Samstag, 30. September 2017

Inferno


Das Dan-Brown-Fieber hat sich im Buchhandel nie völlig gelegt. Und dennoch spielen die Geschichten des Romanautoren im popkulturellen Diskurs nunmehr eine deutlich kleinere Rolle als etwa vor zehn Jahren zum Kinostart von The Da Vinci Code – Sakrileg. Damals stapelten sich in den Buchläden die Historienverschwörungsthriller von Trittbrettfahrern, während sich selbst Wissensmagazine an abstrusen Ablegern versuchten, um diesen Hype mitzunehmen. Auch 2009, als Illuminati anlief, ging wenigstens ein leichter Ruck durch die Popkultur. Inferno, die dritte Adaption eines Romans rund um den Symbologen Robert Langdon, hatte 2016 dagegen kaum Vorabhype im Rücken. Das ist, je nach Standpunkt, bedauerlich, weil Inferno der am kompetentesten verwirklichte Film der Reihe ist. Oder ausgleichende Gerechtigkeit, weil den Film trotzdem viele der Probleme plagen, die schon bei den Vorgängern gegeben waren.

Die Geschichte beginnt damit, wie der amerikanische Biochemiker Bertrand Zobrist (Ben Foster) verfolgt wird. Der gegen die Überbevölkerung wetternde Milliardär wählt den Ausweg durch den Freitod. Kurz darauf erwacht Harvard-Professor Robert Langdon (Tom Hanks) in einem Krankenhaus in Florenz. Er ist körperlich verletzt, sichtbar geschwächt und leidet an Amnesie. Dennoch bemerkt er, dass er sich in großer Gefahr befindet und flieht zusammen mit Ärztin Dr. Sienna Brooks (Felicity Jones) vor einer schießfreudigen Frau (Ana Ularu). Während sich Langdon an die Umstände zurückzuerinnern versucht, die ihn ins Krankenhaus verfrachtet haben, stellt sich heraus, dass er in die verworrene Hatz um eine von Zobrist erschaffene Seuche involviert ist: Wenn das Virus freigesetzt wird, könnte die Hälfte der menschlichen Population sterben. Neben Langdon scheint auch die Weltgesundheitsorganisation von dieser Bedrohung zu wissen, sowie diverse weitere, geheimnisvolle Personen, die sich nicht so leicht aufhalten lassen …

Inferno startet mit einem von den bisherigen Langdon-Filmen ungewohnten Tempo: Zügig schneiden die Cutter Tom Elkins (Annabelle) und Daniel P. Hanley (Rush – Alles für den Sieg) zwischen einer dynamisch gefilmten Verfolgungsjagd und einer magnetisch-apokalyptischen Rede Zobrists hin und her. Auch nach diesem Prolog hält Regisseur Ron Howard zunächst die Erzählgeschwindigkeit auf einem eiligen Level: Rund das erste Drittel über vermeidet Howard jeglichen Leerlauf, wie er im zähen The Da Vinci Code – Sakrileg vorkam, und vermengt das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Langdon & Sienna einerseits und den teils unbekannten Verfolgern andererseits stimmiger mit der obligatorischen Hinweissuche als in Illuminati.

Dass Inferno spannender und amüsanter beginnt als die Vorgänger, ist zu großem Teil dem bereits in der Romanvorlage vorkommenden Kniff zu verdanken, Langdons lexikalisches Wissen durch seine Amnesie auszubremsen. Tom Hanks erhält so eingangs die Möglichkeit, wieder sein komödiantisches Timing unter Beweis zu stellen, während die Entschlüsselung der historischen, kunsthistorischen und literarischen Rätsel etwas abwechslungsreicher ausfällt, statt in ein monotones „Na, klar, das weiß man doch!“ auszuarten.

Dessen ungeachtet verlangt Drehbuchautor David Koepp vom Publikum, teils haarsträubende Rätselkonstrukte ohne Widerrede zu schlucken. Anders als der augenzwinkernde Das Vermächtnis der Tempelritter oder die launigen Indiana Jones-Abenteuer will Inferno, genauso wie seine Vorgänger, ernstzunehmendes Entertainment sein: Der Tonfall der allein auf Spannung angelegten Geschichte ist zunehmend dramatisch (natürlich erübrigt sich Langdons Amnesie noch lange vor Filmschluss), die Verweise von Kunstwerk zu Kunstwerk zu historischem Schauplatz sind oftmals hanebüchen, ohne je vom humorigen „Auf der Rückseite der Unabhängigkeitserklärung befindet sich eine Schatzkarte, und wir müssen sie stehlen, um sie zu schützen!“-Schlage zu sein.

So fragwürdig die innere Logik dieser Schnitzeljagd gelegentlich sein mag, so führt sie Langdon (und das Publikum) durch zahlreiche Originalschauplätze, die Kameramann Salvatore Totino (Everest) in packenden Bildern festhält. Vor allem das Finale im beeindruckendsten Konzertsaal der Welt und Langdons schaurige Visionen heben Inferno vom visuell drögen Erstling dieser Reihe und vom gelegentlich in seinem bemühten Pathos ungewollt komischen Zweitling ab. Gleichwohl ist Hans Zimmers Musikuntermalung hier die schwächste der Reihe – nach den mystischen Da Vinci Code-Themen und der adrenalingeladenen Illuminati-Mucke fällt das (von Rückverweisen abgesehen) generische Inferno-Klangbett deutlich ab.

Sobald sich das Feld derer, die an Langdons Fersen haften, ausgedünnt hat, verkompliziert Koepp die Handlung unnötig durch ständige Wechselspielchen, wer denn nun welche Handlungsmotivation haben könnte. Diese Enthüllungen und Täuschungsmanöver werden praktisch durchweg von gestelzten Expositionsmonologen begleitet, was die „Schnell, wir müssen den Ausbruch einer Seuche stoppen!“-Narrative arg verlangsamt und so dem Spannungsbogen in den abschließenden zwei Akten gehörig schadet.

Der mit Spielfreude vor der Kamera stehende Hanks und eine insgesamt solide agierende Felicity Jones sowie Irrfan Khan als Chef einer dubiosen Sicherheitsfirma wissen allerdings zumindest einige der erzählerisch misslungenen Szenen auf passables Niveau zu retten. Ziemlich beste Freunde-Star Omar Sy und Borgen – Gefährliche Seilschaften-Mimin Sidse Babett Knudsen dagegen hinterlassen keinen bleibenden Eindruck in diesem Langdon-Thriller, der als erster Teil der Saga wenigstens ein knackiges (wenngleich vom Roman abweichendes) Ende findet, statt in den Abspann zu plätschern.

Fazit: Inferno bügelt manche Probleme der Robert-Langdon-Filmreihe aus, ohne nunmehr vom Dan-Brown-Hype zu profitieren. Übrig bleibt somit ein optisch ansprechender, rasant startender Thriller, der später über massig gestelzte Dialoge und narratives Kuddelmuddel stolpert.

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de

Sing

Sing Castingshows sind aus dem Fernsehen kaum noch wegzudenken und holen mitunter noch immer beachtliche Quoten – wie etwa im Falle von The Voice. Der große Casting-Boom liegt allerdings längst hinter uns. Genregiganten werden eingestellt, Nachschub ist rar gesät und floppt zumeist, wenn sich denn mal ein Fernsehsender an frischen Talentsuchen probiert. Selbst alteingesessene Castings wie Deutschland sucht den Superstar sind hinsichtlich der Reichweite nur noch ein Schatten dessen, welch Massenphänomen sie einst darstellten. In eben diesem Entertainmentklima eine computeranimierte Komödie über singende, tierische Castingshowteilnehmer zu verwirklichen, zeugt von einem Ohr, das sich nur partiell am Puls der Zeit befindet.

Für einen zeitlosen Charakter reicht es im Falle von Sing aber ebenso wenig. Denn die Produktion aus dem Hause Illumination Entertainment (Heimat der Minions) verlässt sich weitestgehend auf modernen Pop – wobei die über 65 Songs umfassende Musikauswahl durch Evergreens wie „Fly Me to the Moon“ oder Klassiker wie „Venus“ zumindest nicht ausschließlich den jüngsten Chartkrachern hinterherrennt. Liebhaber des Pop quer durch mehrere Jahrzehnte werden an diesem etwa 75 Millionen Dollar teuren Animationsfilm also zumindest ihre akustische Freude haben. Wer jedoch auf denkwürdige Figuren, eine faszinierende Filmwelt, umwerfende Brüllergags oder eine bewegende Geschichte wartet, wartet hier vergeblich.

Es ist eine Castingshow. Mehr nicht.
Der in die Welt des Musiktheaters vernarrte Koala Buster Moon (im Original: Matthew McConaughey / in der dt. Fassung: Daniel Hartwich) steht kurz vor dem Ruin. Um dennoch seine geliebte Schaustätte, die er von seinem Vater vererbt bekam, zu retten, ruft er zu einer Castingshow auf – die soll den Saal wieder füllen! Als Gewinn winken seine verbliebenen finanziellen Rücklagen von 1.000 Dollar, durch ein Versehen versprechen seine Werbeflyer allerdings 100.000 Dollar – und schon versammeln sich sämtliche Tiere in Geldnot, mit Selbstdarstellungsdrang und dem großen Traum von der Gesangskarriere in Busters Theater …


Es ist eine flache, simple Story-Grundidee, die Autor und Regisseur Garth Jennings (Per Anhalter durch die Galaxis) hier erschafft – und daraufhin ungenutzt liegen lässt. Das Missverständnis bezüglich des Preisgeldes? Nichts weiter als ein winziger, dramaturgischer Schluckauf. Der Umstand, dass der vermeintliche Musiktheater-Genießer Buster so tief sinkt, eine Pop-Castingshow auf die Beine zu stellen und dabei dem Rockröhre-Stachelschwein Ashley (Scarlett Johansson / Stefanie Kloß) Ratschläge für ein glatteres Image gibt? Der wird weder vertieft, noch kess persifliert. Das groß aufgezogene Casting? Führt nirgendwohin. Das Aufeinanderprallen der verschiedenen Motivationen des Teilnehmerfelds? Nicht sonderlich von Belang.

Sing stellt schlussendlich bloß ein plotarmes Musikfest dar; eine Geschichte darüber, dass eine Truppe unterschiedlicher anthropomorpher Tiere eine Show auf die Bühne bringt. Anders als etwa die psychedelische Lateinamerika-Party Drei Caballeros versprüht der neuste, innerhalb von rund zwei Jahren entstandene Streich der Pets-Macher jedoch kein losgelöstes, anarchisches Partyfeeling. Mit angezogener Handbremse inszeniert (die einzige verwegene Idee, ein tintenfischbetriebener Leuchtscreen, wird nur für wenige Augenblicke genutzt) und von Plotkonventionen runtergezogen, ist Sing nicht etwa eine leidenschaftliche Sause zu Ehren der Popmusik, sondern nur das Animationsfilmpendant zu einer öffentlich-rechtlichen Samstagabend-Fete. Es ist so manch nette Melodie dabei, aber alles in allem recht piefig. Da reicht auch eine laute Rampenlichtsau, äh, ein lauter Rampenlichteber im engen Body nicht, um daran etwas zu ändern.

Der Beschallungsfernsehen-Ansatz: „Passabel“ ist gut genug
Im Gegensatz zu solch einem „Lasst uns eine Show veranstalten“-Genuss wie Die Muppets mit Jason Segel und Amy Adams mangelt es Sing zudem am nötigen Funken geistreichen Humors, um auch ohne ernstzunehmenden Plot zu fungieren. Der angesichts lebloser 08/15-Hintergründe und steifer Designs animationstechnisch klar hinter den Minions-Abenteuern (geschweige denn dem tierischen Schmelztiegel Zoomania) zurückbleibende Digitaltrickfilm zieht einige Schmunzler aus Bild-Ton-Scheren während des frühen Castingprozesses. Manche kleine visuelle Idee und eine Handvoll lockerer Sprüche wissen ebenfalls, Sing davon abzuhalten, als vollkommen witzlos dazustehen. Ein Gagfeuerwerk sieht aber ganz anders aus, der gesunde Wahn des ähnlich gestrickten Die Muppets bleibt etwa völlig aus, ebenso wie pfiffige oder durch und durch lustige Neuarrangements der dargebotenen Lieder – nur Taylor Swifts „Shake It Off“ wird ganz neu interpretiert.

Kein erwähnenswerter Plot. Keine Krachergags. Keine Partystimmung: Somit ist Sing nicht mehr als ein akustischer Promitreff, begleitet von Chartstürmersongs. Dass in der deutschen Fassung jemand wie Klaas Heufer-Umlauf hörbaren Spaß dran hat, eine abgehobene, dauergenervte Maus zu sprechen oder Olli Schulz ein naiv-liebenswertes Loserschaf gibt, während im Original etwa Reese Witherspoon als gefrustete Schweinedame und Taron Egerton als sanfter Gorilla punkten, gibt der Chris-Meledandri-Produktion vielleicht etwas Reiz. Andererseits reicht dieser Reiz allein wahrlich nicht für einen abendfüllenden Film aus, zumal in der deutschen Fassung Daniel Hartwich schwer damit kämpft, der von ihm gesprochenen Hauptrolle glaubwürdige Gefühle abzuringen.

Da der Alibiplot wenigstens recht schnörkellos vorangetrieben wird und die Musikauswahl Schwung hat, wird Sing dank seiner annehmbaren Gagdichte zumindest all jene nicht enttäuschen, die nach den Trailern Lust auf eine animierte Tier-Castingshow bekommen haben. Ein guter Film sieht aber anders aus und hat mehr zu erzählen – oder mehr, verrücktere Gründe, weshalb er nichts zu erzählen hat.

Fazit: Popmusik-Fans, die amüsante Tiere singen sehen wollen, bekommen bei Sing, was die Trailer versprechen und werden für etwas mehr als 100 Minuten annehmbar beschallt. Kurz darauf ist quasi alles wieder vergessen – wie bei vielen echten Castingshows also. Bleibende Erinnerungen und beseelte Unterhaltung müssen sich Filmfreunde woanders besorgen.

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de

Freitag, 29. September 2017

Freitag der Karibik #62

'Film.Music.Media' hat ein großartiges, fast eineinhalbstündiges Porträt/Langforminterview zu/mit Geoff Zanelli gemacht. Der Komponist erzählt darin unter anderem einiges Ulkiges und Wissenswertes über seinen Werdegang, den Wahnwitz von Lone Ranger und seine innige Beziehung zum Pirates of the Caribbean-Franchise.

Viel Spaß beim Anschauen!


Mittwoch, 27. September 2017

Es


Der gigantische Wälzer Es dürfte zu den berühmtesten Werken des horrorerfahrenen Schriftstellers Stephen Kings gehören: Eine Gruppe Kinder stellt sich einem furchteinflößenden Wesen, das bevorzugt die Form eines Clowns annimmt und in der Kanalisation lebt – und 27 Jahre später müssen sie sich als von ihrem gemeinsamen Kindheitserlebnis stark beeinflusste Erwachsene erneut dem tödlichen Ding stellen. Der Fernseh-Zweiteiler mit Tim Curry als fieser Clown Pennywise ist längst Kult und hat dank seiner zahlreichen TV-Wiederholungen auch abseits der USA quasi eine ganze Generation erreicht. Dass das Buch einige von Kings erzählerischen Macken formidabel vorführt und der Zweiteiler ziemlich altbacken ist, tat dem Ruhm dieser Geschichte keinen Abbruch.
Und fortan dürfte ihr ein noch prominenterer Platz in der Popkultur vergönnt sein – denn mit der Kinoverfilmung durch Mama-Regisseur Andrés Muschietti ist ein gigantischer Horrorfilm-Erfolg entstanden, der nicht nur in den USA Rekorde bricht. Und obendrein hat sich Muschiettis Es diese starke Publikumsreaktion redlich verdient. Zwar dürften Nostalgie, das gute Marketing und der Stranger Things-Effekt (2016 sorgte die von Es inspirierte Serie für Furore, Es startet vor der zweiten Staffel, stillt also einen medialen Appetit) die Besucherzahlen gepusht haben, trotzdem ist die 35-Millionen-Dollar-Produktion ein äußerst gelungener Horrorfilm, der fast genauso gut als übernatürliche Coming-of-Age-Geschichte durchgeht.

Oktober 1988: Der kleine Georgie Denbrough wollte einfach nur im Regen spielen, als er eine Begegnung mit einer sonderbaren Gestalt hat. Diese stellt sich als der freundliche Clown Pennywise vor und versucht, Georgie in die Kanalisation seiner Heimatstadt Derry, Maine zu locken. Georgie ist zögerlich, doch letztlich ist die Überzeugungsarbeit eh nicht mehr wichtig. Pennywise beißt Georgie einfach einen Arm ab und zieht ihn zu sich. Es gibt keine Zeugen …
Monate später: Bill hat das Verschwinden seines kleinen Bruders noch nicht überwunden und will die Sommerferien daher mit der Suche nach ihm verbringen. Er glaubt, dass Georgie vom intensiven Regen am Tag seines Verschwindens erfasst und in die Kanalisation gespült wurde. Bill hofft, dass seine Freunde ihn bei der Suche nach Georgie unterstützen: Stanley Uris, der wegen seiner bevorstehende Bar Mitzwa nervös ist, der unter der Fettel seiner überfürsorglichen Mutter stehende Eddie Kaspbrak und Richie Tozier, der gerne Komiker wäre, aber in Wahrheit einfach nur eine große Klappe hat.
Die Gruppe wächst durch Zufälle weiter an – um die schlagfertige Beverly Marsh, über die in der Schule allerlei Gerüchte erzählt werden und deren Vater Alkoholiker ist, den Einzelgänger Mike Hanlon und Ben Hanscom, der introvertierte, übergewichtige Neue in der Stadt. Was die Kinder schnell zusammenschweißt: Sie sehen sich selbst als Verlierer, die andauernd von den restlichen Teenies gepeinigt werden – vor allem vom keinerlei Grenzen kennenden Henry Bowers. Doch diese Alltagsangst, verprügelt und/oder gedemütigt zu werden, wird alsbald von etwas Grausigerem in den Schatten gestellt: Sonderbare Erscheinungen bedrohen den "Klub der Verlierer" und machen diesen einschneidenden Sommer zur reinsten Qual …

Das Rückgrat von Muschiettis sich auf die (von den 50ern in die 80er verlegte) Kinder-Handlung beschränkende Es-Adaption ist ganz klar das tolle Spiel der Jungdarsteller. Am stärksten sticht Sophia Lillis hervor, die als Beverly Marsch scheinbar mühelos von frohgemut-unschuldiger Querdenkerin zu forsch flirtend zu keinerlei Spaß verstehender, junger Frau, die ordentlich austeilt schwenken kann. Und wenn eben diese sympathische, aufgeweckte Beverly dann sehr wohl verängstigt ist, sei es durch ihren abartigen Vater oder die Schreckensvisionen Pennywises, dann bleibt einem einfach der Atem stocken – eine großartige Performance!

Eine etwas weniger magnetische, sondern zurückhaltendere Darbietung gibt Jaeden Lieberher ab, der als schüchterner, stotternder Bill mitunter von Beverly, Pennywise und dem Filmhandwerk übertönt wird. Das soll Lieberhers Leistung aber nicht schmälern, da es durchaus zur Figur passt, dass Bill einen großen Charakterwandel vom sich selbst etwas vormachenden Duckmäuser zu einem mutigen, Initiative ergreifenden Jugendlichen durchmacht – aber in so kleinen Schritten, dass es einem erst bewusst wird, wenn man konkret darüber nachdenkt. Lieberher bringt diesen sukzessiven Wandel mit kleinen Anpassungen seines Gestus rüber – ähnlich, wie Jeremy Ray Taylor als Ben einen sehr überzeugenden Spagat zwischen völlig verschüchtert und introvertiert, aber eloquent begeht.

Der Rest des Verliererklubs bekommt trotz der Überlänge des Films eher weniger Aufmerksamkeit geschenkt, so dass ihre Darsteller keine Gelegenheit erhalten, zu glänzen – trotzdem fallen sie als fähige Kinderdarsteller auf, die gut miteinander harmonieren und die emotionale Achterbahnfahrt ihrer Figuren glaubhaft machen. Nur Finn Wolfhard als Richie Tozier hat ein paar Takes, in denen als liebevolle Neckereien gedachte Sprüche zu sehr ins Niedermachen der Filmfreunde rutscht.

Die vielleicht schwierigste Aufgabe in Es kam derweil Bill Skarsgård zu, der sich als Pennywise mit der ikonischen Performance von Tim Curry in der ansonsten wenig denkwürdigen TV-Adaption messen lassen muss. Skarsgård tritt jedoch zügig aus Currys Schatten: Während sich Currys Version von Pennywise mehr bemüht, die Kinder mit TV-Clown-Charme anzusprechen und dann durch Sonderbarkeit zu verschrecken, ist Skarsgårds viel stärker als seltsames Raubtier im Clownsgewand angelegt, dass sich durch Psychospielchen ernährt und daher sein Gegenüber verschreckt, locker lässt, wieder verschreckt, durch seltsames, aber ungefährliches Verhalten Spannung aufbaut, verschreckt, etc. …
Mit einem magnetischen Sprachduktus und hypnotischem Schielen ist der ikonisch geschminkte Skarsgård ein sehr spannender Fiesling, dem es schon gelingt, dadurch, ab und zu ein Wort nur etwas lauter oder schlicht schräger zu betonen, für kleine Schrecken zu sorgen.

Dieser Darbietung zum Trotz: Im ersten Viertel des Films setzt Muschietti relativ häufig auf sehr klassische Jump Scares – lange Kameraeinstellungen, die eine schattige Kulisse zeigen, eine allmählich still werdende Tonspur, zack, stark aufgedrehte Soundeffekte und ein schneidender Tusch oder jaulende Violinen als Musikuntermalung. Diese "Ich will euch mit Lärm erschrecken, statt durch kreative Ideen oder inhaltliche Entwicklungen zu verängstigen"-Einstellung legt der Regisseur allerdings ab, sobald sich der Klub der Verlierer formt. Ab dann geht es Muschietti mehr darum, diese melancholische Geschichte über Freundschaft und diese einschneidende Phase im Leben von Kindern, wenn man erstmals umfassendere Gedanken über Ängste und Sorgen formt, durch gelegentlichen Schauer aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dies können stark auf die jeweiligen Kinder zugeschnittene, ekelhafte Erscheinungen, zynische Streiche Pennywises oder auch verwinkelte Psychospielchen sein.

Mit kleinen, humoristischen Einschüben und einem faszinierenden Score von Benjamin Wallfisch (A Cure for Wellness), der sich dezent von schaurigem Lärm zu atmosphärischer Untermalung hin zu sich behutsam zusammensetzenden melodischen Themen entwickelt, und hochwertigem Look (dank Die Taschendiebin-Kameramann Chung-Hoon Chung) rundet sich Es zu einem hochqualitativen Horrorfilm ab. Er wird zwar das unerschrockene Genrepublikum nicht gerade wimmern lassen, dafür hallt er durch sein starkes Storytelling und seine liebenswerten Figuren nach. Nun heißt es, bis Herbst 2019 auf Teil zwei zu warten …

Dienstag, 26. September 2017

Dirty Cops – War on Everyone


In mattschwarzen, gut sitzenden Anzügen gekleidete Mistkerle missachten das Gesetz, latschen selbstbewusst von A nach B und unterhalten sich dabei über Gott und die Welt, über Kunst und Triviales, über Alltag und Absonderlichkeiten. Das ist der Stoff, aus dem der Quentin Tarantino der 90er-Jahre gemacht ist, insbesondere sein oft kopierter Meilenstein Pulp Fiction. Während der Oscar-Preisträger diese „Gangster und Smalltalk“-Masche jedoch mittlerweile hinter sich gelassen und seine markante filmkünstlerische Handschrift weiterentwickelt hat, klammern sich andere Regisseure und Autoren weiterhin am Gedanken, „das nächste Pulp Fiction“ aus den Ärmeln schütteln zu können.

Mit Dirty Cops – War on Everyone fügt sich auch der englische Autorenfilmer John Michael McDonagh in die lange Reihe von Tarantino-Copycats ein. Zeigte er in den pechschwarzen Projekten The Guard – Ein Ire sieht schwarz und Am Sonntag bist du tot noch eigene Charakteristika, wirkt seine Kriminalkomödie mit Alexander Skarsgård und Michael Peña wie ein Relikt aus den mittleren und späten 90er-Jahren, als gefühlt jede dritte Low-Budget-Erwachsenenkomödie verzweifelt versucht hat, die Tarantino-Formel zu rekreieren. Und wie ein Gros eben dieser Filme ist auch Dirty Cops – War on Everyone eine mühselige, angestrengte Übung darin, locker und lässig aufzutreten.

Im Mittelpunkt des von McDonagh nicht für eine einzige Sekunde ernst genommenen Geschehens stehen die korrupten, rücksichtslosen Bullen Terry Monroe (Alexander Skarsgård) und Bob Bolano (Michael Peña). Egal ob Kollege oder Krimineller, alle bekommen von ihnen eine Abreibung oder zumindest einen frechen Spruch verpasst. Als sie versuchen, den aalglatten und gerissenen High-Class-Gangster James Mangan (Theo James) abzuzocken, übernehmen sie sich allerdings und werden in ein blutiges Netz aus Lügen und Tricks verwickelt, das sie unter anderem mit dem weibischen Ganoven Birdwell (Caleb Landry Jones) konfrontiert. Ganz nebenher verliebt sich Terry in eine Stripperin (Tessa Thompson) und Bob bekommt es mit den Herausforderungen des Familienlebens zu tun …

Von der stümperhaften Schnittarbeit Chris Gills abgesehen, der Szenen ohne jeglichen erzählerischen Rhythmus aneinanderreiht, ist der größte Makel von Dirty Cops – War on Everyone, dass McDonagh den gesamten Film in fauliger Ironie ertränkt. Weder blitzen verspieltere, naivere Momente auf, in denen er mit der Erzählform munteren Spaß hat, noch hat er den leisesten Hauch von Empathie und Gravitas für seine Hauptfiguren übrig. Letzteres ist einer der eklatantesten Fehler, den Filmemacher immer und immer wieder begehen, wenn sie sich in tarantinoesken Dialogen und Szenarien versuchen: Tarantino mag zwar ein Meister des Meta-Films sein und seine aus Querverweisen und Genrekommentaren bestehenden Werke mit viel Ironie bestücken, allerdings liebt er seine (Anti-)Helden.

Wer Tarantino jemals über seine Geschichten hat reden hören, weiß das – wobei die Achtung, die er seinen Figuren gegenüber mitbringt, durch und durch seinen Filmen anzumerken ist: Er skizziert zwar überlebensgroße Macker und Fieslinge, aber sämtlichen relevanten Rollen in Tarantino-Filmen wohnt etwas menschliches inne, ein Funken, der dafür sorgt, dass ihr Schicksal von Interesse sind. Dirty Cops – War on Everyonew kommt indes so rüber, als könnte sich McDonagh für nichts weniger scheren als für seine Protagonisten. Sie wandern Sprüche klopfend und Westentaschenphilosophie austauschend durch die von McDonagh zusammenhaltlos und ohne jegliche Spannungskurve erschaffene Handlung. Nie werden sie zu mehr als zweibeinigen Mechanismen, die den Film irgendwie am Laufen halten und einen angestrengt gen Kultverdacht zurechtgeprügelten Dialogwechsel nach dem anderen abhalten. Die kurzen Einblicke in ihr Privatleben lassen ebenfalls kalt, stellen eher forcierte Stilübungen dar, als die Story bereichernde zwischenmenschliche Augenblicke.

Obendrein lässt McDonagh jeglichen Pepp vermissen, der dieses in verwaschener Retrooptik gehaltene Genrestück bei all seinem Sarkasmus wenigstens in eine launige Farce verwandeln würde. Der visuell ähnlich gestaltete und ebenfalls keinerlei authentische Gefühle erlaubende Blaxploitation-Trip Black Dynamite etwa bricht wiederholt aus seinem Oneliner-Schnellfeuerwerk und seiner Stilimitation aus, um durch gekonnte Albernheit für Stimmung zu sorgen und das Geschehen zu vitalisieren. Dirty Cops – War on Everyone hat zwar ebenfalls unsinnige Momente, diese sind aber mit derselben bitterironischen, schmuddeligen Attitüde wie der restliche Film verwirklicht – bei der austauschbaren Handlung und den lau definierten Hauptfiguren ein Todesurteil. Somit krepieren durch die dröge Regieführung und das mäandernde Timing selbst Szenen wie eine quatschige Verfolgungsjagd durch Island oder der für sich stehend stylische, im Kontext des Films aber versackende Versuch Terrys, saufend im Sitzen zu tanzen.

Trotz kompakter Laufzeit und einer süffisanten Doppelmoral der Figuren in Sachen politischer Korrektheit kann Dirty Cops – War on Everyone nicht einmal durch Michael Peñas sonst so dominierenden Charme gerettet werden: Schwach inszeniert und amateurhaft zusammengeschustert geht dieser darben Kriminalfarce schneller die Luft aus als man vergebens 110 rufen kann.

Fazit: John Michael McDonagh wildert in Gefilden, die Quentin Tarantino vor über 20 Jahren abgegrast hat – und kommt mit einem leblosen, bitteren Stück Gangsterfarce zurück.

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de

Freitag, 22. September 2017

Freitag der Karibik #61


Habt ihr euch je gefragt, welchen Text Käpt'n Jack Sparrow da auf dem Rücken stehen hat? Nun, ihr könntet entweder die Davy-Jones-Reich-Szene in Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt im Superzoom untersuchen, aufmerksam den Abspann des Films lesen oder euch einfach an dieser Stelle Aufschluss geben lassen - sofern ihr es nicht eh schon wisst.

Der torkelnde Seeräuber hat sich ein Gedicht stechen lassen, und zwar eines, das Jahre nach seiner Entdeckung unter dem Namen Desiderata Berühmtheit erlangte. Der Sage nach wurde es im Jahr 1692 in einer Kirche in Baltimore vorgefunden - ohne Autorenangabe oder Hinweise zur Entstehungsgeschichte. Im Jahr 1927 ließ sich dann Rechtsanwalt Max Ehrmann ein Urheberrecht auf den Text ausstellen. Jedenfalls, wenn man an solche Legenden glaubt. Denn hiesig besagte Urhebergeschichte ist bloß eine urbane Legende. Die langweiligere, aber plausiblere Lesart, ist, dass das Gedicht schlicht 1927 von Ehrmann verfasst wurde. Punkt, Ende, Aus. Das Pirates of the Caribbean-Universum liegt also in einem Paralleluniversum, in dem unsere urbane Legende über Desiderata wahr ist.

Desiderata (lateinisch für "Begehrte Dinge") wurde erst nach Ehrmanns Tod weitläufig bekannt, spätestens, als es in die Public Domain gelangte, war es im englischsprachigen Raum quasi überall als Inspirationstext vorzufinden. 1971 fertigte Friedrich Schütter sogar eine deutsche Übersetzung an. Hier findet ihr den englischen Originaltext - der zumindest in groben Pinselstrichen durchaus zu Sparrows Mentalität passt (und in anderen eher seinem möglichen Wunschdenken, wie er wirken könnte), oder?

Go placidly amid the noise and the haste, and remember what peace there may be in silence. As far as possible, without surrender, be on good terms with all persons.

Speak your truth quietly and clearly; and listen to others, even to the dull and the ignorant; they too have their story.

Avoid loud and aggressive persons; they are vexatious to the spirit. If you compare yourself with others, you may become vain or bitter, for always there will be greater and lesser persons than yourself.

Enjoy your achievements as well as your plans. Keep interested in your own career, however humble; it is a real possession in the changing fortunes of time.
Exercise caution in your business affairs, for the world is full of trickery. But let this not blind you to what virtue there is; many persons strive for high ideals, and everywhere life is full of heroism.

Be yourself. Especially, do not feign affection. Neither be cynical about love; for in the face of all aridity and disenchantment it is as perennial as the grass.

Take kindly the counsel of the years, gracefully surrendering the things of youth.

Nurture strength of spirit to shield you in sudden misfortune. But do not distress yourself with dark imaginings. Many fears are born of fatigue and loneliness.

Beyond a wholesome discipline, be gentle with yourself. You are a child of the universe no less than the trees and the stars; you have a right to be here.

And whether or not it is clear to you, no doubt the universe is unfolding as it should. Therefore be at peace with God, whatever you conceive Him to be. And whatever your labors and aspirations, in the noisy confusion of life, keep peace in your soul. With all its sham, drudgery and broken dreams, it is still a beautiful world. Be cheerful. Strive to be happy.

Donnerstag, 21. September 2017

Girl on the Train


Die sündige Freude am Voyeurismus und ihre Wechselwirkung mit den erschütternden Selbsterkenntnissen, die der Blick auf die Leben Anderer provoziert: Dies sind die Elemente, die Paula Hawkins im verlässlich ruckelnden Takt eines Regionalzuges auf ihre Leserschaft loslässt, die sich auf eine Pendelfahrt in die Psyche dreier gänzlich unterschiedlicher, doch schicksalhaft verbundener Frauen eingelassen hat. Angesichts dessen, wie Hawkins in ihrem Thrillerroman Girl on the Train familiäre Situationen, abgrundtiefe psychologische Einblicke und raue Eskalationen an einem vorbeirattern lässt, verwundert es nicht, dass der Schmöker zu einem weltweiten Bestseller wurde.

Dass die Pendlerin-gerät-durch-ihre-Beobachtungen-in-eine-ihr-Wesen-aufrüttelnde-Ermittlung-Kriminalgeschichte bereits ein Jahr nach ihrer Erstveröffentlichung auf die Leinwand kam, ist Verdienst der Materialsucher bei DreamWorks Pictures: Noch bevor Girl on the Train überhaupt in die Bücherregale gelangte, befand sich dank ihnen das Manuskript bereits in den Händen des Filmproduzenten Marc Platt. Der Into the Woods-Produzent sah großes Potential in Hawkins‘ Material und bereitete die Leinwandadaption vor, ehe auch nur ein einziger Normalsterblicher den Pendelweg mit der Titelfigur bestreiten konnte. Am Tag des Verkaufsstarts fand die Verfilmung in Erin Cressida Wilson (#Zeitgeist) ihre Drehbuchautorin. Als die Marke von elf Millionen verkauften Buchexemplaren passiert wurde, standen die weiblichen Hauptdarstellerinnen fest. Und rund ein halbes Jahr nach Verkaufsstart der deutschen Übersetzung waren die Dreharbeiten schon beendet.

Durch dieses vorausschauende Handeln gelang es den Filmverantwortlichen, gewissermaßen vorzeitig auf den Erfolgszug aufzuspringen – und sich nun von der Antriebskraft der populären Romanvorlage ziehen zu lassen. Bedauerlicherweise spiegelt sich die Zügigkeit, mit der Girl on the Train fürs Kino entstanden ist, in der Erzählweise der Bestsellerverfilmung wider: Wilson und Regisseur Tate Taylor (The Help) brettern durch sämtliche relevanten Haltepunkte der ursprünglichen Geschichte, wodurch es ihnen zwar gelingt, die Bestsellerstory auf weniger als zwei Filmstunden zu kondensieren, ohne dabei narrativ unerlässliche Abschnitte zu opfern. Was ihnen jedoch abhanden kommt, sind die bedeutsamen Aspekte Atmosphäre und Suspense sowie die Feinheiten der handelnden Rollen.

Die wichtigste dieser Figuren ist Titelheldin Rachel, gespielt von einer völlig in ihrer Darbietung verschwindenden Emily Blunt: Die geschiedene Alkoholikerin verlor vor einiger Zeit ihren Job, gaukelt ihrer Freundin und WG-Mitbewohnerin Cathy (Laura Prepon in einer unauffälligen Rolle) jedoch vor, weiterhin berufstätig zu sein, indem sie täglich in die New Yorker Innenstadt pendelt. Auf ihrem vermeintlichen Arbeitsweg kommt Rachel stets an ihrem früheren Wohnviertel vorbei, das unmittelbar hinter der Bahnstrecke liegt. Aufgrund einer Baustelle hält der Zug verlässlich an diesem Streckenabschnitt, so dass Rachel die Nachbarn ihres Ex-Mannes Tom (Justin Theroux) beobachten kann: Ein junges Pärchen, auf das Rachel ihre Sehnsüchte projiziert. Für sie sind Scott (Luke Evans) und Megan Hipwell (Haley Bennett) das perfekte, sinnliche, leidenschaftliche junge Paar. Sie leben das Glück, das Rachel von der Maklerin Anna Boyd (Rebecca Ferguson) genommen wurde, als sie ihr ihren Gatten ausgespannt hat. Diese lebt nun als eifrig ihr Revier verteidigende Mutter in dem Haus, das Rachel einst liebevoll eingerichtet hat.

Als sie eines Tages beobachtet, wie sich Megan auf ihrer Veranda in die Arme eines anderen Mannes als Scott begibt, bricht für Rachel nun auch ihre Traumwelt zusammen. Wenig später ist Megan spurlos verschwunden, es steht die Theorie im Raum, dass sie ermordet wurde – und Rachel ist im Gedanken festgefahren, dass Megan aufgrund ihrer augenscheinlichen Affäre das Zeitliche segnen musste. Oder steigert sich Rachel nur in diesen Fall hinein, um den in ihr schlummernden Verdacht zu verdrängen, sie habe Megan im Rausch zu Tode geschlagen?

Der Großteil der Handlung wird streng aus Rachels Sicht erzählt, inklusive alkoholinduzierter Blackouts, verwaschenen Erinnerungen und einem von Danny Elfmans eisiger, disharmonischer Musikuntermalung (im Stile der Gone Girl-Komponisten Trent Reznor & Atticus Ross) und einer herbstlich-nassen Bildsprache verstärkten Gefühl der Paranoia. Rachel lebt in einer hilflosen Situation in einer trostlosen Welt, illustriert durch Charlotte Bruus Christensens Kinematografie, die in matschigen Grau-, Grün- und Brauntönen sowie mit verschwommenem Fokus daher kommt. Von dieser Grundstimmung angetrieben gibt Blunt eine emotional aufgekratzte Performance ab: Die Sicario-Hauptdarstellerin wechselt mit faszinierender Intensität zwischen versoffen-aggressiv, trunken durch Selbstmitleid (und einem Übermaß an Alkohol) und verbissen an sich sowie dem ihr aufdrängenden Kriminalfall arbeitend. Blunt formt Rachel zu einer mehrfach gebrochenen Persönlichkeit, die in dem einen Moment Mitleid erweckt und im anderen durch ihre Manie abstößt.

Weitere Sequenzen werden, wie schon im Buch, aus der Sicht Megans und Annas erzählt, wobei Wilson und Taylor die Handlungsfäden rund um Megans Sinnsuche und Annas Verteidigung ihres gemachten Nests so arg auf reine Funktionalität runterkürzen, dass es kaum möglich wird, ein umfassendes Gefühl für diese Figuren zu bekommen. Hardcore-Grazie Haley Bennett erhält zumindest die Möglichkeit, Megan als verträumte, etwas weltferne unruhige Frau zu skizzieren, die mit ihrer Umtriebigkeit ein bitteres Trauma verbirgt. Doch das Skript lässt dieser Figur kaum Zeit zum Atmen. Somit stellt Megan lediglich eine Figur der extremen Emotionen dar, deren Persönlichkeit hinter diesen Launen nicht rüberkommt.

Rebecca Ferguson (Mission: Impossible – Rogue Nation) letztlich wird als Anna sträflich unterfordert und mimt praktisch nur die besorgte Ehefrau und Mutter – dass sie trotzdem als Dreh- und Angelpunkt einiger Sequenzen auftritt, ist bloß ein Relikt aus der Romanvorlage. Es scheint ein Versuch der Filmemacher zu sein, Buchszenen, in denen Anna die Handlung vorantreibende Entdeckungen macht, vorlagengetreu auf die Leinwand zu retten. Dabei missachten sie den neu erschaffenen Filmkontext: Der Girl on the Train-Film ist stärker auf Rachel zentriert als der Roman, die eine verdrossene Stimmung aufbauenden, storytechnisch verzichtbaren Anna-Szenen sind der Schere zum Opfer gefallen. Dennoch für kurze, nun mehr losgelöst dastehende Momente Anna in den Fokus zu rücken, nimmt dem Film an narrativer Schärfe.

Aber selbst die Sequenzen rund um Rachel leiden darunter, dass sie mit großer Anstrengung auf die entscheidenden, den Plot vorwärtstreibenden Schlagmomente reduziert sind. Tate Taylor lässt Blunts nervliches Wrack kaum ruhen, verwechselt dabei aber eine brutal verdichtete Story mit einer den Atem raubenden Dramaturgie. Ohne Momente des Innehaltens, des Alltags oder des sich schleichend zeigenden Wandels in Rachels Persönlichkeit wird aus einer Erzählung eine Zusammenfassung: Fast jede Szene bringt Girl on the Train näher an die grafische Auflösung des großen Rätsels, während die Befindlichkeit der Protagonistin, ihr Kampf mit sich selbst und ihrem Umfeld nur nebensächlich sind.

Dies zeigt sich am stärksten dadurch, dass die Figuren von Justin Theroux und Luke Evans fast nur Fußnoten darstellen. Weshalb Rachel ihrem Ex nachtrauert? Was macht ein Verbalangriff Scotts mit ihr? Daran rauscht Girl on the Train vorbei – es reicht, diese Situationen zu adressieren, weil sie unvermeidliche Etappen auf dem Weg zum Ende darstellen. Da die Cutter Michael McCusker (Todeszug nach Yuma) und Andrew Buckland (Wolverine: Weg des Kriegers) nur gelegentlich die Wechsel zwischen Erzählsträngen und Zeitebenen klar markieren, gerät die Narrative des Films letztlich so verkürzt, dass die gewaltige Informationsdichte das Spannungspotential der Geschichte völlig überrollt: Es passiert stets etwas, Blunt reagiert darauf erschütternd, aber die Handlung erwacht nicht zum Leben, die Figuren zeigen nur ihre Persönlichkeit, statt sich dem Publikum gänzlich zu offenbaren. Die Konsequenz dessen: Wenn dieser Filmzug seine Endstation erreicht, sind zwei Stunden vergangen und die Geschichte hat sich zügig von A nach B bewegt. Eine erfüllende, stimmige und bewegende Reise stellte diese Hatz allerdings nicht dar.

Fazit: Eine auf den Inhalt gut abgestimmte, atmosphärische Optik und eine starke zentrale Performance sind manchmal einfach nicht genug: Girl on the Train ist ein so rastlos funktional erzählter Thriller, dass die Emotionen der Geschichte zum Erliegen kommen.

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de

The LEGO Ninjago Movie




Mit The LEGO Movie vollbrachten Phil Lord und Chris Miller ein kleines Wunder: Sie nahmen eine in ihrem Grundkern hochkommerzielle Filmidee ("Lasst uns einen ganzen Kinofilm über LEGO machen!") und verformten sie durch Cameos, LEGO-Referenzen und Popkulturpersiflagen zu einer Geschichte darüber, dass Individualität und kreative Freiheit hohe Güter sind. Und das, um es nochmal festzuhalten, mit LEGO, einem Spielsystem, das sich seit Jahren mehr und mehr durch den Verkauf von Lizenzware über Wasser hält, während die Originalsets des Unternehmens eher die Kür darstellen. Oder habt ihr jemals über ein LEGO-Set ohne Popkulturlizenz auch nur halb so viele Artikel gesehen wie über den neuen, 800 Euro teuren Millennium Falcon?



Im Fahrwasser des immensen kommerziellen Erfolgs des frenetischen Animationsfilms kündigte Warner Bros. Animation rasch zahlreiche weitere LEGO-Kinofilme an: Neben einer direkten Fortsetzung sollten auch eine Wettrennkomödie, ein Film über den Publikumsliebling LEGO Batman sowie ein Film auf Basis des von LEGO selbst kreierten Ninjago-Mythos folgen. Während sich The LEGO Batman Movie Anfang dieses Jahres darin übte, die parodistischen Elemente des ersten LEGO-Films voll aufzudrehen und vor allem Batman-Fans ein Gagfeuerwerk zu bieten, kommt mit The LEGO Ninjago Movie nun die erste Produktion dieser LEGO-Welle in die Kinos, die keine konkreten Popkulturreferenzen beinhaltet. Statt mit selbstironischen Gastauftritten von Film- und Comiclegenden zu punkten, nimmt sich diese Trickkomödie grob, ohne direkte Nennung von Vorbildern, dem Kung-Fu- und Ninja-Kino an, wobei wohl nicht wenige im Publikum angesichts der Story auch an Star Wars denken werden. Und eine kleine Prise Power Rangers ist auch vorhanden.



In der Großstadt Ninjago leben die Menschen in Angst und Schrecken vor dem fiesen Lord Garmadon, der jeden Tag versucht, mit seiner Armee die Stadt zu erobern. Oder sie dem Erdboden gleichzumachen. Oder eine Kombination aus beidem. Darunter hat Schuljunge Lloyd am meisten zu leiden. Denn er ist Garmadons Sohn – weshalb er in der Schule ausgegrenzt wird. Nur seine fünf besten Freunde stärken ihm den Rücken. Was niemand weiß: Hinter den sechs mysteriösen Ninjas, die in ihren Riesenmaschinen Tag für Tag die Stadt retten, verbirgt sich dieses Sextett. Doch eines Tages reißt Lloyd der Geduldsfaden, sich weiter mit dieser komplizierten Situation auseinanderzusetzen, weshalb er zu einer verbotenen Waffe greift. Kann Lloyds Onkel, der Ninjameister Wu, mit seinen Lehren dem Teenager beibringen, dass noch so viel unerkanntes Potential in ihm steckt?



Bereits der Original-LEGO-Film hatte leichte Schwächen hinsichtlich dessen, wie abgenutzt der Grundplot ist. Zwar verpassen Lord und Miller dem altgedienten Plot des Auserwählten, der nicht weiß, wie besonders er ist und sich daher wie ein austauschbarer Langweiler fühlt, ein paar Seitenhiebe. Doch zwischenzeitlich ist The LEGO Movie dann eben sehr wohl eine Fließbandversion einer solchen Geschichte. Verquickt wurde dies aber mit einer kurzen, pointierten Vater-Sohn-Geschichte. Und die nachfolgenden LEGO-Filme … Tja. Die kupfern fröhlich das Rezept ihres Vorgängers ab. Die Batman-Story hat aber so viel Comicchaos und liebevolle Batman-Persiflage zu bieten, dass es dennoch nicht negativ auffällt - The LEGO Ninjago Movie dagegen fühlt sich abseits seines rudimentären Grundkonstrukts so leer an, dass sich die unbeseelte Erfüllung der LEGO-Filmstruktur aufdrängt.



Da wäre der Junge, der glaubt, nicht von seinem Vater geliebt zu werden – der dieses Mal zudem wortwörtlich in Form eines Oberschurken daherkommt. Natürlich ist Lloyd ein unpopulärer Underdog (der dennoch fünf enge Freunde hat … verquere Filmlogik …), der obendrein mit seiner Ninjakraft ("grüüün") unzufrieden ist und erst erkennen muss, wie wertvoll er ist – und das, was er in seine Heldengruppe mitbringt. Die semi-mysteriösen Ratschläge eines alten, weisen Mentoren müssen entschlüsselt werden und außerdem gibt es einen gewollt-dämlichen Popsong, der sich durch den Film zieht. Statt "Malen nach Zahlen" also "Klötzchenfilm bauen nach alter Anleitung".



Während die beiden Vorgängerfilme ihr frenetisches Tempo und ihren quirligen Humor mit kleinen, figurengesteuerten Handlungseinschüben ausbalancieren, ist das Skript des Autoren-Sextetts Bob Logan, Paul Fisher, William Wheeler, Tom Wheeler, Jared Stern und John Whittington mit einem Albtraumstau zu vergleichen: Stillstand, der sich langsam löst, woraufhin alle rasch auf die Tube drücken und von Spur zu Spur wuseln, wieder elendig langer Stillstand. In den Actionszenen quasseln die Figuren wild drunter und drüber, zahlreiche Dinge passieren in rasanter Abfolge, dann bleibt alles stehen, damit eines von zwei Szenarien das Geschehen auf der Stelle treten lassen kann. Entweder führen Lloyd und sein ignoranter Vater einen Fremdschamdialog, in dem eine Seite partout nicht versteht, was die andere ausdrücken will – und die Regie (Charlie Bean, Paul Fisher, Bob Logan) verlässt sich darauf, dass sie den Gag so sehr in die Länge zieht, dass er den Weg von lustig zu unlustig zurück zu lustig, zurück zu unlustig wieder zurück zu lustig findet. Oder aber die Heldentruppe kommt im Schneckentempo der Aussage von Wus Lehren näher, bevor sie eh wieder alles über den Haufen wirft, weil wir noch nicht im letzten Fünftel der 101 Filmminuten angelangt sind.



Aufgrund der generischen Charakterzeichnung der Helden und des minimalen Charakterbogens, den Garmadon durchmacht (von planlos-böse zu liebenswert-frech) haben die ruhigeren, figurenbezogenen Szenen von The LEGO Ninjago Movie zu wenig Gehalt, als dass sie ihre ausgedehnte, langsame Umsetzung tragen können. Bei der gebotenen Tiefe hätte dieser Film maximal Stoff für 70 Minuten, eher nur für eine Doppelfolge der Ninjago-Serie, zu bieten. Der "Aneinandervorbeigerede"-Gag wird rasch alt, und was Familienanimationsfilme angeht, die Tropoi des asiatischen Kampfkinos liebevoll persiflieren, kann The LEGO Ninjago Movie nicht mit der Passion und dem Einfallsreichtum der Kung Fu Panda-Reihe mithalten, die viel konzentrierter und origineller aus ihren Vorlagen Inspiration schröpft.



Ein paar Treffer hat diese Trickproduktion zwar, wie den Gebrauch von Realfilmmaterial in der Haupthandlung und den trockenen Humor von Lord Garmadon, trotzdem ist sie ein gähnend-müder Vergleich zu ihren Vorgängern – von einem einzigen Aspekt abgesehen: Der Ninjago-Film sieht am ehesten so aus, als sei er ein echter LEGO-Klötzchen-Stop-Motion-Film. Das Regietrio stilisiert die LEGO-Landschaften weniger als die Vorläufer, die durch starke, irreale Lichtsetzung dem Gezeigten etwas Andersweltliches mitgaben – dieser Film hingegen sieht so aus, als würde ein handelsübliches LEGO-Set unter normalen Kinderzimmerbedingungen zum Leben erwecken. Die nicht so gestreng stilisierte Lichtsetzung hat zur Folge, dass Bean, Fisher & Logan das Auge der Betrachter weniger lenken als ihre Vorgänger, weshalb wildere Actionszenen etwas unübersichtlicher ausfallen, trotzdem hat dieser noch echtere LEGO-Look einen großen Reiz. Vielleicht kann ihn ja einer der kommenden LEGO-Filme mit einer besseren Handlung paaren?

Freitag, 15. September 2017

Freitag der Karibik #60


Wie setzt man eine immens erfolgreiche Filmtrilogie fort, deren zentraler Handlungsbogen beendet ist? Im Fall der Pirates of the Caribbean-Saga basierten die Gedanken der verantwortlichen Autoren Ted Elliott und Terry Rossio auf zwei Inspirationen.

Einerseits geisterte ihnen Tim Powers' Roman In fremderen Gezeiten durch den Kopf, der ihnen während der Skriptarbeit an Die Truhe des Todes und Am Ende der Welt in die Hände fiel und der ihnen als Story über Piraten, Meerjungfrauen, den finsteren Blackbeard und die Quelle der ewigen Jugend nicht mehr aus dem Sinn ging. Sie wussten: Wenn es einen vierten Teil gibt, so werden wir unterbewusst bei dieser starken Vorlage klauen - also gehen wir lieber den offiziellen Weg, drängen Disney dazu, die Adaptionsrechte am Buch zu erwerben und planen eine sehr, sehr lose Neuinterpretation.

Laut Terry Rossio war der Stein des Anstoßes für das endgültige Skript indes eine Vorstellung, die er und Elliott hatten. Ein Szenenbild, das ihnen sehr gefiel und das sie als Mittelstück genommen haben, dessen Vor- und Nachgeschichte sie erzählen wollten:

"Jack Sparrow tanzt mit jemandem an Deck. Es ist eher ein romantischer, der Zeit angebrachter Tanz. Ein Schiff im Mondlicht, und Jack Sparrow tanzt, muss vielleicht jemanden verführen. Das haben wir auf einer Karte notiert und dann gesagt: 'Warum tanzt Jack Sparrow?`"

Es ist Fremde Gezeiten anzumerken, welcher erster Gedanke dem Film zugrunde liegt. Er ist (vielleicht auch aufgrund Regisseur Rob Marshall) verträumter, inhaltlich spielt Jack Sparrows Tanzpartnerin Angelica eine große Rolle und das neckische Geplänkel zwischen ihr und Jack prägt sehr den Humor des Films.

Zugleich erklärt dieser Grundstein, weshalb Fremde Gezeiten in meinen Augen schwächer ist als Die Truhe des Todes: Der ersten Fluch der Karibik-Fortsetzung geht die Idee eines großen Dilemmas voraus, der ganze Film arbeitet auf eine dramatische, zweischneidige Situation hin. Fremde Gezeiten basiert dagegen "nur" auf einem reizvollen Bild.

Dienstag, 12. September 2017

The Accountant


Das Duo Matt Damon & Ben Affleck zählt zur Riege der berühmten Hollywood-Freundschaften. Die zwei Stars, die lange Zeit auch regulär gemeinsam vor der Kamera standen, verfassten zusammen das Good Will Hunting-Drehbuch und heimsten so unter anderem einen Oscar ein. Aller Unzertrennlichkeit zum Trotz schlugen Affleck und Damon recht unterschiedliche Karrierewege ein. Während sich Damon konstant zum Publikumsmagneten und Blockbuster-Frontmann wandelte, der dessen ungeachtet auch dann und wann in anspruchsvolleren Filmen mitspielt, war Afflecks Pfand ein geschlungener: In den 90ern und frühen 2000ern ebenfalls als Aushängeschild kostspieliger Produktionen ausgetestet, jedoch mit mehreren Flops und teils bitteren Kritiken begrüßt, erarbeitete sich Affleck erst über seine Regietätigkeit und Rollen in seinen eigenen Projekten erneuten Respekt. Erst danach traute ihm Hollywood schrittweise mehr und mehr zu, als Star in Filmen anderer Regisseure zu agieren.

Dieses Vertrauen in Affleck scheint sich für die Filmverantwortlichen auszuzahlen, erntete der zweifache Academy-Award-Gewinner doch unter anderem positive Kritiken für David Finchers Thrillererfolg Gone Girl – Das perfekte Opfer. Darüber hinaus gehört er zu den wenigen Aspekten von Batman v Superman: Dawn of Justice, die selbst von vielen lautstarken Gegnern des Superheldenstreifens gelobt wurden. Mit The Accountant erhält Affleck nun die Gelegenheit, sich in einem Gebiet zu behaupten, in dem sich sein Buddy Damon bereits wiederholt achtungsvoll geschlagen hat: Im Sektor des an ein etwas älteres Publikum gerichteten Actionthrillers. The Accountant nun als „Ben Afflecks Antwort auf die Bourne-Reihe“ abzutun, mag der Produktion nicht ganz gerecht werden, dennoch empfiehlt sich das Projekt von Warrior-Regisseur Gavin O’Connor für all jene Filmliebhaber, denen Jason Bourne per se gefiel, die aber gern eine winzige Prise mehr Witz und deutlich weniger Handkameragewackel gehabt hätten.

Das autistische Mathematikgenie Christian Wolff (Ben Affleck) betreibt ein kleines Steuerberatungsbüro nahe Chicago. In diesem unscheinbaren Geschäft kann er seine Leidenschaft zu logischen Abläufen und Zahlen ausleben – und ganz nebenher unbescholtenen Bürgern dabei helfen, sich durch legale Steuertricks nicht völlig vom Staat schröpfen zu lassen. Schlussendlich ist dieses biedere Büro aber nur Tarnung für seine Tätigkeit als Buchhalter einiger der gefährlichsten Unterweltorganisationen der Welt. Zur Sicherheit rät ihm eine Vertrauensperson dazu, ausnahmsweise einen ganz und gar legalen Auftrag anzunehmen: Der Robotikkonzern des Visionärs Lamar Black (John Lithgow) hat ein Finanzleck, auf das dessen Buchhalterin Dana Cummings (Anna Kendrick) aufmerksam wurde. Nun soll Wolff die vollen Ausmaße dieser Unregelmäßigkeit sowie dessen Ursprung ausfindig machen. Derweil haben sich jedoch schon der Leiter der Steuerfahndung Ray King (J.K. Simmons) und seine verbissene neue Ermittlerin Marybeth Medina (Cynthia Addai-Robinson) auf Wolffs Versen gemacht …

Obwohl Regisseur Gavin O’Connor schon früh zeigt, dass sein Protagonist über eine große Waffensammlung verfügt sowie sehr gut trainiert ist, und somit das non-verbale Versprechen macht, dass The Accountant zum Actionthriller wird, beginnt die 44-Millionen-Dollar-Produktion bodenständig: Die von Drehbuchautor Bill Bubuque (Der Richter – Recht oder Ehre) erdachte Geschichte eröffnet wie ein fiktionales Biografiedrama über einen herausragenden Buchhalter, der aufgrund seines Autismus zwar die Gesetze der Mathematik, nicht aber die Regeln des sozialen Miteinanders beherrscht. So führt O’Connor in ruhigen, mit trockenem Witz und akkurat-geradliniger Bildsprache erzählten Szenen, wie Wolff als Kind ein schwieriges Puzzle löst oder als Erwachsener mühelos einem älteren Ehepaar große Steuerersparnisse ermöglicht. Gleichwohl liegt er im obligatorischen Smalltalk mit seiner Vorzimmerdame oder ähnlich-nebensächlichen Augenblicken gesellschaftlicher Interaktion immer dezent neben dem gemeinhin als „korrekt“ geltenden Verhalten.

Affleck agiert in diesen Szenen, die den Autismus seiner Figur vorführen, durchweg sehr gut und respektvoll: Er zieht zwar durch treffendes Timing Humor daraus, wenn Wolff mal wieder an der sozialen Norm vorbeiwandert, dabei hat er jedoch so große Bodenhaftung und ist so adrett und nüchtern, dass Wolff weder als Karikatur erscheint, noch es unglaubwürdig wird, dass er sich mühelos ganz allein durch sein herausforderndes Leben zu manövrieren weiß. O’Connor gelingt der Spagat zwischen unaufdringlichem Witz und einer nüchternen, den Berufs- und Privatalltag Wolffs zeigenden, charakterbezogenen Dramatik sogar so stilsicher, dass man sich glatt wünschen würde, der ganze Film handle davon, wie das Matheass die Finanzzahlen des Unternehmens Living Robotics abklopft. Cutter Richard Pearson (Muppets aus dem All) und Komponist Mark Isham (Once Upon a Time) verleihen dem Vorgehen zudem einen so angenehmen akustischen wie visuellen Rhythmus, dass die eingangs angekündigte Action noch stärker in Vergessenheit gerät.

Doch Wolffs Tätigkeit für Living Robotics wird jäh unterbrochen. Alsbald machen erbarmungslose Gangster Jagd auf Mitarbeiter dieses Unternehmens, darunter auf die freundliche Buchhalterin Dana (Anna Kendrick), die staunend sowie eingeschüchtert Zeugin davon wird, welche Killermaschine in Wolff schlummert. Afflecks imposante körperliche Präsenz kommt in diesen Kampfsequenzen durch teils sehr enge Kameraeinstellungen nicht durchweg zur Geltung, jedoch sind sie übersichtlicher inszeniert als die Action in den hektischsten Bourne-Teilen. Und wenn Wolff fast schon einem Terminator gleich ohne jegliche Mimik einen Gegner nach den anderen niederschießt, bringt Affleck dies mit einer Mischung aus Coolness und Gefährlichkeit rüber. Zudem fällt sein Zusammenspiel mit der von ihm beschützten Anna Kendrick positiv auf: Ohne Romantikkitsch, dafür auf sympathische Art unbeholfen.

Was The Accountant aus dem Gleichgewicht bringt, ist weniger dieser graduelle Wandel zum Actionthriller, sondern eher der Subplot rund um die Steuerfahndungsbehörde: Nicht nur, dass J.K. Simmons so wirkt, als würde er seine übliche „Strenger Boss“-Routine nur halbherzig runterspulen – der gesamte Handlungsstrang bereichert diese Geschichte einfach nicht. Theoretisch ließe er sich ersatzlos streichen – das, was die Titelfigur ausstrahlt, würde sich nicht ändern, genauso wenig würden sich gravierende inhaltliche Fragen auftun, denn Wolffs Werdegang wird bereits in erzählerisch teils überstrapazierten Rückblenden erläutert. Spannung macht sich in den Ermittlerszenen, trotz einer versierten Performance von Cynthia Addai-Robinson (Arrow) als Spürnase, ebenfalls kaum breit, da die US-Behörde nie glaubhaft als Gefahr für Wolff skizziert wird.

Eine größere Bereicherung für den von Kameramann Seamus McGarvey (Anna Karenina) in herbstlich-spröden, schicken Bildern gehaltenen Thriller stellt da Marvel’s Daredevil-Punisher Jon Bernthal als befehlshaberischer Fiesling dar. Über weite Strecken fallen seine Szenen nur funktional aus, doch nach und nach zeigt er neue Facetten von sich, ist mal cholerisch, dann jovial und sogar zynisch-humorvoll. Seine Begegnung mit Ben Afflecks Rolle macht sogar beinahe die kurz zuvor erfolgte, ellenlange Sequenz mit Simmons und Addai-Robinson wieder wett. Aber eben nur fast: Vor dem Finale steigt O’Connor voll in die Eisen, bringt die Handlung zum absoluten Stillstand und schiebt einen Wust aus non-chronologisch abgehaltener Exposition nach, der wahlweise eher zu langweilen oder zu verwirren droht, statt die Spannung zu vergrößern. Da hat jemand den Zweck eines retardierenden Moments wohl fehlinterpretiert – dabei macht der Titelheld es so schön vor: Gelegentlich hilft es, sofort zum Ziel zu kommen, statt zu schwätzen.

Fazit: Stimmige Thrilleraction und schön-spröder Humor, aber gelegentlich macht sich Sand im Getriebe bemerkbar.

Diese Kritik erschien zuerst auf Quotenmeter.de

Freitag, 8. September 2017

Freitag der Karibik #59


Am Ende der Welt ist der musikalisch komplexeste Teil der Pirates of the Caribbean-Reihe. Und das liegt nicht bloß daran, dass sich der inhaltliche Fokus in diesem Film am stärksten von dem hinwegbewegt, was die anderen Parts erzählen. Abseits der größeren mythologischen Komponente, dem drohenden Ende aller Piraterie und der Gegenüberstellung zweier problembelasteter Liebesbeziehungen gibt es ein weiteres Element, das Chefkomponist Hans Zimmer dazu getrieben hat, das akustische Vokabular innerhalb der Filmreihe für Teil drei auszuweiten: Den grenzüberschreitenden Aspekt von Am Ende der Welt.

Mehr noch als die anderen Filme im PotC-Franchise ist Am Ende der Welt ein Reisefilm: Er führt von Singapur ins Reich von Davy Jones, zurück in die Karibik, und durch den Rat der Bruderschaft enthält er ein großes internationales Element, wie es die Vorgänger und Nachfolger so nicht aufweisen. Dies spiegelte Hans Zimmer in der Instrumentierung der Musikstücke wider.

Unter anderem sind in Am Ende der Welt ein armenisches Duduk, die chinesische Erhu (eine mit dem Bogen gestrichene Laute), eine italienische Piccoloflöte, ein Akkordeon, eine typisch irische Fidel, ein Banjo sowie ein rumänisches Zymbal zu hören. Darüber hinaus kommen eine singende Säge vor, eine Mandoline sowie ein asiatisches Schlaginstrument namens Taiko. In der Parlay-Szene wird zudem eine Mundharmonika zum Tönen gebracht, des Weiteren spielt Gore Verbinski höchstpersönlich die E-Gitarre. Die in Hans-Zimmer-Actionfilmen gern genutzten Synthesizer kommen unterdessen nur in der Davy-Jones-Reich-Seqenz zum Einsatz.

Montag, 4. September 2017

Affenkönig


Was passiert, wenn in den öffentlich-rechtlichen Gremien die Diskussion aufkommt, dass man ja mal wieder was für sein Image als unberechenbarer Unterhaltungslieferant tun könnte, und daher dringend eine provokante Kinokomödie finanzieren sollte? Womöglich ist genau so Affenkönig zustande gekommen: Eine ebenso angestrengt wirkende wie anstrengende Produktion, in der sich ein eigentlich sehr fähiges Darstellerensemble lustlos harsche Dialoge an den Kopf knallt und in mühselig-derber Situationskomik zum Affen macht.

Zu seinem 45. Geburtstag sorgt Lebemann Wolfi (Hans-Jochen Wagner) auf seinem prächtigen Anwesen in der Provence für ein Wiedersehen: Er trommelt seine dicksten Freunde und deren Familien herbei, so dass sie sich endlich mal wieder zusammensetzen. Denn die gemeinsamen Zeiten sind längst vorbei. Martin (Marc Hosemann) war in den 90ern ein erfolgreicher Rapper, mittlerweile ist er eine gescheiterte Existenz und kann sich nicht einmal die Herz-OP für seinen Sohn leisten. Der frühere Haudegen Viktor (Samuel Finzi) ist nun trocken, arbeitswütig und spießiges Mitglied des Politbetriebs. Und Ralph (Oliver Korittke) steht völlig unter dem Pantoffel seiner frigiden Fregatte von Frau namens Ruth (motzig: Jule Böwe). Unter der knalligen Sonne Südfrankreichs werden dank Wolfi allerdings rasch alte Sympathien wiederbelebt, neue Animositäten geschaffen und Persönlichkeitsprofile durcheinandergewirbelt …

Als Film über zerrüttete Freundschaften, die erstmal noch stärker in die Brüche gehen müssen, um dann ansatzweise wieder gekittet zu werden, braucht es aller Derbheit und gewollter Disharmonie zum Trotz ein Gefühl der Zusammengehörigkeit: Damit solch ein Plot wie der von Affenkönig aufgeht, ist es nötig, dass die Darsteller so auftreten, dass man als Zuschauer diesen Figuren wünscht, wieder zueinanderzufinden. Bedauerlicherweise scheitert der neuste Film des Schwarze Schafe-Regisseurs Oliver Rihs bereits an diesem grundlegenden Aspekt. Ein Gros der Mimen wirkt lustlos und desinteressiert, das Zusammen- respektive Gegeneinanderspiel ist schematisch und gänzlich ohne den fiesen Verve, den so eine pechschwarze (Anti-)Freundschaftskomödie verlangt.

Während zumindest Samuel Finzi (der schon in den Kokowääh-Filmen jede Szene an sich riss) Pepp mitbringt, sobald sein Workaholic zum hibbeligen Junkie mutiert und süffisant Schwachsinn labert, stehen Oliver Korritke und Marc Hosemann oft nur eisern in der Kulisse herum. Angesichts dessen, dass das Skript Korritkes und Hosemanns Rollen zudem nahezu die gesamte Laufzeit über starr als ein Extrem skizziert, nur um sie dann kurz vor Schluss aus fadenscheinigen Gründen ins Gegenteil zu verkehren, bekommen die zwei Darsteller auch gar keine Chance, ihren Pappkameraden Kontur zu verleihen. Hans-Jochen Wagner indes genießt sich zwar sichtbar als nachtragender Prolet, allerdings ist seine gallige Figur so monoton geschrieben, dass sich ihre Wortspiele und Eskapaden zu laut ankündigen, um als Gags zu zünden.

Als eine der wenigen zumindest zweidimensionalen Figuren weiß dagegen Jytte-Merle Böhrnsen (Großstadtklein) alias Sima gelegentliche Pointen in Treffer zu verwandeln: Die nach Sex hungernde Schwangere, deren Intellekt unentwegt unterschätzt wird, kommentiert das aus elendig langgezogenen, zotigen Kalauern bestehende Geschehen mit einer freundlichen Unbedarftheit und lockert vor allem den besonders drögen Mittelpart auf. Durchweg amüsant, wenngleich auch tonal überhaupt nicht zum aggressiven Angekeife des restlichen Films passend, ist zudem Tijan Marei: Ihre Figur Greta ist eine Gothic-Karikatur, wie sie die Addams Family jederzeit bei sich aufnehmen würde und suhlt sich in spritzig überzeichneten Sketcheinlagen.

Die erwachsenen Figuren dagegen meckern sich mit angesäuerter Miene von einer Eskalation zur nächsten. Die mit jeglichen erzählerischen Drall zerstörenden Kunstpausen dargebotenen Beschimpfungsorgien, Fremdgehwitzlein und Perversionsdebatten sind aber niemals so provokant, wie sie wohl gemeint waren. Ja, Menschen gehen halt fremd, Frauen haben halt manchmal Lust auf härteren Sex als ihre Partner und manche Freunde gehören nach ihrer wüsten Jugend halt nicht mehr zusammen. Das alles sind weder schockierende Erkenntnisse, noch durchgeknallte Lachsalven: Es ist schlichtweg langweiliger Lärm.

Fazit: Überhaupt nicht zum Brüllen: Affenkönig ist laut, garstig, mäandernd, langweilig.

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de

Sonntag, 3. September 2017

Sausage Party


Comedystar Seth Rogen ist, wie viele Filmfreunde, bekennender Pixar-Fan. Weshalb sollte er es auch nicht sein? Die zum Disney-Konzern gehörende Trickschmiede produzierte unter anderem mit der Toy Story-Trilogie, Findet Nemo, Ratatouille und WALL·E diverse moderne Trickklassiker, die nicht nur die jüngsten Kinogänger begeistern, sondern auch erwachsene Cineasten. Doch während sich zahlreiche Pixar-Trittbrettfahrer finden lassen, so sind waschechte Parodien auf das mehrfach preisgekrönte Studio rar gesät. Aus einer Laune heraus nahmen sich Rogen sowie seine Dauerkollaborateure Evan Goldberg (Skript von Das ist das Ende) und Jonah Hill (Beim ersten Mal) vor, dies zu ändern.

Und zwar, an der Oberfläche betrachtet, auf die denkbar juvenilste Weise: Mit einem Animationsfilm namens Sausage Party wollten sie nach dem geheimen Leben von Spielzeugen, Fischen und den Monstern in unserem Schrank das geheime Leben von Lebensmitteln erzählen – inklusive zahlloser Zoten und der unvermeidlichen Erkenntnis: Diese ach-so-magische Grundidee verwandelt sich rasch in eine Horrorvorstellung. Jedoch ließen es Rogen und seine Ko-Autoren als das Projekt nach jahrelanger Vorarbeit in Produktion ging, nicht darauf beruhen: Der Komiker, der bereits mit The Interview einen Mix aus Blödelkomödie und Satire verantwortete, unterfüttert seinen an Erwachsene gerichteten, albernen, versauten Film mit so manch überraschend profunden Grundideen. Halt in bester Pixar-Manier – deren kurz zuvor gestartetes Projekt war ja schließlich auch eine Fischkomödie über Familienverlustängste sowie den Umgang mit psychisch benachteiligten Zeitgenossen …

Das Würstchen weiß, was es will …
Das Hot-Dog-Würstchen Frank hat einen Herzenswunsch: Gemeinsam mit seiner Brötchen-Freundin Brenda von den Göttern auserwählt werden, um in einem paradiesischen Jenseits seine Verpackung verlassen zu dürfen, so dass er endlich in Brenda eindringen kann. Eines Tages macht sich jedoch Verwirrung breit: Honigsenf, der von einem Kunden, pardon, Gott ausgewählt und kurz darauf in den Supermarkt zurückgebracht wurde, bebt am ganzen Leib und erzählt voller Schrecken und Wut, dass die Götter brutale Wesen seien, die den Produkten nur Leid zufügen wollen.

Als Brenda und Frank nach Honigsenfs Rückkehr gemeinsam in einen Einkaufswagen gehoben werden, und auch Honigsenf erneut den Laden verlassen soll, knallen bei der süß-herzhaften Soße endgültig die Synapsen durch: Sie verursacht durch ihren Suizid einen schweren Unfall. Brenda und Frank finden sich gemeinsam mit dem muslimischen Teigfladen Kareem Abdul Lavash und dem jüdischen Hefegebäck Sammy Bagel Jr. irgendwo im Supermarkt wieder – und müssen sich nun entscheiden: Wollen sie zurück in ihr Regal, um darauf zu warten, erneut auserwählt zu werden, oder stellen sie ihren Glauben aufgrund von Honigsenfs Warnungen in Frage und machen sich auf die Suche nach der Wahrheit?

Wer braucht schon Vorspiel? Direkt losgelegt und immer härter weitergemacht!
Als Mischung aus derbem Chaoshumor und smarteren Seitenhieben auf größere Themen (etwa auf den Nahostkonflikt) hat Sausage Party durchaus eine gewisse Artverwandtschaft mit The Interview und vor allem mit Das ist das Ende. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Während Das ist das Ende vor sein postapokalyptisches Chaos eine selbstironische Promiparty schaltet, und sich davor die Zeit nimmt, die Freundschaft der beiden Protagonisten auf bodenständige Weise zu etablieren, und The Interview noch als Talkshowparodie beginnt, hechelt Sausage Party nahezu sofort in einen Vulgaritätsexzess.

Der Film eröffnet mit einer Parodie auf typische Disneymusical-Eröffnungslieder (für die Musik zeichnet sogar Disney-Hofkomponist Alan Menken zuständig), wobei bereits nach wenigen Takten die glücklichen, naiven Lebensmittel über die verbale Stränge schlagen und garstig Andersdenkende beleidigen. Somit startet Sausage Party prompt als Parodie der Marke „Was wäre, wenn Disney/Pixar auf Familienfreundlichkeit scheißen würden?“, statt als konzeptionelle Persiflage, die eine Disney-Grundidee nimmt und durch inhaltliche Entwicklungen nach und nach dekonstruiert. Ob dies nun ein Nachteil ist oder nicht, dürfte eine Geschmacksfrage sein, der Überraschungsfaktor wird dadurch aber de facto arger begrenzt als bei The Interview und Das ist das Ende.

Stattdessen setzt Sausage Party enorm auf den Schockfaktor und den Reiz des Kalauerexzesses: Phallische Würstchen reden unentwegt davon, endlich in ein warmes Brötchen eindringen zu wollen. Ein niedliches, kulleräugiges Glas Honigsenf spricht von der Lügenwichserei der Götter. Und eine Intimdusche will nichts sehnlicher, als mit seinem Rohr eine Göttin zu säubern … All dies gewinnt aufgrund der South Park-artigen Vehemenz, die auf die immer wieder durchschimmernde Warmherzigkeit trifft, die Rogens Humor üblicherweise ausmacht, einen sehr pubertären, aber naiv-albernen Charme. Denn aller Kodderschnauze zum Trotz zeigen die Autoren ein ehrliches Interesse an der Beziehungsdynamik von Frank und Brenda sowie an der Hassliebe zwischen Lavash und Bagel. Unzählige visualisierte Wortspiele und die pointiert-inkonsistente Filmwelt mit ihren hysterischen Konsequenzen für ihre Bewohner sorgen letztlich auch für humoristische Abwechslung.

Es ist angerichtet
Sobald die handelnden Lebensmittel erstmal in ihr Abenteuer gestürzt werden, denkt Sausage Party die „Was wäre, wenn Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände leben würden?“-Idee auf stets pointierte Weise weiter – und entwirft eine kranke Welt voller amüsiert-überspitzter Stereotypen, leidender Produkte und der Küche als Folterkammer. Nebenher zanken die Figuren aber auch darüber, ob sie blind ihrer Religion folgen und glücklich-naiv sein sollten, oder lieber aufgeklärt und zynisch – oder ob es einen dritten Weg gibt. Außerdem wird auf humorvoll-aggressive Weise Toleranz beworben: Sausage Party reibt frech grinsend seinem Publikum die „Jedem, wie es beliebt“-Message ins Gesicht, was in den besten Momenten trotz (oder gerade wegen) des simplen Designs und der technisch sehr bescheidenen, detailarmen Animation cartoonigen Pepp hat: Wenn die Figuren Schmerzen leiden oder sich gegen Schluss ihrer Leidenschaft hingeben, zeigen die Animatoren Schwung – andere Sequenzen sind derweil nicht nur technologisch karg, auch die Figuren bewegen sich sehr mechanisch.

Verbunden mit den bewusst grotesk gestalteten menschlichen Figuren sieht Sausage Party daher stellenweise eher einfach nur hässlich aus, statt gezielt den Anschein eines Fließband Pixar-Abklatschs zu erwecken. Insbesondere der etwas langsamer erzählte Mittelteil, in dem Teile der Heldentruppe durch den Supermarkt irren, leidet darunter, was angesichts des inhaltlichen Leerlaufs doppelt schwer wiegt – und als Antagonist überreizt die aggressive Intimdusche mehrmals ihren narrativen Nutzen. Die hohe Schlagzahl an durchgeknallten Ideen im klimatischen Finale entschädigt jedoch für einige der Schwächen im zweiten Drittel: Irgendwann lässt der von Anfang an enthemmte Sausage Party sämtliche Grenzen hinter sich und steigert sich in einen feucht-fröhlichen Angriff auf etwaige Schamgrenzen – oder eben auf die Lachmuskeln.

Fazit: Sausage Party ist das, was passiert, wenn lauter Humor auf Tolldreistigkeit und kunterbunten Ideenreichtum trifft: Ein derber, durch und durch bescheuerter Filmspaß, der sich so genussvoll in kalauernder Dummheit suhlt, dass er einen mit seinen klugen Einfällen gehörig überraschen kann. Anders gesagt: So gaga, dass man es gesehen haben muss!

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de

Freitag, 1. September 2017

Doctor Strange


14 Filme, darunter sechs sogenannte 'Origin Storys': Dass sich im 'Marvel Cinematic Universe' eine gewisse Routine breit gemacht hat, ist schlichtweg unvermeidlich. Ebenso klar ist, dass Doctor Strange als der Film, der das halbe Dutzend an Heldenursprungsgeschichten voll macht, zwangsweise einige altbekannte Streckenabschnitte touchiert. Die in rund zwei Filmstunden narrativ überzeugenden Variationen, wie aus einer Potential aufweisenden, aber makelhaften Person ein fähiger Weltenretter wird, sind halt beschränkt.

Unter der Leitung des Sinister-Regisseurs Scott Derrickson gestaltet Doctor Strange diese schon oft durchgemachte Reise allerdings über die längsten Etappen hinweg neu, aufregend und ungewöhnlich. Es ist quasi so, als wäre Derrickson ein neuer Fahrer, der den üblichen Pendelweg der Marvel-Origin-Story-Fahrgemeinde mittels Schleichwege variiert. Damit begnügt er sich allerdings nicht – er gönnt uns obendrein abgedrehte Sehenswürdigkeiten. Dass Derrickson seinen Mitfahrern zudem psychedelische Drogen in den Morgenkaffee gekippt hat, wäre im Falle, dass diese Zeilen wortwörtlich gemeint sind, zwar ein mieses Verbrechen. Aber da dies nur eine Metapher ist, ist es Derrickson zu verdanken, dass Doctor Strange im Marvel-Filmuniversum ein packendes, ästhetisch unvergleichliches Erlebnis darstellt.

Der weltberühmte Neurochirurg Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) ist unbestritten ein Meister seines Fachs: Ihm scheinen selbst die kniffligsten Fälle leicht zu fallen – seinen ruhigen Händen und seinem messerscharfen Verstand sei Dank. Doch dem Workaholic ist schon längst sein Können zu Kopf gestiegen: Er übernimmt nur Patienten, die ihn herausfordern, aber heilbar sind und somit seine perfekte Statistik nicht zerstören. Aller Arroganz zum Trotz gelingt es ihm, eine freundschaftliche Beziehung zu seiner Kollegin Christine Palmer (Rachel McAdams) aufrecht zu halten, statt sich angesichts ihrer einst gescheiterten Liebesaffäre an die Gurgel zu gehen. Das streng geordnete Leben, das Strange sich aufgebaut hat, wird brutal durcheinandergerüttelt, als er bei einem Autounfall schwer verletzt wird. Unter anderem bleibt ein dramatischer Nervenschaden an seinen Händen übrig, was es ihm unmöglich macht, in seinen Beruf zurückzukehren.

Vom Mangel an Hilfe enttäuscht, die ihm die konventionelle Medizin leistet, reist der hochrationale Strange letztlich nach Nepal, um einen sagenumwobenen Tempel ausfindig zu machen: Den Kamar-Taj, wo vermeintlich selbst die ärgsten körperlichen Probleme geheilt werden können. Allerdings stellt sich der Kamar-Taj als so viel mehr heraus: Die dort lehrende Älteste (Tilda Swinton) öffnet Strange die Augen, dass das Universum wesentlich mystischer und magischer ist, als er je gedacht hätte. Strange ordnet sich verwundert den Lehren der Ältesten unter – und wird so in einen die Grenzen der Wirklichkeit sprengenden Kampf gesogen …

In mancherlei Hinsicht ist Doctor Strange eine esoterische Abwandlung des in technologischen Spielereien verwurzelten Iron Man: Ein selbstverliebter, sich allein durch sein Ego und seine Arbeit definierender Protagonist hat einen Unfall. Das, was ihm hilft, sein so erzeugtes körperliches Gebrechen zu überkommen, öffnet ihm zugleich Tür und Tor in eine Welt abenteuerlicher Gefahren und großer, heldenhafter Verantwortungen. Dieser familiäre Pfad der Heldenwerdung führt die Titelfigur zwischenzeitlich auch in Versuchung, die ihr gebotenen Möglichkeiten nur für sich selbst zu nutzen, statt zum Wohle der Allgemeinheit. Selbstredend ist es für den sich selbst findenden Helden eine größere Herausforderung, das eigene Ego zu überkommen, statt seine Fähigkeiten zu meistern. Und darüber hinaus gibt es während der mit etwas Situationskomik gespickten Reise auch Rückschläge zu verkraften …

Die Verlässlichkeit, mit der Scott Derrickson und C. Robert Cargill in ihrem Drehbuch diese Eckpunkte der Heldenwerdung ansteuern, führt dazu, dass zumindest das grobe Storykonstrukt von Doctor Strange vorhersehbar ist. Außerdem geraten den Autoren zwischen dem beschwingten Mittelpart und dem ungewöhnlichen Finale die Übergänge von kleineren Actionszenen und dialoggesteuerten Charaktermomenten recht stotterig. Daher erscheint die andersweltliche Superheldenstory zu Beginn des dritten Akts etwas bemühter, als sie es angesichts der in ihr präsentierten, mühelos ganze Straßenzüge verbiegenden Magie wünschenswert wäre.

Gleichwohl gelingt es Derrickson und Cargill, ihren Helden intensiver zu skizzieren als es den Titelfiguren in Iron Man oder Thor vergönnt ist: Bevor es Strange nach Nepal verschlägt, skizziert der erzählerisch zügig voranschreitende, doch in ruhigen, dramatischen Szenen entfaltete erste Akt den Neurochirurgen in all seiner charakterlichen Bandbreite. Dabei beachtet Derrickson weitestgehend das alte cineastische Mantra „Show, don’t tell“ und führt die Hybris Stranges ebenso vor wie sein zweischneidiges berufliches Erfolgsstreben und seine wenigen Interessen abseits seiner Arbeit. Statt McAdams‘ Christine Palmer in einem starren Monolog explizit ausformulieren zu lassen, wie sie zum wandelnden Musiklexikon Strange steht, wird ihre sympathische, ihrer gemeinsamen Vergangenheit ungeachtet entspannte Dynamik zueinander im Zusammenspiel deutlich. Der sehr, sehr trockene sowie dezent überhebliche Witz, den Cumberbatch in Sherlock-Manier rüberbringt, und die Freundschaft zwischen den Ex-Liebhabern sind es auch, die Strange trotz zahlreicher charakterlicher Mängel zu einem angenehmen und runden Protagonisten formen.

Neben Cumberbatch, der sich die Figur Stephen Strange zu eigen macht, brilliert vor allem Tilda Swinton. Im Vorfeld der Filmveröffentlichung wurde viel über die potentiellen politischen Stolperfallen geschrieben, dass die hier gebotene Neuinterpretation einer in den Comics klischeehaften, asiatischen Männerfigur eine weiße Frau ist. Um es kurz zu machen: Gewiss kann ein so großes Filmfranchise wie das 'Marvel Cinematic Universe' mehr asiatische Darstellerinnen und Darsteller vertragen. Davon losgelöst haben die Filmemacher aber Respekt dafür verdient, den Stereotypen des weisen, alten Asiaten mit mystischen Kenntnissen gestrichen zu haben. Swintons Älteste ist eine strenge Lehrmethoden anwendende, dennoch warme, freundliche und würdevolle Persönlichkeit, die stets so aussieht, als würde sie gerade entspannt durch eine interessante Museumsausstellung wandern und in Gedanken so eben einen kessen, ironischen Kommentar formen. Die Ausstrahlung und Gravitas, die Swinton selbst den manchmal etwas sperrigen Mentor-Schüler-Dialogen mitgibt, ist eine zu große Bereicherung für Doctor Strange, als dass man sich eine vorlagengetreuere Besetzung wünschen könnte.

Die Darbietungen des restlichen Casts können nicht ganz mit diesen zwei Schauspielleistungen mithalten, trotzdem hinterlässt das Ensemble einen durchweg positiven Eindruck. McAdams‘ Figur kommt in der Story zwar leider zu kurz, trotzdem zählt sie dank der gelassenen Interaktion mit Cumberbatch zu den besseren weiblichen Anvertrauten eines Marvel-Titelhelden. Chiwetel Ejiofor bringt als Kampfgefährte Stranges einen reizvollen Mix aus moralischer Strenge und Empathie mit und Benedict Wong verwandelt die Randfigur eines übellaunigen Bibliothekars in einen denkwürdigen Sidekick. Hannibal-Hauptdarsteller Mads Mikkelsen letztlich hätte zwar zusätzliche Szenen vertragen können, um die Motivation seines Schurken von einer plausiblen Behauptung zu einer nachvollziehbaren Charakteristik emporzuheben. Dessen ungeachtet bleibt auch hier Mikkelsens magnetische Leinwandwirkung bestehen und seine wenigen sarkatischen Dialogwitze sind allesamt Volltreffer.

Dass die Antagonisten in Doctor Strange prägnanter sein könnten, gerät angesichts der visuellen Extravaganz dieses 165-Millionen-Dollar-Projekts allerdings rasch in Vergessenheit. Wenn die Helden und ihre Kontrahenten Magie einsetzen, weicht dies selbst bei den simpleren Tricks dank filigran gestalteter Zauberpartikel von den altbekannten Magie-Feuerbällen anderer Filme ab. Diese bereits sehr stylischen Elemente sind aber nur Kinderkram im Vergleich zu dem, was die fähigsten Figuren mit ihrer Magie bewegen: Für sie ist die normale, irdische Wirklichkeit kaum mehr als ein Blatt Papier, das sie wie ein Origami-Meister verformen. Wenn ganze Straßenzüge mehrmals ineinander gefaltet und gespiegelt werden, sich somit in ein surreales Uhrwerk verwandeln, sieht nicht nur eine der ikonischsten Inception-Szenen alt aus: Selbst der für seine illusorischen, Logik außer Kraft setzenden Zeichnungen berühmte Grafiker M. C. Escher würde bei diesen verschachtelten Effektkonstrukten ins Schwitzen kommen. Diese surrealen Wunder lassen Doctor Strange nicht bloß visuell aus dem restlichen Marvel-Franchise herausstechen, sie ändern auch den Ablauf der Action, da hier Faustkämpfe und Laserschüsse Platz machen für strategische Tricks und weitschweifende Magie.

Gelegentlich wagt sich Derrickson auch völlig ins Reich des psychedelischen, lässt Strange etwa einen atemberaubenden, verrückten Trip durch verschiedene Dimensionen machen, der zuweilen auch Derricksons Horror-Wurzeln Tribut zollt. Diese bunten, durchgeknallten Passagen bleiben zwar kaum mehr als schmückendes Beiwerk, bereiten jedoch auch das bisherige Marvel-Konventionen austricksende Finale vor und verleihen der zwischendurch so ausgetretenen Storyroute einen markanten, trippigen Gesamteindruck. Dass die Effekte immens stark sind, von ein, zwei auffälligen Greenscreen-Aufnahmen und dem mau umgesetzten Autounfall Stranges abgesehen, intensiviert diesen Eindruck ebenso wie Michael Giacchinos Musikbegleitung. Diese ist zwar meilenweit von den besten Leistungen des Oscar-Gewinners entfernt, trotzdem manövriert sich der Oben-Komponist aus dem üblichen Marvel-Klangbett heraus und setzt wenigstens phasenweise mit seinen von Psychadelic Rock und indischer Musik beeinflussten Arrangements nachhallende Akzente.

Fazit: Marvel entdeckt eine imposante, überwältigende Welt der Magie für sich – und peppt mit ihr eine gewohnte, aber in sich stimmige Narrative auf.

Diese Kritik erschien zuerst auf Quotenmeter.de

Freitag der Karibik #58


Woran hängt man die Fortsetzung eines riesigen Überraschungserfolges auf? Im Falle von Fluch der Karibik geschah die Entwicklung sehr organisch: Die verantwortlichen Köpfe hinter dem Piratenabenteuer kamen der Legende nach bereits während der Arbeiten am eigentlich als Einzelfilm entworfenen Actioners auf grobe Ideen, was in einem zweiten Teil passieren müsste, sollte dieser unerwarteterweise genehmigt werden. Von diesen Wünschen ausgehend wurde dann, als Disney tatsächlich grünes Licht gab, die Dilogie Die Truhe des Todes/Am Ende der Welt entwickelt. Mit dem erklärten Ziel: Disney-Konventionen scheren uns nicht.

Laut Terry Rossio und Ted Elliott ist der Grundstein, der für Teil zwei der Pirates of the Caribbean-Saga gelegt wurde, die Idee, dass Elizabeth Swann in die Situation gelangen könnte, dass sie Jack Sparrow töten muss, um ihren geliebten Will Turner zu retten. Rossio und Elliott, die große Fans von Keira Knightleys Performance waren, waren davon überzeugt, dass die Mimin den schweren Spagat absolvieren kann, ihre Figur zu so harten Mitteln greifen zu lassen, ohne dass sie dabei die Publikumssympathie verliert. Zudem erachteten sie es als konsequente Fortführung der komplexen Moral in der Fluch der Karibik-Welt, in der es ruchlose und verständliche Piraten sowie abscheuliche und freundliche Vertreter des Bürgerlichen gibt. Die von Abenteuern träumende Elizabeth zur Mörderin zu machen und den amüsanten Jack Sparrow zu opfern, schien ihnen so reizvoll, dass sie sich geschworen haben, den zweiten Teil nur dann zu verfassen, wenn sie diesen Plan durchgedrückt bekommen.

Daher haben sie für Die Truhe des Todes erst unterschrieben, als Keira Knightley zugesagt hatte. Zudem erläuterten sie Regisseur Gore Verbinski, Produzent Jerry Bruckheimer und den Ausführenden Produzenten Mike Stenson und Chad Oman ihren Plan beim allerersten Meeting, in dem es um die Ideen für Teil zwei ging. Dort stieß er zunächst auf Zweifel. Es soll Verbinski gewesen sein, der wenige Wochen später Bruckheimer davon überzeugte, welcher wiederum diesen Plan Disney schmackhaft gemacht hat.

Selbst wenn dies schon etwas Überzeugungsarbeit benötigte, so war es eine andere Szene, die dem Studio geradezu Sorgesfalten in die Stirn getrieben hat: Die allerletzte Szene des Films, in der sich der wieder zum Leben gebrachte Barbossa präsentiert und nach dem Verbleib seines Schiffes fragt.

Barbossas einzige Textzeile in Die Truhe des Todes, die zugleich den Abschluss des Films darstellt, war die erste Dialogzeile, die Elliott und Rossio geschrieben haben. Sie holten Barbossa zurück, weil sie unbedingt erneut Geoffrey Rush an Bord haben und einen interessanten Kontrast zu Jack Sparrows Tod kreieren wollten: Der Tod des Trickster-Piraten sollte zwar dramatisch sein, aber nicht erschütternd (da Elizabeths Motive nachvollziehbar ausfielen), zum Ausgleich sollte als Schlusspointe des Films der Schurke des Vorgängerfilms wieder auferstehen, was jedoch nicht als schockierender Twist verstanden werden sollte - sondern eher als freudiger Rausschmeißer aus dem Film. Denn Barbossa entpuppte sich bereits relativ kurz nach Kinostart, während die groben Ideen für Die Truhe des Todes abseits des zuvor ersonnenen Jack/Elizabeth-Moments geschmiedet wurden, als einer der Favoriten der innigen Fanbase. Die sollte durch Barbossas Rückkehr mit einem verdatterten Grinsen in den Abspann entlassen werden.

Am Erfolg dieses Vorhabens hatte Disney jedoch seine Zweifel, weshalb Verbinski, Bruckheimer, Rossio und Elliott sehr für diesen Moment kämpfen mussten - sogar, nachdem Rushs Rückkehr für Teil drei von Disney abgesegnet wurde. Es war der Gedanke, einen Film mit dem Comeback eines Fieslings zu beenden, der bei der Studioführung für Unbehagen sorgte. Letztlich wurde Disney dazu gebracht, sich da durchzubeißen, indem die Filmemacher für Alternativlosigkeit sorgten: Ohne Barbossas Rückkehr gab es überhaupt kein Ende für Teil zwei.