film zu verwirklichen. Und zwar über den Skispringer Michael „Eddie the Eagle“ Edwards, der ebenfalls bei den Olympischen Winterspielen von 1988 die Presse und die Öffentlichkeit mit einer außergewöhnlichen Geschichte in seinen Bann zog.

Seit seinen frühsten Kindstagen träumt Eddie Edwards (Taron Egerton) davon, Olympionike zu werden. Aufgrund seiner Ungeschicklichkeit, seiner Sehschwäche, seiner schwachen Knie und seiner nicht gerade athletischen Statur ist Eddie aber in den Augen vieler ein verlorener Fall. Von ihm selbst abgesehen glaubt nur seine Mutter (Jo Hartley) an ihn, selbst wenn er in einer Disziplin nach der nächsten versagt. Erst, als er eines Tages das Skifahren für sich entdeckt, macht sich Hoffnung bereit. Diese wird Jahre später jäh vom britischen Olympiakomitee zerstört, als er trotz guter Leistungen aufgrund seiner tölpelhaften Art aus dem Team geschmissen wird. Eddie lässt sich von diesem Rückschlag aber nicht lange aufhalten: Als er erfährt, dass er es dank veralteter Regeln als Skispringer zu den Olympischen Spielen 1988 schaffen könnte, macht er sich nach Garmisch-Partenkirchen auf, um den halsbrecherischen Sport im weltbekannten Skispring-Trainingszentrum zu erlernen. Dort legt sich Eddie erwartungsgemäß unentwegt auf die Nase, was den trunkenen Pistenwart und Ex-Skispringer Bronson Peary (Hugh Jackman) gegen ihn aufbringt. Alsbald bilden die beiden Außenseiter des Skisprung-Trainingsgeländes jedoch ein ungleiches Duo, das sich vornimmt, es den überheblichen Profis zu zeigen ...

Auch hinter den Kulissen ist Eddie the Eagle eine kleine Underdog-Geschichte: Da sich Matthew Vaughn keine familientaugliche Regiearbeit zutraut, übergab er den Posten an seinen Freund Dexter Fletcher, um selber bloß als Produzent zu fungieren. Der hauptsächlich als Schauspieler tätige Fletcher inszenierte bislang lediglich die positiv besprochenen, in den Kinos aber kaum gesehenen Nischenfilme Wild Bill und Sunshine on Leith. Das erklärt wohl auch, weshalb nicht er, sondern Vaughn in den Promomaterialien eine prominente Nennung erhält. Mit dieser 23-Millionen-Dollar-Produktion beweist Fletcher jedoch, dass er nicht unterschätzt werden sollte: Der 50-Jährige fängt mit Eddie the Eagle das gut gelaunte, anspornende Feeling typischer Disney-Sportkomödien ein, ohne dabei seinen Film zu einer schalen Kopie verkommen zu lassen.

Mit Texteinblendungen in einer verstaubten 80er-Schriftart und einer von Synthesizern bestimmten, kühlen, jedoch beschwingten Instrumentalmusik aus der Feder von Matthew Margeson verleiht Fletcher Eddie the Eagle ein intensives Retro-Feeling. So sehr, dass man fast gewillt wäre, zu glauben, dass dieser Film kurz nach den Olympischen Winterspielen von Calgary entstanden ist – würde nicht die Präsenz heutiger, prominenter Darsteller verraten, dass er aus der Jetztzeit stammen muss. Diese sind, selbst wenn sie der Illusion eines wiederentdeckten, filmischen Relikts nicht zugute kommen, allerdings perfekt gecastet: Kingsman – The Secret Service-Hauptdarsteller Taron Egerton versinkt völlig in der Titelrolle und meistert scheinbar mühelos den Spagat zwischen dick aufgetragenem Humor und ehrlicher Verneigung vor dem Mann, dessen Lebensgeschichte hier frei nacherzählt wird.

Mit vorgeschobenem Unterkiefer, verkniffenen Augen und polterndem Slapstick wirkt es eingangs so, als spiele Egerton bloß eine Karikatur – jedoch ist diese nicht ernstzunehmende, amüsante Oberfläche nötig. Immerhin wirkte auch der echte Eddie the Eagle auf viele Menschen im Sportzirkel genau so. Wenn sich Egerton alias Eddie dann aber mit versiertem Blick, stolz geschwellter Brust und auf einmal nicht mehr brüchiger, sondern sicherer Stimme einer Herausforderung stellt, wird klar, dass er sein Rollenvorbild ernst nimmt. Ebenso, wie diese Szenen verdeutlichen, wie unerschütterlich der olympische Gedanke ist, der Eddie the Eagle innewohnt. Sein (fiktionaler) Trainer Bronson Peary ist derweil eine perfekt auf Hugh Jackman zugeschnittene Figur: Grummelig, aber jovial, ungestüm, aber mitreißend und liebenswert.

So gut die Beiden bereits für sich genommen sind – gemeinsam blühen sie erst so richtig auf: Wie schon in Kingsman – The Secret Service beweist Egerton auch in Eddie the Eagle als Schüler eine bestechende Chemie mit seinem Leinwandmentor. Und genauso wie Egertons Zusammenspiel mit Colin Firth ist seine Interaktion mit Jackman sowohl von spritzigem Dialogwitz geprägt, als auch dahingehend glaubwürdig, dass sich beide Figuren allmählich sympathisch werden. Das Drehbuch von Sean Macaulay und Simon Kelton durchläuft zwar die üblichen Stationen einer inspirierenden Sportkomödie, allerdings wirkt der Handlungsverlauf nie erzwungen, sondern ergibt sich flüssig aus der zuvor eingeführten Mentalität der Figuren. Mit Details, wie Eddies Vater abfälliger Haltung gegenüber den Bemühungen seines Sohnes und Pearys Vergangenheit als in Ungnade gefallener Spitzensportler, lehnen sich Macaulay und Kelton (ob bewusst oder unbewusst) trotzdem deutlich in Richtung Cool Runnings. Ein kleiner Verweis auf die bobfahrenden Jamaikaner erweist sich dafür als sympathischer Tribut an die andere Irrsinnsgeschichte von Calgary, so dass diese expliziten Gemeinsamkeiten der beiden Filme nicht weiter stören.

Eine weitere Parallele zwischen Eddie the Eagle und dem Disney-Evergreen: Der stets humorvolle, leichtgängige Tonfall ermöglicht es beiden Filmen, ihre „Gib niemals auf!“-Botschaft unpathetisch zu vermitteln. Eddies Leistungen als Skispringer werden von Fletcher nie so inszeniert, als seien sie bahnbrechend. Stattdessen fängt Kameramann George Richmond Eddies von Stolz erfülltes und erleichtertes Gesicht sowie die staunenden Massen ein, um zu zeigen, wie unfassbar es ist, dass dieser unerfahrene Typ überhaupt seinen Sprung geschafft hat. Hinzu kommt Eddies ulkige Jubelei, die ihn 1988 zu einem der Olympia-Publikumslieblinge gemacht hat, und schon wird deutlich, dass es in diesem Film darum geht, sich selbst etwas zu beweisen: Hier geht es nicht um eine „Von der 0 zum Champion“-Story. Es ist, wie ein launig geschriebener Monolog in diesem Film aussagt, generell nicht von Belang, der Beste zu sein. Wichtiger ist es, sein Bestes zu geben. Und das ist ein ebenso anspornender wie aufmunternder Gedanke.

Fazit: Eddie the Eagle – Alles ist möglich ist die beste Sportkomödie des bisherigen Jahrzehnts: Mit sympathischen Darstellern, viel Humor und einer leichtfüßigen „Gib dein Bestes!“-Botschaft ist dieser Filmspaß ein regelrechter Überflieger.

Freitag, 12. August 2016

Batman v Superman – Dawn of Justice


Batman und Superman: Zwei der bekanntesten Superhelden der Comicgeschichte. Wenn diese Beiden gegeneinander antreten, ist dem daraus resultierenden Duell große Aufmerksamkeit sicher. Im Comicbereich kommt es daher in unregelmäßigen Abständen zum Kampf der Giganten, mit Zack Snyders Batman v Superman: Dawn of Justice findet der Heldenzwist erstmals als Realfilm den Weg ins Kino. Doch nicht nur aufgrund des Eventcharakters der feindlichen Begegnung zwischen Batman und Superman lastet viel auf den Schultern dieses Films: Als zweiter Part im ‚DC Extended Universe‘ führt die Big-Budget-Produktion zahlreiche Figuren und mythologische Aspekte ein, die in weiteren Filmen noch eine Rolle spielen werden. Und zudem gilt es nach dem kontroversen Man of Steel, eine Kurskorrektur der Rezeptionsgeschichte des Kinofranchises vorzunehmen. Große Aufgaben, die da auf Batman v Superman: Dawn of Justice warten. Doch leider wird Snyders Epos diesen nicht gerecht.


Kein Plot, sondern eine Ansammlung an zusammengeklöppelten Filmkonzepten
Obwohl die Trailer bereits gefühlt 80 Prozent der Story enthüllt haben, bat Warner vor Kinostart die Kritikerzunft, in ihren Artikel nicht zu viel zu verraten. Davon abgesehen, dass dieser Widerspruch zwischen eigener Kommunikation und dem Wunsch dessen, was Medienjournalisten schreiben sollten, schon albern war, als Sony ihn vor den SPECTRE-Pressevorführungen äußerte: Sofern nicht irgendein Spoilerfreak in jeder seiner Kritiken zwanghaft die letzten 15 Minuten erläutert, wüsste ich nicht, was wir Kritiker im März groß über Batman v Superman: Dawn of Justice hätten spoilern können.

Denn das Drehbuch Chris Terrio und David S. Goyer besteht nicht etwa aus stringenten Geschichte oder aus mehreren aufeinander zulaufenden, einen eigenen Antrieb aufweisenden Subplots. Viel mehr besteht es aus einer Ansammlung von Handlungsansätzen, die einen eigenen Film tragen könnten, nun aber in rudimentärer Form halbherzig zusammengeklöppelt wurden: Der Unternehmer Bruce Wayne (Ben Affleck), muss hilflos mit ansehen, wie durch den in Man of Steel geschilderten Kampf zwischen zwei Aliens zahlreiche seiner Angestellten einen grausamen Tod sterben. Daher beschließt er, mehr über den in diesen Akt der Zerstörung involvierten Außerirdischen namens Superman (Henry Cavill) herauszufinden: Was sind seine Schwächen, und wie könnte er ihn im Gewand seines Superhelden-Ichs Batman töten, sollte es nötig sein?

Bruce Wayne ist nicht der einzige, der Superman kritisch beäugt: Zwar wird er gemeinhin als Retter der Menschheit erachtet, jedoch erzürnt diese Heldenverehrung jene, die bei Supermans erstem Einsatz schwer verletzt wurden oder einen geliebten Menschen verloren haben. Der US-Senat, insbesondere Senatorin Finch (Holly Hunter), denkt sogar laut darüber nach, ob er Supermans Einsätze nicht regulieren könnte. Der geniale Jungunternehmer Lex Luthor (Jesse Eisenberg) offenbart Finch alsbald, dass er ein Mineral gefunden hat, das gegen Superman und seine Artgenossen als Waffe eingesetzt werden könnte – von solch harten Maßnahmen will sie allerdings nichts wissen. Bruce Wayne alias Batman kommt unterdessen Luthors Entdeckung auf die Schliche, während Supermans Alter Ego Clark Kent seine Stellung als Journalist nutzt, um gegen Batman zu wettern: Ein Mann, der das Recht in seine eigene Hand nimmt? Das geht doch nicht!

Zwei Lichtblicke: Die Amazone und die Instrumentalmusik

Darüber hinaus umfasst Batman v Superman: Dawn of Justice den ersten Auftritt von Gal Gadot in der Rolle von Wonder Woman, einer weiteren populären Figur aus den Heften des DC-Comics-Verlags. Obwohl die Leinwandzeit der Kampfamazone knapp bemessen ist, zählt sie zu den raren Glanzmomenten dieses Films: Gadot verleiht Wonder Woman nicht etwa nur das in solchen Rollen wohl obligatorische gute Aussehen, die Fast & Furious 7-Mimin sticht vor allem durch kesse, vergnügte Gesichtsausdrücke aus dem betont ernsten, grau-schwarz-blauen Einheitsbrei dieses Films hervor. Hier ist sie, die eine Figur, die genießt, was sie tut! Begleitet von einer temporeichen, wilden Erkennungsmelodie mit energischen Kriegstrommeln, ist Wonder Woman in ihren wenigen Filmminuten eine dringend nötige frische Brise. Generell liefern die Komponisten Hans Zimmer und Junkie XL sehr gute Arbeit ab, selbst wenn abseits des Amazonenmotivs sämtliche Stücke sehr getragen daherkommen: Das Duo variiert clever Stücke aus dem Man of Steel-Score, findet ein exzentrisches, verspielt-psychotisches Thema für Eisenbergs launig dargebotenen Lex Luthor und die neuen Batman-Nummern reichen zwar nicht an die aus der The Dark Knight-Saga heran, trotzdem sind sie sehr effektiv.

Während die dick auftragenden, aber inspirierten Kompositionen überzeugen, lässt der Rest des Films die Kraft des Soundtracks vermissen: Die Geschichte wird unfassbar zäh erzählt, weder der Konflikt zwischen Batman und Superman, noch die inneren Konflikte der beiden Titelfiguren nehmen jemals so richtig Fahrt auf. Die Passagen, die nicht durch schwerfällige Dialoge oder eine behäbige Inszenierung weit über ihren Reizpunkt hinausgehen und somit dröge werden, lassen sich an einer Hand abzählen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verantwortlichen die Vorarbeit für weitere DC-Filme mit dem Vorschlaghammer vornehmen. Wiederholt bremst Batman v Superman: Dawn of Justice völlig aus und legt die eigentliche Story bei Seite, um weitere Figuren zu etablieren, die im Moment jedoch noch keine Rolle spielen. Alternativ werden in ausgedehnten Traumsequenzen/Visionen potentielle, spätere Plotlines angedeutet. Vor allem Batmans Handlungsfaden wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen, der mit Rückblenden, Vorausblicken und Traumsequenzen immer wieder auf der Stelle tritt und so ziellos wirkt. Zwar ließe sich argumentieren, dass Bruce Waynes unruhige Gedanken seine Wut auf Superman verstärken, allerdings wird somit nur seine eh etablierte Motivation weiter ausgewalzt – dabei wäre bei diesem hochdramatischen Tonfall etwas mehr Tiefe eher angebracht.

Jede Menge verschenktes Potential

Dabei ist Ben Afflecks Version von Batman gar nicht so uninteressant: Der Oscar-Preisträger spielt den Rächer im Fledermauskostüm als jemanden, der seine Wut in sich hineinfrisst und in dem die Gefühle pausenlos brodeln, obschon er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Statt laut polternd seinen Gegnern gegenüberzutreten, tritt er mit immensem Selbstbewusstsein, kühn und stoisch auf, was ihm eine äußerst einschüchternde Qualität gibt. Die Idee eines Solo-Batman-Films mit Affleck hat daher enormen Reiz, während Henry Cavills Superman in Batman v Superman: Dawn of Justice längst nicht mehr so interessant ist wie noch in Man of Steel: Zwar sind die Gedanken, die andere Figuren über Superman haben, von Belang, deren Komplexität werden die hölzernen Dialoge aber ebenso wenig gerecht, wie die Handlung selbst, die nach dem konfliktschürenden ersten Akt jegliche Ambiguität verliert. Der Kampf zwischen Batman und Superman fällt nicht etwa in die Kategorie „Beide Seiten haben irgendwie recht“, sondern in die keinerlei Spannung zulassende Sparte „Beide sind auf der falschen Fährte“. Verbunden mit Cavills steinerner Miene weist der Superman-Part dieses grimmen Superheldentreffens die Dynamik einer bleiernen Ente auf.

Durch die dramaturgisch schwach unterfütterten Motivationen und Lex Luthors teils haarsträubenden Pläne müssen die Actionpassagen allein auf ihrer visuellen Ebene punkten. Und während der im Marketing lang versprochene, im Film eher knapp gehaltene Kampf der Superhelden immerhin solide choreografiert ist, hat der große Finalkampf angesichts eines halbgaren CG-Endgegners einige unfreiwillig komisch aussehende Anblicke zu bieten. Der träge Epilog wiederum treibt Snyders eintönig-pathetische Bildsprache auf die Spitze, so dass der Anfang des Abspanns fast einer Erlösung gleich kommt: Keine lustlosen Szenenübergänge durch Schwarzblenden mehr. Keine Ultranahaufnahmen oder ungelenke Dialoge mehr. Keine bemühten Vorausdeutungen mehr. Sondern einfach nur ein satter Score!

Die Extended Edition ist trotz rund 30 Minuten zusätzlicher Laufzeit nicht fähig, die eklatantesten narrativen Makel auszubügeln. Die Psychologie der Figuren bleibt auf dem dahinbrütenden, grantig-oberflächlichen Niveau, den schon die Kinofassung bietet, die komplett neuen Szenen geben lediglich klarere Antworten auf zuvor wacklige Randnotizen des Plots. Was die Extended Edition jedoch vorführt, ist die Macht eines guten Schnitts und einer Hand und Fuß aufweisenden Dramaturgie innerhalb einzelner Sequenzen: In der Langfassung werden viele Szenen ausführlicher aufgebaut, während die Kinoversion nur den intensiveren Mittelpart zahlreicher Augenblicke überlässt. Somit ist die über 180 Minuten lange Version weniger konfus – und diese ruhigere Erzählweise lässt eine stärkere Immersion in Snyders wenig optimistische Filmwelt zu, wodurch sich die Langfassung nicht so quälend lahm anfühlt wie die Kinoversion.

Fazit: DC Comics baut mit Batman v Superman: Dawn of Justice sein Filmuniversum weiter aus – und stellt hoffentlich fest, dass ein anderer Architekt herbei muss. Eine schwerfällige Inszenierung und ein dröges Skript, das genauso überfrachtet ist wie es ihm an einer dem Tonfall entsprechenden Tiefe mangelt, machen dieses Superheldentreffen zu einer ungeheuerlich frustrierenden Angelegenheit.

Donnerstag, 11. August 2016

Raum


Neun Quadratmeter. Für den fünfjährigen Jack (Jacob Tremblay) bedeuten sie die Welt. Sein ganzes Leben hat er auf denselben neun Quadratmetern verbracht. Und er fühlt sich wohl in seinem kleinen Lebensraum. Es gibt ein Oberlicht, das ihn, wie er glaubt, in den Weltraum blicken lässt. Und es gibt einen Fernseher, der unwirkliche Bilder zeigt. Doch vor allem befindet sich seine Mutter mit ihm im Raum: Die junge Joy (Brie Larson), die mit nahezu unerschütterlicher Besonnenheit ihrem Sohn ein glückliches Leben ermöglicht, indem sie Jack optimistische Geschichten erzählt und selbst banale Aufgaben des Alltags in kleine Spielereien verwandelt.

Für Joy bedeuten diese neun Quadratmeter Lebensraum hingegen den reinsten Albtraum: Im Alter von 17 Jahren wurde sie vom garstigen Nick (Sean Bridgers) entführt. Seither hält er sie in seiner schallisolierten Gartenlaube gefangen, in der er sie auch regelmäßig sexuell missbraucht. Seinen so entstandenen Sohn Jack bekommt Nick allerdings kaum zu Gesicht, denn das bisschen Kampfeswillen, das in Joy übrig geblieben ist, nutzt sie, um den Jungen zu beschützen. Vor Nick. Und vor der traurigen Realität, in der er sich befindet. Aber Joys Vermögen, diese Scharade weiter mitzumachen, bricht zusammen. Und so ringt sie mit dem Gedanken, einen letzten Fluchtversuch zu wagen …

Leinwandfüllende Klaustrophobie
Regisseur Lenny Abrahamson (Frank) und Kameramann Danny Cohen (The Danish Girl) gehen in diesem Drama auf visueller Ebene einen ungewöhnlichen Weg: Obwohl die beiden Hauptfiguren ihren tristen Alltag auf äußerst begrenztem Raum bestreiten müssen, ist die Adaption von Emma Donoghues gefeiertem Roman durchweg in einem breiten Bildformat gehalten. Durch den Verzicht auf eine formale Einengung des Geschehens wird Jacks Weltsicht Rechnung getragen: Der Fünfjährige weiß nicht, dass er gefangen gehalten wird, sondern glaubt dank Joys Erziehung, dass er die gesamte Welt begriffen hat und sie komplett auskosten kann. Jacks unbändige Lebensfreude hat die große, breite Leinwand verdient.

Dessen ungeachtet ist die Bildsprache von Raum sehr wohl beengend: Cohen hält die Kamera im titelgebenden Raum stets sehr nah am Geschehen, so dass Brie Larsons und Jacob Tremblays Gesichter wiederholt nahezu das gesamte Bild ausfüllen. Auch die karge Einrichtung des verwitterten Raums und die von Jack freudig aufgezählten Details der ihm bekannten Welt sind in Nahaufnahmen zu sehen, wodurch es schwer fällt, als Zuschauer einen umfassenden Überblick zu erhalten. Abrahamson sperrt das Publikum gemeinsam mit Jack und Joy ein – und lässt ihm die Möglichkeit, beider Weltsicht nachzufühlen.

Dramatisch, aufwühlend und doch poetisch
Dies trifft nicht nur auf die Inszenierung zu, sondern auch auf das Dialogbuch der Romanautorin Emma Donoghue: Jacks Naivität dominiert mehrere Szenen, und es sind diese kindlich erzählten Sequenzen, die Raum mit Hoffnung und Unbeschwertheit erfüllen. Doch so nachvollziehbar durch die von Jacks Perspektive beherrschten Szenen sein mögen, kaschiert Donoghue in ihrem Skript nie, welch grausame Situation Joy durchlebt. Es ist glaubwürdig, dass Jack den alten Nick nur für einen bösen Zauberer hält und daran zweifelt, ob er real ist oder Einbildung. Und dennoch bleibt ersichtlich, dass er ein Entführer und Vergewaltiger ist, und wie sehr Joy wegen ihm leidet. Brie Larson (Short Term 12 – Stille Helden) meistert mit ihrem emotional aufwühlenden, aber stets mit Bodenhaftung versehenen Spiel den kniffligen Balanceakt zwischen vorgetäuschter Zufriedenheit und innerem Tumult.

Zu keinem Zeitpunkt lässt die Oscar-prämierte Mimin Zweifel an Joys Liebe zu Jack entstehen, und gerade daher sind die Zwists zwischen Mutter und Tochter überaus aufwühlend: Wann immer das einzig Gesunde in Joys Leben wegen ihres aufgekratzten Nervenkostüms und Jacks beschränkter Weltsicht einzugehen droht, ist dies mitleiderregend. So fungiert die Frage, ob Mutter und Sohn allen Umständen zum Trotz gemeinsam glücklich werden, als stärkstes, spannungstreibendes Element in Raum. Dazu trägt selbstredend auch Tremblay bei, der diese anspruchsvolle, vielschichtige Rolle ganz natürlich und ohne Pathos verkörpert.

Bei allem Schrecken, den Raum vermittelt, ist dieses Drama jedoch auch eine inspirierende Geschichte, die die menschliche Anpassungsfähigkeit skizziert sowie den Schimmer der Hoffnung, der daher selbst auf die dunkelsten Momente folgen kann. Donoghues unaufgeregt erzählte Geschichte beschönigt solche Schicksale wie das der fiktiven Joy (deren Situation jedoch an diverse reale Fälle wie etwa Natascha Kampusch erinnert) nie, sie umfasst sogar Kritik am Umgang der Nachrichtenmedien mit solchen Tragödien. Doch gerade dadurch, dass Donoghue und Abrahamson die Tiefen so menschlich zeichnen, wirken die kurzen Momente der Harmonie so poetisch und inspirierend.

Fazit: Zwei starke Performances und eine emotional aufwühlende, einsichtsreich erzählte Geschichte machen Raum zu einem dramatischen und dennoch aufmunternden Kleinod.

Birnenkuchen mit Lavendel




Die Popkultur hat sie in den vergangenen Jahren für sich entdeckt: Figuren, die Asperger oder ähnliche Konditionen haben. Der von Benedict Cumberbatch einprägsam verkörperte BBC-Sherlock befindet sich zweifelsfrei auf dem Spektrum und stellt ein besonders kühles Exemplar dar. Er selbst bezeichnet sich gar als „hochfunktionaler Soziopath“. Sitcom-Protagonist Sheldon Cooper hingegen beteuert, dass er als Kind getestet und für normal befunden wurde. Große Teile der Fangemeinde von The Big Bang Theory sind sich derweil sicher, dass der Wissenschaftler, Nerd und WG-Bewohner Autist ist. Neben diesen beiden Serien-Hauptfiguren bereicherten in jüngster Vergangenheit zahlreiche autistische Figuren die Medienlandschaft. Regisseur und Autor Éric Besnard steuert mit Birnenkuchen mit Lavendel nun auch eine französische Wohlfühlkomödie hinzu, die sich um eine solche Figur dreht.

Pierre (Benjamin Lavernhe) ist, Asperger zum Trotz, in vielerlei Hinsicht das Gegenteil zum strengen und harschen Sherlock Holmes, den die britische Erfolgsserie seit drei Staffeln zeichnet. Der belesene Gelegenheitshacker hat einen Putzfimmel und ist bei aller Verkopftheit durchaus seinem menschlichen Umfeld gegenüber aufgeschlossen. Er ist zwar schüchtern, als er der verwitweten Landwirtin Louise (Virginie Efira) aus Versehen vors Auto rennt und so in ihr Leben stürzt, findet er aber sofort einen Draht zu ihr. Daher kann er nicht anders, als sich ihrer Problemchen und Probleme anzunehmen. Von der Unordnung in ihrem Haus, über die Ärgernisse mit ihren Kindern Emma (Lucie Fagedet) und Felix (Léo Lorléac'h), bis hin zu den finanziellen Problemen ihres Betriebs. Louise weiß den verschlossenen Mann mit allerlei Macken nicht so recht einzuordnen, und hält ihn auf Abstand, selbst wenn sie ihn durchaus sympathisch findet. Dass sich Pierre aufgrund seiner Art so manchen zwischenmenschlichen Patzer leistet, sorgt für weitere Komplikationen …

Besnard formt seinen unaufgeregt erzählten Film so, wie viele Standard-Romantikkomödien gehalten sind: Es gibt das mehr oder minder ungewöhnliche erste Treffen, daraufhin lernen sich die zentralen Figuren besser kennen, was zu süßen gemeinsamen Momenten führt sowie zu Situationen, in denen sie sich gegenseitig nerven. Der große Krach ist in so einer Erzählung vor dem Einläuten der letzten Filmminuten ebenfalls unvermeidlich … Trotz dieses standardmäßigen Aufbaus ist Birnenkuchen mit Lavendel wohlgemerkt kein Supermarkt-Fertiggebäck, sondern ein liebevoll erstelltes Kino-Küchlein. Der konventionellen Dramaturgie wirkt entgegen, dass in dieser Geschichte über Zwischenmenschlichkeit die Gefühle nie hochgekocht werden – passend zum jede Szene an sich reißenden Pierre. Zwists inszeniert Besnard nicht mit lautklagender Theatralik, und wenn sich Pierre und Louise nähern kommen, so skizziert er dies charmant und süß, verzichtet dabei jedoch auf Kitsch und Pathos.

Umso stärker herrschen leise Situationskomik und ein durch mildes Licht verstärktes Bilderbuch-Gefühl vor: Zwar ist die Geschichte, von Pierres absurd guten Hackerkünsten abgesehen, durchweg plausibel, doch aufgrund des zarten Tonfalls und der in Pastelltönen gehaltenen Optik versprüht Birnenkuchen mit Lavendel eine bemerkenswerte Stimmung der Behaglichkeit. Die rasanten Wortwechsel zwischen der von Efira warmherzig gespielten Louise und dem eigenbrötlerischen Sensibelchen, das Lavernhe äußerst überzeugend darbietet, geben diesem gemütlichen Film obendrein etwas Pfiff. Daher eignet sich die Kinoproduktion auch für Zuschauer, die die Welle an französischen Heile-Welt-Kuschel-Tragikomödien zuletzt ermüdet hat.

Bloß die ständigen Zwischenschnitte auf die malerische Provinz und Louises rustikal-pittoreskes Landhaus, die wiederholt Szenenwechsel in die Länge ziehen, hätte sich Besnard verkneifen können – denn unter dieser mächtigen Verzierung drohen die Feinheiten dieses Geheimtipps verloren zu gehen. Als inspirierende Geschichte über die Verständigung zwischen Herz- und Kopfmenschen, die nie abfällig über Autisten spricht, hat Birnenkuchen mit Lavendel aber so viele Sympathiepunkte zu bieten, dass sich diese kleinere Schwäche verschmerzen lässt.

Fazit: Charmant, süß, unaufgeregt: Birnenkuchen mit Lavendel ist ein echter Wohlfühlfilm mit malerischen Bildern und reizenden Protagonisten.

Mittwoch, 3. August 2016

Die wichtigste Filmszene 2016

Dieser Artikel enthält keine handlungsrelevanten Ghostbusters-Remake-Spoiler, verrät aber sehr wohl den Ablauf einer Szene im dritten Akt. Je nach eurer Befindlichkeit in solchen Sachen empfehle ich daher, zunächst den Film zu gucken, und dann erst hier weiterzulesen.

Allein schon die Kombination aus der Überschrift "Die wichtigste Filmszene 2016" und einem animierten Ghostbusters-Szenenbild dürfte bereits einige Gemüter zum Kochen bringen. Und ich fürchte, die nachfolgende Beteuerung wird es nicht besser machen: Wir müssen die Szene, über die ich nun schreibe, nicht genau so betiteln. Ich hatte für diesen Artikel diverse alternative Titelideen. "Der filmische Schlüsselmoment 2016". "Der cineastische Wendepunkt, der Ghostbusters zu einem der wichtigsten Filme dieses Jahrzehnts machen könnte". Und andere Formulierungen, die den Bodensatz des Internets gewiss nicht erfreuen dürften. Also kann ich auch direkt die knackigste Variante wählen.

All jenen, die nicht bereits in die Kommentarsektion gespurtet sind, sondern tatsächlich wissen wollen, worum es mir geht, möchte ich versichern: Keine Sorge. Ich bin niemand, der Sonys Big-Budget-Komödie aus Prinzip über den grünen Klee lobt und so tut, als sei er aufgrund seiner Besetzung über jeden Zweifel erhaben. Das wäre auch gar nicht im Sinne dieses Films. Denn Ghostbusters setzt sich über den (zu seiner Zeit begründeten) Parolenfeminismus vergangener Jahrzehnte hinweg und ist voll und ganz im "Leb damit!"-Zeitalter angekommen. Er schwafelt nicht darüber, dass Frauen die gleichen Fähigkeiten wie Männer haben. Er zeigt es einfach. Statt zu theorisieren, lebt er es vor. Und so selbstverständlich, wie Ghostbusters mit seinem Cast und seinen Figuren umgeht, ist es auch gestattet, ihn für seine Mängel zu kritisieren, ohne dadurch seine positive Vorbildfunktion zu untergraben.

Erfreulicherweise gibt es, in meinen Augen, nicht all zu viele Mängel. Ganz gleich, wie viele Menschen es aufgrund ihrer geringschätzigen Betrachtungsweise auf Frauen oder ihrer nostalgischen Verklärung des Originals nicht sehen werden. Paul Feigs Ghostbusters-Remake (oder -Reboot, wie auch immer es euch beliebt) ist ein kurzweiliger Blockbuster-Komödienspaß. Große Gesten, markige Figuren. In Anbetracht von Paul Feigs Tendenz, auszuschweifen, ziemlich knackig erzählt. Manche Gags schaffen es nicht, das Timing astrein abzustimmen, so dass sie zwischen "endet, wenn es witzig ist" und "läuft so lange, dass es erst unlustig wird, und dann wieder lustig" landen. Der Antagonist ist humorig und ein interessant eingesetzter Archetyp, wird aber als Figur nicht greifbar, wodurch das volle Potential seiner Metaphorik verloren geht. Immerhin erinnert er an die sozial gekränkten, einsamen, weißen Buben, die durchticken und zu Einzeltätern werden – was aber nur zwischen den Zeilen rüberkommt.

Davon abgesehen hat Ghostbusters allerhand Qualitäten aufzuweisen. Eine tolle Dynamik zwischen den Darstellern etwa. Eine komplett neue Figurenriege mit eigenen Persönlichkeiten, statt der bei Remakes oft üblichen, nur partiell gegenüber dem Original veränderten Rollen. Zahlreiche spaßige Dialoge. Toll aussehende Geister. Chris Hemsworth als perfekte Parodie des dummen Blondchens. Und: Kate McKinnon alias Dr. Jillian Holtzmann. Die quirligste, unterhaltsamste Leinwandschöpfung seit vielen, langen Jahren.

All das sorgte dafür, dass ich mich im Kino während der Pressevorführung sehr gut unterhalten gefühlt habe. Rundes, angenehmes Entertainment mit rezitierbaren Sprüchen, bei dem ich persönlich die kleineren Längen verzeihen kann. Wahrlich kein Meisterwerk, doch ein außerordentlich gelungener Launenheber.

Doch dann kam dieser Moment, in dem Ghostbusters einen gewaltigen Satz nach vorne macht. Es ist keine Sequenz, die diesem Film streng nach Lehrbuch einen Freifahrtschein für seine schwächeren Elemente verleiht. Wohl aber eine Szene, die mich voll und ganz gepackt hat. Ich vergaß die Leute um mich herum, ich vergaß den Kinosaal. Ich fühlte mich wie in die Filmwelt gesogen, um dort als staunender Beobachter diesen Augenblick zu verinnerlichen. Es war eine dieser Szenen, nach denen ich spüre, wie mein Filmliebhaberhherz vor Freude in die Lüfte springt und so schnell damit nicht mehr aufhören will.


Die Szene, die ich meine, spielt sich während des großen Finales ab. Drei der vier Ghostbuster hatten bereits ihren heroischen, kämpferischen Solomoment, wobei dieser stets eine kleine bis größere Pointe beinhaltete. Plötzlich schrecke ich in Gedanken auf, leicht quengelig, und frage mich, wieso meine Lieblingsfigur bisher übergangen wurde: "Aber was ist mit Holtzmann?!"

Kaum habe ich meine Frage zu Ende gedacht, stampft Holtzmann entschlossen auf die Leinwand und registriert, welche Heerschar an Geistern sich um sie herum versammelt hat. Die orchestrale Musik des Komponisten Theodore Shapiro gönnt sich eine kurze Verschnaufpause, Holtzmann merkt staubtrocken an, dass sie ja die neusten Babys in ihrem Waffenarsenal vergessen hat, rüstet auf ...

Und ZACK! Begleitet von der bombastischsten, coolsten, rockigsten, markigsten Variation des Ghostbusters-Titelthemas, die jemals auf diesem Erdenrund gespielt wurde, schlägt und schießt und wirbelt sich Holtzmann durch eine Parade stylischer Geister, während um sie herum ein reiner Farborgasmus die Leinwand erfüllt. Mein Atem stockt, ich bekomme Gänsehaut und denke nach dieser makellosen Kampfchoreografie, von mentalem Applaus begleitet: "Ich muss den Film so bald wie möglich nochmal sehen. Das. War. Cool."

Nachdem der Film zu Ende ging und im Kinosaal wieder das Licht angeknipst wurde, dachte ich lange und intensiv über diese Szene nach. Ich wollte rausfinden, weshalb sie bei mir eine solch starke Reaktion ausgelöst hat. Ja, sie ist gut gefilmt, hat eine fürs heutige Blockbusterkino außergewöhnliche Farbästhetik und die Musik ist sehr treffend auf die Bewegungen abgestimmt. Dennoch: Eigentlich nur eine gute Actionszene. Keine cineastische Revolution. Muss wohl einfach daran liegen, dass meine Lieblingsfigur dieses Films sie bekommen hat. Und am Timing, kam die Szene doch genau dann, als ich sie mir herbeigewünscht habe.

Im Anschluss an den Kinobesuch habe ich mit mehreren Menschen über den Film gesprochen. Unter anderem mit einem guten Freund, den ich als Begleitung mitnehmen durfte. Ich sprach auch mit meiner hochgeschätzten Kollegin Antje, die den Film wenige Tage zuvor in einer anderen PV gesehen hat, und ebenfalls sehr genoss. Jeder hatte seine persönlichen Highlights. Aber niemand erwähnte diese Szene. Antjes Höhepunkt etwa lag ganz woanders im Film: In einem originell-dummen Satz von Chris Hemsworth. Okay. Lag wohl wirklich ganz allein an mir, zuckte ich mit den Schultern.

Aber diese Szene ließ mich partout nicht los. In den Folgetagen spielte ich sie immer wieder vor meinem geistigen Auge ab. Ich suchte bei Spotify den Soundtrack nach der Begleitmusik dieser Sequenz ab. Kaufte mir den Score letztlich. Ich durchstöberte das Netz nach GIFs und schwärmte jedem, der es hören wollte, von der Szene vor.


Und dann stieß ich via Twitter über einen fantastischen Artikel bezüglich Ghostbusters. Erin Ramsey schreibt darin, wie sie als kleines Mädchen auf dem Spielplatz immer nur eine bessere Statistenrolle ausführen durfte, wenn sie mit Jungs herumtobte. Sie stellte das nie in Frage. 2016 jedoch sitzt sie im Kino und wird von besagter Szene überwältigt. Eine Heldin macht Geistern den Garaus. In einem zu großen Overall. Mit wuseligem Haar und zerknautschten Gesichtsausdrücken. Niemand lobt sie, weil sie gut aussieht. Sie wird von der Kamera kein Stück weit sexualisiert. Sie ist einfach nur verdammt cool, ohne sich über ihr Aussehen Gedanken zu machen. Sie ist das Vorbild, von dem Erin in genau dieser Sekunde bemerkt, dass sie es als Siebenjährige hätte haben wollen, hätte sie gewusst, dass sie sich sowas wünschen kann.

Wenige Tage später stieß ich auf eine weitere Lobeshymne auf diese Szene, dieses Mal von einer Erynn Brook. Sie jubelt: Ein Film mit mehreren Frauen, die gut miteinander klar kommen. Keine Lovestory. Aber gute Actionmomente. Komplett ohne sexy Kostüme. Ohne Kommentare anderer Figuren, wie heiß diese Damen doch alle sind. Sie erleiden keine narrativen, ironischen Seitenhiebe. Sie scheitern in einem normalen Maße und kommen da ohne männliche Hilfe wieder raus. Und dann rockt Holtzmann das Haus! Sie ist eine brillante, fesselnde Verkörperung eines Rollentypus, den sonst nur Männer besetzen. Sie ist ein kompetenter Irrer.

Ja. Ripley ist eine starke Leinwandheldin. Ja, die Russos und Joss Whedon haben Black Widow weit über ihren Status aus Iron Man 2 emporgehoben. Die Braut aus Kill Bill hat's voll drauf. Furiosa in Mad Max: Fury Road ebenfalls. Und dennoch: Hier ist der Kontext nochmal anders. Und Holtzmanns Kostüm nochmal eine gute Spur unglamouröser. McKinnons Performance deutlich non-chalanter, selbstbewusster und daher desinteressierter daran, wie Holtzmann auf ihr direktes Umfeld wirken könnte. Sie ist eine herausragende Identifikationsfigur, ohne sich anzubiedern. Oder optische Erwartungen zu setzen. Oder ein positives Rollenmodell irgendwie mit jedweder romantischer Fußnote zu versehen. Sie ist irre, aber das ist für sie und ihre Gefährten selbstredend. Ich will keineswegs sagen, dass Holtzmann die beste weibliche Leinwandfigur ist, die es je gegeben hat. Gute Güte. Aber sie punktet den ganzen Film über und rockt insbesondere diesen einen Moment. So, wie Holtzmann die Geister zerfetzt, metzelt sich diese Szene durch all die schlechten Actionmomente, in denen Frauen dumm dastehen.

Nun, wie ich wohl nicht betonen muss: Ich bin ein Mann. Also will ich mich nicht anmaßen und sagen: Ich hatte genau dasselbe Erlebnis wie die Autorinnen der obig verlinkten Beiträge. Und dennoch erklären ihre Reaktionen auch meine Reaktion.
Ich habe bereits Hunderte, ach was, sicher Tausende Filme in meinem Leben gesehen. Ich bin für jedes Genre offen. Bin anders, als manch desillusionierte Kollegen, noch immer empfänglich für gute Action und launiges, so genanntes Popcornkino. Und dann kommt da Ghostbusters an. Ein Remake! Oder Reboot, wie auch immer ... Und liefert mir etwas Frisches und Unverbrauchtes. Diese Szene verschafft mir ein neues, oder zumindest rares, Seherlebnis. Und das gepaart mit einer kaum geahnten Selbstverständlichkeit. Was sie, leider, filmhistorisch überaus relevant macht.

Diese Szene, in der Holtzmann ihre Gadgets erfolgreich austestet, ist bei Weitem nicht die erste gute Actionszene mit einer Frau im Mittelpunkt. Und doch strahlt sie etwas aus, was ich nie zuvor von einer Filmszene über eine weibliche Rolle vermittelt bekommen habe. Es geht nicht um Liebe. Oder um Muttergefühle. Oder um eine Vergewaltigungsmetapher. Oder eine Rachefantasie. Oder darum, wie gut Frauen aussehen können, wenn sie einen Männerjob erledigen. Es geht ebenso wenig darum, dass Frauen mit Männern mithalten können. Es geht um absolut gar nichts. Es ist einfach nur eine verflixt coole Szene ohne jeglichen Fetischismus und ohne jegliche Aussagekraft. Und gerade daher ist diese Szene so sexy und so bedeutsam. Die Frau ist hier für einen kurzen, atemberaubenden Moment im Hollywood-Entertainment mit dem Mann gleichgezogen. Ohne Parolen. Ohne Erklärung oder Rechtfertigung, geschweige denn Relativierung. Wenigstens für diesen einen Augenblick. Es ist somit eine Szene, die das große Spektakelkino nahezu gar nicht kennt. Sie ist ein Novum. Und ich hoffe, sie wird massenhaft kopiert.

Nicht, weil es keine Heldinnen und Helden mehr geben soll, die was fürs Auge bieten. Sondern, weil es bei Helden alle Varianten gibt: Vom Adonis über den Spinner hin zum Jedermann. Wieso sollten wir nicht auch drei Spielweisen der Heldin bekommen? Die schöne Helena. Die Normale. Und die Holtzmann.